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Ein sozialpsychologischer Dauerbrenner: |
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Vorurteile
mögen wir nicht
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Vorurteile,
Ausländerfeindlichkeit, Fremdenhaß – als Themen kritisch-besorgter
Veranstaltungen bis hin zum Tatort am Sonntagabend sind das
regelrechte Publikumsrenner, obwohl (oder weil?) sich alle längst
einig sind, daß solche Einstellungen primitiv und dumm sind, und es
sie heute eigentlich gar nicht mehr geben dürfte.
Auch Schulen und Unis wollen da
natürlich nicht abseits stehen und führen regelmäßig ganze
Unterrichtsreihen und Seminare durch. Frage nur: in was besteht, an
wen richtet sich eigentlich die dort geleistete Aufklärung? |
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Das Vorurteil |
Überlegt man einmal, was los ist, wenn jemand Brillenträger für
schlau hält, Langhaarige für arbeitsscheu und meint, daß Ausländern
nicht recht über den Weg zu trauen sei, was also ein Vorurteil ist,
kommt man ungefähr auf folgendes: da äußert jemand seine Meinung,
bringt einen irgendwie, allerdings wohl kaum an der Sache selbst
gefaßten Standpunkt ziemlich dezidiert zum Ausdruck. Er demonstriert
sein persönliches Ge- oder Mißfallen, seinen Respekt oder seine
Verachtung, dies aber in Form, als wäre es ein objektives Urteil.
Und darin unterscheidet es sich von den sonst alltäglich
vorgebrachten Meinungen: ein hand-festes Vor-Urteil relativiert seine
Behauptungen nicht gleich im nächsten Atemzug. Und zwar nicht, weil
es irgendeinen Sachverhalt begriffen hätte (durch Hinweise auf
die Realität läßt es sich gerade nicht erschüttern), sondern weil es
stur nur dem Glauben an die uni-verselle Gültigkeit des eigenen
Standpunkts folgt. Deswegen ist es auch nicht beliebig, grundlos:
seine Kriterien besitzt es in all den moralischen Gesichtspunkten,
mit denen ein guter Bürger die Welt begutachtet – Hochachtung vor
denen, wo er glaubt, daß es sich gehört; auf Ordnung bestehen, wo
sich jemand nicht ganz unbedingt den (und seines es auch nur
eingebildeten) gesellschaftlichen Ge- und Verboten entsprechend
verhält; ein gesundes nationales Empfinden, das weiß, daß mit
Ausländern allein schon deshalb nicht stimmen kann, weil sie keinen
deutschen Paß haben. Genau diese Weltsicht ‚fällt’ ihm ‚ein’,
wenn er ‚sein’ Land durchmustert, und er gibt sie als Eigen-schaften
des zensierten Personals zu Protokoll. Eines also will er dabei ganz
sicher nicht: ein sachliches Urteil fällen. |
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... ein unverzeihlicher faux pas... |
Genau so tun aber diejenigen, die über das Vorurteil aufklären
wollen. Denn als erstes fällt – auch sämtlichen psycho- und
soziologischen Definitionen – auf, daß im Vorurteil „unzulässig
verallgemeinert“ wird, „vorschnell geurteilt“; daß eine „Überprüfung
der empirischen Gültig-keit“ fehlt, daß „gefühlsmäßig geurteilt“ wird
usw. usf. So als hätte jemand, der Italiener für faul hält,
vorgehabt, ein korrektes Urteil über ein Volk zustandezubringen, wird
ihm da vorgerechnet, daß er einiges verpatzt hat. Und zwar nicht nur,
daß er die Regeln anständigen Denkens außer acht läßt, indem
er „vorschnell“ alle Italiener in einen Pott wirft und das nicht
„empirisch prüft“, sondern – und daß ist der viel gravierendere
Vorwurf – daß er nicht anständig denkt: er äußert „negative“,
„herabsetzende“ Meinungen über Ausländer, was sich offenbar nicht
gehört. So macht die Wissenschaft das Vorurteil als negatives
Zerrbild integeren, differenzierten Urteilens vorstellig: Der
inhaltliche Standpunkt, dem es sich verdankt, bleibt in ihrer
Kritik außen vor (an dem hat auch der differenziert denkende
Wissenschaftler nämlich nichts auszusetzen), wohl aber entdeckt sie,
daß Vorurteile auf eine Art und Weise Sachen über Gott
und die Welt behaupten, die sich schwer an den Geboten und
Gepflogenheiten aufgeklärten Hypothesen- und Modell-Bastelns
versündigt. Genauso gerät ihr auch derjenige ins Visier, der diese
Negativleistung zustandebringt: Nicht seine Sorte moralischer
Weltbeurteilung, sein sich im Vorurteil ausdrückender poli-tischer
Wille erscheinen als Grund seiner Äußerungen, sondern umge-kehrt: daß
er Vorurteile äußert, liegt für sie an seiner moralischen
Unzulänglichkeit, daß es ihm an der Fähigkeit zu
„verantwortlichem“ und „differenzierendem“ Denken fehlt, an
der nötigen Selbstrelativierung, an Toleranz, kurz an all den
Gütesiegeln, die spiegelbildlich die eigene Meinung offenbar in so
hohem Maße auszeichnen. Vorurteile sind also eine Charakterfrage,
denn „ungeachtet aller Möglichkeiten der Korrektur“ hält man am
Vorurteil „fest“, zeigt sich „resistent“ gegen alle Be-mühungen, ihm
mit „Information“, „Argument“ oder „Erfahrung“ auf die Sprünge zu
helfen – ein lustiger Vorwurf an jemanden, der auf „Informationen“
über Ausländer z.B. sehr offensichtlich gar nicht scharf und auf
„differenzierende Argumente“ gerade pfeifen will, um sich seinen
Standpunkt zurechtzulegen, und der sämtliche „Erfahrungen“ immer
schon interpretiert hat (entweder nämlich als „mal wieder“
vorgefundene Bestätigung des eigenen Weltbildes, oder als eine dieses
gar nicht ankratzende „Ausnahme“).
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... aber menschlich verständlich |
Vorurteile entstehen also, so die bisherige Auskunft, wenn Menschen
den Anstandsregeln beim Denken und Urteilen nicht genügend Beachtung
schenken: wenn sei nicht tolerant denken, differenziert, aufgeklärt.
Daß sie das nicht immer tun ist zwar kritikabel, andererseits aber
durchaus verständlich. Denn so
- werden in „unserer Wahrnehmung
die Vielschichtigkeit, Kompli-ziertheit und Verflechtung unserer
Welt zu Schubladen, Stereo-typen und Kategorien“ reduziert;
- wird „der Zusammenhalt der
eigenen Gruppe gefördert“ und „Aufwertung der eigenen Person durch
Herabsetzung anderer Personen und Gruppen“ betrieben;
- werden „Aggressionen auf
Sündenböcke“ abgeleitet.
Stimmen kann zwar keine dieser „Funktionen“ von
Vorurteilen:
- wie sollte denn ausgerechnet
„Schubladendenken“ und bewußtes Pauschalisieren, also ein ganz
„unangemessenes“ Weltver-ständnis das „angemessene“ Mittel sein, in
einer „vielschichtigen Umwelt“ zurechtzukommen?
- kann die „Herabsetzung“ anderer
nie und nimmer eine so abstrakte „Notwendigkeit“ wie „Zusammenhalt“
der eigenen „Gruppe“ stiften oder fördern, weil sie
nämlich eine Sorte Gruppen-Identität unterstellt, aus deren
Zweck die Herabsetzung „anderer“ folgt.
- soll man sich ein „Dampfablassen“
negativer Emotionen wirklich als Trieb zur Agression vorstellen,
der sich erst im nachhinein „ein Objekt“, einen (irgendeinen)
„Sündenbock“ sucht, und das als Erklärung von Ausländerfeindlichkeit?
Dafür aber machen sie umso besser den Standpunkt
deutlich, von dem aus die Sozialpsychologie „aufklärt“ über eine so
unschöne Erscheinung zwischenmenschlichen Zusammenlebens: als
Fehler, der eben einzig dazu taugt, das eigene Untertanensein
mittels moralischer Weltsicht zu begleiten, will sie das Vorurteil
nicht wahrhaben und schon gar nicht kritisieren. Daß der Mensch
zurechtkommen wollen muß in einer „komplizierten“ Welt – klaro; daß
es ein ehrenwertes Anliegen ist, sich selbst „aufzuwerten“, daß man
für Nation als die „eigene Gruppe“ sein soll – aber immer; daß
Aggressionen abgelassen werden müssen – kein Problem!
Selbstverständlich ist die Wissenschaft für all diese
„psycho-sozialen Notwendigkeiten“, in die sie die moralischen
Handlungsmaß-stäbe verfabelt; und mit der so ex catedra verkündeten
Gewißheit, daß die große Masse ihren Alltag gar nicht anders
bestreiten kann als mit der nötigen Portion Stumpfsinn, Dummheit und
auch ein bißchen Gewalttätigkeit ist ein ziemlich großer Teil des
Bedarfs nach Aufklärung auch schon erledigt. Für den anspruchsvoller
eingestellten Rest bleibt die Möglichkeit, besorgt zu jammern, und
die ganze Sphäre Schwieriger Überlegungen darüber, wie man Menschen,
die von aufgeklärten Intellektuellen als häßlich empfundenen Töne
ihres Nationalismus aberziehen kann, ohne an ihrer Grundlage,
dem „gesunden“ und für unerläßlich erachteten Nationalgefühl
rühren zu wollen. Die führen dann zu mancher Stadtteilfete bis hin
zur Auslandsreise mit kulturellem Anspruch, ein in die Schule
mitgebrachter Türke oder eine Seminar-arbeit tun es aber auch. Immer
zeigt all das, wie sehr man sich bewußt ist, daß...; wie schwierig es
andererseits ist, daß... Und man selber ist ja auch nicht ganz frei
davon...
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(c) Verein zur Förderung des studentischen
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