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Rürup, Rentenreform, agenda 2010

Verarmung macht die Rente sicher!

Worum geht es ?


Liebe Mitbürgerinnen und Mitbürger!


Auch Ihre Rente ist gekürzt: Das Rentenreformgesetz ist am 11. März 2004 verabschiedet worden. In der Begründung dieses Gesetzes wird u.a. der demographische Wandel als das zu lösende Problem genannt. Damit ist gemeint, dass das Verhältnis von jungen und alten, arbeitenden und sich im Ruhestand befindlichen Menschen aus den Fugen gerät. Wir möchten im Folgenden aufzeigen, dass dies lediglich die regierungsamtliche Begleitmusik zu Maßnahmen ist, die einseitig den Interessen der Unternehmen dienen und nichts anderes bewirken als eine systematische Verarmung großer Teile der alten (und jungen) Menschen in Deutschland. Wir halten Appelle an die Sozialreformer für verfehlt und möchten statt dessen einen Beitrag dazu leisten, darüber aufzuklären, was es mit der Rente und ihrer Reform auf sich hat.

Rente - wie funktioniert das?


In Deutschland funktioniert das Rentensystem nach dem Umlage-verfahren, d.h. die auszuzahlenden Renten werden durch die aktuell hereinkommenden Beiträge finanziert. Die gezahlten Beiträge dienen also nicht zur Deckung der eigenen Rente. Vereinfacht gesagt, ergab sich bisher der individuelle Rentenanspruch aus der Zahl der Beitragsjahre und aus der Höhe der eingezahlten Beiträge zur Rentenversicherung (RV), vgl. im Einzelnen die Rentenformel im unten stehenden Kasten. Um das System aufrecht zu erhalten, wurde in der Vergangenheit der Beitragssatz zur RV dem aktuellen Bedarf angepasst. Der Beitragssatz liegt seit Anfang 2003 bei 19,5%, die vom Lohn abgezogen werden.

Die Rentenversicherung unterscheidet sich in wichtigen Kriterien von den anderen Sozialversicherungen, insbesondere von der Krankenver-sicherung. Bei Letztgenannter ist die Höhe der Leistungen unabhängig von den eingezahlten Beiträgen. Die Finanzierung wird durch das Solidaritätsprinzip gewährleistet, da Versicherte mit hohem Einkommen mehr einzahlen, als Versicherte mit geringem oder ohne Einkommen. Bei der Rentenversicherung sind dagegen die Leistungen abhängig von den Einzahlungen. Sie hat nur geringe solidarische Elemente, da Zeiten ohne Einkommen nur in geringem Umfang Rentenansprüche nach sich ziehen. Bei einem echten Generationenvertrag würden die Arbeitenden die Rentner unabhängig von deren Einzahlungen menschenwürdig unter-stützen. Der Modus des Umlageverfahrens lässt es nur so aussehen, als würde ein solcher Vertrag bestehen.

Wenn die Menschen immer älter werden und damit immer mehr Rentner länger eine Rente beziehen (inzwischen durchschnittlich 12 Jahre bei Männern und knapp 20 bei Frauen), die Ausgaben also insgesamt steigen und umgekehrt die Zahl der Einzahler durch permanent steigende Arbeitslosigkeit und eine niedrige Geburtenrate beständig abnimmt, dann ist klar, dass ein solches System in Not geraten muss, will man den Beitragssatz nicht höher und höher schrauben.

 

Die (neue) Rentenformel


Mit der Rentenformel wird die monatliche Rente eines Rentenberechtigten errechnet. Sie bestand bisher aus vier Faktoren und ist nun um einen weiteren Faktor (NF) ergänzt worden.

Rente = EP × RW × ZF × RF × NF

EP ist die Summe der Entgeltpunkte: Jeder Beschäftigte erhält pro Jahr eine bestimmte Punktzahl. Sie hängt davon ab, ob er mehr oder weniger als das Durchschnittseinkommen (brutto) verdient hat. Der Durchschnittsverdiener erhält 1,0 EP. Dieser Wert erhöht oder reduziert sich: Wer z.B. 10 % mehr als der Durchschnitt verdient, erhält 1,1 EP, wer 5 % weniger verdient nur 0,95 EP. Die EP werden für jedes Jahr ermittelt, addiert und ergeben so in der Formel den Wert EP.

RW ist der aktuelle Rentenwert in Euro. Er wird vom Gesetzgeber festgelegt, jährlich neu angepasst (bisher gekoppelt an die Lohnentwicklung) und beträgt momentan 26,13 € (BRD-West) bzw. 22,97 € (BRD-Ost).

ZF bezeichnet den Zugangsfaktor und beträgt normalerweise 1. Dieser Wert ändert sich nur dann, wenn die Rente früher oder später als üblich ausgezahlt werden soll.

RF ist der Rentenart-Faktor und beträgt bei der Altersrente 1. Bei der Witwenrente beträgt er 0,6 und bei der Berufsunfähigkeitsrente 0,6667.

NF ist der durch die Rürup-Kommission neu aufgenommene Nachhaltigkeitsfaktor, der dem demographischen Wandel Rechnung tragen soll und wie folgt aufgebaut ist: NF = (Anzahl Arbeitnehmer:Anzahl Rentner) × 0,25. Das Verhältnis von Arbeit-nehmern zu Rentnern wird auch der „Rentnerquotient“ genannt und beträgt momentan ca. 4, so dass sich zur Zeit insgesamt ein NF von 1 ergibt.

Die Standard- bzw. Eckrente ergibt sich nun für einen Versicherten, der 45 Jahre lang jeweils durchschnittlich verdient hat Das Durchschnittseinkommen (brutto) betrug für das Jahr 2002 28.626 €. Er würde damit folgende Rente beziehen:

Rente = 45 × 26,13 € × 1 × 1 × 1 = 1176 €.

Steigt die Zahl der Rentner im Verhältnis zur Arbeitnehmerzahl an – so das Szenario der Demographen und der Rürup-Kommission – wird der Rentnerquotient kleiner, der NF nimmt ab, und damit sinkt die Rente.

So weitermachen wie bisher?


Es gibt eine inzwischen weitverbreitete Auffassung (vertreten u.a. von attac, den christlich-sozialen Wohlfahrtsverbänden und dem DGB), die besagt, dass die agenda 2010 im Allgemeinen und die Rentenreform im Speziellen gar nicht notwendig sei. Man könne doch einfach weiter-machen wie bisher, auch wenn dazu die Beitragsprozente steigen müssten. Ohne Reform würden sie im Jahre 2030 bei ca. 24 % liegen, dafür müsste aber das Rentenniveau nur geringfügig gesenkt und die Arbeitnehmer müssten sich nicht selbst mit einer unkalkulierbaren privaten Altersabsicherung herumschlagen.

Tatsächlich wird die Notwendigkeit zu Recht bestritten. So „alternativ-los“, wie die Regierung meint, ist das Programm der Verarmung des Volks im Rahmen und Namen der agenda 2010 nicht: Wenn die Regierung wollte, könnte sie beispielsweise die Sozialversicherungen aus Haus-haltsmitteln sanieren.

Diese Art von Einwand bezieht sich jedoch nicht auf die hierzulande gültige Staatsräson und auf das aktuelle Regierungsprogramm, das sich der Ökonomie verpflichtet weiß und sich im Interesse dieser für die nationale Absenkung des Lebensniveaus alter und junger Menschen in Deutschland stark macht. Von dieser Warte aus, vom Wunsch das Kapitalwachstum wieder anzuheizen, in der internationalen Konkurrenz bestehen zu können, sind die Maßnahmen notwendig, weil sie ein ent-scheidendes Mittel zur Stärkung des Standorts Deutschland darstellen.

Nicht gestellt wird die Frage, ob der bisherige Sozialstaat überhaupt erhaltenswert ist,

  • beseitigt er doch nicht im geringsten die Ursachen des Anfallens von „sozialen Problemfällen“,
     

  • bürdet er doch mit seinen Sozialkassen allein den Arbeitnehmern zwanghaft die Kosten für sie auf (Lohnnebenkosten sind Lohn-bestandteile!),
     

  • ist das Maß seiner Leistungen, gemessen am gesellschaftlichen Reichtum, völlig unzureichend.

Soll man bspw. ernsthaft dafür sein, das bereits erreichte Maß an Altersarmut zu verteidigen?

Zweck und Inhalt der Rentenreform


Auf das Defizit in der Rentenkasse reagierte der Sozialstaat bisher mit Beitragserhöhungen und – inflationsbereinigt betrachtet – moderaten Rentenabsenkungen. Das Reformpaket bricht grundlegend mit dieser Tradition, indem festgeschrieben wird, den Beitragssatz zur RV bis 2030 nicht über 22 % klettern zu lassen.

Der Zweck der Reform besteht darin, die Unternehmen nicht mit steigenden Rentenbeiträgen als Teil der Lohn(neben)kosten zu belasten. Anstatt sich um das Auskommen der älteren Generation zu kümmern, macht sich der Staat zum Erfüllungsgehilfen des unternehmerischen Interesses, nach dem die Versorgung der Beschäftigten im Alter der Gewinnrechnung prinzipiell zuwiderläuft. Die erhoffte bzw. propagierte Wirkung, die mit dieser „Kostendeckelung“ hervorgerufen werden soll, ist, das Wirtschaftswachstum zu fördern, um – so die weitere Hoffnung – die Schaffung neuer Arbeitsplätze zu ermöglichen.

Der Nachweis jedoch, dass es außer der Geschäftswelt und dem Staat, der von der Vermehrung des Privateigentums profitiert, weitere Nutznießer von Wachstum gäbe, wird nicht geführt; der Verweis auf die Abhängigkeit von der Wirtschaft reicht da aus. Uns jedoch nicht. Aus dem Erfahrungsschatz der Volkswirtschaftslehre ist bekannt, dass es in entwickelten Industrie- und Dienstleistungsnationen eines Wachstums von mindestens 3 % bedarf, um die Arbeitslosigkeit nennenswert senken zu können. Dass man dies erreichen könnte, wird zwar auch von Experten als unrealistisch angesehen, aber selbst wenn die Reform-agenda dies bewerkstelligen würde, so bleibt zu doch fragen, wer das zu welchem Preis bezahlt! Denn beschlossen wird zunächst nichts weiter als eine Senkung des allgemeinen Lebensstandards. An dieser Stelle wird deutlich, dass eine vernünftige Versorgung der alten bzw. unproduktiven Menschen nicht innerhalb des marktwirtschaftlichen Systems geregelt werden kann.

An Zynismus kaum noch zu überbieten, lässt Ulla Schmidt, Ministerin für Gesundheit und Soziale Sicherung, die Rentner wissen: „Gerade die Älteren unter uns wissen aus Erfahrung, dass manchmal gespart werden muss, damit es später besser werden kann.“ (Anzeigenkampagne zur agenda 2010, HA 25./26.10.03). Das sagt sie allen Ernstes Menschen, die vielleicht noch ein paar Jahre zu leben haben.

Und was ist mit den Jungen, den Aktiven? Die werden als Beitragszahler angesprochen und sollen sich über weniger Lohnabzüge freuen – wo jedem klar sein sollte, dass die eingesparten Summen sofort durch den Zwang zu einer zusätzlichen Privatrentenversicherung wieder aufgezehrt werden. Die private Absicherung wird ihre zukünftige Altersarmut nicht verhindern, woran man merkt, dass es um ihren materiellen Vorteil gerade nicht gehen soll. Um das Ausmaß der Konsequenzen der Rentenreform zu verdeutlichen: Ein Eck-Rentner mit 34 oder weniger Beitragsjahren, der in jedem Jahr ein Durchschnittseinkommen bezogen hat, wird 2030 eine Rente erhalten, die unter dem Niveau der Sozialhilfe liegt!

Fazit


Zum Abschluss soll der Blick noch einmal zurück zum angeblichen Ausgangsproblem, der Demographie, gelenkt werden: Ist denn jetzt mit der Rentenreform das demographische Problem gelöst? Ändert sich etwas an der Tatsache, dass ein Arbeitnehmer demnächst zwei Rentner miternähren muss? Nein. Das einzige, was sich geändert hat, ist, dass Junge wie Alte mit einer drastisch gekürzten Geldsumme zurechtkommen müssen.

Unseres Erachtens muss man sich schon entscheiden: Will man für „soziale Gerechtigkeit“ eintreten, um sich am jeweils letzten Stand der Verschlechterung des Lebensstandards abzuarbeiten, verknüpft mit Bitten und Appellen an die Sozialreformer, die das Elend herbeiregieren, es nicht noch schlimmer kommen zu lassen, oder will man eine gescheite Kritik am System üben, das zwingend Armut erzeugt und dessen wirtschaftlicher Erfolg genau darauf basiert. Natürlich wäre „eine andere Welt möglich“, aber ohne sich mit den weltpolitischen Ambitionen Deutschlands und den Prinzipien der Marktwirtschaft anzulegen, geht das nicht. Darunter ist es leider nicht zu haben.

Mail: argumente@web.de
Web:
http://gruppew8.wordpress.com
 


contradictio - 2009