1. Marktwirtschaft – eine falsche Bezeichnung der
Sache
Das Thema klingt auf den ersten Blick
wie die selbstverständlichste Sache der Welt: Unsere
Wirtschaftsweise heißt Marktwirtschaft, in Deutschland sogar näher
„Soziale Marktwirtschaft“. Es scheint klar zu sein, daß das ein Name
für eine Sache ist. Tatsächlich aber ist das Wort Marktwirtschaft
schon ein vollständiges ideologisches Programm. Marktwirtschaft ist
ein verkehrter Name für die Sache, die er bezeich-net und enthält
schon eine ganze Deutung. Und ein erster Hinweis auf diese verkehrte
Namensgebung ist folgender Punkt:
Andere Produktionsweisen, die es
gegeben hat oder die es noch gibt, wurden anders bezeichnet, z.B.
nach ihrem Zweck. Die Produktions-weise beispielsweise, bei der es
darauf ankam, Handels¬überschüsse zu erzielen, nennt sich
Merkantilsystem. Ein zweites Beispiel, bei dem im Namen der Zweck
vorkommt, für den produziert wird, ist die Subsis-tenzwirtschaft,
womit z.B. große Teile der Bevölkerung in der 3. Welt befaßt sind.
Die Subsistenzwirtschaftler ernähren sich selber durch den Landbau,
den sie betreiben. Wiederum andere Bezeich-nungen von
Produktionsweisen haben die charakteristische Stellung der
Produ-zierenden, der Arbeitenden oder die Stellung der Herren, der
Chefs zum Namen für die Sache gemacht, z.B. die Sklavenwirtschaft
oder die feudale Produktionsweise.
Dagegen soll sich unsere
Produktionsweise, die Marktwirtschaft, weder durch einen Zweck noch
durch eine charakteristische Stellung der Chefs oder der Arbeitenden
von anderen Produktionsweisen unter-scheiden, sondern lediglich durch
eine Methode des Verkehrs. Unsere Produktionsweise soll sich dadurch
charakterisieren, daß der Markt, wie es dann heißt, die vielen
Tausend Wirtschaftssubjekte vermittelt. Komisch – hat diese
Produktionsweise denn gar keinen Zweck? Hat sie gar keine
charakteristische Stellung derjenigen, die die Arbeit machen oder
derer, die die Chefs sind? Nein, sie soll sich von anderen angeblich
nur dadurch unterscheiden, daß in ihr die Arbeitsteilung über den
Markt organisiert wird.
2. Marktwirtschaft – namentlich geboren im
Systemvergleich
Es ist natürlich kein großes Rätsel wo diese
Namensgebung herkommt: Sie hat ihren historischen Grund in dem
Systemvergleich, der 50 Jahre lang in Europa und in der ganzen Welt
das wirtschaftswissenschaftliche aber auch das politische Denken
bestimmt hat. Bei diesem Vergleich der westlichen mit der östlichen
Wirtschaftsweise (also der der Sowjetunion und ihrer Satelliten)
sollte die Planwirtschaft schlecht gemacht werden und die
Marktwirtschaft, die plötzlich nicht mehr Kapitalismus heißen
sollte, in einem guten Licht erscheinen. Die Ideologen der
Planwirtschaft hatten freilich Umgekehrtes vor. Aber da konnte man
ja schlecht sagen: im Kapitalismus gibt es viele Reiche, das ist
eine feine Sache, und dagegen steht die sozialistische
Wirt-schaftsweise, und die gibt damit an, daß es in ihr den Armen
besser geht. Sondern der alte Systemvergleich lief so ab, daß die
beiden Produktionsweisen sich wechselseitig als bessere Methoden –
absurderweise – fürs Gleiche verglichen haben. Dazu muß man sagen:
So ist es nun einmal, wenn man einen Vergleich macht. Wenn zwei sich
vergleichen, dann unterscheiden sie sich an einem gemeinsamen
Maßstab. Ob es die gibt – die Gemeinsamkeit in der Sache – ist dabei
gleichgültig. Der Vergleich selber behauptet eine Gemeinsamkeit,
denn ohne Gemeinsamkeit kann man gar nicht vergleichen. Wer kann
schon rote Rüben und Musik vergleichen? Wo es also nichts
gemeinsames gibt, gibt es auch keine Unterschiede.
Wenn nun also zwei Produktionsweisen in einen
Konkurrenzstreit eintreten und einen Vergleich eröffnen, um zu
entscheiden, welche die bessere ist – vom Westen ganz klar mit der
vorher fertigen Absicht, zu beweisen, daß unsere die bessere ist –
dann unterstellen die beiden eine Gemeinsamkeit bzw. dann
unterstellt der Vergleich eine Gemeinsamkeit beider. Und wenn man
sagt, die westliche Markt-wirtschaft ist z.B. effizienter, dann
unterstellt man, ohne darüber zu reden, die Effizienz als
gemeinsamen Maßstab – nur: effizient in welcher Hinsicht? Z.B.
hätten die Sozialisten den Apologeten der Marktwirtschaft nie
bestritten, daß der Kapitalismus effizienter beim Ausbeuten ist. Das
haben die Marktwirtschaftsanhänger natürlich auch nicht gemeint.
Niemand von ihnen wollte gesagt haben, wir machen die Leute besser
fertig, wir holen mehr aus ihnen heraus als ihr im Osten. Das wäre
ja auch kein besonders werbender Systemvergleich gewesen...
Bei diesem Systemvergleich, der da inszeniert wird
zwischen der sozialistischen Wirtschaftsweise, die schlecht
gemacht werden sollte und der kapitalistischen, die beweisen wollte,
daß sie die bessere ist, wird nicht etwa entlang des Zwecks der
beiden Produktionsweisen verglichen, sondern sie messen sich als
alternative Methoden an einem Gleichen. Damit steht jetzt nicht mehr
Kapitalismus gegen Sozialismus, sondern Marktwirtschaft gegen
Planwirtschaft. Und was ist nun das Gemeinsame? Was ist der
postulierte gemeinsame Maßstab, an dem sie sich gegenseitig messen?
In jeder volkswirtschaftlichen Vorlesung hört man sofort und immer:
es sei die Güter-Versorgung einer Bevölkerung. Es ist sehr die
Frage, ob es diesen Zweck in unserer Wirtschaftsweise überhaupt gibt
– macht aber nichts: der Systemvergleich postuliert einfach, daß es
diesen Zweck gibt und vergleicht entlang diesen Zwecks die eigene
mit der fremden, beide Systeme sind im Prinzip dazu da, dasselbe zu
leisten und seien nur unterschiedlich leistungsfähig dabei.
3. Der Markt als ‚beste Methode der Verteilung’
Jetzt lese ich mal ein Zitat von SAMUELSON vor,
ein ganz großer Volkswirtschaftslehrer der Amerikaner, der heute
immer noch zu den Klassikern gehört (Nobelpreis für Ökonomie 1970);
also der sagt folgendes:
„Die Wettbewerbsordnung (also der
Marktmechanismus, Anm. PD) ist ein kunstvoller Mechanismus, der mit
Hilfe eines Gefüges von Märkten und Preisen unbeabsichtigt
kombiniert und das Wissen und die Handlungen von Millionen
verschiedener Wirt-schaftssubjekte koordiniert. Ohne ein denkendes
und lenkendes Zentralgehirn löst diese Wirtschaftsordnung eines der
schwierig-sten Rechenexempel: Ein System, das mehrere Tausende
unbe-kannter Variablen und Gleichungen umfaßt.“ (P.A. Samuelson,
Volkswirtschaftslehre 1, S.13)
Also, da wird gesagt, die Marktwirtschaft wäre
eine genialische Erfindung, der Markt würde Millionen von
Wirtschaftssubjekten in eine Arbeitsteilung hineinfügen und ihre
Leistungen und Bedürfnisse so koordinieren, daß die bestmögliche
Kombination von Produktion und Bedürfnisbefriedigung, die
bestmögliche Effizienz bei der Produktion selber zustande kommt.
Ferner macht SAMUELSON fast explizit den Vergleich
mit der Planwirtschaft, die ja dieses ‚lenkende Zentralgehirn’ hat,
das aber, wie man ständig hört, nichts leistet. Der Satz mit dem
denkenden Zentralgehirn ist ein schönes Bekenntnis. SAMUELSON
erinnert nämlich daran, daß das, was er sagt, was der Markt
angeblich leistet, ja tatsächlich niemand macht: Kein Schwein
koordiniert, kein Schwein kümmert sich um die Bedürfnisse anderer.
Er sagt, so ist es, ganz klar, wissen wir, die Marktsubjekte haben
andere Sorgen...
An anderer Stelle, bei einem weiteren
Volkswirtschaftslehrer, bei HENRICHSMEYER steht:
„Obwohl die Unternehmer aus ‚egoistischem'
Gewinnstreben handeln und nicht etwa, um die Güterversorgung der
Bevöl-kerung zu verbessern, richtet sich dennoch letztlich die
gesamte Güterproduktion nach den Wünschen der Konsumenten." (W.
Henrichsmeyer, O. Gans, I. Evers, Einführung in die
Volkswirtschaftslehre, UTB, Stuttgart, 1993, S. 235)
Was ist das für eine merkwürdige Leistung, die
hier dem Markt zuge-schrieben wird? Eine Leistung, von der man erst
einmal sagen muß, daß es sie in der Marktwirtschaft gar nicht gibt.
Niemand koordiniert. Es ist doch wohl eher so, daß jeder am Markt
irgendwas anbietet und die ganze Koordination darin besteht, ob der
Verkäufer Erfolg hat oder nicht. Wenn der Verkäufer Erfolg hat, hat
er Erfolg, wenn nicht, dann geht er unverrichteter Dinge wieder heim
und kann seine Ware nicht verkaufen. Wo ist da irgendeine
Koordinationsleistung? Derjenige, der auf ein zahlungsfähiges
Bedürfnis trifft hat zufälligerweise Erfolg, ein anderer trifft auf
keines und hat Mißerfolg, wird evtl. sogar arm über seinen
verfehlten Produktions- und Verkaufsversuch. Nur: Wer hat da was
koordiniert? Gar nichts wird da koordiniert! Die angedichtete
Leistung der Koordination findet in Wahrheit gar nicht statt, denn
auf das Bedürfnis an sich wird überhaupt nicht geachtet. Wer
verkauft, sucht kaufkräftige Nachfrage, Bedürfnisse, die nicht über
Geld verfügen, zählen überhaupt gar nicht als Bedürfnis und kommen
daher nicht in Betracht. Der Markt koordiniert nicht existente
Bedürfnisse und Produktion, sondern am Markt sieht der Verkäufer
welches zahlungs-fähige Bedürfnis er nutzen kann. Und auch umgekehrt
ist das Bedürfnis des Käufers an sich nicht der Leitfaden seiner
Kaufentscheidung, sondern was tatsächlich den Ausschlag gibt ist
das, welche Ware er sich gemäß seines Geldbeutels leisten kann. Ob
er die, die er sich kauft, dann deswegen kauft, weil er vielleicht
nicht mehr Geld hat, um das Qualitätsprodukt anstatt den Schund zu
kaufen, oder ob sein Bedürfnis gerade nach dem Schund stand – das
ist doch sehr die Frage. Also bei der ganzen Koordination steht auf
der einen Seite nie Produktion, die sich den Bedürfnissen anpassen
will und auf der anderen Seite stehen nie Bedürfnisse sondern
Kaufkraft.
4. Das ‚Marktgleichgewicht’ - eine reine
Tautologie
Um die Sache noch härter auszudrücken: Der
Gedanke, der Markt sei ein großer Koordinator zwischen Bedürfnissen
und Produktion, ein viel besserer als es der Plan je sein könnte,
dieser Gedanke ist in Wahrheit die reine Tautologie. Es ist eine
Behauptung einer Leistung, die überhaupt nicht mehr ist als das
Faktum, daß alle Waren, die verkauft worden sind, einen Käufer
gefunden haben. Nochmal klargemacht den Gedanken: Wenn in die
großartige Koordinationsleistung des Marktes sowieso nur das
kaufkräftige Bedürfnis eingeht, und das wirkliche soweit es über
kein Geld verfügt oder über nicht genug Geld verfügt sowieso nichts
zählt; und wenn auf der anderen Seite der Koordi-nationsleistung, bei
den Produkten, überhaupt nur das eingeht, was marktfähig ist, also
verkaufbares Produkt ist, also eines, was einen Käufer findet, und
alles, was zu schlechte Qualität oder einen zu hohen Preis hat oder
in zu großer Menge hergestellt worden ist, als daß es am Markt
abgesetzt werden konnte nicht ins Marktgleichgewicht eingeht, dann
ist das berühmte Marktgleichgewicht die reine Tautologie: Alles was
verkauft worden ist, hat auch einen Käufer gefunden, für jede Ware,
die weggegangen ist, ist auch ein Käufer aufgetreten – ja, das
stimmt wohl.... Aber da ist der ganze Schwindel so zu tun, als wäre
das eine Leistung. Diese Tautologie gilt immer. Sie gilt in der
größten Wirtschaftskrise genauso wie in der größten Hungersnot und
sie gilt in der Hochkonjunktur.
Um die Dialektik vollständig zu machen und auf den
Systemvergleich zurückzukommen: Die Marktwirtschaft behauptet ein
Problem zu lösen, das sie gar nicht behandelt, nämlich die
Koordination von Bedürfnis und Produktion. Und sie behauptet ein
Problem besser zu lösen als die Planwirtschaft, die dieses Problem
gar nicht hat. Wer denkt, daß Produktion und Bedürfnis überhaupt
koordiniert werden müssen, der denkt sich doch beide Seiten als
getrennte und quasi nach eigengesetzlichen Prinzipien
funktionierende Sachen. Aber ist das überhaupt richtig? Denkt mal an
die eigene Wohnung: Muß man das Bedürfnis abgespültes Geschirr zu
haben und die Produktion von Geschirrspülen koordinieren? Ja, da
merkt man, das ist irgendwie unsinnig. Die Produktion ist das
Mittel, das herzustellen, wonach man vorher ein Bedürfnis
festgestellt hat. Punkt. Da gibt es das Problem gar nicht, zwei
selbständige Größen zu koordinieren, in ein Verhältnis zu bringen,
gewissermaßen den drohenden Selbstlauf beider, oder das drohende
Auseinanderlaufen beider zu verhindern.
Damit wird auch klar: Es ist eine ideelle
Konstruktion zu sagen, es braucht in jeder Wirtschaftsweise einen
Mechanismus der Koordination von Produktion und Bedarf, und diese
Koordination kann auf verschiedene Weisen befriedigt werden, denn
die eine Wirtschaftsweise (Marktwirtschaft) macht das gar nicht wie
wir gesehen haben, aber löst dieses ‚Problem’ besser als die andere,
nämlich die Planwirtschaft, die sich das sogar explizit vornimmt und
dabei angeblich immer scheitert. Also, da wird eine wirklich
erfundene Leistung dem Markt zugute gehalten, und wenn man genau
hinschaut – worin besteht sie denn genau diese Leistung – dann kommt
die Tautologie heraus: was verkauft worden ist, hat auch einen
Käufer gefunden, was man losgeschlagen hat, danach hat es
offensichtlich Bedarf gegeben. Ohne Zweifel – nur ist das dasselbe
wie die Behauptung, die existenten Bedürfnisse und die existente
Produktion sind in ein Verhältnis gebracht, sind koordiniert worden?
5. Der Markt als gelungene Kombination von
Freiheit und Zwang
Beim Lob des Marktes gibt es drei weitere
Argumente, die zum Teil so etwas wie Unterpunkte unter den Punkt
Koordinationsleistung sind, die zum Teil aber auch eine etwas andere
Stoßrichtung einschlagen.
Eines lautet so: der Markt verdient ein Lob, weil
er eine gelungene Kombination von Freiheit und Zwang ist. Wer jemals
in der Volks-wirtschaftslehre über den Systemvergleich geredet hat,
oder über die Vorzüge der Marktwirtschaft, der ist auch mit der
Alternative konfron-tiert worden, freie Konsumwahl oder geplante
Bedürfnisse! Und da weiß man ja genau, was der Vorwurf des geplanten
Bedürfnisses sein soll: Irgendeine Zentralbehörde in der Hauptstadt
sagt, was die Menschen brauchen, als ob die es selbst nicht viel
besser wüßten, schreibt ihnen vor, was sie kriegen dürfen und was
nicht. Der Markt sei dagegen viel besser, weil die Menschen dort
frei entscheiden könnten, was sie haben wollen. Bei beiden Aussagen
ist eine kleine Unterstellung enthalten, die nicht ausgesprochen
wird. Der sozialistischen Produk-tionsweise wird zum Vorwurf gemacht,
daß den Leuten etwas vorent-halten wird, daß den Leuten ihre
Bedürfnisse diktiert werden, die sie gar nicht haben. Und der
Marktwirtschaft wird das Lob attestiert, daß man sich dort alles
frei aussuchen kann. Aber was kann man sich wirklich frei
heraussuchen? Wer dem Markt zugute hält, es fände eine freie
Konsumwahl statt, die Menschen könnten mit ihrem Geldbeutel frei
über ihr ‚Nutzenoptimum’ entscheiden, der redet über den Vorzug der
Marktwirtschaft in der Weise, daß er ihr zugutehält, daß der
Verzicht, daß der Ausschluß von Bedürfnis¬befriedigung in der
Marktwirtschaft eben über die Dicke des Portemonnaies geregelt ist.
Ja, beschränkt ist die Konsumfähigkeit in der Marktwirtschaft –
denken die – genauso wie in der Planwirtschaft, aber das Gute an der
Marktwirtschaft ist, daß dort jeder selbst entscheidet, wo man
zugreift und wovon man sich dadurch ausschließt (weil man sein Geld
ja dann schon ausgegeben hat). Das Gute an der Marktwirtschaft ist
also nicht die Befriedigung von Bedürfnissen, sondern die Freiheit
des Einzelnen dabei zu entscheiden, welches unbefriedigt bleibt. Und
die Planwirtschaft soll so schlimm sein. weil a) die Bedürfnisse
nicht befriedigt werden und b) man noch nicht einmal entscheiden
darf, welches unbefriedigt bleibt.
6. Der Markt als sinnvolles Mittel der Zügelung
von maßlosen
Bedürfnissen
Wenn also Marktwirtschaftler über die Methoden des
Zugangs zu Mitteln der Bedürfnisbefriedigung nachdenken, dann
denken sie über Methoden der Beschränkung des Zugangs zu den Mitteln
der Bedürfnisbefriedigung nach. Von dieser Basis aus vergleichen sie
dann die westliche mit der östlichen Wirtschaftsweise. Die Prämisse
ist die dabei die Härte, über die aber gar nicht groß debattiert
wird. Die Prämisse ist: natürlich muß man die Menschen beschränken
beim Bedürfnisbefriedigen, wo käme man denn dahin, wenn die Leute
all das bekommen können sollten, was sie brauchen. Dies ist ein
Grunddogma der Volkswirtschaftslehre! RECKTENWALD hat z.B. einen
ganzen Lehrstuhl damit bestritten – oder zumindest die ersten
Sitzungen – daß er den Menschen eine Ungleichung eingebleut hat:
B > G!
Die Bedürfnisse sind immer größer als die
Gütermenge, die Bedürfnisse können prinzipiell nicht und nie
befriedigt werden. Also, so der Schluß der VWL, ist die rationelle
Produktionsweise eine, die die Beschränkung der
Bedürfnisbefriedigung organisiert. Und erst jetzt kommen dann in
ihren Gedanken die Unterschiede von Markt- und Planwirtschaft zur
Sprache. Aber daß Planwirtschaft vielleicht etwas anderes sein
könnte, als eine un-freie Methode der Bedürfnisbeschränkung wird
überhaupt nicht in Betracht gezogen. In dem Gedanken, wie soll das
Politbüro wissen, was den Leuten guttut, wird immer so getan als ob
die Bedürfnisse erst ein Rätsel wären und zweitens prinzipiell nicht
zu befriedigen sind. Dabei ist in jeder Gesellschaft, die es jetzt
gibt, der Umkreis der existenten Bedürfnisse absolut fix und
bekannt. Man weiß z.B. wieviel Liter Bier in Deutschland im letzten
Jahr ausgeschenkt wurden, man weiß, wieviel man produzieren muß, um
wenigstens den Stand des letzten Jahres wieder zu erreichen. Man
weiß auch wieviel Kartoffeln gegessen wurden, man weiß wieviel
Häupter in dem Land leben, wieviel Wohnraum man also bräuchte, wenn
man jedem Menschen xy Quadratmeter geben wollte. Das sind doch keine
Rätsel. So zu tun, als ob die Bedürfnisse eine schwer
herauszufindende Angelegenheit wäre ist schon selber die ganze
Ideologie.
- Zwischenfrage: Aber ist es nicht doch so, daß
die Bedürfnisse ziemlich grenzenlos sind, will denn nicht jeder
lieber eine größere Wohnung als eine kleinere, will denn nicht jeder
lieber eine komfortablere als eine weniger gut ausgestattete usw.?
Ja, so lautet ein gängiger Einwand dazu. Was ist
dazu zu sagen? Erstens ist es ein Dokument davon, daß es ein
gehöriges Maß an unbefriedigten Bedürfnissen gibt. Es wird damit
geäußert, daß diese Bedürfnisse befriedigt werden sollten. Aber so
will es ja niemand hören. Jeder will diesen Einwand schon als Beweis
dafür ansehen, daß das nicht geht. Das Argument soll zu der Einsicht
führen: Ja, stimmt, also wenn jeder lieber nicht so beengt wohnen
wollte, das geht nicht, das ist ja klar, also muß man eine Methode
der Beschränkung finden. Dieser Schluß soll so schnell passieren,
und er passiert ja auch immer und überall. Aber ich plädiere dafür
zunächst mal zu sagen bzw. zu fordern: dann baut doch gefälligst
erstmal solche Wohnungen und in einer Zahl, so daß alle Leute
anständig wohnen, und das heißt dann eben, daß nicht 5 Leute auf 75
qm wohnen müssen, sondern meinetwegen soll jeder 30 qm kriegen, oder
so. Nun ist natürlich klar, was mir derjenige entgegen wird, der die
Beweisabsicht hat, daß Bedürfnisse niemals zu befriedigen sind. Er
wird fragen: Warum nicht jedem 130 qm? Warum nicht jedem eine
Villa?! Diese Reihe läßt sich natürlich beliebig fortführen bis man
schließlich zu den tatsächlich nicht mehr vermehrbaren Gütern kommt:
Wollen nicht alle Grundbesitz und zwar so weitläufig, daß dann der
Grund für die 80 Millionen Einwohner in Deutschland nicht mehr
reicht? Dann hat man endgültig sowas wie einen Naturbeweis der
notwendigen Beschränkung.
Was leistet dieser Einwand? Der Reiz des ganzen
Verfahrens besteht darin, daß man sich absichtlich von den
Bedürfnissen entfernt, die es gibt, die die Leute wirklich haben.
Und nur um des Prinzips willen treibt man dies ins Extreme, bis
bewiesen scheint, daß man immer ein Bedürfnis findet, das größer ist
als die Möglichkeiten der Befriedigung. Am Schluß landet man dann
bei solchen Sachen wie: von Kindern handgeknüpfte Perserteppiche,
von Hand zusammen¬gebastelte Sportautos... Da muß man zustimmen:
lauter Autos, die von Hand zusammengebastelt sind und dabei bei
jedem einzelnen soviel Arbeitszeit verschlingen, wie ein Mensch das
ganze Jahr zum Leben braucht – das kann man ganz bestimmt nicht für
alle machen, da verhungern sie ja inzwischen. An der Stelle greift
also derjenige, der beweisen will, daß Bedürfnisse doch größer sind
als die Möglichkeiten zu ihrer Befriedigung, zu Objekten, die
wirklich unmittelbar Ausbeutung sind, zu Produkten, von denen man
sagen muß: Die gehen doch bloß wenn man andere Leute von der
Bedürfnisbefriedigung ausschließt. Wenn man sich zu solchen
Beweismitteln versteigt, dann gefällt mir das, weil das schon fast
der Beweis ist, den ich haben will.
- Zwischenfrage (sinngemäß): Aber gibt es denn
nicht auch rationelle Schranken hinsicht¬lich der Leistungsfähigkeit
einer Volkswirtschaft? Kann man denn einfach beispielsweise doppelt
soviel Weizenbier herstellen wie im Moment? Sind das nicht auch
Fragen, die bei diesem Thema zu behandeln wären?
Zum einen finde ich das Beispiel unbrauchbar. Da
gibt es wirklich keinen Menschen auf der Welt, der bestreiten würde,
daß man doppelt soviel Weizenbier herstellen kann. Zum anderen ist
es zwar o.k. zu fragen, wieviel Produktion von einem bestimmten Gut
denn tatsächlich möglich ist. Damit springt man dann aber raus aus
der Überlegung, wie die Rechtfertigung der Marktwirtschaft an der
Stelle läuft, nämlich indem ihre Verfechter sagen: Die Beschränkung
der Bedürfnisse muß sein und da ist es gut, wenn die Beschränkung
über das Geld hergestellt wird, weil sich dann jeder selbst aussuche
kann, wobei man sich ein-schränken möchte. Da steckt aber eine
Unterstellung drin, nämlich, daß die Beschränk¬ung sein muß.
- Zwischenfrage (unverständlich):...
Die ganze Überlegung „da gibt es keine Lösung“
gefällt mir nicht, weil Du so tust, als wenn die ganze Welt nach
Möglichkeiten suchen würde, wie man die Bedürfnisse besser
befriedigen könnte – und dann gibt es keine Lösung dafür. Der
Gedanke will ganz woanders hin, der will sagen: Ein Gemecker gegen
unsere Wirtschaftsordnung verbietet sich, weil es die optimale Weise
ist, wie man die Möglichkeit der Bedürfnis-befriedigung mit den
begrenzten Ressourcen versöhnt.
Noch einmal zu den beiden Unterstellungen, die da
gemacht werden. Zum einen steckt die Unterstellung drin, daß
Bedürfnisse grenzenlos sind. Dieser Gedanke ist verkehrt.
Bedürfnisse sind nicht grenzenlos, sondern jedes Bedürfnis hat sein
Maß. Beispiel: Es ist Schwachsinn anzunehmen, daß Bedürfnis nach
Bier wäre grenzenlos; mag ja sein, daß jemand pro Abend 6 Weizenbier
haben will, aber dann liegt er eben unter dem Tisch und will nicht
noch 12 oben drauf gießen. Dies gilt prinzipiell auch für alle
anderen Bedürfnisse; da gibt es gewiß viele unbefriedigte, aber
jedes ist für sich nicht grenzenlos, sondern hat sein Maß.
Die zweite Seite ist: Die Produktion hat ihre
Mittel und bemißt sich am Stand der Produktivität und an der
verfügbaren Arbeit. Aber dieses marktwirtschaftliche ‚Argument’ will
weder in die Richtung zu fragen, wie groß denn die produktiven
Möglichkeiten wirklich sind, das fragen sie ja gar nicht, noch geht
es in die Richtung fragen, welche Bedürfnisse es denn wirklich gibt,
damit man sie dann befriedigt. Es ist ganz anders. Die sagen, der
jetzige Zustand ist eine ziemlich optimale Koordination dieser
beiden grundsätzlich nicht zur Deckung zu bringenden Größen. Das ist
der Reiz dabei und auch das ideologisch Schwindelhafte: Daß gar
nicht behauptet wird, die Bedürfnisse kommen doch zum Zuge. Die
Behauptung lautet vielmehr: Die Bedürfnisse kommen auf die
bestmögliche Weise zum Zuge, mehr geht nicht.
- Zwischenfrage (teilweise unverständlich): es
geht nochmal um den technischen Sachverhalt; es wird gesagt, daß es
in jeder Wirtschafts-weise beim gegebenen Stand der Technik,
Produktivität und zur Verfügung stehenden Ressourcen zu Konflikten
zwischen Bedürfnissen kommen kann, die nicht gleichzeitig zu
befriedigen sind; also z.B. wenn die insgesamt landwirtschaftlich zu
nutzende Fläche gegeben ist, und man baut dann mehr Kartoffeln an,
dann muß man auf der anderen Seite weniger Weizen in Kauf nehmen.
Ja, das Problem, das Du aufwirfst ist, ist eine
Variante der Gleichung B > G. Und der Gedanke ist nicht gut. Aus
folgendem Grund: die Bedürfnisse, die ein Individuum oder eine
Gesellschaft gelten lassen will, für die muß es bzw. sie dann halt
den nötigen Aufwand treiben. Wenn man mehr will, muß man halt mehr
Aufwand treiben. Wenn der Arbeitstag länger ist, kann man auch mehr
herstellen. Wenn man mehr Freizeit will, dann muß man auch mit
weniger zufrieden sein. Das gilt für das Individuum genauso wie für
die Gesellschaft. Insofern ist die Behauptung, man hat immer mehr
Bedürfnisse, die befriedigt werden sollen als man befriedigen kann,
verkehrt. Die, die man sich vornimmt, für die muß man halt bereit
sein, den nötigen Aufwand zu treiben. Und am Aufwand hat man
vielleicht auch ein Maß für die Wichtigkeit der Bedürfnisse!
- Zwischenfrage (teilweise unverständlich): Ja,
für die Güter / Bedürfnisse, von denen Du sprichst, ist das o.k. Aber
dann gibt es ja noch sowas wie Rohstoffe, die einfach tatsächlich
begrenzt sein können...
Ja, richtig, mit diesen Beschränkungen muß man
dann halt umgehen. Es ist bloß wichtig dabei, den Unterschied zur
Behauptung der VWL zu erkennen, die sagt, daß ich immer mehr
Bedürfnisse habe als ich befriedigen kann und dann fein raus bin,
wenn ich meine Selbst-beschränkung über den Markt betreibe. Nochmal:
Jedes Bedürfnis hat sein Maß in sich, so sind sie überhaupt nicht
endlos, und bei der anderen Hälfte des Musters dieser Einwände,
gerät man ins Träumen: Man sucht mutwillig Beispiele aus einem
Bereich des Nicht-Realisierbaren oder eines, was so far out of reach
ist, daß jeder sofort merkt, da soll jetzt ein Beispiel für
Nicht-Realisierbarkeit gefunden werden, damit man dann sagen kann,
ja siehste, da hast Du die Zeit nicht dafür. Ja gut, wenn man die
Zeit dafür nicht hat, dann soll man es sich bitte schön auch nicht
vornehmen! Also: Eine Planwirtschaft besteht darin, daß man sich die
Bedürfnisse vornimmt, die sie befriedigen will, die kollektiv
befriedigt werden sollen, und dann den dafür nötigen Aufwand
organisiert. Planwirtschaft besteht nicht darin, eine Methode zu
finden, wie man zunächst mehr Bedürfnisse ins Auge faßt als man
befriedigen kann, um dann die optimale Mindererreichung davon zu
erreichen. Letzteres ist aber das Bild, welches die Markt-wirtschaft
von sich haben will.
7. Der Markt als Verhinderung des Machtmonopols
der Produzenten
Neuer Punkt. Das Lob des Marktes als ein Lob des
Zwangs, der mit Freiheit verbunden ist gibt es auch auf der Seite
der Produktion. Umgekehrt gibt es einen diskreditierenden Namen für
die Planwirt-schaft: Kommandowirtschaft. Bei dieser Bezeichnung hört
jeder sofort raus, daß das etwas ganz schlechtes sein muß, etwas,
bei dem man an Kaserne oder ähnliches denkt. Was ist dagegen unsere
Marktwirt-schaft? In erster Instanz eine freie Wirtschaft. In der
Marktwirtschaft ist jeder frei, das herzustellen, was er sich
vorstellt und die Ressourcen dafür aufzuwenden, die er als lohnend
erachtet. Das ist aber nur die erste Hälfte. Kaum ist die Freiheit
gelobt, gesellt sich ein Lob des Zwangs dazu: Gott sei dank haben
wir den Zwang des Marktes, der uns vor einer Produzentendiktatur
bewahrt. Bei der Kommando-wirtschaft war die arme Produktion vom
Politbüro gezwungen. Im nächsten Gedanken wird ein freier Produzent
in der Marktwirtschaft vorgestellt, von dem man denken könnte, er
herrsche über die Gesellschaft. Dann wird der Markt als feines
Heilmittel dagegen eingeführt, weil er verhindert, daß der Produzent
diktatorisch über die Konsumenten herrscht.
Wiederum gibt es hier eine Unterstellung, und zwar
bei beiden Wirtschaftsweisen, bei der Kommandowirtschaft genauso wie
bei der Produzentendikatatur. Die Unterstellung besteht darin
anzunehmen, daß die Leute, die doch in einer insgesamt als nützlich
befundenen Arbeitsteilung eingebunden sind, unbedingt was anderes
machen wollen als die Bedürfnisse derer zu befriedigen für deren
Bedürfnisse sie produ-zieren. Es wird befürchtet, daß die Produzenten
ohne Zwang etwas anderes tun als nützliche Dinge für den Bedarf zu
produzieren. Der Gedanke findet sich bei der Vorstellung der
unfreien Wirtschaft, der Kommandowirtschaft auch wieder und wird
allerdings dann als Unrecht gebrandmarkt, nämlich daß eine Zentrale
den Produzenten vorschreibt, was sie zu tun haben. Da wird nach
beiden Seiten hin ein Interessens-gegensatz unterstellt, der aber
nicht ausgeführt wird.
Warum ist es denn so, daß die Produzenten am
liebsten nicht das produzieren, was die Leute brauchen? Also, warum
muß man dem Markt danken, daß er nachfrage-gerechte Produktion
erzwingt? Warum muß man es dem Markt danken, daß er die Produzenten
zur Effizienz zwingt? Man tut so, als wäre es so klar, daß
Produzenten, die nicht gezwungen sind, nie einen Beitrag zur
Arbeitsteilung leisten würden. Umgekehrt aber: Produzenten, die von
einer Zentrale gezwungen werden, die werden unterjocht. Also:
Gezwungen werden müssen die Produzenten, aber von einer Zentrale
nicht, das wäre Unrecht!
Nochmal andersherum: Wenn man denn tatsächlich an
eine Arbeitsteilung denken würde, eine Teilung der notwendigen
Arbeit, d.h. der eine macht dies, der andere jenes, damit am Schluß
ein großer Umkreis an Produkten herauskommt und entsprechend ein
großer Umkreis an Bedürfnissen befriedigt wird. Wenn es da eine
Zentrale gibt, die sagt, Du machst Stiefel, und Du machst Sandalen,
was soll diesen Produzenten denn an Unrecht angetan werden? Es ist
doch nicht schlimmer Sandalen zu machen als Stiefel zu machen oder
umgekehrt. Da ist der Gedanke der Unterdrückung des Produzenten
durch ein Politbüro gerade so verkehrt wie umgekehrt der Gedanke,
daß man die Produzenten zwingen muß, daß sie Sandalen machen. Ja,
was sollen die denn sonst machen außer Sandalen. Merkt ihr den
Trick? Längst ist in der Unterstellung an die Privatwirtschaft
gedacht, daran gedacht, daß der Anbieter einer Ware am liebsten
Schund produziert und dafür ´ne Million kassiert. Längst ist also an
den Interessensgegensatz der Privatwirtschaft gedacht, aber von
diesem wird nicht geredet, denn wenn man über ihn reden würde, dann
käme ja eine Kritik der Marktwirtschaft heraus. Jetzt ist also der
Interessensgegensatz der Privatwirtschaft unterstellt, der wird aber
jeder beliebigen Form der Arbeitsteilung quasi wie eine
Natureigenschaft untergejubelt, um dann den Zwang des Marktes wie
das segensreiche Heilmittel gegen den schlechten Menschen
einzuführen, der als Produzent am liebsten den Konsumenten bescheißt
und als Konsument am liebsten den Produzenten ausnutzt.
8. Verpflichtung zur Effizienz und Ausgleich von
Konsumenten-
und Produzenten¬interesse - ganz ohne Kommando
Der Markt – Gott sei dank gibt es ihn und keine
Produzentendiktatatur – zwingt also angeblich zur Effizienz, zu
kostengünstiger Produktion, zu Qualität. Ist das eine Wahrheit? Wozu
dient denn der Markt tat-sächlich? Nun, zu einer Produktion, die am
Markt erfolgreich ist, und zwar hinsichtlich des Zwecks, auf den es
bei der Marktwirtschaft ankommt. Dazu zwingt der Markt tatsächlich.
Jeder Anbieter steht in Konkurrenz zu allen anderen Anbietern und er
muß sich mit seinem Marktanteil gegen die andern Anbieter
durchsetzen, sonst findet quasi eine Enteignung von ihm statt, sonst
besitzt er schnell nichts mehr, hat er keinen Erfolg am Markt. Aber
was ist das, wozu er da gezwungen wird? Gezwungen wird er erstens zu
seinem eigenen Zweck, nämlich am Markt Geld zu verdienen, und
zweitens, das dafür nötige zu tun. Und das hat überhaupt nichts zu
tun mit Effizienz, mit Qualität oder mit bedarfsgerechter
Produktion. Es hat was mit Effi-zienz beim Geldverdienen zu tun. Was
heißt schon Effizienz? Dies ist übrigens ein wichtiger Punkt: Man
wird oft intellektuell beschwindelt, wenn über Effizienz gesprochen
wird, denn bei Effizienz muß man immer spezifizieren, was der
Maßstab ist, wobei Effizienz erreicht werden soll. Effizienz heißt
an sich: eine Tätigkeit wird ihrem Zweck entsprechend gemacht, und
zwar ihrem Zweck entsprechend gut. Aber welchem Zweck da entsprochen
wird, das wird gar nicht mehr gesagt. Jeder stimmt heutzutage in den
Chor derer ein, die sagen, daß alles möglichst effizient laufen muß.
Aber die Nachfrage, wobei man effizient sein soll kommt schon gleich
nicht mehr vor. Also eins stimmt: Natürlich müssen
marktwirtschaftliche Produzenten effizient produzieren. Aber
effizient in welchem Sinn? In dem Sinn, daß ihre Kosten klein sein
müssen, so daß im Verkaufspreis ein Gewinn steckt. Gibt es sonst
noch ein Kriterium der Effizienz in der Marktwirtschaft? Das ist
sehr die Frage, ich komme später noch einmal darauf, daß Effizienz
in unserer Gesellschaft etwas völlig anderes ist als zweckmäßiges
Arbeiten. Man kann es auch andersherum ausdrücken: Der Markt zwingt
nicht zur Effizienz, sondern der Markt definiert, was in dieser
Gesellschaft Effizienz ist.
Also z.B. das Thema Qualität. Zwingt der Markt zur
Qualitäts-produktion? Einen Scheiß tut er! Der Markt zwingt zu einer
Produktion, die der Nachfrage entspricht, die geeignet ist, die
Nachfrage auszu-nutzen, die geeignet ist, das Geld in den Geldbeuteln
der Bürger auf sich zu ziehen. Und dafür ist Schund gerade recht,
wenn er zu der Armut der Kundschaft dazu paßt – also von wegen
Qualität, das stimmt doch nicht! Unser Land ist gerade vom BSE-Thema
beherrscht – ja, da hat der Markt mal wieder prima funktioniert,
übrigens prima funktioniert. Alle Beteiligten beschwören, daß es der
Markt war, der sie zu diesem Handeln gezwungen hat. In den Medien
wird nach Schuldigen gesucht und es werden welche gefunden: die
Bauern sind die Schweine, denn die haben das falsche Zeug
verfüttert, die Tiermehlproduzenten sind die Schweine, denn sie
haben giftiges Tiermehl ins Futter gemischt, die EU ist der
Übeltäter, weil die die Interventionspreise für Rindfleisch so
furchtbar gesenkt hat usw. Und am Schluß ist sogar der Konsument
schuld, weil der ja immer das billige Fleisch wollte. Das ist
lustig. Der Bauer sagt nun, er habe doch bloß das gemacht, was
marktwirt-schaftlich rationell ist, er habe doch nur geschaut, daß er
das Rind so kostengünstig produziert, daß er es zu einem Preis
anbieten kann, zu dem er es auf dem europäischen Markt losschlagen
kann, und dabei ist er immer effizienter geworden. Das ist er
wirklich, er hat immer weniger Kosten ins Kilo Rindfleisch stecken
müssen. Na, dann kommt halt sowas wie BSE dabei heraus. Auch der
Konsument hat sich perfekt marktwirt-schaftlich verhalten, er
vergleicht die Angebote und nimmt dann das kosten¬günstigere, das
ist ja seine Aufgabe. Jetzt kriegt er es plötzlich als Vorwurf zu
hören, daß er bloß immer das billigste Fleisch wollte. Da haben wir
einen wunderbaren Fall dessen, daß natürlich in der Marktwirtschaft
die Verfälschung des Gebrauchswertes ein Mittel des Erwerbs ist! In
einer Wirtschaft, wo es eben den Interessensgegensatz von Produzent
und Konsument gibt. Aber den gibt es nicht in der Natur, den gibt es
nicht in jeder Produktionsweise der Weltgeschichte, sondern nur in
der, in der privat produziert wird. Und erst wenn die Käufer von der
permanent betriebenen Verfälschung des Gebrauchs-wertes etwas merkt,
muß er sich entscheiden, ob er den billigen Schund kauft, weil er
sich nicht mehr leisten kann, oder ob er mehr Geld hinlegt, um eine
bessere Qualitätsstufe zu kaufen. Aber daß es in unserem ausgebauten
Wirtschaftswesen von jedem Produkt 100 Qualitäts- und Preisstufen
gibt, also immer auch für die Armut ein Angebot existiert, wenn auch
ein schlechtes, das zeugt davon, daß die Produktion perfekt
marktgerecht angepaßt ist. Auf jeden Geldbeutel hat man sich als
Anbieter spezialisiert. Es gibt die Luxusanbieter, auch beim
Fleisch, und es gibt auch die Kunden, die das Luxus-Fleisch kaufen,
das hängt halt an ihrem Geldbeutel und wieviel sie haben.
Die Behauptung, der Markt sorge für Qualität, ist
eines der schönsten Märchen über die Marktwirtschaft. Der Markt
zwingt nur zu zweierlei: Erstens zu einem vergleichbaren Angebot und
zweitens zu einem der Armut oder dem Reichtum der Kundschaft
angepaßten Angebot. Umgekehrt: der Erwerbstrieb reizt an, dauernde
Experimente zu machen in punkto Qualität, versuchen die Qualität
beständig zu senken, ohne daß die Käufer es merken. Wenn die Käufer
es merken, dann ist das preisschädigend, aber bis dorthin ist die
Qualitäts-minderung ein einziges Kunstwerk, z.B. bei der
Lebensmittelver-fälschung, die es übrigens schon seit hunderten von
Jahren gibt und bei uns eben in der ganz modernen Form des
Rinderwahnsinns. Im nächsten Jahr dann vielleicht als
Salmonellenskandal, oder in der Form, daß Hühner mit Klärschlamm
gefüttert werden oder oder oder – das hört ja nicht auf. Und alles
das ist Marktwirtschaft, weil sich alle Beteiligten perfekt
marktgerecht verhalten.
Fazit zu diesem Punkt: Der Markt zwingt zur
Effizienz, aber nicht zur Effizienz der konkreten Arbeit, des
Herstellens von Gütern überhaupt, sondern er zwingt zur Effizienz in
der Kostenfrage, er zwingt dazu bei einem gegebenen Verkaufspreis
immer weniger Kosten zu verausgaben. Und ob das dasselbe ist wie
rationell zu produzieren, das bezweifle ich doch sehr.
9. Der Markt als spontane und selbstregulierende
Organisation
der Produktion
Es gibt eine weitere Opposition zwischen Markt-
und Planwirtschaft. Da steht die geplante und deshalb unflexible
Arbeitsteilung der Planwirt-schaft gegen die spontane und
selbst¬regulierende Arbeitsteilung der Marktwirtschaft. Auch dies
gehört zu den volkswirtschaftlichen Grundansichten, die im Prinzip
jeder schon einmal gehört hat, der sich etwas damit befaßt hat. Die
Behauptung ist: Im Osten hat es eine geplante Arbeitsteilung
gegeben, bei der eine politische Behörde vorgegeben hat, wie groß
der Stahlsektor sein muß, wie groß die Autoindustrie sein muß usw.
Alle Abteilungen des nationalen Produ-zierens wurden in puncto
Qualität und Quantität politisch reguliert. Dagegen reguliert sich
das in der freien Marktwirtschaft von selber, und zwar auch noch
viel besser als wenn es geplant wäre, denn die Zentrale kann gar
nicht wissen, was es in der Gesellschaft alles braucht, sie kann
nicht schnell und flexibel reagieren, wenn sich am Bedarf was
ändert.
Zu dieser Behauptung gibt es zweierlei zu sagen.
Die eine Hälfte habe ich vorhin schonmal gesagt unter der
Überschrift, „von wegen Koordinationsleistung“. Die nicht-geplante
selbst¬regulierende Arbeits-teilung der Marktwirtschaft, die so
gelobt wird, ist doch nichts anderes als daß Tausende von Menschen
probieren, ob sie eine Nische in der Arbeitsteilung finden, in der
sie Geld machen können. Und manche schaffen es und andere ruinieren
sich damit, arbeiten ein halbes Leben und stellen dann fest, daß sie
pleite sind. Jede Menge Leute machen sich selbständig, versuchen die
Nische in der Arbeitsteilung zu finden, und wenn das die rationelle,
spontane selbstregulierende Arbeitsteilung ist, dann ist an der
Stelle richtig auffällig: die menschlichen Opfer, dieser
Arbeitsteilung werden einfach nicht gezählt.
Die andere Hälfte ist die: Es wird auch deutlich,
daß sich die Gesellschaft in einer Marktwirtschaft die Arbeit nicht
teilt. Es ist doch gar nicht so, daß da welche sagen, wir brauchen
soviel von dem und soviel von diesem, sondern: alle möglichen
Bewerber versuchen sich ins Angebot hinein zu drängen, häufig genug
indem sie andere verdrängen. Und das, was dann am Schluß dabei
herauskommt, das nennt man dann Arbeitsteilung, obwohl nie die
Arbeit geteilt worden ist. Die Kooperation, die mit dem Wort
Arbeitsteilung eigentlich gemeint sein sollte, also das
Aufeinanderbeziehen der qualitativ und quantitativ bestimmten
Abteilungen der Produktion in einer Gesellschaft, die passiert
überhaupt nie in der Marktwirtschaft. Das Ganze ist vielmehr das
Ergebnis eines Kampfes, in dem es Sieger und Verlierer gibt.
Es gibt bei der Behauptung, daß man eine
Produktion nicht planen könne, noch einen ulkigen Aspekt: Als ob der
Markt das Wissen um die konkrete Arbeitsteilung der Unternehmer
ersetzen würde. Es ist doch nicht so, daß der Unternehmer blind auf
den Markt stolpert und sagt, jetzt schaue ich mal,, was ich kriege.
Wer ein Auto herstellt, der weiß von sich, wieviel Plastik er
braucht, wieviel vorgefertigte Plastikteile er braucht, wieviel
Drähte er braucht, wieviel Stahlblech er braucht usw. Und all das
weiß er qualitativ und quantitativ bestimmt. Und nicht nur das. Er
kennt auch seine Lieferanten. Er weiß auch, ob sein Lieferant in der
Lage ist, eine Ausweitung des Bedarfs mitzumachen, oder ob er sich
da noch einen anderen suchen muß. Es stimmt doch nicht, daß in der
Planwirtschaft geplant wird, und das geht gar nicht, und in der
Marktwirtschaft jeder mal ausprobiert und schaut, und das geht viel
besser. In der Marktwirtschaft wird auf Teufel komm’ raus geplant!
Aber halt für einen anderen Zweck. In der Fabrik wird minutiös
geplant, ein Fließband ist eine totale Planung der Arbeit, und wenn
es keine Fließbänder mehr gibt und statt dessen Gruppenarbeit
eingeführt wird, dann wird erst recht noch viel mehr geplant;
„just-in-time“, ein durch und durch getakteter Prozeß, da fehlt es
wirklich nicht an Planung. Aber nicht nur in der Fabrik. Auch
zwischen den Fabriken und den Lieferanten findet jede Menge Planung
statt, inzwischen als elektronische Verknüpfung der beiden
Produktionen. Und sogar das, was man gar nicht planen kann, planen
sie in unserer Gesellschaft: Marktforschung betreiben sie und
versuchen damit ihren Absatz zu planen! Du liest heute, wieviel
Autos Mercedes, VW, Ford nächstes Jahr verkaufen werden. Und dann
sagen sie: Planung geht nicht – irgendwie haben die doch nicht mehr
alle Tassen im Schrank!
Der Vergleich der beiden Produktionsweisen
Marktwirtschaft-Planwirt-schaft ist verkehrt, dazu habe ich vorhin
schon viel gesagt. Jetzt kommt noch eine neue Fassung des
Verkehrtseins: Planwirtschaft legt viel weniger fest als
Sozialismus; daß eine nationale Wirtschaft zentral geplant wird ist
noch lange kein Sozialismus. Es kommt schon noch darauf an, für
welchen Zweck geplant wird. Jede Kriegswirtschaft ist eine
Planwirtschaft. Der Kaiser und der Hitler haben auch
Planwirtschaften aufgezogen, zumindest teilweise. Also, daß eine
Wirtschaft geplant wird, das würde uns noch nicht reichen, es käme
schon noch ein bißchen darauf an zu welchem Zweck geplant würde,
welches Lohnen gelten soll. Und da gibt es noch viel mehr
Gesichtspunkte von Lohnen, als bloß einen möglichst großen Output
herzustellen; z.B. wie die Arbeit vorkommt, ob man ein bißchen
geschont wird, ob der Mensch nach der Arbeit nicht völlig ausgelaugt
ist, sondern noch was vom Leben neben der Arbeit hat usw. All diese
Seiten des Lohnens gibt es doch auch noch. Und Marktwirtschaft
andererseits legt viel mehr fest als eine Methode der Koordination.
In Marktwirtschaft steckt – unausgesprochen zwar aber doch sehr
definitiv – schon der Zweck der ganzen Produktionsweise, da komme
ich jetzt dazu.
10. Der Markt – kein Ort, sondern die Zirkulation
des Kapitals -
Diskussion: Der Markt als die effizienteste Antwort
auf die
Unvernunft des Menschen
Marktwirtschaft – was sagt sie denn nun über das
Produzieren und seinen Zweck? Nun, Markt ist kein Ort (Marktplatz),
sondern Markt ist der Umstand, daß alle Produkte Waren sind, daß
also jeder, der was herstellt, die Sache für sich zu einer
ökonomisch sinnvollen Operation nur dadurch macht, daß er einen
Käufer findet, der ihm Geld dafür gibt. Das ist Markt. Insofern ist
bei Marktwirtschaft eine Form der Arbeitsteilung unterstellt: ohne,
daß jeder etwas anderes produziert, gäbe es keine Marktwirtschaft.
Bei den berühmten Subsistenzbauern braucht es keinen Markt, die
haben einfach untereinander nichts miteinander zu tun. In der
Marktwirtschaft produziert jeder für den anderen, aber die
Befriedigung des Bedürfnisses des anderen ist kein Zweck. Das ist
eine sehr merkwürdige Form der Arbeitsteilung: Jeder produziert für
das Bedürfnis des anderen und dabei nur für sich selber. Das
Bedürfnis des anderen ist vonnöten, es ist aber nicht der Zweck der
Produktion. Es ist nicht so, daß einer die Schuhe herstellt, die ein
anderer braucht, damit der dann die Schuhe hat, sondern: das
Bedürfnis des anderen ist die Schwäche bei der er gepackt wird. Daß
der Konsument meine Ware braucht, ist mein Hebel dafür, ihm Geld aus
der Tasche zu ziehen. Und jeder hat das Bedürfnis mit seiner Ware,
die er herstellt oder die er zu verkaufen hat (bei vielen ist es ja
so, daß sie sich selber verkaufen bzw. ihre Arbeitszeit) möglichst
viel Geld zu kassieren. Und nun muß man sich mal die Aussagen der
VWL ins Gedächtnis zurückrufen, die behauptet, daß der Zweck jeder
Wirt-schaftsweise die Herstellung nützlicher Güter ist... Die
allererste und aller abstrakteste Entdeckung über unsere
Wirtschaftsweise ist: die Herstellung nützlicher Güter ist nicht der
Zweck sondern das Mittel. Für jedes Mitglied der
Wirtschaftsgemeinschaft ist nicht die Herstellung nützlicher Güter
der Zweck sondern der Erwerb von Geld, die Güter sind dafür
lediglich das Instrument. Und was ist Geld in erster Instanz? Geld
ist das Kommando über die Warenwelt, das Instrument, mit dem ich mir
die Produktionen aller anderen immer zugänglich machen kann.
- Einwurf: Die Marktwirtschaft ist doch deshalb so
erfolgreich, weil sie der schlechten Menschennatur gerecht wird,
oder?
Schauen wir auf das Wesentliche bei diesem Punkt.
Es gibt in der Literatur auch viel Auskünfte in der Richtung, daß
andere Wirtschafts-weisen und insbesondere die Planwirt¬schaft die
Vernunft der Menschen überschätzt haben. Das erste Gegenargument
dazu lautet: Was heißt schon erfolgreich? Der reale Vergleich
zwischen der Markt-wirtschaft und dem real existierenden Sozialismus
war gar kein gewaltfreier wirtschaftlicher Leistungsvergleich,
sondern da war immer Gewalt mit im Spiel, wofür der Kalte Krieg die
Chiffre ist. Da gibt es sogar welche, die die Frage nach dem
„besseren“ Wirtschaftssystem dann auf diesen Gewaltvergleich
beziehen und fragen: ja, und wer hat denn die besseren Waffen
gebaut? Wer konnte denn wen totrüsten? Also ist der Kapitalismus
doch das bessere System! Das zweite ist folgendes: Du kommst mit
einer Antwort und zwar mit der letzten Antwort, die überhaupt bei
solchen Debatten geht, und das ist das Argument: Ich weiß, der
Mensch ist schlecht. Das ist übrigens auch bei den anderen
Geisteswissenschaften der Fall. Am Schluß jeder Debatte wird
festgehalten: das müßte doch aber vernünftigerweise nicht sein, aber
leider ist der Mensch unvernünftig, und unter dieser Prämisse muß es
eben doch sein. Hauptgegenargument: Woher weißt Du, daß der Mensch
so schlecht, so blöd, so unvernünftig ist? Woher kennst Du die Natur
des Menschen? Diese Gegenfrage zielt auf folgenden Punkt: Naja, Du
weißt es aus der Gesellschaft, die Du hier vor Dir hast, woher
willst Du es auch sonst wissen. In der hiesigen Gesellschaft sind
doch aber die Leute tatsächlich zu feindlichen, zu gegensätzlichen
Interessen genötigt. Wer ein Privateigentümer ist und am Markt
Erfolg haben will – und da kommt es überhaupt nicht auf seinen
Charakter oder seine Einbildung an, darauf, was er sich wünscht und
denkt – dann muß er sich gegen andere Anbieter durchsetzen. Das ist
keine Frage des Möchtens sondern des Müssens. Jetzt drehst Du es rum
und sagst: Daß er im Markt steht, und daß er das jetzt muß, das
kommt daher, daß er es in seinem Inneren immer schon will und
gewollt hat. Und dann ist es günstig, wenn es in der Form des
Marktes abläuft und nicht in der Form des Kampfes ‚alle gegen alle’.
Einen anderen Beweis als die Tatsachenfeststellung, in unserer
Gesellschaft stehen die Menschen in feindlichen Gegensätzen, hast Du
gar nicht. Dann gibt es – Du hast es schon angedeutet – natürlich
noch die Hinweise bzw. Beweismittel, die auf andere Gesellschaften
und Kain und Abel und die Anthropologie zurückgehen. Der ganze Witz
der Anthropologie besteht darin, daß irgend jemand das, was er hier
in dieser Gesellschaft sieht, unbesehen, nämlich ohne weiteres
Argument für notwendig erklären will. Zu diesem Beweis¬ziel fängt er
glatt an, Naturvölker zu studieren, obwohl im die eigentlich an sich
völlig egal sind...
- Einwurf: ...unverständlich...
Ich gebe Dir recht, man sollte nicht sagen, der
Mensch ist böse aber nur wegen des Systems. Das streichen wir mal.
Den Gedanken, daß es sich um ein Zirkelverfahren handelt möchte ich
aber nicht gleich aufgeben, nämlich: aus der Betrachtung dieser
Gesellschaft und der Gegensätze, die es hier gibt, werden sie für
menschennotwendig erklärt, und zwar ohne weiteres Argument, indem
einfach die Gegen-sätze, in denen die Leute stehen zu ihrer Natur
oder zum Ausfluß ihrer Natur erklärt werden. Das möchte ich schon
festhalten. Und das noch stärkere Argument gegen die Behauptung, der
Mensch ist naturnot-wendig schlecht, wurde schon angedeutet: diese
Behauptung hat einen immanenten Widerspruch an sich. Wenn jemand
sagt, die Menschen seien blöd, dann möchte ich immer als erstes
zurückfragen: gilt das auch für Dich? Du bist blöd? Und wenn man es
dann wäre, dann unterläßt man seine Dummheiten nicht? Wenn ich
herausfinde, daß ich etwas blödes getan habe, dann höre ich doch
damit auf. Aber zu unserem bürgerlichen Weltbild, zum Weltbild
unserer Gesellschaft gehört, daß sich die Menschen für Idioten
halten, also es besser wissen(!), und gleichzeitig den Glauben
pflegen, daß sie es nicht ändern können. Und das ist eine Dummheit,
die nicht sein müßte. Jeder der sagt, der Mensch ist dumm, sagt
selber, er weiß es besser, sonst würde er es ja nicht sagen.
Bei dieser Weltbild-Diskussion gibt es auch häufig
dieses gegensätzliche Begriffspaar Egoismus/Altruismus. Im
Kapitalismus wären alle Menschen Egoisten und wenn sie Altruisten
wären, dann könnte es auch klappen mit dem Sozialismus. In diesen
Alternativen wird immer gedacht. Mein Vorwurf ist aber weniger, daß
die Menschen Egoisten sind und daß sie aufhören sollen Egoisten zu
sein und lieber statt dessen Altruisten werden sollen. Diese Predigt
kann man in jeder Kirche hören, das ist nicht meine. Das Argument
von mir ist: die Menschen sind schlechte Egoisten, die zweckmäßige
Versorgung von sich organisieren sie nicht zweckmäßig, deswegen
müssen sie viel mehr arbeiten als sie müßten, deswegen kriegen sie
viel weniger raus als sie könnten.
11. Der Erfolg am Markt ist gegen die
Erwerbsquelle derjenigen
gerichtet, die vom Verkauf ihrer
Arbeitskraft leben müssen
Bisher haben wir festgehalten: Die Marktwirtschaft
ist keine Methode, sondern in ihr ist bereits eine erhebliche Menge
Wirtschaftsweise definiert. Es ist eine Wirtschaftsweise, in der es
um Gelderwerb geht, in der die Produktion von Gütern nicht Zweck
sondern Mittel des Gelderwerbs ist. An dieser Stelle fehlt noch ein
Übergang. Wenn es um den Gelderwerb geht, dann wäre selber
produzieren und verkaufen, damit man Geld besitzt ein schlechter
Weg, weil man dann immer selbst das an Arbeit hineinstecken müßte,
was man hinterher dem Markt an Geld entzieht. Und so ist es ja dann
auch nicht. Ein viel besserer Weg zum Gelderwerb ist, Leute zu
kaufen, um die arbeiten zu lassen, also fremde Arbeit zu
organisieren und deren Produkt zu verkaufen. Wenn man den Markt
immer bloß an Geld immer nur soviel entziehen kann wie man in ihn
vorher durch persönliche Arbeit hineingesteckt hat, dann kommen
keine großen Reichtümer zustande. Große Reichtümer kommen zustande,
wenn man andere Leute arbeiten läßt und deren Produkt verkauft. Und
dann bekommt die Effizienz dieses Produktionsprozesses, von der
vorher schon mal die Rede war, ganz andere Eigenschaften als man
sich gemeinhin denkt, wenn man so locker von Effizienz redet.
Effizient im Sinne des Zweckes ist es dann vielleicht einmal die
Produktivität zu steigern, also z.B. bessere Maschinen zu kaufen.
Wofür ist das effizient? Um bezahlte Arbeit zu sparen. Ist das ein
Glück? Für den Unternehmer schon, für den Arbeitnehmer ist es die
Entlassung. Dann ist seine Erwerbsquelle kaputt. Effizienz in
unserer Gesellschaft ist gegen die Erwerbsquelle dessen gerichtet,
der seine Arbeitskraft verkaufen muß. Effizienz in der Produktion
läßt sich aber genauso gut erzielen, wenn man nicht die
Produktivität steigert, sondern wenn man die Leute einfach
schlechter bezahlt. Wenn nämlich bei Effizienz Kapitaleffizienz und
Kapitalproduktivität gemeint ist, dann ist schlechter bezahlen,
schneller arbeiten lassen genauso gut wie produktiver arbeiten zu
lassen. Alles ist das gleiche. Also: an dieser Stelle darf man
überhaupt nicht in das Lob derer einstimmen, die Effizienz für etwas
tolles halten, gar für vernünftig halten. Die Effizienz in unserer
Gesellschaft besteht darin, daß der Markterfolg umso größer ist je
weniger die Lohnarbeiter von ihrer Arbeit haben. Man merkt: Wenn es
nicht um die Effizienz der konkreten Arbeit geht, also um die
konkrete zweckmäßige auf nützliche Güter gerichtete Produktion,
kommen plötzlich ganz andere Gesichtspunkte von Effizienz ins Spiel.
12. Die Theorie von der ‚unsichtbaren Hand’ – die
Metaphysik der
VWL und ihr Nutzen für das wasserdichte Lob des
Kapitalismus
Einen Punkt will ich jetzt noch machen. Wenn man
an der Uni in einem VWL-Seminar sitzt und dem Dozenten im Ton der
Kritik sowas ähnliches erzählt, wie ich das hier gemacht habe – sagt
der dann, daß das doch ein großer Quatsch sei, die Welt ist nicht
so, wie ich behauptet habe? Nein, das wird er nicht tun. Sie sagen,
so ist es schon, aber das ist ja der Witz an der Marktwirtschaft,
daß lauter egoistische Interessen im Spiel sind, jeder denkt nur an
sich und unmittelbar ist der Erfolg des einen die Beschränkung des
Erfolgs, häufig genug der Mißerfolg des anderen, weil es ja
Konkurrenten sind. Und dann kommt aber ein großes Aber und sie
fangen an, den ADAM SMITH zu zitieren: Es gibt diesen allseitigen
Egoismus, aber dank der unsichtbaren Hand, der „invisible hand“ des
Marktes entsteht das ‚größte allgemeine Gut’. Ich will an diesem
Punkt nur eines erläutern, Die VWL kritisiert ihre Klassiker, also
die frühen Nationalökonomen (den Marx genauso wie RICARDO oder JOHN
STUART MILL) weil die von einem Wert geredet haben, nicht nur die
linken auch die rechten, der die Basis für das regelnde Gesetz des
Tausches und der Konkurrenz ist. Die VWLer können dies nicht
erken-nen und werfen den frühen Ökonomen vor, sie seien Metaphysiker,
weil sie mit dem Wert über etwas reden, was hinter den Fakten
steckt. Ich will mich da nicht einmischen, ob es gerechtfertigt ist
oder nicht, ich will nur den Maßstab beurteilen. Von etwas reden,
was hinter den Fakten steckt, das darf man auf keinen Fall, aber was
ist das denn mit der „invisible hand“? Was ist das überhaupt für
eine Aufforderung, betrachte das Marktgeschehen nicht auf der Ebene
auf der es passiert, bei der der Erfolg des einen der Schaden des
anderen ist, sondern tritt ein Stück zurück und schau quasi von
einer anderen Ebene auf die Sache, dann wirst Du sehen, daß hinter
dem Fakt des egoistischen Gegeneinanders ein größtes allgemeines
Gut steckt. Das ist die Aufforderung zur Metaphysik, die
Aufforderung dazu, die Dinge nicht zu analysieren wie sie sind,
sondern sich eine Anschauung dazu zuzulegen, z.B. die Anschauung,
daß der Markt der große Koordinator ist.
An diesem Punkt ist folgendes wichtig: Das Lob des
Marktes (er sei der große Koordinator, er bringt das größte
allgemeine Gut) ist nicht identisch mit der Behauptung, daß alles
zum besten steht, z.B. mit der Güterversorgungslage. Dieser
methodische Gedanke der Marktwirt-schaft, daß diese Wirtschaftsweise
einen tollen Mechanismus hat, dieser Gedanke macht sich frei von der
Behauptung, es stehe zum besten, man muß gar nicht leugnen, daß es
mitten in der herrlichsten Marktwirtschaft lauter
Mangelerscheinungen bekannt sind. Die Behauptung dieses tollen
Mechanismus ist vielmehr eine Methode, wie man auf kritische
Einwände reagieren kann, ohne daß man den Gedanken des größten
allgemeinen Guts fallen lassen muß. Beispiel: Wohnungsnot. Wäre das
Vorhandensein einer Wohnungsnot ein Beweis dafür, daß der Markt doch
nicht gut funktioniert? Was sagt die VWL dazu? Die sagt, daß nicht
der Markt sondern die Marktteilnehmer schuld daran sind. Die
Marktteilnehmer haben sich dann eben nicht marktkonform verhalten,
sie waren nicht bereit, für Wohnungen den angemessenen Preis zu
bezahlen. Infolgedessen wird dann natürlich weniger Wohnraum zur
Verfügung gestellt. Wenn dann wegen der Knappheit an Wohnungen die
Mieten steigen, sei das eine ganz natürliche Reaktion des Marktes.
Dies wird dann häufig noch mit dem kleinen Versprechen versehen, daß
damit immerhin die Grundlage gelegt ist, daß die Zahl der Wohnungen
(bald) wieder steigen wird, weil bei hohen Mieteinkünften die
Investitionen im Wohnungsbau wieder zunehmen. Ob das dann
tatsächlich passiert, sei nochmal dahingestellt.
Anderes Beispiel: Arbeitslosigkeit. Was sagt
derjenige, der die Koordinationsleistung immer hochhält? Der sagt
wieder, ja, am Markt liegt es nicht, die sind halt zu teuer die
Kerle und wären sie billiger, dann würde eine Markträumung ihres
Produkts stattfinden. Insofern ist die Theorie lustig. Sie behauptet
gar nicht, das es gut steht, sondern sie ist eine Theorie der
Schuldverteilung für alles, was irgendwer irgendwann schlecht
findet. Wenn irgendwas nicht stimmt, wenn irgendein national
anerkannter Mißstand auftritt, dann sagen die
Marktwirtschaftsideologen, ja, kann ja auch gar nicht anders sein,
wenn man sich nicht marktkonform verhält. Das ist ein lustiger
Gedanke, weil die erste Hälfte war doch: Die Menschen sind blöd, gut
daß es den Markt gibt, der sie koordiniert, der Markt wird objektive
Vernunft eingeführt und für gut befunden, weil die menschliche, die
subjektive ja so schwach auf der Brust ist. In Kurzform: der Markt
wird das schon regeln, was die Leute nicht hinkriegen. Und nun in
der 2. Etage heißt es dann: ja, wenn die Leute es nicht richtig
machen, dann kriegt der Markt es natürlich auch nicht hin. Und jetzt
nehmt mal die FAZ – die lese ich immer – und lest, wie da Kritik an
allen möglichen Sachen formuliert wird. Sei es Wohnungsnot, sei es
BSE oder sei es die Umweltverschmutzung. Immer lautet die Botschaft:
Ja, lauter Subjekte, die sich nicht marktkonform verhalten. Jetzt
müssen die Menschen wieder dafür sorgen, daß der Markt läuft. Erst
sollte doch der Markt das Hilfsmittel für die Schwäche und Dummheit
der Menschen sein, jetzt plötzlich müssen die Menschen dafür sorgen,
daß der Markt vernünftig läuft. Und immer wenn es was zum
kritisieren gibt, kriegen die Leute gesagt, ihr habt gegen den Markt
verstoßen. Und damit ist die Theorie endgültig immun. Kein Faktum
kann mehr als Beweis taugen, daß der Markt was schlechtes ist, weil
jede anerkannte Schlechtigkeit ja automatisch ein Beweis dafür ist,
daß die Leute gegen den Markt verstoßen haben. Das ist schon lustig:
Am Ende behauptet niemand mehr, daß alles gut koordiniert ist,
sondern die Marktwirtschaftler sagen: es könnte alles gut sein, wenn
nicht dauernd gegen den Markt verstoßen würde.
Ein Hinweis vielleicht noch: alles, was der Staat
fürs Gemeinwesen tut, also Schulen bauen, eine Rentenkasse
organisieren, sozialen Woh-nungsbau fördern, also derartige
notwendige Dinge für das Funktio-nieren einer Gesellschaft, ist ein
Beweis dafür, daß der Markt solche Dinge nicht zustande bringen
würde. Also von wegen, der Markt sorgt fürs allgemeine Gute...
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