contradictio.de  -  Gedanken (nicht nur) zur Zeit  -  eMail


        Startseite


        Datenschutz

        Statistiken

     Krieg & Frieden

        11.09.01
        Antiterrorkrieg
        Friedensbewegung
        Irak-Krieg
        USA - Sicherheitsstrategie

     Deutschland

        agenda 2010
        BRD-Stärke
        Bundeswehr
        BSE
        Du bist Deutschland
        Hartz-Module
        Medien
        (Neo-)Faschismus
        Rente 1
        Rente 2

     Psychologie & Glaube

        Aggression
        Gefühl & Verstand
        Kritik der Psychologie
        Manipulation
        Motivation
        Psychologisches Denken
        Sinn des Lebens
        Vorurteile

     Bürgerl. Denken

        Aussenhandel
        Beispiel
        Denken
        Dummheit
        Hegel
        Hyoothese
        Linguistik
        Marktwirtschaft
        Moral
        Nationale Identität
        Pflichten
        Profit
        Skeptizismus
        Sprachphilosophie
        Vergleich
        Volkswirtschaftslehre
        Wahrheit
        Wissenschaft der Logik
     

Download als   PDF-Dokument (172 kB): kritik_psychologie.pdf
 

Kritik der psychologischen Weltanschauung

Eine wissenschaftliche Menschenbildpflege und ihr politischer Gehalt

Ein Vortrag von Prof. Dr. Albert Krölls


A. Generalkritik der Psychologie und ihrer Erklärungsmuster

1. Gegenstand der Psychologie

Die ersten 10 Minuten ungefähr wird man auch ohne das Zitatenblatt auskommen bzw. man braucht nur ein einziges davon, anhand dessen ich hier meine Rundtour machen will, durch das psychologische Denken, was ich psychologische Weltanschauung tituliert habe und dessen Leistung, was hier in meinem Untertitel vorkommt als der politische Gehalt einer Disziplin namens Psychologie.

Ja, die Wissenschaft der Psychologie, ihre Theorien und ihre Erklärungsansätze und ihre Argumentationsfiguren erfreuen sich allenthalben großer Beliebtheit, nicht nur in akademischen Zirkeln, sondern auch außerhalb der Universität. Es gibt eigentlich überhaupt keinen einzigen Gegenstand in der Welt – vom Krieg über den Selbstmord, die Liebe, die Ausländerfeindlichkeit, bis hin zur Börsenspekulation; man könnte diese Reihe noch unendlich fortsetzen –, der vom psychologischen Erklärungsanspruch ausgenommen wäre. Diesen ihren sehr universellen Erklärungsanspruch, den löst die Psychologie allerdings ein, durch eine Erklärungsweise, die durch – und jetzt kommt eine ganz provokante These am Anfang – eine systematische Nichtbefassung mit den Eigenarten mit der jeweiligen besonderen zur Erklärung anstehenden Gegenständen gekennzeichnet ist. Was nämlich Staaten, Selbstmörder, Liebesleute oder Ausländerfeinde so treiben, was die so denken, welche mehr oder weniger offenkundigen Absichten und Zwecke die Sozialcharaktere dieser höchst unterschiedlichen Tatbestände verfolgen, das spielt im Rahmen psychologischer Erklärungen nur eine höchst untergeordnete Rolle.

Die Anstrengungen dieser Wissenschaft sind vielmehr darauf gerichtet, ganz unabhängig von den Inhalten des jeweiligen menschlichen Handelns oder Tuns oder Treibens oder Denkens, dessen tiefere, dahinter liegende Gründe zu ermitteln. Und dieses systematische Desinteresse gegenüber den jeweiligen Erklärungsgegenstand liegt bereits in der sehr voraussetzungsvollen Art der Fragestellung begründet, mit der sich die Psychologie auf die Welt bezieht. Die Frage nämlich nach den Gründen von Ausländerfeindlichkeit, Kriegen usw. ist für die Psychologie von vornherein die Frage, ‚was steckt denn eigentlich dahinter’. D.h. welche Kräfte oder Instanzen führen insgeheim Regime, bei dem was der Mensch so denkt und tut. Und diese Herangehensweise, diese Fragestellung, die hat die Disziplin von vornherein bereits in ihrer allgemeinste Gegenstandsbeschreibung, in die allgemeinste Aufgabenbeschreibung reingepackt, die sich fast wortwörtlich in jedem anerkannten Lehrbuch der Psychologie ungefähr so liest, wie bei Zimbargo-Gerrig:

„Gegenstand der Psychologie sind Verhalten, Erleben und Bewußtsein des Menschen und deren innere (im Individuum angesiedelte) und äußere (in der Umwelt lokalisierte) Bedingungen und Ursachen.“ (Zimbardo-Gerrig, Psycho-logie, 7. Aufl. 1999, S. 2)

2. Der Determinismus der Psychologie

Psychologische Erklärungsweisen bestehen dementsprechend in der Praktizierung eines theoretischen Vorurteils. Dieses Vorurteil hat die Gestalt eines jeder Untersuchung vorausgesetzten Menschenbildes, mit dem das Verhalten des Menschen als Verhältnis zu den inneren und äußeren Bestimmungsgründen (Kräften, Dispositionen, ...) definiert wird, die dafür verantwortlich zeichnen, daß sie das Verhalten hervorbringen, erzeugen, produzieren. Wille und Bewußtsein fungieren, sofern ihre Existenz nicht überhaupt bestritten wird, lediglich als Vollzugsorgan dahinter liegender, verborgener Vorgänge. Und dieses Menschenbild der Bewirktheit oder der Bedingtheit aller menschlichen Werke pflegt die psychologische Betrachtungsweise die Totalität aller Gegenstände zu beugen und konstruiert sich dementsprechend umgekehrt die Welt als Belegmaterial für dieses theoretische Vorurteil ‚alles ist bedingt, alles ist bewirkt’ zurecht.

So wollen bspw. Ethno-Psychologen rassistische Übergriffe aus der Natur der westlichen Psyche erklären, die immerzu nur auf das eigene Pult zeigt und deswegen eine grundsätzliche Aversion gegen das Fremde hervorbringe, ihre Konkurrenz von der Abteilung der Vorurteilsforschung sieht bei ausländerfeindlichen Taten eine tief im Menschen verwurzelte, identitätsstiftende Voruteilsabbauverhinde-rungskraft am Werke – da komme ich später noch ausführlich zu.

Ich könnte diese Aufzählung jetzt beliebig verlängern, ich habe im Ankündigungsflugblatt zu dieser Veranstaltung noch einige Beispiele gebracht, auch außerhalb der Welt der Universität kann man heutzutage in jeder Frauenzeitschrift nachlesen, welche Triebstruktur dafür verantwortlich zeichnen soll, wenn einer untreu wird, Fußballstammtische sind sich darüber einig, daß die schlechten Leistungen der jeweiligen Lieblingsmannschaft auf Motivationsprobleme zurückzuführen sind, und nicht nur die BILD-Zeitung pflegt in getreuer Ableitung der Führernatur Hitlers, die Leistung heutiger politischer Führer wie Osama Bin Laden auf geisteskrankähnliche Ursachen zurückzuführen.

Alle diese Deutungen der Psychologie, von Adam und Eva bis hinzu – ich ende mal bei – Holzkamp (seitdem gibt es glaube ich nichts groß neues mehr), so verschieden wie gegensätzlich sie sich auch immer zueinander verhalten mögen, fußen auf derselben Denkweise, und dieser Denkweise haben wir hier den Namen des psychologischen Determinismus gegeben. Alle Handlungsweisen gelten der psychologischen Weltanschauung gleichermaßen als Äußerungsform von inneren Vorgängen, die in letzter Instanz das Handeln bestimmen. Wir mögen zwar so unsere eigenen subjektiven Beweggründe haben, doch letztendlich beherrschen diese hintergründigen psychischen Instanzen unser Tun. So deuten die Anhänger der psychologischen Weltanschauung sich und ihre Mitmenschen als die abhängige Variable der Wirkkraft psychologischer Mächte. Und diese Wirkkräfte heißen je nach Zugehörigkeit zu den verschiedenen Schulen der Psychologie „Aggressionstrieb“, „Reiz-Reaktions-Muster“, das „Piagetsche Ent-wicklungsschema“, „Hirnphysiologie“ ganz modern, „Anlage“, „Kognitionsmuster“ oder „gesellschaftliche Umwelt“. Auch alle möglichen Faktorenkombinationen kommen als Erklärung in betracht, wie uns die Standardkontroverse zu Verhältnis von „Anlage“ und „Umwelt“ als biologisch-psychologischen Wirkkräften nachhaltig demon-striert, aber Eines steht von vornherein fest: Das Denken und Handeln ist zwangsläufig – wie auch immer – determiniert. Wenn auch nicht vollständig, so doch mindestens teilweise.

3. Gibt es nicht-deterministische Psychologien?

Und daß diese Denkweise – das richtet sich jetzt an den Einwand aus dem Publikum, daß es doch auch andere Richtungen in der Psychologie gäbe – auf bestimmte Schulen oder Richtungen dieser Wissenschaft, wie namentlich die Psychoanalyse oder den Behaviorismus beschränkt sein soll, und inzwischen alternative, nicht-deterministische Psycho-logien wie bspw. die Humanistische Psychologie oder die Kritische Psychologie das Bild dieser Wissenschaft bestimmen würden, das, behaupte ich, ist eine in doppelter Weise unbegründete Schutz-behauptung, und die Gegenbehauptung will ich im folgenden noch einmal kurz ausführen.

Diese Behauptung ist erstens hochgradig kontrafaktisch. Zum Beleg des Gegenteils muß man erst gar nicht den gegenwärtigen Boom der Hirnforschung bemühen, die den Inhalt des Denkens mehr oder minder unmittelbar aus der Beschaffenheit der grauen Zellen abzuleiten pflegt. Auch Freud ist alles andere als ein toter Hund. Auch wenn sich die zeitgenössische Psychologie von seinen abstrusen sexuellen Einfällen, wie dem Penisneid des Weibes oder vom Ödipus, zu distanzieren pflegt, so will doch keiner dem ‚Unbewußten’ – dieser zentralen Kategorie – generell die wissenschaftliche Berechtigung absprechen. Im Gegenteil: Im Rahmen der Erklärung der Ausländerfeindlichkeit spielen aggressions-theoretische, triebökonomische oder ethnopsychologische Erklärungs-muster eine ganz prominente Rolle. Und derartige Aussagen, daß im Krieg und der menschlichen Aggressivität ein unleugbarer Zusammenhang bestehen soll, die finden sich unter dem Stichwort ‚Aggressionstheorie’ noch in jedem namhaften anerkannten psychologischen Werk. Ebensowenig – ist mir jedenfalls nicht bekannt geworden – möchte sich die Medienforschung von der Behauptung distanzieren, daß sich die ausufernde Jugendgewalt zumindest teilweise auch der Wirkung von Gewaltdarstellungen in Film und Fernsehen verdanken soll. Und ein Kongreß zum Thema Ausländerfeindlichkeit oder Jugendgewalt oder Antisemitismus bei dem nicht von namhaften Sozialwissenschaftlern Frustations- oder Agressionstheorien als Erklärung dargeboten werden, den hat es meiner Kenntnis nach auch noch nicht gegeben. Und wie gerade das Beispiel der Antisemitismusforschung belegt, ist auch der Psychomarxismus der Frankfurter Schule keineswegs unmodern geworden und erfreut sich gerade in progressiven antideutschen Kreisen großen Zuspruches, wenn es darum geht mit Adorno- und Horkheimer-Zitaten nach dem angeblich sado-masochistischen Ursprung des deutschen Nationalcharakters zu forschen. Und selbst der ein wenig aus der Mode gekommene, von fortschrittlichen Psychologen als Manipu-lationswissenschaft verschrieener und geschmähter Behaviorismus, der lebt munter weiter, zumindest in seiner praktischen Form der Verhaltenstherapie, die bekanntlich nicht wegen Menschenfeindlichkeit aus dem Arsenal der anerkannten Therapieformen gestrichen worden ist.

Allein dieser kleine Durchgang durch die aktuelle Welt psychologischer Ansätze widerlegt den üblicherweise – von mir natürlich erwarteten – Einwand, der da immer, wenn ich meine Kritik gegen die Psychologie loslasse, erhoben wird, wir würden hier eine unzulässige Verallge-meinerung treiben, wenn wir sagen würden, der Determinismus ist das Erklärungsprinzip der Psychologie. Unbeschadet dessen verfehlt dieser Einwand bereits im Ausgangspunkt sein Beweiszweck der Ehrenrettung der Disziplin. Wer unserem, nicht nur an den Klassikern wie Freud, Skinner und Adorno sondern auch an zeitgenössischen Autoren, geführten Beweis des deterministischen Charakters von mindestens 85 % der in dieser Wissenschaft vertretenen Ansätze nicht widersprechen mag, der unterschreibt nämlich das allgemeine Urteil über die Psychologie, deren repräsentativen anerkannten Bestandteile eben diese unbestreitbar deterministischen Theorien bilden. Wenn die deterministische Denkweise nämlich einen anerkannten Bestandteil des Faches ausmacht, dann gehört wohl auch das deterministische Erklärungsmuster zur Psychologie wie die Bibel zum Christentum, und mit dem Hinweis auf die angeblichen Ausnahmen, mit denen die Disziplin verteidigt werden sollte, wird also unser Generalurteil über die Psychologie so unfreiwillig so richtig schön bestätigt.

Und abgesehen davon existieren, bei näherer Betrachtung, die angeblichen Ausnahmen sowieso nicht. Die beiden Kronzeugen, die dafür angeführt werden, das Urteil Determinismus träfe auf die Psychologie von heute nicht mehr zu, die taugen bei näherem Hinsehen nicht, und die beiden Kronzeugen, die heißen Humanistische Psychologie und Kritische Psychologie der Holzkamp-Schule. Zu beiden will ich jetzt im Vorgriff nur einen einzigen Satz sagen: Die Humanistische Psychologie versteht sich ihrem Selbstverständnis nach als der theoretische Gegenentwurf zu jenem Bilde vom triebgesteuerten Wesen des Menschen, das von Psychoanalyse und insbesondere vom Behaviorismus gezeichnet wird. Doch – so frage ich – wo liegt denn eigentlich der Erkenntnisfortschritt, wenn dem als pessimistisch und negativ kritisierten Menschenbild von Freud und Skinner, von Rogers umgekehrt jetzt eine positive anthropologische Grundannahme, ein positives Menschenbild des Strebens des Menschen nach Selbstverwirklichung ersetzt wird und das menschliche Tun als Äußerung einer einzigen allumfassenden Lebenskraft namens Aktualisierungstendenz gedeutet wird. Es ist dieselbe Logik, nur statt unter negativem Vorzeichen mit positivem Vorzeichen: der Mensch ist gut. Und dieses Streben nach Gut und Selbstbestimmung, das bestimmt all sein Handeln. Und nicht besser, auch nur ein einziger Satz, das werde ich demnächst mal in einem Extravortrag machen bzw. in der Erscheinung begriffenen Monographie zur Kritik der Psychologie ist dem ein ganzes Kapitel gewidmet: Holzkamp; nicht besser ist es um diese Sorte von Psychologie bestellt. Wer nämlich gegenüber dem einseitigen Determinationszusammenhang zwischen Mensch und Welt ins Feld führt, daß nicht nur die Welt den Menschen, sondern auch umgekehrt der Mensch die Welt bestimme, der hat halt mit der Kategorie der Wechsel- oder Doppelwirkung den Wirkungsgedanken nicht etwa überwunden sondern verdoppelt.

Also, alle Psychologie, alle Denkrichtungen, alle Schulen, alle Repräsentanten argumentieren deterministisch, verfolgen diese Erklärungsweise, das Tun, Denken und Handeln als Resultante dahinterliegender Faktoren, Bestimmungskräfte zu würdigen, die dafür verantwortlich zeichnen, daß das Handeln als Resultat ihres Wirkens hervorgebracht werden. Abgekürzt: Alles Tun oder Denken ist bedingt oder bewirkt.

4. Gegenargumente zum Determinismus der Psychologie und die Dialektik von Kraft und Äußerung

Jetzt fange ich an darzulegen, was all diese Schulen für Argumente ins Feld führen für die Berechtigung dieser Denkweise, die anscheinend so in Fleisch und Blut übergegangen ist, daß schon der geringste Zweifel an ihr Kopfschütteln oder Fragen auslöst der Art, ja, wie soll man denn überhaupt anders denken.

Sie haben im wesentlichen zwei Argumente. Das erste Argument ist ziemlich simpel, sie machen nämlich einen Schluß vom Subjekt des Denkens und Handelns auf den tieferen Grund des Denkens und Handelns in dessen psychisches Innenleben. Da sag ich drauf: Es ist ja wirklich nicht zu bestreiten, daß der Mensch, ja wer auch sonst, das Subjekt aller Aktivitäten bildet, die den Erklärungsgegenstand der Psychologie bilden. Klar: Ohne Mensch kein Krieg, keine Ausländerfeindlichkeit, keine Drogensucht, überhaupt gar nichts. Diese ungemein erhellende Erkenntnis, bei allem, was der Mensch so treibt, ist der Mensch dabei, die gibt freilich überhaupt keinen guten Grund dafür ab, Abstand zu nehmen von der Betrachtung dessen, was die Menschen da so tun, was sie da so denken, und stattdessen sein Augenmerk darauf zu richten, daß Menschen es tun und deshalb die eigentlichen Bestimmungsgründe für das bestimmte Tun eben jenseits des bestimmten Tuns in der psychischen Natur des Menschen ausfindig machen zu wollen. Also eine Sudellogik mit dem gedanklichen Schluß: Aus dem Subjekt des Handelns zu schließen, deswegen muß ich in sein Innenleben, weil der Mensch das Subjekt ist, liegt im Innenleben der Menschen der Erklärungsschlüssel seiner Werke und seines Denkens. Nein, sage ich, das ist überhaupt kein naheliegender Schluß. Ebensowenig wie der beliebte Schluß (zweites Argument) aus der oftmals auftretenden Irrationalität von Denken und Handeln auf tiefere psychische Gründe. Ich meine, auch die sehr merkwürdige Qualität so mancher Geistesleitung, die bildet überhaupt kein gutes Argument dafür, getrennt vom Inhalt besagter Gedanken deren Grund partout in Umständen zu suchen, die außerhalb des Gedankens, außerhalb des Bewußtseins des- oder derjenigen liegen, der oder die diese Gedanken hegt und diese außerhalb liegenden Gründe als geistigen Vater dieser Gedanken in Betracht zu ziehen. Naklar, unbestrittener¬weise treiben die Menschen jede Menge widersprüchlich bis absurd anmutende Dinge und haben auch häufig genug ein falsches oder unklares Bewußtsein von ihren Handlungen oder Gefühlen. Beispielsweise, wer psychisch an der Arbeitslosigkeit und nicht an der Einkommenslosigkeit leidet, die mit der Arbeitslosigkeit verbunden ist, wer das Gefühl der Vaterlandsliebe hegt und ähnliches mehr, ja, der muß schon einige geistige Verrenkungen mit seinen grauen Zellen angestellt haben. Das will ich nicht im mindesten bestreiten. Aber beweist die Tatsache, daß die Leute alle möglichen objektiv unsinnigen Zwecke verfolgen, daß deshalb ihre psychische Innenwelt der letztendliche Urheber dieses ihres Denkens und ihrer Taten ist? Warum sollte eigentlich ein verrückter Willensinhalt unbedingt ein fremdbestimmtes Werk meistens noch unbewußter psychischer Mächte oder Instanzen sein? Oder mal andersherum gefragt: Aus welchen Gründen sollte es denn von vornherein ausgeschlossen sein, daß ein unsinniger Gedanke das gedankliche Eigenwerk desjenigen bildet, der eben diesen Gedanken hegt? Etwa weil Menschen unmöglich so etwas absurdes wollen können? Das sind die beiden Hauptargumente, mit denen allgemein so eine Art von Plausibilität gestiftet werden soll für die selbstverständliche Annahme der Richtigkeit psychologischer deterministischer Denk- oder Erklärungsweisen. Ebenso unhaltbar, behaupte ich, fallen die Anstrengungen der Psychologie aus, wenn sie da jetzt herangehen, die von ihnen aufgestellten Zusammenhänge zwischen unabhängigen und abhängigen Variablen, eben die Existenz und das Wirken der von ihnen behaupteten Determinanten beweisen zu wollen.

Und besondere Beliebtheit erfreut sich in diesem Zusammenhang als Beweisverfahren – ich sage das Ergebnis vorweg und erkläre es dann – die tautologische Denkfigur von Kraft und Äußerung. Ein Joke vorweg: was würde man wohl zu der Erklärungsleistung eines Physiklehrers sagen, der als Ursache für den freien Fall statt der Erdanziehungskraft eine Tendenz der Gegenstände zum freien Fall angeben würde und die Tendenz und die Existenz dieser Tendenz wiederum umgekehrt mit dem Faktum des freien Falles beweisen wollte. Der sofortige Entzug der Lehrbefugnis wäre wahrscheinlich noch die mindeste Konsequenz einer solchen Fehlerklärung des Fallgesetzes.

Eben dieser Beweisverfahrenslogik aber folgen ohne Beanstandung ganze Abteilungen der Psychologie, wenn sie den Grund für bestimmte menschliche Verhaltensweisen in gleichnamigen Trieben, Kräften, Dispositionen, Fähigkeiten oder wie diese Dinge auch immer heißen mögen aufgefunden haben wollen. Beispielsweise wenn sie Ausländerfeindlichkeit auf eine dementsprechende ausländerfeindliche psychische Veranlagung oder Disposition zurückführen wollen und diese xenophobe (so heißt das griechische Fremdwort) Veranlagung wiederum beweisen – ja womit wohl – mit ihrer Äußerung im ausländer-feindlichen Verhalten. Mit dieser deterministischen Dialektik von Kraft und Äußerung, von Ursache und Wirkung, die übrigens vor 150 Jahren der Hegel grundlegend kritisiert hatte, da wird der Mensch theoretisch verdoppelt in das, was er will und tut und das, wozu er damit bewegt wird. Das Erklärungsprinzip – behaupte ich – ist eine tautologische Schaukel, in der die Erklärung mit dem zu Erklärenden identisch ist. Beide Seiten, das zu erklärende Phänomen und die Erklärung, werden wechselseitig miteinander bewiesen. Die Ausländerfeindlichkeit mit einer entsprechenden Disposition zur Ausländerfeindlichkeit, die ausländer-feindliche Disposition wiederum umgekehrt mit ihrer Äußerung im ausländerfeindlichen Verhalten, und fertig ist der Zirkel. Warum säuft ein Mensch? Weil er einen Hang zum Saufen hat. Womit beweist sich der Hang zum Saufen? Na, dadurch daß er säuft. Das ist die zirkuläre Logik dieses Beweisverfahrens, der Dialektik von Kraft und Äußerung auf den alltagswissenschaftlichen Blickpunkt gebracht.

5. Krieg und menschliche Aggression

Und das will ich jetzt nochmal – damit ihr das wirklich voll drauf habt – an einem klassischen Beispiel machen, nämlich, es gibt kaum einen Psychologen, der sich nicht der Auffassung anschließen würde, die Herr Mitscherlich aufgestellt hat, die ich jetzt mal kurz und knapp zusammenfasse: Krieg beruht auf menschlicher Aggressivität.

„In der Geschichte sind trotz der Vielfalt von Erziehungsformen, Wertordnungen, Sittengesetzen immer wieder Kriege ausgebrochen. Infolgedessen muß die Frage zugelassen sein, ob die menschliche Aggression sich, vergleichbar der menschlichen Sexualität, zyklisch zu entladen strebt, und ob die dem Subjekt offenstehenden Wege aggressiver Befriedigung in den affektiven Kontakten seiner Gesellschaft auf lange Dauer gesehen nicht ausreichen, so daß von Zeit zu Zeit ein aggressiver Erregungsstrom losbricht, der ganze Gesellschaften erfaßt. (…) An der Tatsache der Aggressivität des Menschen als einer seiner Naturkonstanten ist nicht gut zu zweifeln [...]. In uns (muß) ein verborgener Antrieb stecken, der uns kriegstüchtig und wenn nicht das, so doch wenigsten kriegsfähig macht.“ (aus: A. Mitscherlich, Krieg und menschliche Aggressivität, in: Krieg oder Frieden. Wie lösen wir in Zukunft die politischen Konflikte? R. Piper & Co. Verlag, München 1970)

Das will überhaupt keiner bestreiten. So, wie geht die Erklärungsweise?

1. Akt: Der Krieg wird als Gewaltanwendung bestimmt. Das, meine ich, ist schon eine sehr leistungsvolle Fehlbestimmung. Wenn man nämlich zum Krieg sagt, das ist ein Gewaltakt, dann hat man den Krieg erst einmal vergleichbar gemacht und auf die gleiche Stufe gestellt mit allen Handlungen, wo es irgendwo auf der Welt gewalttätig zugeht; der Ehemann schlägt seine Frau, das Kind im Kindergarten den Spielgefährten, der Fußballspieler tritt nach beim Foul usw. Wenn man festhält, Krieg ist Gewalt, dann kann man erstmal sagen, das ist eine unglaublich erhellende Einsicht; wer hätte das eigentlich gedacht, daß es im Krieg gewalttätig zugeht. Aber das ist nicht die einzige Leistung. Aus der Fehlbestimmung des Krieges als Gewalt, und das ist deswegen eine Fehlbestimmung, weil alle wesentlichen Bestimmungen des Krieges gedanklich herausgeschlagen worden sind – ja, was ist der Krieg mal kurz: Krieg ist ein Mittel der Konkurrenz zwischen Staaten, die ihre Ansprüche gegeneinander unter Benutzung ihrer Bevölkerung als Kanonenfutter wechselseitig gewaltsam gegeneinander durchzusetzen probieren. Wenn man was über den Krieg herausfinden wollte, würde man erst mal fragen, ‚wer macht das?’, dann kommt man auf den Staat, ‚warum macht er das?’, da kommt man auf die Kriegszwecke, dann auf seine Mittel usw. Wer aber sagt, das Wesen des Krieges ist die Gewalt, der hat alles das, was den Krieg ausmacht gedanklich für unerheblich gemacht, und das nenne ich – das kommt in der Psychologie dauernd vor – das Arbeiten mit sogenannten Totalabstrak-tionen. Ihre Bestimmung besteht darin, jeden Gegenstand der Bestimmung, die ihn ausmachen, gewalttätig zu berauben. Und was übrigbleibt ist das aller Unwesentlichste, was hier den Krieg gar nicht mehr zu unterscheiden vermag vom Foul des Fußballspielers. Das alles muß man gemacht haben, um zu sagen, Krieg ist Gewalt, oder was ein lateinisches Fremdwort ist, Krieg ist Aggression.

2. Akt: Da schau her, wer ist denn am Krieg beteiligt? Der Mensch! Da wird also menschliche Gewalt ausgeübt. Vielleicht wäre es auch da ganz nützlich gewesen, zwischen Befehlshabern und Kanonenfutter zu unterscheiden. Nein, auch beim Krieg ist der Mensch dabei. Warum halten die Psychologen das fest? Um aus dem Subjekt des Krieges ein schönes Anwendungsbeispiel für die Logik, die ich eben demonstriert habe, zu finden, um also aus dem Subjekt des Krieges auf dessen Grund im Inneren des Menschen zurückzuschließen. Ja, wenn der Mensch sich, wie man sieht, im Krieg gewalttätig verhält, ja, dann ist jawohl der Grund des Krieges im Inneren des Menschen in einer entsprechenden Tendenz oder Disposition zur Gewaltausübung zu suchen. Da ist jawohl eine Tendenz im Menschen namens Aggressivität oder Aggressionstrieb der Grund, die Ursache des Krieges. Das ist natürlich auch wieder eine ziemlich haltlose Bestimmung: die Aggressivität. Was soll denn das sein? Wer Aggressivität behauptet, der macht einen Menschen ganz jenseits seiner Bestimmungsgründe und jenseits aller Zwecke von Gewaltausübung, definiert er den Menschen prinzipiell als gewalttätiges Wesen auf der Suche nach Grund und Gegnern eben seines generalabstrakten Triebes zur Ausübung von Gewaltsamkeit. Und umgekehrt, die zweite Leistung, bildet die Anwendung von Gewalt nicht was sie wirklich ist, ein Mittel zur Durchsetzung von Interessen gegen andere, gegnerische Interessen, sondern umgekehrt, in dem Bild der Aggressivität ist Gewalt und ihre Ausübung ein Selbstzweck. Ja, und in der Logik betätigen die einen ihre Aggressivität eben darin, daß sie ihre Frauen und Kinder verprügeln, während die anderen Ausländerheime anzünden oder im Kriege den Feind niedermachen. Das alles leistet die Totalabstraktion ‚der Mensch’.

So, jetzt hat man ihn, den aggressiven Menschen, das aggressive Wesen des Menschen als Grund des Krieges ausgemacht. Das hat ja noch nicht mal die Hirnforschung, noch nicht mal die Genforschung, so ein Gen oder so einen Trieb biologisch ausfindig machen können, und ich würde auch jede Wette dagegen halten, daß das gelingen wird. Braucht es aber auch gar nicht, weil in der psychologischen Logik beweist sich die Existenz dieses vorausgesetzten Triebes – womit? – ja, mit seiner Äußerung im Krieg. Das ist das zweite repräsentative Beispiel für diese zirkuläre psychologisch deterministische Logik der Dialektik von Kraft und Äußerung.

Und ein drittes. Diese Erklärungsweise leistet was. Die leistet nicht nur eine Fehlerklärung, sondern die leistet auch noch eine wohlfeile Legitimation des Krieges. Wenn man das Zitat von Mitscherlich noch einmal näher liest (s.o.). Diese zirkuläre Logik des Krieges ist – behaupte ich – zugleich ein Musterbeispiel für das apologetische Wesen, den apologetischen Charakter deterministisch psychologischer Erklärungsmuster überhaupt. Was hier die triebentlastende Funktion ist, Krieg, ist ein einziger Dienst am Seelenhaushalt des Menschen, der ginge ja glatt kaputt, wenn er nicht ab und zu mal im Krieg so richtig schön Feinde niedermachen dürfte – wir werden später sehen, wie das bei Adorno auftaucht. Apologetisch heißt: schlechte Zusände, schlechte Zwecke mit falschen Argumenten zu verteidigen. Weil nämlich dieses deterministische Erklärungsmuster von vornherein ein affirmativ-apologetisches Generalverhältnis für alles Geschehen in der Welt beinhaltet. Weil die Psychologie nämlich in allem, was in der Welt passiert, eine tiefere Notwendigkeit, tiefere Gründe zu entdecken pflegt. Und mit dieser Gewißheit, daß alles Menschenwerk sein tieferen Grund besitzt, begleitet die Psychologie und begegnet allen Ereignissen auf der Welt mit dem Gestus eines abgrundtiefen Verständnisses, gleichgültig ob man die Psychologie die Entschuldigung des Menschen mit der schlechten Natur der gesellschaftlichen Verhältnisse oder umgekehrt die Beschuldigung der schlechten aggressiven Menschen-natur mit dem Freispruch für die Welt verbindet.

B. Fallbeispiele - Beweis der Generalkritik

So, jetzt bin ich mit meiner Generalkritik, mit der Darstellung des deterministischen Erklärungsmusters und seiner apologetischen Leistung durch. Jetzt will ich in drei Abteilungen aus unterschiedlichen Zweigen der Psychologie, insbesondere aber derer, die sich als gesellschaftskritisch verstehen, einen Durchgang machen und meine Generalkritik unter Beweis stellen. Diese drei Abteilungen heißen

  1. sozialpsychologische Erklärung der Ausländerfeindlichkeit; da wird man immer wieder merken, wenn man sich ein bißchen mit der Materie auskennt, das Zeug haben die doch irgendwie von dem Freud; deswegen mache ich
     

  2. eine Abteilung Freud und
     

  3. die verhängnisvolle Liaison von Marx und Freud in Gestalt der Frankfurter Schule, der subjektive Faktor, die systematisch apologetische Fehlerklärung des Faschismus.

 

1. Sozialpsychologische Erklärung der Ausländerfeindlichkeit

a) Erstens Erklärungsmuster zur Ausländerfeindlichkeit in der ehemaligen DDR. Dazu habe ich ein repräsentatives Zitat:

„Nach den Erkenntnissen des Hallenser Psychotherapeuten Maaz und der Untersuchungen von Alice Müller kann der in der DDR erlebte Autoritarismus und das z.T. gesellschaftlich erzeugte Mängelmilieu durch zu frühe Kindestagesbetreuung zu einem gewissen Härteideal und ggf. zu nach außen gekehrter Aggression als Kompensation für zu früh erfahrenes Leiden führen.“ (C. Wergin, Jugend im Kontext von Gewalt, Rassismus und Rechtsextremismus, in: Informationsdienst AGAG Heft 1/1993, S. 78 ff.)

Das ist der allgemeine Forschungsstand. Im Ausgangspunkt begegnen wir – so meine These – wieder dem gewohnheitsmäßig praktizierten Desinteresse der Psychologie gegenüber dem Inhalt der Gedanken und Taten, die den Erklärungsgegenstand der Wissenschaft bilden. Dementsprechend kommt eine Befassung mit dem Inhalt ausländer-feindlichen Denkens, gar eine inhaltliche Auseinandersetzung mit rechtsextrem-ausländerfeindlichem Gedankengut, eine Befassung mit der Ideologie der Ausländerfeindlichkeit noch nicht einmal in Spuren-elementen vor. Ja, eine derartige Befassung mit der Sache hätte freilich möglicherweise zu dem Resultat geführt, daß der Grund für die verstärkte Ausländerfeindlichkeit in den neuen Bundesländern weniger in den Sozialisations¬bedingungen der früheren DDR sondern vielmehr im Nationalismus der neu rekrutierten Bundesbürger liegen dürfte. Aber dieser Gefahr ist natürlich vorgebeugt, wenn man von vornherein eine Befassung mit dem Inhalt des ausländerfeindlichen Radikalismus’ vermeidet und – ja was, auf welche Suche sich begibt, welche Frage stellt? – wo kommt das her? Wo kommt sie denn her, in welchen Umständen hat denn die grassierende Ausländerfeindlichkeit in den Ländern der ehemaligen DDR, worin hat die denn ihren tieferen Grund. Durch was ist sie erzeugt, durch was ist sie bewirkt, und diese Frage denn damit beantwortet, ja, sie kommt her aus der alten DDR und aus deren als repressiv titulierten Sozialisationsbedingungen. Inhaltlich – das kann man jetzt glaube ich wirklich schnell machen – läßt sich der behauptete Zusammenhang zwischen Ausländerfeindlichkeit in der DDR mit repressiver DDR ziemlich leicht aus den Angeln heben, nämlich durch zwei simple Fragen. Warum soll denn überhaupt aus früher erlebter Unterdrückung ausgerechnet Gewaltbereitschaft gegen andere folgen? Läge da nicht eine prinzipielle Absage an Opfer von Gewalt weitaus näher? Denn die leidvolle Erfahrung mit persönlich erlittener Gewalt könnte einen doch lehren, solche Methoden nicht nur bei der Erziehung der eigenen Kinder sondern ganz allgemein in gesellschaftlichem Verkehr aus dem Spiel zu lassen. Also von der behaupteten Folge der Aggressivität gegen Andere aus erlittener Frustration also nicht die geringste Spur. Unterstellt man aber doch einmal eine solche aus Leiderfahrung geborene Gewaltbereitschaft, ja dann stellt sich die Frage, warum soll sich denn diese Gewalt ausgerechnet gegen die Ausländer richten, die doch mit der früheren Repression, die man durch die Stasi und die DDR-Machthaber erlitten hat, doch nun wirklich nichts zu tun. Ja wenn überhaupt, dann wird sich doch wohl der Haß und die Aggressivität gegen das repressiv-autoritäre Regime der DDR und dessen ehemalige Repräsentanten richten, aber doch nicht gegen die Ausländer. Dieser Zusammenhang der im Zitat gestiftet wird ist also kurz: an den Haaren herbeigezogen. Aus Leid folgt gar nichts, da kann man ganz unterschiedliche Schlüsse ziehen: da kann man resignieren, da kann man gegen die Urheber des Leidens vorgehen, da kann man gegen Andere vorgehen, man kann noch 17 andere Sachen machen, aber dann produziert das Leid überhaupt nichts.

Wenn diese Autoren mit diesen meinen Einwänden konfrontiert würden, dann sähen die sich gar nicht widerlegt, die würden nämlich deuten auf die doppelte Möglichkeitsform in ihrer Aussage, „kann gegebenenfalls führen...“. Und dann würden sie sagen, ja, einen zwangsläufigen Zusammenhang, den will ich ja auch nicht behauptet haben sondern eben nur einen möglichen... So, und diese Kategorie der potentiellen oder bedingten Wirkung ist wieder ein logischer Unsinn, der unfreiwillig dem behaupteten Kausalzusammenhang den Boden entzieht. Denn irgendwie wollen die Autoren doch immer noch behauptet haben – auch in ihrer Möglichkeitsform –, daß die DDR-Erziehung mit welcher Intensität auch immer als Produktivkraft bei der Erzeugung der Ausländerfeindlichkeit beteiligt sein soll. Wenn aber ein und dieselbe Ursache in der Lage sein soll, die Ausländerfeindlichkeit und ihr Gegenteil – in der DDR gibt es bekanntlich auch Ausländerfreunde und noch 17 Zwischenschattierungen – zu erzeugen, dann erzeugen die überhaupt nichts, die Verhältnisse. Dann führen letztendlich nämlich die DDR-Verhältnisse in Sachen Ausländerfeindlichkeit zu überhaupt nichts. Jetzt gebe ich mal einen ganz kleinen Hinweis, wie das korrekterweise zu erklären wäre: dann verdankt sich die DDR-Ausländerfeindlichkeit einem spezifisch, willentlich nationalistischen Bezug auf die gesell-schaftlichen Verhältnisse, dann sind aber nicht die gesellschaftlichen Verhältnisse die Erzeugungsmacht sondern dann setzen die Subjekte selber als Nationalisten die Gründe für die Ausländerfeindlichkeit. Aber die angebotenen Erklärungen, die Gesellschaft oder die DDR erzeugt ohne Zutun, ohne Berechnung, ohne Kalkulation, ohne Denken der Subjekte eine bestimmte Geisteshaltung, die habe ich an dem Zitat immanent widerlegt. Das kann nicht sein.

Publikumsmeldung: Es gibt doch aber bestimmt noch andere Erklärungen, und außerdem scheint mir das Zitat aus dem Zusammenhang gerissen...

Zum einen: ich hab doch noch 87 andere Zitate abgedruckt, was soll ich auch noch die ganzen Bücher mitschleppen... Zum anderen: Ich behaupte glatt – der Einwand kommt auch immer als erstes, daß das Zitat aus dem Zusammenhang gerissen sei – wenn man jeweils die 15 Sätze vorher und nachher mit liest, wird es meist noch schlimmer; es ist schon wohltuend, wenn ich nur diesen einen Satz herausgreife. Man kann gerne in dem Buch nachlesen, da kommt nichts anderes mehr, auch kein Dementi der Autoren. Und diese Erklärungsweisen sind repräsentativ für diese. Und wenn sie mir zustimmen, daß diese Erklärung falsch ist, dann ist doch schonmal viel gewonnen, und wenn sie dann eine angebliche Ausnahme gefunden haben, können wir die durchgehen, aber kommen Sie mir nicht mit, es gibt noch andere... Deshalb habe ich den langen Vorspann gemacht, um zu sagen, ich will nicht nur eine bestimmte Richtung der Psychologie aufs Korn nehmen, sondern ich behaupte glatt, das ist die Erklärungsweise der Psychologie.

b) Kommen wir zur zweiten Abteilung. Andere sozialpsychologische Begründungen der Ausländerfeindlichkeit kommen zwar ohne politische Feindschaftserklärung gegen den ehemaligen Realsozialismus aus, aber um ihre Erklärungskraft ist es, wie es im folgenden bewiesen werden soll, auch nicht gerade besser bestellt. Dann nehme ich mir jetzt mal das zweite, wirklich ganz repräsentative vor, die steht an jeder Uni-Bibliothek herum, in jeder Fachschaftsbibliothek, das sind nämlich die Resultate der sog. Vorurteilsforschung.

Ausländerfeindlichkeit soll nach Ostermann/Nicklas auf äußerst hartnäckigen gleichnamigen Vorurteilen beruhen. Das ist im folgenden Zitat zusammengefaßt:

„Die Eigenschaft von Vorurteilen, nur sehr schwer durch neue Erfahrungen veränderbar zu sein, deutet darauf hin, daß es Kräfte im Menschen geben muß, die sich der Auflösung der Vorurteile widersetzen. Woher kommt dieser Widerstand des Menschen, seine Vorurteile aufzugeben? Die Vermutung liegt nahe, daß sie für die Psyche des vorurteilsbehafteten Menschen spezifische Funktionen haben.“ (Ä. Ostermann/ H. Nicklas, Vorurteile und Feindbilder, 1982, S. 19)

Ich fasse mal ganz neutral die Argumentationsführung zusammen: Sie besteht darin, daß aus einer behaupteten Eigenschaft von Vorurteilen, die da heißt, Vorurteile sind korrekturresistent, die Existenz einer inneren Kraft im Menschen abgeleitet wird, sich der Auflösung von Vorurteilen zu widersetzen. Weil die Menschen so ungern von ihren Vorurteilen lassen und sie durch Erfahrungen – ganz kleine Einschränkungen – nur schwer davon abgebracht werden können, deswegen, ist die Schlußfolgerung, muß es im Menschen eine Kraft geben, die sich dem Abbau von Vorurteilen widersetzt, abgekürzt eine Vorurteilsabbauverhinderungskraft.

Jetzt ist es schon fast langweilig. Dasselbe wie vorher. Auch hier: eine nähere Befassung mit dem, was der Inhalt dieser Urteile ist, der findet nicht statt, das interessiert überhaupt nicht, was diese Ausländerfeinde so denken. Sondern: das ganze Zitat, die ganze Erklärung ist direkt daraufhin konstruiert von dem zu erklärenden Phänomen weg, der Ausländerfeindlichkeit wegzugehen ins innere des Menschen und dort eine Determinante namens Kraft zu finden, die dafür verantwortlich zeichnet, daß der Mensch so ausländerfeindlich drauf ist, wie er drauf ist. Die ganze Argumentationslinie ist die zielstrebige Abkehr vom Untersuchungsgegenstand selber. Und diese zielstrebige Abkehr, die wird hier mittels folgender Brücke geleistet: Man behauptet nämlich eine Eigenschaft des Erklärungsgegenstandes – Vorurteil – der sei weitgehend korrekturresistent. Und aus dieser angeblichen Eigenschaft des Gegenstandes wird gefolgert, ja, wenn es so ist, ja dann muß sich diese Korrekturresistenzhaftigkeit des Vorurteils wohl einem tieferen Grund verdanken, nämlich einer gleichnamigen Kraft im inneren des Menschen, die ihn daran festhalten läßt, daß er die Vorurteile hat. Jetzt behaupte ich, daß schon das Ausgangsargument, was hier den Weg in die Abgründe der Psyche lenken will, nicht stimmt. Und dieses Ausgangsargument heißt ja, es wird ein Zusammenhang aufgestellt zwischen Erfahrungen und Korrekturresistenz. Ich behaupte, daß da zwischen diesen beiden Dingen überhaupt kein Zusammenhang besteht. Die sinnliche Erfahrung nämlich, die besitzt überhaupt keine, von den bereits vorhandenen Urteilen des Menschen getrennte erkenntnisstiftende Qualität. Vielmehr betrachtet der Mensch die äußere Welt, mit der er konfrontiert wird, von vornherein zunächst einmal durch die Brille seiner subjektiven Deutungen und Auffassungen, die er über die Welt bereits vorher besitzt. Durch sinnliche Erfahrungen lernt man deswegen nichts, man kann auch durch sinnliche Erfahrungen überhaupt nichts lernen, auch die mehrfache Teilnahme an Kriegen, die wird Leute, die Patrioten sind, nicht davon abbringen, wenn sie Patrioten sind, der Auffassung sind, daß sich Opfer für den Staat gehören; und wenn man sein Vaterland liebt, dann wird man im 3. Weltkrieg auch notfalls noch sein drittes Bein einbüßen. Also die Leiderfahrung stiftet keine Aufklärung über die Rolle des Krieges und wie man selber da vorkommt, da muß man sich schon einen korrekten Gedanken über den Krieg und die Rolle des Kanonenfutters und was ein Vaterland ist usw. machen. Die Erfahrung ist überhaupt kein Lehrmeister. Lehrmeister ist überhaupt nur das Subjekt selber, was sich die Welt korrekt erklärt. Der Krieg ist deswegen auch kein Lehrmeister, der kann Anlaß und Gegenstand einer Urteilsbildung sein, aber nicht Produzent eines neu gewonnenen Urteils.

So, jetzt könnte man eigentlich schon Schluß machen, aber wir tun jetzt mal so, als würde der Zusammenhang zwischen Erfahrung und Nicht-/Korrektur eigener Auffassungen doch richtig sein, und daß es eine Eigenschaft des Vorurteils sei, korrekturfeindlich zu sein und deswegen durch neue Erfahrungen nur schwer veränderbar sein. Wenn das so ist, wenn es die so unterstellte Eigenschaft des Vorurteils gibt, dann ist der Schluß darauf, deswegen muß es im Inneren eine psychische Kraft geben, die den Menschen dazu bewegt an seinem Vorurteil krampfhaft festzuhalten, überhaupt nicht zwingend. Genauso plausibel wäre die Alternativerklärung, daß die Menschen eben deswegen so hartnäckig an ihren Vorurteilen festhalten – ganz simpel – weil sie sie für richtig halten, weil sie an ihren Wahrheitsgehalt glauben und weil ihnen ihre praktische Erfahrung dauernd Nahrung für ihre Fehlurteile geben.

Jetzt könnte man wieder Schluß machen, machen wir aber nicht, weil hier so wunderbar exemplarisch die Dialektik von Kraft und Äußerung am Werke ist. Aus der Existenz von Vorurteilen wird auf die Existenz einer Vorurteilsverhinderungskraft geschlossen. Merke: Das ist völlig identisch! Daß die Menschen ein Vorurteil haben liegt daran, daß in ihnen eine gleichnamige Tendenz besteht, sie zu haben. Ja, und womit beweist man wohl die Existenz einer solchen Tendenz? Na, sie haben sie doch, die Vorurteile... Damit wäre die zirkuläe Schaukel mal wieder fertig.

Wenn die Vorurteilsforschung ihre eigenen Ergebnisse, die Existenz einer inneren Vorurteils¬verhinderungskraft, ernstnehmen würde. dann könnte sie eigentlich ihre Bemühungen ein¬stellen, die Hände in den Schoß legen und sagen, dann ist daran wohl nichts zu machen, wenn der Mensch so gestrickt ist, dann ist das halt so. Aber das wollen die natürlich nicht, die wollen ja einen Beitrag leisten zum Abbau von Vorurteilen zur Ausländerfeindlichkeit. Und da haben sie sich eine Lösung einfallen lassen. Was ist der Ausweg aus dem Dilemma? Nun, man muß eine zweite Kraft annehmen, die das genaue Gegenteil ist. Im Menschen muß gleichzeitig – zumindest als Potential – eine Kraft und Tendenz lauern, von den Vorurteilen halt zu lassen. Der Mensch muß einerseits getrieben sein von einer Kraft, die immer sagt, halte fest an Deinen Vorurteilen, und gleichzeitig eine Kraft, die sagt, laß sie sein. Wenn man dieses so konstruiert hat, dann kann man jedes beliebige Ergebnis aus den vorausgesetzten Kräfteverhältnis dieser sich beiden ausschließenden/gegenläufigen Kräfte ableiten. Ja, beim vorurteilsbe-hafteten Ausländerfeind, da war die Vorurteilsabbauverhinderungskraft stärker. Und umgekehrt, beim Ausländerfreund hat wohl die Gegen-tendenz gesiegt.

Jetzt geht das Zitat weiter. Die haben nämlich noch einen zweiten Grund, der dafür verantwortlich sein soll, daß es die ausländer-feindlichen Vorurteile geben soll. Der erste war die Vorurteilsabbau-verhinderungskraft. Der zweite ist: die ausländerfeindlichen Vorurteile sollen einen Nutzen haben, die sollen eine Funktion für den Seelenhaushalt haben. Ja, nur wer das behauptet, wer zusätzlich eine positive Funktion von Vorurteilen behauptet, der entzieht eigentlich seiner Vorurteilsabbauverhinderungskraft selber den Boden. Denn wenn man ohnehin gute Gründe hätte für die Pflege von Vorurteilen, dann wäre eine derartige zusätzliche Kraft, die den Menschen daran hindert von seinen Vorurteilen Abstand zu nehmen so überflüssig wie ein Kropf. Dann würden die Menschen doch schon aus ihrem ureigenen Interesse, weil es so schön nützlich für sie ist, dafür sorgen, daß diese so nützlichen Vorurteile nicht aufgegeben werden. Ja, und aus dem gleichen Grunde – um die Widersprüchlichkeit noch etwas fortzuspinnen – wäre jetzt auch der Vorurteilsabbauverhinderungskraft zugleich auch ihr Gegner abhanden gekommen, denn woraus sollte sich denn angesichts der positiven Leistungen der Vorurteile für die Psyche des Menschen noch die gegenteilige Tendenz überhaupt begründen, von seinen Vorurteilen abzulassen? Wenn sie doch so schön nützlich sind für den Seelenhaushalt?!

Für die Autoren dürfte das freilich nur einen sehr schwachen Trost darstellen, daß die den Vorurteilen zugeschriebenen nützlichen Funktionen sich bei näherer Betrachtung als ebenso haltlos erweisen wie die Konstruktion dieses Menschenbildes der widerstreitenden Kräfte – so das vorweggenommene Ergebnis der Analyse des nächsten Zitates, in der die Autoren ausführen, worin angeblich die für den Seelenhaushalt nützlichen Funktionen von ausländerfeindlichen Vorur-teilen liegen soll.

„Als eine wesentliche Funktion (von Vorurteilen, Einfügung durch A. K.) wäre zu nennen die Abwehr von Unsicherheit und Angst. Der für den einzelnen immer schwerer zu durch-dringende gesellschaftliche Zusammenhang, die Isolierung und die Unfähigkeit durch eigene Handlung Sicherheit zu gewinnen, läßt die Menschen zu illusionären Mitteln greifen, die daraus erwachsende Angst zu beschwichtigen. Diese Angst ist die Ursache für die ‘Intoleranz und Vieldeutigkeit’ und das ‘Bedürfnis nach subjektiver Gewißheit’. Wenn schon die Welt ein undurchdringlicher Dschungel ist, so sollen wenigstens die Inter-pretationsmuster einfach und klar sein. Es soll feststehen, wer Freund und wer Feind ist.“ (ebda S.20)

Ich erlaube mir das Zitat ohne Reduzierung seines Gehaltes wie folgt zu komprimieren: Nachdem Zitat besteht die positive Funktion der Vorurteile in der Abwehr von Unsicherheit und Angst. Ausgangspunkt der Konstruktion ist der orientierungslose Mensch, der die gesellschaftlichen Abläufe und Mechanismen nicht durchschaut und aufgrund seines mangelnden Durchblickes Angst und Unsicherheit entwickelt. Und zur Beseitigung von Angst und Unsicherheit greift er zu ausländerfeindlichen Vorurteilen. Das ist der Gedankengang.

Ich frage mich: Wie soll das denn in aller Welt überhaupt gehen? Wie können denn dem so konstruierten Menschen ausgerechnet die Aneignung und Pflege von ausländerfeindlichen Vorurteilen zu Sicher-heit und Beseitigung von Furcht und Angst verhelfen? Ich würde einfach mal behaupten: Das ist ein Ding der Unmöglichkeit, insbe-sondere dann nämlich, wenn der Mensch, der die Fehlurteile hegt, um die Falschheit seiner Urteile weiß. Wenn der Mensch nämlich darum weiß, daß es sich bei den ausländerfeindlichen Urteilen um Fehlurteile handelt, ja dann verhindert dieses Wissen doch von vornherein die Möglichkeit der angeblichen Leistung des Vorurteils als Orientierungs-hilfe in der undurchschaubaren Welt! Wie sollen denn gewußt falsche Erklärungen der Welt den geplagten orientierungslosen Menschen plötzlich dazu verhelfen, theoretische Sicherheit zu stiften, sich die Welt zu erklären und sich in dieser zurechtzufinden, wenn der Mensch doch selber weiß, daß die angebliche Orientierungshilfe gar nichts taugt, weil sie falsch ist?!

Deswegen, weil ich darauf gewartet habe, ich gebe zu, daß das Zitat auch eine zweite Interpretationsmöglichkeit offenläßt, nämlich die: der Mensch weiß nicht, daß das falsch ist, sondern das sind nicht-gewußt falsche Urteile. Warum kann das nicht sein? Dann würde ich den Ausgangspunkt bestreiten. Was will man erklären? Man will den Ausländerhasser oder Ausländergegner erklären. Das ist normalerweise ein Mensch mit eine sehr genuin, starren festen Orientierung. Der orientiert sich nämlich an nationalen Werten, der hat ganze Theorien über die Entstehung der Arbeitslosigkeit – auch wenn sie alle falsch sind – der hat eine feste Orientierung darüber, daß überhaupt der ganze Staat sich auszurichten habe am Wohlergehen seines auser-wählten deutschen Volkes. Ausgerechnet diese sehr feste Orientierung als Resultat des Gegenteils, nämlich eines orientierungslosen Menschen abzuleiten, das kriegen nur Psychologen hin.

Als hätten die Autoren es selber gemerkt, daß der angebliche psychische Nutzen ihrer Argumentation den Boden entzieht, erfinden sie glatt noch einen zweiten Psycho-Nutzen. Und der ist im nächsten Zitat im „Gewinn“ verankert:

„Der Gewinn, den ein geteiltes Vorurteil abwirft, liegt darin, daß wir in konformen Verhalten mit der Gruppe auch ihre spezifische Erleichterung mitgenießen dürfen. Wir dürfen mit den Wölfen heulen, wir dürfen nach Vorurteilen agieren, mithandeln und unsere eigene innere Trieb-spannung damit erleichtern. Die Ablenkung der Triebspannung nach außen, auf Minoritätsgruppen, ist gleichsam der ökonomische Trick zur Erhaltung des Gruppengleichgewichts.“ (ebda S. 21)

Das Zitat ist deswegen so schön, weil es ein vorzügliches Anschauungsmaterial liefert für diese Gedankenfigur, für diese prominente Argumentationsfigur des Kampfes widerstreitender Kräfte, die insbesondere psychoanalytisch orientierte Theorien, aber nicht nur die, in die Menschennatur einzupflanzen pflegen, um daraus in zielstrebiger Willkür so ziemlich jedes Ergebnis ableiten zu können. Und als spezieller Repräsentant dieses psychologischen Menschenbildes, der widersprüchlichen Menschennatur fungiert hier in der vorliegenden Erklärung die Kategorie der Triebspannung.

Rückblick auf das vorhergehende Zitat: Vorher zeichnet sie sich die Konstruktion des Kampfes zweier Linien wenigstens noch dadurch aus, daß sie zwei konfligierenden, widerstreitenden Kräfte, daß sie einen konkreten Inhalt hatten: Festhalten versus Ablassen von Vorurteilen. Hier besteht der theoretische Fortschritt darin, daß mit der Kategorie der Triebspannung eine inhaltslose Gegensätzlichkeit menschlicher Triebkräfte pur eingeführt wird. Der Mensch ist dadurch bestimmt, daß in ihm Hochspannung herrscht, wobei die sehr naheliegende Frage, ja, welche Triebe denn da so spannen sollen mit dem Konstrukt der Triebspannung für eher nebensächlich erklärt wird.

Was ist der Unsinn dabei, bei der Konstruktion einer Triebspannung? Die Konstruktion eines Spannungsverhältnisses ohne Angabe des Inhaltes der gegensätzlichen Kräfte – das ist tatsächlich wissenschaftstheo-retisch gesehen eine Nonsens-Kategorie der Marke Totalabstraktion. Denn ein Spannungsverhältnis unterstellt denknotwendig die Existenz konkreter, benennbarer Interessen, Zwecke oder Kräfte, die mitein-ander in Widerstreit liegen. Nur aus dem Inhalt dieser Interessen kann sich ein gegensätzliches oder gespanntes Verhältnis zueinander ergeben. Eben aus der inhaltlichen Bestimmung der Kräfte ergibt sich das und warum eben die eine Kraft oder Tendenz die Verwirklichung der anderen hemmt, ausschließt, negiert oder verhindert.

Dieser prinzipielle Einwand gegen die Unlogik psychologischer Kate-gorienbildung in Sachen Triebspannung, die verficht die Vertreter dieser Disziplin erwartungsgemäß nicht im mindesten an. Weil dieses gänzlich haltlose Bild des Menschen als Gegensatzbündel pur, ist nämlich überhaupt nur kunstvoll daraufhin dressiert, daß sich die Spannung – na, was wohl – entladen muß. Spannung wird überhaupt nur konstruiert, damit sie abgebaut oder entladen wird, ja, und wohin wohl, nach außen. Da wird quasi eine Pseudonotwendigkeit der Entladung der Spannung konstruiert, die ihre scheinbare Plausibilität in der unbegründeten Anleihe bei naturwissenschaftlichen Erklärungen der Elektrizität bezieht. Denn aus der Logik der eigenen Argumentation, da ergibt sich nicht, warum derselbe Mensch, der als Gegensatzbündel ganz und gar bestimmt ist von inneren Kräften, die miteinander im Widerstreit liegen, von Kräften, die gleichzeitig noch unbenannt sind, warum derselbe Mensch – der soll sich nämlich jetzt, das ist fast wie bei der Staatsableitung von Hobbes – der soll sich jetzt über seine eigene triebgespannte Natur erhebend, nun, worauf verfallen, ausgerechnet auf den Ausgleich dieser Spannung. Und warum sollte denn dann diese Entlastung ausgerechnet auf diese Weise der Hege und Pflege ausländerfeindlicher Vorurteile erfolgen? Das ist alles andere als einleuchtend.

Um diesen hausgemachten Widerspruch zu lösen, da müssen die Autoren folglich an dieser Stelle wieder was erfinden? Na klaro, eine neue gegenläufige Kraft, die eben die Rolle des Widerparts gegenüber der grundsätzlich spannungsgeladenen Menschennatur übernimmt, ja, und worauf drängt, auf den Ausgleich der Spannung mittels Entladung. Die ganze Veranstaltung der Triebablenkung, der Triebentladung, der Entladung der Triebspannung auf die Ausländer, die findet nämlich nach den Vorurteilsforschern ja überhaupt nur deswegen statt wegen des Gruppengleichgewichts, nachdem sich der triebgespannte Mensch so sehr sehnen soll. Und mit dieser Konstruktion ist die widersprüchliche Doppelnatur des Menschen, der als rein triebgespanntes Wesen zugleich seine positive Seite abgelegt hatte, auf einer höheren Ebene wieder glücklich hergestellt. Also der gleiche Mensch – ich fasse noch einmal den Generalwiderspruch zusammen – der in unbändigen inneren Widersprüchen befangen ist – triebgespannt – der soll zugleich ein nach Harmonie trachtender sein, der soll zugleich von einer tiefen Sehnsucht nach Gruppengleichgewicht und Harmonie erfüllt sein. Und ausgerechnet dieses Urbedürfnis nach Harmonie, das befriedigt er ausgerechnet damit, indem er doch relativ disharmonische ausländerfeindliche Vorurteile produziert. Wenn das kein Schwachsinn ist, dann weiß ich es nicht...

In diesem Zitat sind noch ungefähr 8 weitere Fehler enthalten, die ich nicht bespreche; ich breche die Besprechung dieses Zitats jetzt mal ab, um auf den Punkt zu kommen, was diese Zitate, solche Konstruktionen legitimatorisch leisten. Und vielleicht nochmal eine letzte Frage: Wenn der Mensch so drauf ist, wie die Vorurteilsforscher ihn sehen, wenn die ausländerfeindlichen Vorurteile so doppelt nützlich sind und einen wunderschönen Beitrag für die Seelenhygiene leisten, warum sollen denn diese blöden Vorurteilsforscher überhaupt noch dagegen sein? Sie haben doch lauter Gründe gefunden, warum man für sie sein sollte... Wir werden das später noch einmal bei Adorno sehen.

Was leisten jetzt solche unsinnigen Theorien bzw. Kategorien? Die erschöpfen sich ja leider nicht nur darin falsch zu sein; sie haben eine sehr unheilvolle legitimatorische Wirkung. Üblicherweise besteht die Generalabsolution, die die Psychologie dem Menschen erteilt darin, daß letztendlich seine inneren psychischen Gegensätze verantwortlich sein sollen für seine wenig menschenfreundlichen Taten gegenüber seinen Mitmenschen, und hier kommt aber noch etwas hinzu. Hier wird das ergänzt durch einen prinzipiellen Freispruch für die Gesellschaft. Wenn sich nämlich alle Konflikte zwischen den Menschen den anta¬gonistischen Kräften der verqueren triebgespannten Psyche des Menschen verdanken, ja dann ist die Gesellschaft prinzipiell aus dem Schneider. Dann kann der Grund für Gegensätze in der Welt in der Gesellschaft schonmal gar nicht liegen. Die Menschen geraten dann etwa nicht in der Welt aneinander, weil beispielsweise diese durch das Eigentum so organisiert ist, daß die Interessenverfolgung der einen zwangsläufig mit der der anderen kollidiert, nee, oder weil sie das Material gewalttätiger staatlicher Interessens¬auseindersetzung sind; nein, ganz umgekehrt, Konflikte kommen in dieser psychologischen Optik erst aufgrund der Bedürfnisse der nach Ausgleich ringenden gespannten menschlichen Psyche in die Welt! Wenn das keine wunderschöne apologetische Generalentschuldigung der ganzen Welt und Gesellschaft ist!

2. Die Instanzenlehre von Freud

So, zweite Abteilung, jetzt geht es weiter mit dem Herrn Freud. Wer sich da ein bißchen auskennt, der hat natürlich schon gemerkt, daß bei den Vorurteilsforschern schon all die Kategorien vorkommen; das ist im Prinzip alles Freud: Trieb und Spannung und Kräfte und immer die Erklärung aller möglichen Phänomene aus dem vorausgesetzten Gegenteil – und mit diesem Vorurteil liegt man auch richtig! Das fußt letztendlich alles auf der Psychoanalyse von Freud, nur ein bißchen modernisiert und so daß das, was bei Freud zentrale Kategorien sind, das Ich, das Es und das Über-Ich und das Unbewußte, nicht ganz so eine prominente Rolle spielen, wie es bei dem Freud selber der Fall ist. Also machen wir jetzt den Freud, weil er, wie ich schon eingangs sagte, kein toter Hund ist, und daß es so etwas wie das Unbewußte gibt, das glauben heutzutage nicht nur Menschen, die Psychologie betreiben, sondern das will sowieso so ziemlich niemand bestreiten.

Gucken wir uns mal an, was es mit den zentralen Kategorien von Freud auf sich hat. Diese kennt ein jeder, von der Uni, oder auch wenn er nur die Brigitte liest. Da gibt es die drei Instanzenlehre, das Es, das Ich und das Über-Ich, die miteinander in der menschlichen Psyche um Einfluß ringen, und aus dem Kräfteparallelogramm dieser bestimmenden Kräfte geht dann das Denken und Handeln der Menschen als Resultat hervor. Und das weiß heutzutage auch jeder: Das Es, das sind die ursprünglichen biologischen auf rücksichtslose Bedürfnisbefriedigung drängenden Triebe, die da innen walten sollen, gegenüber denen vertritt das Ich dann die Anforderungen der Gesellschaft in Realität, und das Über-Ich liefert schließlich dem Ich die Maßstäbe, damit es diese Kontroll- und Domestizierungsaufgabe des Ich gegenüber dem Es richtig erfüllen kann. Das ist abgekürzt die Freudsche Drei-Instanzenlehre.

Gucken wir mal, mit welchen Argumenten Freud diesen auf 3 Kategorien basierenden seelischen Apparat gründet.

Das Es

Die ersten vier Zitate:

„Die älteste dieser psychischen Provinzen oder Instanzen nennen wir das Es; sein Inhalt ist alles, was ererbt, bei Geburt mitgebracht, konstitutionell festgelegt ist, vor allem die aus der Körperorganisation stammenden Triebe, die hier einen ersten uns in seinen Formen unbekannten psychischen Ausdruck finden.“ (S. Freud, Abriß der Psychoanalyse 1938, Fischer Taschenbuch-Ausgabe 1966, S. 9)

„Den Kern unseres Wesens bildet also das dunkle Es, das nicht direkt mit der Außenwelt verkehrt (…) In diesem Es wirken die organischen Triebe, selbst aus Mischungen von zwei Urkräften (Eros und Destruktion) in wechselnden Ausmaßen zusammengesetzt.“ (ebda S. 53)

Während es das Bestreben der Libido ist, „immer größere Einheiten herzustellen und so zu erhalten, also Bindung“, ist der Destruktionstrieb darauf gerichtet, „Zusammen-hänge aufzulösen und so die Dinge zu zerstören..." (ebda. S.12)

„Der eine dieser Triebe ist ebenso unerläßlich wie der andere, aus dem Zusammen- und Gegeneinanderwirken der Beiden gehen die Erscheinungen des Lebens hervor. (Warum Krieg? Studienausgabe Bd. IX, S. 281)

Also, das Es, die Triebe. Wenn man wohlmeinend wäre, dann dächte man bei Trieben ja wahrscheinlich an so etwas wie Essen und Trinken und Sex und so ein Zeugs. Bei Freud ist das ganz anders, vor allem sollte man sich unter Libido nichts verkehrtes vorstellen. Die Triebe, die Freud da konstruiert, die sind nämlich, jeden einzeln betrachtet, schon in sich widersprüchlich und ihr Zusammenwirken erst recht. Abgesehen davon, daß bisher noch kein Biologe diese so bestimmten Triebe irgendwo zu entdecken wußte. Den beiden Trieben fehlt es nämlich an jeder faßlichen Zielbestimmung und zudem heben die sich noch wechselseitig gegeneinander auf, sie entbehren jeden Bezuges auf ein bestimmtes Bedürfnis, wie ich eben gesagt habe, Hunger, Durst etc. Konstruiert wird eine geistige Bedürfnishaftigkeit pur. Und zwar einmal mit einem negativen Inhalt, das ist der Destruktionstrieb, und einmal mit einem positiven Inhalt, das ist der Eros, Aufbauen und Kaputt-machen, lateinisch: konstruktiv und destruktiv.

Betrachten wir zunächst einmal den Destruktionstrieb: Zerstörung um der Zerstörung willen als allgemeine Antriebskraft des Menschen, der dieser Auffassung zufolge jeden Zweck der sich gewaltsamer Mittel bedient als bloß vordergründige und letztlich zufällige Ausdrucks¬weise eines völlig unspezifischen Dranges zum Töten oder Zerstören erscheinen läßt. Das hatten wir vorhin schonmal bei der Kategorie Aggressivität. Der zerstörerische Einsatz von Gewalt und Person als Selbstzweck, der waltet aber noch nicht einmal dort, wo Anhänger solcher Triebstaus regelmäßig am Werke sind, wenn sie selber keinen nachvollziehbaren, „sinnvollen“ Gründe für die Anwendung von Gewalt erblicken wollen, wie beispielsweise bei Jugendgewalt, Ausländerhaß oder dem Amoklauf von Erfurt. Gerade aber beim Beispiel der Ausübung von Privatgewalt, ist diese allemal noch Mittel zur Verfolgung von Zwecken, wenn auch höchst seltsamer Anliegen, wie sie das bürgerliche Konkurrenzsubjekt so kenn¬zeichnen (Selbstbehauptung, Verschaffung von Anerkennung, Pflege des Selbstbewußtseins etc.). Auch Staaten betreiben keine Zerstörung um der Zerstörung willen, für die ist die Zerstörung von Land und Leuten eben Mittel um den Willen des gegnerischen Souveräns zu brechen. Und die nehmen dabei den Verlust ach des eigenen Menschenmaterials billigend in Kauf. Der Destruktivitätslogik zufolge scheint es sich beim Krieg freilich eher um eine Veranstaltung zu handeln, die dem Menschen mal so richtig schön Gelegenheit gibt, seinen destruktiven Grundtrieb einmal hemmungslos auszuleben. Gemäß dieser Optik zünden dann auch z.B. Ausländerfeinde Asylbewerberheime nicht etwa aus ihren spezifischen nationalistischen Beweggründen an, sondern sie betätigen vielmehr ihren allgemeinen Aggresionstrieb, der sich statt der Ehefrau oder den gegnerischen Fußballfans zur Abwechslung mal auf einen anderen Gegenstand bezieht, damit es nicht so langweilig ist mit der Entladung des Aggresionsstaus.

Dieselbe krude Logik waltet beim konstruktiven Pendant des Destruktionstriebes, dem Eros. Was soll das um aller Welt sein? Eine Generaltendenz des Menschen, das Ziel immer größere Einheiten herzustellen, die der andere Grundtrieb, der Destro dann wieder zerstören darf...? Eine äußert merkwürdige Zweckbestimmung: Einheiten herstellen. Nach dieser Logik etwa würde ein Liebespaar im Geschlechtsakt nicht etwa seine Zuneigung praktizieren, sondern es würde sich da in der erotischen Vereinigung nur der allgemeine Grundtrieb „Einheitenherstellen“ Geltung verschaffen. Da kann ich nur sagen: Wie gut, daß die Leute bei ihrem Treiben kein Bewußtsein davon haben, was sie in ihrem innersten so treibt, sonst würde so mancher liebevoller Akt wohl unterbleiben.

Auch der Anschluß der DDR an die Bundesrepublik, stellt sich dann bspw. im Lichte dieser aller menschlichsten Motive, der Bildung größerer Einheiten, mit einer ungeahnt tiefen¬psychologischen Dimension dar. Und wie schließlich aus diesen falschen Abstraktionen – Aufbauen und Zerstören – die sich wechselseitig auch noch in die Quere kommen, wie daraus irgendetwas konkretes folgen soll, ist die Frage. Der Freud pflegt aus diesen beiden Grundtrieben, aus diesen beiden Totalitäten, menschliche Verhaltensweisen abzuleiten. Wie das gehen soll, das ist und bleibt wirklich ein Geheimnis des Tiefenpsychologen Freud.

Das Ich

In letzter Instanz freilich hat diese ziemlich freie Erfindung des Es in seiner antagonistischen Grundstruktur durchaus Sinn und Funktion, jedenfalls im Rahmen des Freudschen Systems. Denn Hauptsache es herrscht in der Psyche so etwas wie Triebspannung, ja, die eben wegen der negativen Folgen, ihre umstandslose Auflösung unbedingt unter Kontrolle gestellt werden muß. Die ganze Konstruktion der Bedürfnisspannung, die ist überhaupt nur auf dem Ruf nach einer Kontrollinstanz zugeschnitten, die jetzt die unbändige, triebhafte Struktur des Es zähmt bzw. domestiziert. Und diese ordnungstiftende Kontrollinstanz ist die nächste Kategorie, das Ich. Wie die eingeführt wird, das sagt Zitat Nr. 5:

„Unter dem Einfluß der uns umgebenden realen Außenwelt hat ein Teil des Es eine besondere Entwicklung erfahren. Ursprünglich als Rindenschicht mit den Organen zur Reizaufnahme und den Einrichtungen zum Reizschutz ausgestattet, hat sich eine besondere Organisation hergestellt, die von nun an zwischen Es und Außenwelt vermittelt. Diesen Bezirk unseres Seelenlebens lassen wir den Namen des Ichs.“ (Abriß… S. 9 ff)

Da fragt sich nämlich, wo soll denn jetzt das Bedürfnis nach Bändigung der chaotischen Triebstruktur herkommen? Aus dem Inhalt des Es jedenfalls nicht, denn dessen Natur besteht ja nach Freud in seiner chaotischen Gegensätzlichkeit. Und wenn das die Natur des Es ist, dann ist nicht einzusehen, warum das Es Probleme mit seiner triebgespannten Natur kriegen sollte. Und gerade dieses Ding der logischen Unmöglichkeit, das will der Freud allen Ernstes behauptet haben, das Ich ist nämlich das Kind des Es, Zitat Nr. 6:

„Ursprünglich war ja alles Es, das Ich ist durch den fortgesetzten Einfluß der Außenwelt aus dem Es entwickelt worden.“ (ebda S. 23)

Ja, wenn das Ich ein Kind des Es ist, was schon ein Ding der Unmöglichkeit ist, wie soll denn ausgerechnet ein Kind des Es, die Leistung erbringen, die dem Ich jetzt zugeschrieben wird, nämlich die unbändige chaotische Triebstruktur, die das Es verkörpert, in den Griff zu kriegen? Wenn das Es doch so drauf ist, und das Ich selber eine Frucht, ein Abkömmling des Es? Das kann nicht sein.

Das Über-Ich

Dieselbe verquere Ableitungslogik, ich verkürze jetzt, wiederholt sich eine Stufe darüber, beim Über-Ich. Warum gibt es das denn jetzt noch? Die Hauptleistung des Über-Ich besteht darin, dem Ich Maßstäbe zu leisten, damit es das Es, am Maßstab der gesellschaftlichen Anforderungen, im Zaume halten, bändigen kann. Und der Mangel des Ich soll darin bestehen, daß es über diese Maßstäbe, mit denen es beschränken, dem Es entgegentreten soll, nicht hat. Und jetzt ihr wieder 3 mal raten, wo kommt denn jetzt das Über-Ich her? Nächstes Zitat, das Über-Ich ist wieder ein Kind des Ich:

„Als Niederschlag der langen Kindheitsperiode, während der der werdende Mensch in Abhängigkeit von seinen Eltern lebt, bildet sich in seinem Ich eine besondere Instanz heraus, in der sich dieser elterliche Einfluß fortsetzt. Sie hat den Namen des Über-Ichs erhalten. Insoweit dieses Über-Ich sich vom Ich sondert und sich ihm entgegenstellt, ist es eine dritte Macht, der das Ich Rechnung tragen muß.“ (S. 10)

Wenn aber das Über-Ich ein Produkt des Ich ist und das Ich so defizitär ist, daß es diese Maßstäbe nicht hat, wie soll denn plötzlich sein Kind, das Über-Ich, die Maßstäbe haben, damit es die Lücke, die das Ich hinterlassen hat, ausfüllen kann? Ja, wenn das Über-Ich nur ein verselbständigter Teil des Ich ist, dann kann unmöglich plötzlich das Über-Ich mit den Funktionen begabt sein, die seinem Vater, dem Ich, fehlen.

Das war der ganze Quatsch von Es, Ich und Über-Ich komprimiert.

Publikum: Einwände bzw. Verständnisnachfragen...

Also, ich mache des jetzt mal methodisch. Ich hatte den Vorspann zu diesem Kapitel gestrichen, weil ich dachte, das wird zu lang und wir nicht bis 23 Uhr hier sitzen wollen. Ich merke, das war ein Fehler, muß ich jetzt doch nachschieben.

Das Verhältnis dieser drei Instanzen ergibt sich nicht, wenn man die von Freud selber formulierten Eigenschaftsbestimmungen der Instanzen nachdenkt. Die ganze Konstruktion ist das Produkt einer vorausgesetzten funktionalen Logik. Freud hat die Instanzen so konstruiert: Ich dichte dem Es einen Mangel an, und aus dem Mangel leite ich ab, dann muß es doch das Ich geben. Dann braucht er noch die dritte Instanz, wie kriegt er die hin? Er dichtet wiederum dem Ich einen Mangel an. Das Es hat den Mangel, es kann sich nicht im Zaume halten, deswegen braucht es die Kontrollinstanz des Ich. Das Ich braucht aber, um die Kontrollaufgabe zu erfüllen, innerliche Maßstäbe. Da das Ich aber, laut Freudscher Definition nicht über diese Maßstäbe verfügt, braucht es eine dritte Instanz, die dem Ich, die Maßstäbe liefert, das ist das Über-Ich. Das ist die vorausgesetzte funktionale Logik. Nur: aus dem Inhalt der drei Kategorien ergibt sich das nicht! Wenn nämlich das Es von Freud so definiert wird: das ist die chaotische, auf unmittelbare Bedürfnisbefriedigung drängende, triebhafte Menschenstruktur, dann kann unmöglich aus dieser Bestimmung des Es das Ich als abgespaltener Teil des Es hervorgehen. Und wenn das Ich so bestimmt ist: das ist zwar eine Kontrollinstanz aber ihm fehlen die Maßstäbe, und wenn jetzt die Instanz, die die Maßstäbe liefert wiederum ein abgespaltenes Produkt des Ich ist, das Ich aber gerade dadurch gekennzeichnet war, daß es die Maßstäbe nicht hat, dann kann auch das Spaltprodukt von dem Ich, das Über-Ich, nicht die Maßstäbe haben. Das ist die immanente Unlogik, die in dieser Instanzenlehre waltet.

Publikum: Aber im Zitat steht, daß das Über-Ich aus dem elterlichen Einfluß kommt und nicht aus dem Ich....

O.k., das stimmt nicht ganz, aber das müssen wir kurz näher behandeln. Ich bezog mich bisher auf die Zitatstelle „bildet sich in seinem Ich eine besondere Instanz heraus“. Dem elterlichen Einfluß bin ich auch nachgegangen. Dieser hat im Freudschen System – das Zitatmaterial kann ich nachliefern – nur eine ergänzende und unterstützende Rolle in dem Einfluß, aber keine konstitutive. Erst einmal ist das Über-Ich ein Spaltprodukt des Ich, und nicht plötzlich die Eltern; die werden in diese Konstruktion nur als verstärkender Faktor mit eingebaut.

Die Theorie der drei Instanzen ist an den Haaren herbeigezogen. Deshalb muß man ihr auch nichts entgegenhalten, man muß einfach nur ihre eigenen Argumente nachdenken. Und das machen wir jetzt auch noch bei der zweiten zentralen Kategorie von Freud, dem Unbewußten.

Das Unbewußte

Das ist vielleicht die populärste und als Vater spekulativer Fehl-erklärungen eindeutig die produktivste Freudsche Kategorie überhaupt. Was ist das Unbewußte? Wie entsteht das? Abgesehen von den unbewußten Triebregungen des Es – da sagt man auch, das ist unbewußt – entsteht das Unbewußte bekanntlich durch die Verdrängung der im Es angesiedelten frühkindlichen Triebimpulse. Diese werden jetzt aufgrund ihrer Unvereinbarkeit mit den moralischen Anforderungen des Über-Ich vom Ich aus dem Bewußtsein ausgeschlossen und in das Unterbewußte abgeschoben. Und als nunmehr unbewußte seelische Triebregung üben die dann ihre destabilisierende Wirkung auf das seelische Gleichgewicht aus und führen im Endeffekt zu Neurosen. Das ist ganz komprimiert die Quintessenz des Unbewußten. Geht dann noch so weiter, lösen bei Versagen und Überstrapazieren der seelischen Abwehrmechanismen vermittelt der Macht der Selbstbestrafung den Störfall der Neurose aus, der wiederum nur behoben werden kann durch die Bewußt-machung und willentliche Verurteilung der nicht annehmbaren Seelenregung. So geht die Theorie und dann landet man bei der Praxis der Psychoanalyse, die ich heute abend nicht abhandele.

Jetzt gucken wir uns mal an, was der Freud für Argumente bringt für das Unbewußte, auf welche Argumente er die Existenz dieser Kategorie stützt.

Zitat:

"Alle diese bewußten Akte blieben zusammenhanglos und unverständlich, wenn wir den Anspruch festhalten wollen, daß wir auch alles durch Bewußtsein erfahren müssen, was an seelischen Akten in uns vorgeht, und ordnen sich in einen aufzeigbaren Zusammenhang ein, wenn wir die erschlossenen unbewußten Akte interpolieren. Gewinn an Sinn und Zusammenhang ist aber ein voll berechtigtes Motiv, das uns über die unmittelbare Erfahrung hinaus-führen darf." (S. Freud, Das Unbewußte, in: Psychologie des Unbewußten, Freud Studienausgabe Bd. III, S. 126)

Beweis: die Ableitung des Unbewußten aus einem Mangel des Bewußtseins. Und dieser Mangel des Bewußtseins ist, laut Freud, seine Zusammenhangslosigkeit oder seine Lückenhaftigkeit. Weil also das bewußte Denken zusammenhangslos oder lückenhaft ist, deswegen brauche ich das Unbewußte als Instanz, die die Lücken schließt. Die Prämisse schon – Zusammenhangslosigkeit oder Lückenhaftigkeit des Denkens – die würde ich schonmal bestreiten. Keineswegs will ich damit bestritten haben, daß das Denken von vielen Leuten vom Standpunkt eines außenstehenden objektiven Beobachters vielfach als zusam-menhangslos und unverständlich erscheint. Klar, wenn ich mit meiner Mutter telefoniere, dann meine ich auch oft, wie paßt das eigentlich alles zusammen, was sie mir da erzählt. Auch Freuds Drei-Instanzen-lehre, wie eben bewiesen, ist das beste Beispiel für solche Gedankenleistungen, die jeder Vorstellung von Konsistenz und Schlüssigkeit des Arguments geradezu hohnsprechen. Stimmt. Will-kürliche Gedankensprünge, irrationale Verknüpfungen und lückenhafte Argumentationszusammenhänge sind nicht nur im Bereich bürgerlicher Sozialwissenschaften gang und gäbe, die kennzeichnen, würde ich behauten, auch die Urteile des ganz normalen Bürgers, die Spezies der Neurotiker und Psychotiker eingeschlossen. Nur: Für den Inhaber dieser Gedanken selber haben diese sehr wohl einen Zusammenhang. Mag der Inhalt des Denkens und die Verknüpfungen bestimmter Gedanken dem gesunden Menschenverstand als noch so unsinnig, noch so unverständlich, widersprüchlich erscheinen, der denkende Mensch einschließlich Freud selber, erblickt in der objektiven Zusammenhangs-losigkeit oder Lückenhaftigkeit seines Denkens deshalb in der Regel auch überhaupt keinen Mangel und hat deshalb auch überhaupt keinen Bedarf, diese ihm gar nicht bewußten Mängel seines Denkens durch ergänzendes Lückenfüllen beheben zu wollen. Unterstellen wir aber mal ein allgemeines Mängelbeseitigungsinteresse dieser Art, so mutet es leicht befremdlich an, ein inhaltliches Defizit des bewußten Denkens ausgerechnet durch die Ergänzung um Nicht-Denkakte beheben zu wollen. Von daher muß sich der Verdacht aufdrängen, daß das Bemühen in das zusammenhangslose Denken einen Sinn hereinzubringen und den in den Augen des psychologischen Beobachters nicht existierenden Zusammenhang des Denkens durch den Rückgriff auf das Unbewußte zu stiften allein dem besonderen Bedürfnis des Tiefenpsychologen entspringt, seine Erfindung auf das Seelenleben seiner Patienten zu projizieren. Dieser Verdacht, der bestätigt sich zugleich, wenn man jetzt mal sich näher anguckt, wie denn jetzt der Freud das Unbewußte und die Leistung, die das Unbewußt erbringt inhaltlich bestellt.

Zitat:

„Sie (unbewußte seelische Vorgänge, Einfügung durch A.K.) können mit all den Kategorien beschrieben werden, die wir auf die bewußten Seelenakte anwenden, als Vorstellungen, Strebungen, Entschließungen u. dgl. Ja, von manchen dieser latenten Zustände müssen wir aussagen, sie unterscheiden sich von dem Bewußten eben nur durch den Wegfall des Bewußtseins." (ebda S. 127)

Da staunt der Leser. Überraschenderweise gibt es nämlich laut Freud überhaupt keinen Unterschied zwischen den Leistungen von Bewußtsein und Unbewußtem. Das Unbewußte ist und tut haargenau dasselbe wie das bewußte Denken; es stellt sich was vor, es will was, es trifft Entscheidungen, nur das die Sache einmal bewußt und einmal unbewußt abläuft. Da besteht folgender hübscher Widerspruch. Auf der Basis der Identität der Leistungen von Bewußtsein und Unbewußtem, auf der Grundlage der inhaltlichen Identität was diese Kategorien sind, ja der entfällt jeder Grund für die Doppelexistenz der beiden. Bei angenommener Existenz des Unbewußten wäre nämlich das Bewußtsein gänzlich überflüssig, denn warum sollten die Menschen noch bewußt denken, wenn es ohne dies schon ihn ihm denkt und der unbewußte Wille ihm die Entscheidung abnimmt, was sie denken und wollen sollen. Und umgekehrt, würde die Existenz des Bewußtseins ein Unbewußtes erübrigen, denn warum sollten sich Menschen mit Wille und Bewußtsein von ihrem Un- oder Unterbewußtsein kommandieren lassen, von dessen Befehlsgewalt sie überdies überhaupt keine Kenntnis haben. Und schließlich würde strenggenommen die Existenz des Unbewußten als dem Bewußtsein entzogene Existenz eigentlich auch die Entdeckung des Unbewußten durch das Bewußtsein ausschließen und damit die Existenz der Freudschen Lehre selber. Wenn die Qualität des Unbewußten nämlich gerade in seiner heimlichen Steuerung des Bewußtseins besteht, ja, dann ist es ja dem Bewußtsein des Menschen verwehrt das Wirken des Unbewußten überhaupt wahrzunehmen, gleichgültig ob es sich um den eigenen oder fremden Seelenhaushalt handelt. Von daher beinhaltet die Anwendung der Theorie des Unbewußten auf sich selbst bereits ihre Selbstwiderlegung oder sollte heimlich und unbewußt bei Freud dessen Unbewußte selber die Feder geführt haben, als er seine Erkenntnisse über einen Gegenstand den sein Bewußtsein eigentlich gar nicht kennen kann zu Papier brachte? Dieser wunderschöne, aus der Doppelexistenz von Bewußtem und Unbewußtem resultierende Widerspruch, der findet jetzt seine Fortsetzung in der Erklärung des Ursprunges des Unbewußten – die Verdrängung, welche bekanntlich die verbotenen Regungen des Es in das Unbewußte abschiebt. Die sollen nämlich, laut Freud, ein Gemeinschaftswerk beider sein.

Zitat:

"Die roheste Vorstellung von diesen Systemen ist die für uns bequemste; es ist die räumliche Vorstellung. Wir setzen also das System des Unbewußten einem großen Vorraum gleich, indem sich die seelischen Regungen wie Einzelwesen tummeln. An diesem Vorraum schließt sich ein zweiter, engerer, einer Art Salon, in welchem noch das Bewußtsein verweilt, an. Aber an der Schwelle zwischen den beiden Räumlichkeiten waltet ein (bewußt unbewußter) Wächter seines Amtes, der die einzelnen Seelenregungen mustert, zensuriert und sie nicht in den Salon einläßt, wenn sie sein Mißfallen erregen ... Wenn sich die Regungen im Vorraum bereits zur Schwelle ... vorgedrängt haben und vom Wächter zurückgedrängt worden sind, dann sind sie Bewußtseinsunfähig: Wir heißen sie verdrängt." (Freud, Vorlesungen, Fischer Studienausgabe Bd. 1, S. 293).

Diese im bewußt unbewußten Wächter verkörperte doppelte Urheberschaft beinhaltet zum einen, daß das Unbewußte, dessen Existenz ja gerade erklärt werden soll, bei seiner eigenen Entstehung mitwirkt. Wieder eine seltsame Erklärung, in deren Rahmen das zu Erklärende und die Erklärung zumindest teilidentisch sind, die Erklärung das zu Erklärende bereits voraussetzt, also die Existenz des Unbewußten wird als Teilwerk des Unbewußten vorstellig gemacht. Zum anderen aber soll das Unbewußte auch zugleich ein Produkt des Bewußtseins sein. Unter der Prämisse aber, daß die Ausschließung unerlaubter Seelenregungen aus dem Bewußtsein eine Leistung des Bewußtseins selber wäre, ja dann könnte es diese vom Bewußtsein abgetrennte Eigenexistenz, das Eigenleben des Unbewußten gar nicht geben. Dann wüßte nämlich das Bewußtsein von der Existenz seines Abspaltungsproduktes und zweitens könnte das wissentliche Geschöpf des Bewußtseins nicht auch noch dem Bewußtsein ohne dessen Willen seinen Inhalt vorgeben. In solche Denkwidersprüche verwickelt man sich eben, wenn man unbedingt Wille und Bewußtsein die Eigenständigkeit bestreiten will und das Dogma der lebenslangen Abhängigkeit des Willens vom unbewußten Wollen unter Beweis stellen will.

Ich spare mir jetzt eine ganze Abteilung mit dem Quatsch Sublimation und die Ableitung aller Handlungen vom Staat bis hin zur Kunst und Politik und schließlich aller Menschenwerke als Resultat verdrängter oder sublimierter Sexualität; das ist selbst bürgerlichen Psychologen aufgefallen, daß diese Ableitung aus dem Penisneid und Kastrationsängsten und Ödipus und was es da alles gibt, ein haarsträubender spekulativer Unsinn ist.

Ich komme statt dessen zur letzten Abteilung für heute, bei der sich nämlich auf unheilvolle Weise der Quatsch von dem Freud mit einer Schule verbindet, die sich selber als marxistisch fehlversteht, und das wird dann gleich die Theorie des subjektiven Faktors der Frankfurter Schule sein.

Publikum: Einwand – Sublimation kommt als Begriff bei Freud selber gar nicht vor...

Ich will mich jetzt wirklich nicht drüber streiten, ob dieses Wort vorkommt, weil es mir darum geht den Inhalt zu bestreiten, nämlich: Wenn der Mensch eine Verfassung entwirft oder heute abend einen Vortrag zur Kritik der Psychologie hält, dann wären dort unmittelbare oder umgeformte und auf eine Ersatzhandlung gerichtete, auf Ersatzzwecke umgeformte sexuelle Triebregungen am Werke. Ob man diesen Sachverhalt jetzt mit diesem blöden Wort aus der Chemie, Sublimation, benennt oder nicht, das ist für den Sachverhalt selber unerheblich und da will ich mich gar nicht einmischen.

....

3. Frankfurter Schule – Adorno - Autoritärer Charakter

Ich nenne die Frankfurter Schule polemisch den Frankfurter Psychomarxismus – Verbindung von Marx und Freud, repräsentiert durch Adorno, Horkheimer und Fromm. Bis auf den heutigen Tag erfreuen sich die Forschungsberichte des Frankfurter Instituts für Sozialforschung über den sogenannten autoritären Charakter insbesondere in Kreisen linker Sozialwissenschaftler, Sozialpädagogen und Psychologen großer Beliebtheit. Nicht zuletzt deswegen ist noch 1995 eine Neuauflage von Adornos gleichnamigen Studien erscheinen Das ganze basiert auf den Ergebnissen einer psychoanalytischen Interpretation, einer empirischen Untersuchung des faschistischen Potentials innerhalb der US-Bevölkerung in den 40er Jahren, die in den USA durchgeführt worden ist. Die Ausgangsfragestellung, die die vom Frankfurter Institut hatten mutet zunächst einmal rationell an. Die Fragestellung war nämlich darauf gerichtet eine Erklärung dafür zu finden warum die überwältigende Mehrheit der Bevölkerung sich freiwillig in den Dienst der ökonomischen und politischen Zwecke des deutschen Faschismus gestellt hat, insbesondere die antisemitische Ausrottungspolitik mitgetragen hat, obwohl es doch zumindest objektiv betrachtet für eine solche Mitwirkung insbesondere für die Mitglieder der arbeitenden Klasse ja nun wirklich absolut keinen guten Grund gegeben hat. Dieses Untersuchungsprogramm – wie erklärt sich das, das Mitmachertum breiter Bevölkerungsteile beim Nationalsozialismus – hat seine Grundlage in einer Unzufriedenheit, die ein von den Autoren als deterministisch fehlverstandener Marxismus auf diese Frage eine Antwort zu geben scheint. Die Vertreter der Frankfurter Schule haben nämlich die politökonomische Erklärung des Kapitalsi8mus, die Erklärung der ‚Sachzwänge’, in die der normale Mensch durch Eigentum, Recht und Geld gesetzt ist mißverstanden als Zwangsläufigkeit der freiwilligen Unterwerfung der Betroffenen unter diese Zwänge. Sie haben den Marxschen Satz, „Das gesellschaftliche Sein bestimmt das Bewußtsein“, ungefähr so gelesen als würden die ökonomischen Verhältnisse automatisch das der jeweiligen Interessenlage der Gesellschaftsmitglieder entsprechende Bewußtsein der Bürger hervor-bringen. Und gegenüber diesen – ich würde behaupten – Zerrbild des Marxismus, das sie selber erzeugt haben, haben sie eingewandt: Das kann doch nicht sein, es muß doch so sein, daß bei der Bildung des faschistischen Untertanenbewußtseins das Subjekt selber doch auch irgendwie eine tragende Rolle gespielt haben müsse. Weil aber die Bildung des Massenbewußseins als Eigenleistung der Subjekte vom ökonomisch deterministischen Marxismus negiert würde, sei es eben angezeigt dieses Versäumnis zu beheben durch die Berücksichtigung des sogenannten subjektiven Faktors.

Das klingt erst einmal ganz vernünftig, wenn wir das mit dem Marxismus mal wegelassen. Faschistisches Bewußtsein als Eigenleistung klingt ja erfrischend und es ist gleichzeitig noch eine Polemik gegen den Determinismus, das kann unmöglich einfach das Werk der ökonomischen Verhältnisse sein, daß die Leute so beim Faschismus mitmachen.

Der erste kleine Wermutstropfen: Die Art und Weise freilich, wie die Subjekte und ihre individuellen Beweggründe der Befürwortung des Faschismus im Rahmen der Theorie des subjektiven Faktors vorkommt, die ist von einer höchst eigentümliche Beschaffenheit. Die Inhalte des Bewußtseins, die spielen nämlich bei Adorno & Co für die Erklärung des Bewußtseins so gut wie überhaupt keine Rolle. Denn weil es nach deren Denkmuster keinen Zusammenhang zwischen der objektiven Klassen-lage und dem faschistischen Bewußtsein gibt sondern die Anfälligkeit für faschistisches Bewußtsein empirisch zutreffend offensichtlich klassenübergreifend verbreitet ist, haben die Autoren nicht die gesellschaftlichen Verhältnisse selber sondern zugleich auch die politischen Urteile und Standpunkte welche die Subjekte selber in ihren ganz unterschiedlichen sozialökonomischen Situationen zum System der bürgerlichen Gesellschaft und zur Programmatik des Faschismus hegen und pflegen als unerheblich für die angestrebte Ermittlung der subjektiven Gründe des Erfolgs der faschistischen Ideologien erachtet. Also das empirische Bewußtsein, der Inhalt des faschistischen Massenbewußtseins kommt bei der Erklärung überhaupt nicht vor, die beschäftigen sich gar nicht mit dem, was die Untertanen damals gedacht haben, welche Kalkulationen und Berechnungen sie angestellt haben, wie die sich das Leben zusammengereimt haben, wie die sich irgendwie erklärt haben, warum es für sie nützlich ist, daß Deutschland den Krieg gewinnt, warum es gut ist, ein Hakenkreuz zu tragen – kommt alles nicht vor in der Theorie des subjektiven Faktors. Umgekehrt: Gemäß der vorausgesetzten Logik, ja wenn schon die Ökonomie nicht als ausschlaggebende Ursache in Betracht kommt, jetzt fragen sie, ja wo kommt das Bewußtsein der Bürger dann in erster Linie her. Und da halten sie, in dieser deterministischen Fragestellung, jetzt Ausschau nach alternativen Determinanten, nach alternativen tieferen Gründen für die Bildung des faschistischen Mitmacherbewußtseins. Und diese alternative Determinante, die finden sie jetzt in den Abgründen des Seelenlebens des autoritären Charakters, und dessen Bildung ist wiederum ein Werk des Freudschen Seelenapparats. Nicht die kapitalistische Ökonomie sondern umgekehrt die menschliche Triebstruktur sei der entscheidende Faktor, der den Willen zum Mitmachen beim faschistischen Untertanen erzeuge. Das ist die zentrale Botschaft der Theorie der autoritären Persönlichkeit, der wir jetzt in allen Einzelheiten nachsteigen wollen.

Und das ganze geht wirklich so los, als hätten die Kapitel 1 meines Buches und Teil 1 des Vortrags heute als Rezeptbuch angewandt. Das ist ein Rezeptbuch der psychologischen Determination. Die Entfaltung der Theorie beginnt nämlich mit einer allgemeinen Aufgabenstellung in folgendem Zitat:

„Wir wollen potentiellen Faschismus diagnostizieren und seine Determinanten ergründen“ (Adorno, Studien zum autoritären Charakter, 1. Auflage 1973, S. 2)

Und aus dieser allgemeinen Fragestellung leiten sie ein ganzes Bündel von Unterfragestellungen ab, welche die Forschungsrichtung und das Ergebnis in der Fragestellung gleich vorwegnehmen. Zitat:

„Wenn es ein potentiell faschistisches Individuum gibt, wie sieht es genau betrachtet aus? Wie kommt antidemo-kratisches Denken zustande? Welche Kräfte im Individuum sind es, die sein Denken strukturieren? …welches sind ihre Determinanten, wie der Gang ihrer Entwicklung? Wie kommt es, dass bestimmte Personen solche Ideen akzeptieren, andere aber nicht (S. 2, 3)

Mit dieser Aufgabenstellung Determinanten des potentiellen Faschismus zu ergründen steht nämlich von vornherein bevor überhaupt auch nur einen Blick auf den Gegenstand geworfen hat fest, daß das faschistische Bewußtsein im wesentlichen ein Werk von Faktoren ist, die jenseits von Willen und Bewußtsein des Individuums liegen und das faschistische Bewußtsein als dessen Werk hervorbringt. Die Anhänger der Gedanken faschistischer Ideologien sind da nicht recht betrachtet Ein Resultat des Gebrauchs des Verstandes sondern der Inhalt ihres Denkens – Zitat oben – „wird von Kräften im Individuum strukturiert“. Und aus dieser Prämisse der Determination faschistischen Denkens folgt fast zwangsläufig, daß eine nähere Befassung mit den politischen Willensäußerungen sowie den taten von Vertretern faschistischer Ideen zur Klärung des Phänomens nichts entscheidendes beitragen kann. Adorno und seinen Mitstreitern liegt es deswegen im Ausgangspunkt völlig fern zur Erklärung der Anziehungskraft faschistischer Programme die geistigen Leistungen der Mitmacher und Sympathisanten unter die Lupe zu nehmen.

Mal so einer naheliegenden Frage nachzugehen – was versprechen die sich denn, die Untertanen als Teilhaber des Erfolges des Dritten Reiches, welche Vorteile hat man denn als Teilnehmer der Arbeits-dienstes, oder solche Fragen wie, wo gibt es denn Berührungspunkte faschistischen mit dem demokratischen Massenbewußtsein – das fällt denen nicht ein. Stattdessen ziehen die aus dem angeblich irrationellen Inhalt der faschistischen Ideologie einen zusätzlichen Schluß darauf, ja dann muß sich deren Existenz begründen, dann muß das ein Werk einer inneren Wirkkraft sein. D.h. das faschistische Bewußtsein, der Inhalt des Faschismus kommt überhaupt nur wieder im Ausgangspunkt vor, um sich nicht weiter mit ihm beschäftigen zu müssen, um den Grund außerhalb des Inhalts des Bewußtseins in dahinter liegenden seelischen Kräften zu begründen.

Zitat:

„Die objektive Situation des Individuums kommt als Ursprung solcher Irrationalität kaum in Frage; besser sieht man sich dort um, wo die Psychologie bereits die Quelle von Träumen, Phantasien und Fehlinterpretationen der Welt gefunden hat – in den verborgenen Bedürfnissen der Charakterstruktur.“ (S. 12)

Jetzt sage ich, dieser Übergang von einer angeblichen Qualität des Erklärungsgegenstandes, nämlich faschistische Ideologien sollen irrationell sein, auf, sie kommen aus psychischen Impulsen, der ist im doppelten Sinne wieder alles andere als zwingend. Wie kommt der Adorno eigentlich darauf dem Bewußtsein die Fähigkeit abzusprechen, wir unterstellen mal das die faschistische Ideologie wirklich irrationell sei, unvernünftig bis verrückte Urteile bilden zu können und sich Zwecke zu setzen, wie beispielsweise für Deutschlands Ehre sein Leben als Soldat auf den Schlachtfeldern zu lassen? Warum sollen eigentlich die nicht selber darauf gekommen sein, sich solche Zwecke zu setzen, auch wenn die schon bei oberflächlichster Betrachtung äußerst schädlich sind für seine objektiven Interessen? Warum sollen eigentlich unvernünftige oder falsche Gedanken nicht Gegenstand von Wille und Bewußtsein sein? Was soll eigentlich den genuinen politischen Gedanken, die Befreiung des Volkes von Volksschädlingen als eine unumgängliche Notstandsmaßnahme zur Rettung von Volk und Staat zu propagieren, was soll eigentlich diesen Gedanken derart qualifizieren, daß dieser das Prädikat eines eigenständigen politischen Urteils nicht verdienen soll?

Mal abgesehen davon – zweites Argument – ist auch die Begründung für die irrationelle Qualität faschistischer Ideologie ziemlich komisch. Die ist nämlich deswegen so irrationell, ja weil sie antidemokratisch ist. Die Irrationalität soll nämlich der Gegensatz zur Demokratie sein. Da lach ich ja. Als ob der politische Standpunkt, die Welt aus der Sicht des nationalen Interesses zu betrachten, im Inneren unnütze bis schädliche Elemente im eigenen Volkskörper zu entdecken, Ausländer, Asyl-bewerber, Obdachlose, Roma und Sinti – das ist doch dem politischen Leben der Demokratie nun wirklich nicht fremd, die der Adorno als rationelles Gegenbild zum Faschismus präsentieren will und aus dem er dieses Urteil speist, die faschistische Ideologie sei irrationell. Dasselbe gilt für den allgemeinen Glauben an das segensreiche Wirken einer Staatsmacht und starker Führer-persönlichkeiten unter der Ideologie der Volksgemeinschaft oder des Gemeinwohls, hinter die anerkannter-maßen alle Partikularinteressen zurückzustehen haben. Oder kommt die Irrationalität erst dann ins Spiel, wenn die barbarisch staatsterroristi-schen Konsequenzen des faschistisch definierten nationalen Stand-punkts der kapitalistischen Staatsräson in Gestalt der Existenz von Vernichtungslagern gezogen werden? Fängt da erst die Irrationalität an? Wenn schon Irrationalität, dann würde ich aber sagen, daß die sehr viel früher anfängt, nämlich mitten im Herzen der Demokratie.

Als Zwischenfazit ist festzuhalten, daß die beiden von Adorno ins Feld geführten Argumente sich zur Erklärung des faschistischen Massen-bewußtseins vom Erklärungsgegenstand selber abzuwenden und sich stattdessen der Psychostruktur der Massen zuzuwenden bereits im Ausgangspunkt – ich will es mal hart formulieren – den Tatbestand einer systematischen Irreführung erfüllt. Denn weder läßt sich aus der fehlenden Determinationskraft der objektiven Klassenlage ein hinreichend begründeter Schluß auf die entscheidende Maßgeblichkeit gerade psychischer Wirkkräfte bei der Bildung des faschistischen Massenbewußtseins ziehen, noch verweist die antidemokratische Irrationalität faschistischer Ideologie auf den Ursprung ihrer Akzeptanz aus tieferen seelischen Quellen. Aber so entfernt sich der Adorno wie jeder anständige Psychologe vom Erklärungsgegenstand, er präpariert ihn solange zurecht, daß er nicht mehr mit ihm und seinen Eigenschaften zu beschäftigen hat, um in die Abgründe der Determniation, hier des Freudschen Seelenlebens und Seelenapparates zu steigen.

Diese Präferenz der faschistischen Ideologie ist nämlich diesem Psychodeterminationsmodell zufolge die Auswirkung einer spezifischen, nämlich autoritären Ausformung der Charakterstruktur, und deren Existenz wird wiederum aus den Erfolgsnotwendigkeiten des Faschismus abgeleitet.

Den autoritären Charakter, jene wunderschöne Kombination aus angstvoller Unterwerfung und aktiver Kooperation, den muß es nämlich deswegen geben, ja warum wohl, weil ohne ihn der Faschismus nicht funktionieren könnte. Und den kriegt der Faschismus hin, weil er an emotionale, primitive und irrationelle Wünsche und Ängste im Individuum so erfolgreich anknüpfen kann.

Zitat:

„Faschismus muß, um als politische Bewegung erfolgreich zu sein, eine Massenbasis haben. Er muß nicht nur die angstvolle Unterwerfung, sondern auch die aktive Kooperation der großen Mehrheit des Volkes sichern. Da er durch seine bloße Natur Wenige auf Kosten der Mehrheit begünstigt, kann er nicht gut verkünden, die Situation der Mehrheit ihren wirklichen Interessen entsprechend verbessern zu wollen. Er muß deshalb in erster Linie an emotionale Bedürfnisse – oft die primitivsten und irrationalsten Wünsche und Ängste - appellieren und nicht an das rationale Selbstinteresse.“ (S. 13)

Jetzt wird es ein bißchen schwierig, ich habe gerade kein besseres Zitat gefunden als dieses:

„Nach Horkheimers Theorie…geht äußere gesellschaftliche Repression mit innerer Verdrängung von Triebregungen zusammen. Um die ‚Internalisierung’ des gesellschaftlichen Zwanges zu erreichen, (…) nimmt dessen Haltung gegenüber der Autorität und ihrer psychologischen Instanz, dem Über-Ich, einen psychologischen Zug an. Das Indivi-duum kann die eigene soziale Anpassung nur vollbringen, wenn es an Gehorsam und Unterordnung Gefallen findet; die sadomasochistische Triebstruktur ist daher beides, Bedingung und Resultat gesellschaftlicher Anpassung. In unserer Gesellschaftsform finden sadistische so gut wie masochistische Neigungen Befriedigung. Bei der spezifi-schen Lösung des Ödipuskomplexes, welche die Struktur des hier besprochnen Syndroms bestimmt, werden solche Befriedigungen in Charakterzüge umgesetzt; …der resul-tierende Haß gegen den Vater wird durch Reaktionsbildung in Liebe umgewandelt. Diese Transfor-mation bringt eine besondere Art von Über-Ich hervor. Die schwierigste Aufgabe des Individuums in seiner frühen Entwicklung, Haß in Liebe umzuwandeln, gelingt niemals vollständig. In der Psychodynamik des „autoritären Charakters“ wird die frühere Aggressivität zum Teil absorbiert und schlägt in Masochismus um, zum Teil bleibt ein Sadismus zurück, der sich ein Ventil sucht in denjenigen, mit denen das Individuum sich nicht identifiziert: in der Fremdgruppe also.“ (S. 323)

Aber ich biete Euch eine pädagogische Hilfe an, ich habe das in mehrere Stationen zerlegt.

Diese Psychostruktur des Menschen, die besteht im ‚Sadomaso’. Und dieser sado¬masochistischen Triebstruktur des Menschen, die haben sie wiederum beim Freud nicht geklaut sondern entlehnt. Wie geht der Gedankengang? Wie funktioniert die Herstellung des auf die Bedürfnisse der faschistischen Herrschaft passgenau zugeschnittenen Untertanen?

- Teil 1: Herrschaft verlangt Anpassung des Herrschaftsunterworfenen am gesellschaftliche Zwänge, weil sonst Herrschaft nicht funktionieren kann.

- Teil 2: Wie geht sie? Anpassung unter die Autorität setzt voraus, daß der Untertan an Gehorsam und Unterordnung Gefallen findet. Die Bildung dieses Unterwürfigkeitsbedürfnisses, das ist selber ein Trans-formationprozeß. Das ist eine Transformation einer ursprüngliche Haß- und Angstbeziehung zur Herrschaft in das glatte Gegenteil einer Love-Story.

- Teil 3: Leider gelingt dieser Transformationsprozeß nicht vollständig, dann wäre es ja nur ‚Maso’, da bleibt noch ein Rest von nicht-transformierter, von nicht in Masochismus transformierter Aggressivität und dieser Rest, der reagiert sich dann an den Juden ab.

Das ist die Gedankenfolge des oben angegeben Zitats.

Zu Teil 1: Herrschaft verlangt Anpassung des Untertanen an. Dieleistung davon ist die Herstellung einer absoluten Korrespondenz eines absoluten Übereinstimmungsverhältnisses zwischen den Funktionsnotwendigkeiten der faschistischen Herrschaft einerseits und dem als sado-masochistisch definierten autoritären Charakter des Bürgers andererseits. Dieser Charakter soll darin bestehen, die Unterwerfung des Bürgers unter die staatliche Autorität zu organisieren. Wie geht das?

Das geht im Ausgangspunkt und basiert wiederum auf zwei Totalabstraktionen, die da heißen: Unterwürfigkeit und Autorität. Der Staat wird – 1. Totalabstraktion – als Autorität vorstellig gemacht. Wenn man sich den Staat als Autorität denkt, dann muß man von allen Bestimmungen die das Verhältnis Staat-Bürger ausmachen absehen, die muß man systematisch wegdenken. Alle Bestimmungen die dieses spezifischen Verhältnisses zwischen dem bürgerlichen Staat in seiner demokratischen oder auch faschistischen Ausprägung kennzeichnen werden als gegenstandslos erklärt, es kommt zum Schluß raus, eine Herrschaft pur. Auf Seiten der Obrigkeit werden nämlich sowohl ihre ökonomisch-politischen Ziele, ihre Erfolgsmaßstäbe, ihre Herrschafts-mittel, die sind ebenso unmaßgeblich wie auf Seiten der Untertanen deren Stellung innerhalb des Herrschaftssystems und auf deren Stellung beruhenden Kalkulationen der Untertanen sind alle wegge-dacht. Wir haben zum Schluß zwei falsche Abstraktionen: Autorität und Herrschaft auf der einen Seite und umgekehrt der Untertan auf der anderen Seite.

Dagegen kann man sagen: Dann besteht der ganze Zweck der Herrschaft darin zu herrschen und der ganze Zweck der Untertanen heißt, gehorsam und botmäßig zu sein. Der Zweck einer Herrschaft in der faschistischen aber schon gar nicht besteht aber nicht darin, gehorsam bei ihren Untertanen zu erzeigen, wie umgekehrt die Tätigkeit der Untertanen nicht darin besteht, ihre Unterwerfung unter die Obrigkeit zu organisieren. Sondern: Jeder Herrschaft geht es immer noch um die Verwirklichung ihrer speziellem Herrschaftszwecke, für die sie aufgrund der ihr zur Verfügung stehenden Herrschaftsmittel ihre Untertanen einspannt. Daß das im Kapitalismus Vermehrung des Geldreichtums, Stärkung der Staatsmacht ist und wie die speziellen Staatszwecke im Faschismus waren ist kein Geheimnis – Deutschland als Weltmacht usw. Wie in der Demokratie die Zwecke sind und wie der Staat es hinkriegt über den stummen ökonomischen Zwang der Verhältnisse, oder über die Einrichtung von Geld und Lohnarbeit den laden so zu organisieren, daß sich die Mehrheit der Bevölkerung in den Dienst der Mehrung des Kapitalreichtums stellt und welche falschen Bewußtseinsformen die Mehrheit der Bevölkerung entwickelt sich dieses Herrschaftsverhältnis wo sie die benutzte Manövriermasse sind, sich die so zurechtzudenken als ginge es um ihr Wohlergehen – dem will ich jetzt nicht hinterhersteigen.

Beim Adorno aber, da ist das ganz anders. Die theoretische und praktische Parteinahme der Herrschaftsunterworfenen für ihre Herr-schaft ist nicht etwa Konsequenz von nationali¬stischen Berechnungen der Bürger, welche die staatliche Herrschaft der sie unterliegen als positive Bedingung für ihre eigenen Zwecke begreift und sich deswegen erfolgreich für staatliche Zwecke mobilisieren läßt, das ist nicht etwa eine Leistung falschen Bewußtseins, da ist nicht etwa eine falsche Übersetzung der negativen Abhängigkeit von Staat und Kapital in das eigenen Interesse, nein, bei Adorno und Co ist die staatsbürgerliche Loyalität die Befriedigung einer spezifischen Bedürfnislage des mit einer autoritären Charakter ausgestatteten Bürgers ja eben der an Gehorsam Und Unterordnung gefallen findet. Und das fast der Adorno selber wunderschön zusammen...

Zitat:

In der „autoritären Unterwürfigkeit“ verwirklicht sich die „masochistische Komponente des Autoritarismus“ (S. 50)

Das heißt auf deutsch, wenn der Untertan in Fabrik oder Büro schuftet, seine Steuern zahlt, im Kriegsdienst Kopf und Kragen für sein Vaterland riskiert und seiner politischen Führung zujubelt, dann alles nur weil es sein tiefstes seelisches Anliegen ist von seiner Herrschaft unterdrückt zu werden – ‚Maso’ eben.

Zu Teil 2 und 3: Wie geht das nun? Die Herstellung dieses autoritären Charakters dessen Endprodukt wir eben in der ‚Maso-Seite’ seines Charakters beleuchtet haben, die geht, lustigerweise, durch die Transformation einer ursprünglichen Haß- und Furchtbeziehung in eine Liebesbeziehung. Einmal abgesehen davon, Fußnote, daß der natürlich durch den Ödipus-Komplex bedingte autoritär-rebellische Ausgangs-punkt einer Gegnerschaft des Individuums eine reine Unterstellung bildet, ist es schlichtweg unerfindlich wie...

Zitat:

„...unterschwellige, feindselige und rebellische Impulse durch Furcht in Zaum gehalten im Individuum zu einem Übermaß an Ehrfurcht, Gehorsam, Dankbarkeit und ähnlichem gegenüber der Autorität führen..“ können soll. (S. 49)

Warum sollte denn ausgerechnet die Furcht vor der Obrigkeit, die um die Gegnerschaft zu ihr weiß und Gründe kennt sich vor deren Gewalt zu ängstigen, das Individuum dazu bewegen, sich nicht länger zu fürchten sondern stattdessen sich mit der Autorität zu identifizieren und gar eine libidinöse Beziehung zu der Herrschaft aufzubauen, zu der man zuvor noch zutiefst feindliche Gefühle gehegt hatte. Kann man fast sagen: Wie gut, daß dieser Prozeß der Umwandlung der früheren Aggressivität gegenüber der Obrigkeit in die masochistische Pflege der Untertänigkeit nur unvollständig gelingt und ein Rest an Sadismus zurückbleibt, der sich ein Ventil sucht in demjenigen, mit dem das Individuum sich nicht identifiziert. Die sadistische Komponente des autoritären Charakters braucht es nämlich, eben um Antisemitismus und Haß gegen anderweitige Minoritäten psychodynamisch als soge-nannte autoritäre Aggression erklären zu können. Das nächste Zitat fast dies zusammen:

Zitat:

„Man könnte sagen, daß in der autoritären Aggression die ursprünglich durch die Autoritäten der Eigengruppe er-weckte und gegen sie gerichtete Feindseligkeit auf die Fremdgruppen verdrängt wird… der Theorie der Verdrän-gung zufolge muß der Autoritäre seine Aggression aus innerer Notwendigkeit gegen die Fremdgruppe richten. Er muß es, weniger aus Unwissenheit in bezug auf die Ursache seiner Frustration, als vielmehr seiner psychischen Unfähig-keit zufolge, Autoritäten der eigenen Gruppe anzugreifen. (Adorno, S. 51 f.)“

So, jetzt kommt noch ein ziemlicher Hammer, der vorletzte. Bei psychodynamischem Licht betrachtet erscheint jetzt plötzlich die Mitwirkung des Untertanen bei der Verfolgung und Ausrottung der Juden und anderer Minderheiten als verkappte unterschwellige Widerstandshandlung gegen die staatlichen Autoritäten, die eben diese Verfolgungsmaßnahme anordnen. Aggression ist eigentlich ein anti-autoritärer Akt, der nur mit einem ganz kleine Mangel behaftet ist, daß er sich nämlich gegen den falschen Adressaten richtet und anstatt den Staat zu bekämpfen, mithilft die Juden auszurotten. Andererseits, wegen seiner inneren Notwendigkeit aber doch irgendwie entschuldbar ist, oder? Denn wenn sich die Aggression wegen der psychischen Unfähigkeit der Individuen nicht gegen den richtigen Adressaten richten kann, was bracht es dann, genau, ein Ersatzobjekt, weil zu einer anständigen Aggression gehört – das haben wir heute abend schon ein paar mal gelernt – eine Entladung. Und die braucht Ventile mittels derer die Aggressionsabfuhr erfolgen kann. Alles andere – das hatte uns schon Altmeister Freud bei seiner Erklärung des Krieges aus der aggressiven Menschennatur gelehrt und der Mitscherlich hat das mitgemacht – wäre ja geradezu eine Gefährdung der Stabilität des Gleichgewichts der psychischen Kräfte. An dieses wunderschöne triebökonomische Konstrukt Freuds knüpft Adorno nämlich nahtlos in seiner Begründung der seelenhaushältersichen Funktion des Juden-hasses an.

Zitat:

„Die psychische Dynamik, die nach dem antisemitischen Ventil ‚verlangt’ – das ist im wesentlichen die Ambivalenz autoritärer und rebellischer Neigungen“ (S. 110)

Ja, und wenn diesem Verlangen nach dem antisemitischen Ventil nicht nachgegeben wird, dann droht sogar – nach Adorno – der Eintritt von psychiotischen Störungen...

Zitat:

„Das Konzept dieses Kapitels geht von der allgemeinen Annahme aus, daß die - zum großen Teil unbewußte - Feindschaft, die aus Versagung und Repression resultiert und sozial vom eigentlichen Objekt abgewandt wird, ein Ersatzobjekt braucht, durch das sie einen realistischen Aspekt für das Subjekt gewinnt, das radikaleren Äußerungen eines gestörten Kontaktes mit der Realität, d. h. einer Psychose ausweichen muß.“ (S. 108)

Da erscheint es wenig trostreich, daß die Begründung dieser seelen-haushälterischen Funktionalität des Antisemitismus buchstäblich an den Haaren herbeigezogen ist. Die Sache mit der ‚unbewußten Freundschaft’ mal unterstellt (auch wenn es ein Quatsch ist): Aber auch eine unbewußte Freundschaft weiß jedenfalls bei Adorno in diesem Zusammenhang immer noch warum sie sich gegen wen richtet, hier nämlich gegen die Autorität. Aber warum sollte denn eigentlich die auf einen bestimmte Gegner gerichtete Aggressivität sich plötzlich damit zufrieden geben auf ein Ersatzobjekt umgeleitet zu werden? Und wieso sollte eigentlich das an mangelndem Realitätsverlust gekenn-zeichnete Subjekt ausgerechnet auf die Juden als Ersatzobjekt kommen? Die ziemlich naheliegende Erklärung, daß der im Volk verbreitete Judenhaß darauf zurückzuführen ist, daß die Mitmacher die politischen Urteile ihrer Obrigkeit über die Juden als auszurottende Schädlinge am Volkskörper geteilt haben, daß ihrem nationalistischen Bewußtsein die faschistischen Ideologien eingeleuchtet haben – das kommt für Adorno natürlich überhaupt nicht, auch nicht ansatzweise in Betracht. Den erstens ist der Judenhaß ja bekanntlich unbewußt eine Folge – Zitat – unbewußten Vernichtungswillens und zweitens ja eben nur eine Ersatzhandlung für die eigentlich den Autoritäten geltende Feindschaft.

Jetzt kommt der Hammer: Der Mensch braucht also nach Adorno Antisemitismus, weil sonst eine Psychose droht. Wirklich kaum zu glauben, aber leider wahr, auf diese Aussage läuft die Erklärung des Judenhasses durch einen vom Nationalsozialismus verfolgten emigrierten Kritikers, der selber Jude war, läuft die Kritik des Faschismus hinaus. Im Lichte der von Adorno entdeckten nützlichen Beiträge des Judenhasses für den Seelenhaushalt des Menschen, auch noch in Gestalt der Bewahrung vor Orientierungslosigkeit – das Individuum wüßte ja glatt nicht mehr wen es anstelle seiner Herrschaft verantwortlich machen könnte für die erlittene Repression der Triebbefriedigung und der damit verbundenen Reduzierung gesell-schaftlicher Entfremdung – ja stellt sich eigentlich die Frage, was soll man eigentlich verdammt nochmal vom triebpsychologischen Stand-punkt gegen Konzentrationslager einzuwenden haben? Gemäß dieser Psycho-Logik des subjektiven Faktors scheint es sich da wohl eher um Sanatorien zu handeln die die geschundene menschliche Natur der faschistischen Schergen de Gelegenheit zur gesund-heitsförderlichen Triebabfuhr bzw. zur gemeinschaftlichen Sinnstiftung geben.

Zitat:

„Die Fremdheit der Juden scheint die handlichste Formel zu sein, mit der Entfremdung der Gesellschaft fertig zu werden. Den Juden die Schuld an allen bestehenden Übeln zuzuschieben, mag die Dunkelheit der Realität erhellen wie ein Scheinwerfer, der rasche und umfassende Orientierung gewährt.“ (S. 124)

Zusammenfassung: Diese Theorie des autoritären Charakters, die besteht in der psychoanalytischen Konstruktion eines idealen Entsprechungsverhältnisses zwischen Herrschaft und Untertan in deren Rahmen die Subjektivität des faschistischen Untertans darin besteht, das Anforderungsprofil der Ansprüche der Herrschaft auf Untertänigkeit zu erfüllen. Und umgekehrt: Es scheint etwas zu geben, die praktische und theoretische Loyalität der Bürger erklärt sich durch die Annahme eines psychischen Regelmechanismus mit Rahmen der autoritären Charakterstruktur der qua Internalisierung und Umwandlung der ursprünglichen Aggressivität die geforderte Unterwerfung bewerk-stelligt. Und umgekehrt: Auf der einen Seite ist der Untertan paßgenau auf die Herrschaftsbedürfnisse des Staates zugeschnitten. Umgedreht wird in der Logik die Obrigkeit die Erfüllungsinstanz der verborgenen seelischen Bedürfnisse des Menschen. War die Botmäßigkeit zunächst ein reiner aus Furcht vor der Autorität gespeister Unterwerfungsakt des Individuums kommt jetzt als zusätzliche Bestimmung ins Spiel, daß die hingebungsvolle Hingabe an die Unterordnung unter die Herrschaft zugleich den tiefsten inneren Wünschen und Regungen der Menschen-seele entspricht. D.h. die aus dem Notwendigkeiten der Herrschaft abgeleitete Unterordnungsbereitschaft des Bürgers wird ergänzt durch ein umgekehrtes seelisches Dienstverhältnis der Herrschaft am Untertanen. Die Herrschaft befriedigt dadurch, daß sie dem Menschen Gelegenheit gib sich als Untertan zu betätigen zugleich auch deren psychologische Notdurft. Und die Befriedigung der psychologischen Notdurft schließt n ihrer sadistischen Komponente zugleich die Entladung ihrer Aggressivität am Ersatzobjekt der Juden ein. Wo angesichts dieser überaus – im Ergebnis jedenfalls – harmonischen Love-Story zwischen der Herrschaft und dem Untertan eigentlich der Gegensatz ist zwischen der autoritären faschistischen Herrschaft und dem Bürger geblieben ist, der immerhin noch am Ausgangspunkt der Erklärung faschistischen Massenbewußtseins gestanden hatte, das wagt man dann gar nicht mehr zu fragen...

Und ausgerechnet diese triebökonomische Konstruktion einer von der Gesellschaft erzeugten Charakterstruktur die den Menschen mit allen Qualitäten des idealen Untertanen ausstattet versteht sich ausgerechnet als kritische Korrektur des ökonomischen Determinismus, der dem Marxismus eigentlich zueigen sein soll.

Das ist er also der subjektive Faktor, der sadomasochistische Untertanen als gesellschaftliche Naturbestimmung der bürgerlichen Objektivität mit Hilfe der Freudschen Psychologie in den Abgründen der menschlichen Seele verankert. Insofern – jetzt komme ich wirklich zu meinem Schlußwort – ist der autoritäre Charakter vom Adorno tatsächlich ein exemplarischer Fall bürgerlicher Psychologie. Die Produktion grundverkehrter Gedanken, die darin gerade so fürchterlich nützlich sind zur Legitimation der bestehenden Gesellschaft und der in ihr existierenden Herrschaftszwecke und des falschen Bewußtseins der Gesellschaftsmitglieder Und diese Feststellung beinhaltet, wie immer bei mir, zum konstruktiven Ende hin ein doppelt-vernichtendes Urteil: einmal über die gesellschaftlichen Verhältnisse und deren Natur und über den geistigen Zustand einer Wissenschaft, die sich eine solche Gesellschaft und ihr Staat als Hure halten. Das wars.

Publikum: Was wäre denn die Konsequenz aus dem Vortrag?...

Ich wurde gerade so wiedergegeben, daß die Wissenschaft der Psychologie den Interessen dieser Gesellschaft dient, indem sie zur Legitimation dieser Gesellschaft, ihrer Einrichtungen und Zwecke, falsche Theorien in die Welt setzt. Die vom Krieg bis zum Konzentrationslager diese Einrichtung mit einem wissenschaftlichen, im besonderen einem triebstrukturellen Segen versieht. Und jetzt ist die Frage, was denn ist jetzt die Konsequenz? Jetzt werde ich mal positiv: Wie geht dann eine rationelle Psychologie? Eine rationelle Psychologie – das kann man jetzt alles ableiten aus meiner Kritik – die beschäftigt sich dann 1. mit der Gesellschaft, erklärt sie und ihre Funktionsweisen und Zwecke und beschäftigt sich 2. mit dem Bewußtsein der Leute, und wenn es falsch ist, dann wird es kritisiert. Eine rationelle Psychologie immer auf eine doppelte Kritik hinaus, 1. der Gesellschaft und 2. der geistigen Leistungen der Gesellschaftsmitglieder. Und dabei bleibt sie immer und geht niemals weg von dem was die Leute tun und denken. Und eine ordentliche psychologische Erklärung erklärt dann das Denken der Leute. Aus ihrem geistigen Bezug auf die Verhältnisse. Und da kommt ganz bestimmt nichts von Determinante vor, da kommen immer nur die Kalkulationen, Berechnungen, Gedanken der Leute und damit zugleich die gesellschaftlichen Verhältnisse vor, auf die sich die Leute beziehen. Da kommt deswegen auch nie etwas Dahinterliegendes vor.

 


contradictio - 2006