Einleitung
Am 24.11.2000 haben
Veterinäre auf einem Hof in Schleswig-Holstein im Zuge einer
freiwilligen Selbstkontrolle den ersten Fall von BSE bei einem in
Deutschland geborenen Rind diagnostiziert. Wirklich über-raschend
war das nicht, doch hatte man bis zu diesem Datum eher nach der
Devise gehandelt – insbesondere in Bayern, wo es auch zuvor schon
genügend begründete Verdachtsmomente gegeben hatte – “wer
nicht sucht, findet auch nichts”:
“Noch am
vergangenen Mittwoch hatte der Direktor des Berliner
Robert-Koch-Instituts, Reinhard Kurth, Zweifel angemeldet, daß
Deutschland wirklich BSE-frei sei. "Wir haben ja nie richtig
geguckt", sagte der Leiter des zentralen Forschungsinstituts
der Bundesregierung für Erkennung und Bekämpfung gefährlicher
Krankheiten bei einer Expertentagung in Bonn Zwei Tage später, am
Freitag, schien sich die Ahnung des Professors zu bestätigen: Von
den Azoren wurde gemeldet, ein aus Deutschland stammendes Tier sei
an Rinderwahnsinn erkrankt. Gleichzeitig erbrachte ein
freiwilliger Test an einem Schlachttier in Schleswig-Holstein den
Verdacht auf BSE.” (SpiegelOnline 26.11.2000)
Anders als bei den 6
bis zu diesem Zeitpunkt entdeckten Fällen, bei denen es sich um
Importrinder aus GB und der Schweiz gehandelt hatte, die die
Grundlage für die deutsche Ideologie einer Politik zur Sicherung
und der Märkte daheim und gegen das Ausland bildeten – gemäß
des Mottos “Alles Schlechte kommt aus dem Ausland.” – wurden
nun die Beteuerungen, nach denen “Deutschland BSE frei und
deutsches Rindfleisch sicher ist” als Lügen offenkundig.
Eine kapitalistische
High-Tech-Nation, der es weder an wissenschaftlichen noch
technischen Mitteln der Produktion fehlt, serviert ihren Insassen
ungenießbare bis giftige Nahrungsmittel. Warum eigentlich? Als
Antwort auf diese Frage werden von offizieller Seite eine Reihe von
Gründen präsentiert, die nur als eine einzige grandiose
Verharmlosung bezeichnet werden kann. Den Bauern, von denen bisher
“wirtschaftliche Betriebsführung” gefordert war, die sich gefälligst
den Herausforderungen der “Globalisierung” stellen sollten, wird
auf einmal Profit-Gier vorgeworfen. Die ehrenwerte Vertretung
des Bauernstandes heißt neuerdings
Agrarlobby, der Verband
der Futtermittelhersteller gar
Mafia und die reichlich
bewiesene Verantwortung der deutschen und bayrischen Regierung für
den guten Ruf, also für die Marktfähigkeit des deutschen Fleisches
heißt jetzt
Verantwortungslosigkeit.
“Die
nordrhein-westfälische Umweltministerin Bärbel Höhn hat im
Zusammenhang mit den BSE-Verdachtsfällen in Deutschland
schwerwiegende Fehler eingeräumt. Dem ‚Kölner Express‘ sagte
die Grünen-Politikerin: ‚Wir hätten in Sachen BSE früher
konse-quenter handeln müssen. Es sind Fehler in der Vergangenheit
gemacht worden, für die wir jetzt bitter bezahlen müssen.‘”
(SpiegelOnline
26.11.2000)
“[…]
Bundesgesundheitsministerin Andrea Fischer in der ARD-Sendung
‚Sabine Chistiansen‘: ‚Man muß sagen, daß die Agrar-lobby
immer sehr stark gesagt hat, das ist nicht so schlimm.‘ […]
‚Wir müssen bereit sein, für gute Lebensmittel auch mehr Geld
zu zahlen‘, sagte die Ministerin. Fischer gestand ein, die
verbreitete Meinung in der deutschen Politik, Deutschland habe
kein Problem mit BSE, sei eine ‚Art Selbstbetrug‘ gewesen. Das
BSE-Problem ist laut Fischer auch ein Problem des
Verbraucher-verhaltens, dem letztlich die industrielle
Massentierhaltung zu Grunde liege. ‚Ich glaube, wir müssen darüber
reden, daß wir weniger Fleisch, aber besseres Fleisch essen und
dafür auch etwas mehr bezahlen‘, sagte die Ministerin.”
(SpiegelOnline
27.11.2000)
Die Tierseuche, die
bekanntlich auch den Menschen bedroht, wird wenigstens geistig
bestens verdaut, wenn man sie als
Verbrechen
oder zumindest
Verstoß
gegen alles begreift, was sich in unserem
wirt-schaftlichen und politischen System eigentlich gehört: Nicht
der Profit in der Lebensmittelproduktion ist schuld, sondern eine
angeblich unnötige Gier danach. Nicht das Interesse des Staates an
der inter-nationalen Konkurrenzfähigkeit nationaler Agrarprodukte
veranlaßt Minister, Gesundheitsgefahren zu vertuschen, sondern ihr
Mangel an staatsmännischem Pflichtgefühl, und so weiter.
Bundeskanzler
Gerhard Schröder stellt bei einer SPD-Veranstaltung im oberpfälzischen
Weiden und schließlich in seiner bereits vorab veröffentlichten
Neujahrsansprache fest:
“Weiden - Die
Versäumnisse sieht Schröder allerdings nicht allein bei der
Politik. Das gelte auch für die Landwirtschaft und die
Verbraucher, sagte Schröder.” (SpiegelOnline
18.12.2000)
“‚Wir alle
haben nicht aufgepaßt.‘ […] ‚Wir alle, ob als Politiker
oder als Verbraucher, waren vielleicht zu gutgläubig‘, heißt
es in Schröders Neujahrsansprache, deren Text am Freitag
verbreitet wurde. Dies gelte auch ‚für viele rechtschaffene
Bauern‘. Es sei zu lange darauf vertraut worden, daß
Deutschland BSE-frei sei.” (SZ
30.12.2000)
Alles nur ein
tragisches Versehen, ein pflichtvergessenes Versäumnis aller
Beteiligten, einer verbreiteten Sorglosigkeit und Naivität
geschuldet? Oder doch eine gezielte Strategie, wie man einer anderen
Lesart der Statements Schröders auch entnehmen kann: Die
Massentierhaltung für die Versorgung unersättlicher Verbraucher,
die nur auf die Preise schielen, mit immer mehr und billigerem
Fleisch, sei Schuld.
Warum das alles
nicht die Wahrheit über die regelmäßigen Lebensmittelskandale
sein kann und warum es gute Gründe dafür gibt, sich dieser
Sichtweise nicht anzuschließen, soll im folgenden in drei ausführlicheren
Kapiteln ausgeführt werden. Zuvor jedoch zur Einstimmung ein kurzer
analytischer Blick auf die drei Argumente Schröders.
-
Die
Verbraucher trügen eine gewisse Mitschuld an der BSE-Seuche,
sagt er. Das ist eine ziemliche Unverfrorenheit, eine
Verkehrung von Subjekt und Objekt, von Täter und Opfer. Es
wird so getan, als seien die Bauern, oder allgemein die
Nahrungsmittelfabrikanten, so etwas wie die Auftragnehmer der
Verbraucher, die ihre Wünsche auf einen Bestellzettel
schreiben und bei ihnen abgeben, damit die dann diesen Wünschen
gemäß anfangen, Lebensmittel zu produzieren Nur: wenn dieses
ver-quere Bild wirklich stimmen würde, dann wäre es nie zu
diesem BSE-Skandal gekommen. Die Wirklichkeit ist eine andere
und wer sich bemüht, kann es den Medien auch entnehmen. Da
erfährt man jetzt z.B., daß ein Erdbeerjoghurt den
EU-Vorschriften zu-folge einen Mindestfruchanteil von 11% haben
muß (was ca. einer Erdbeere pro 100g-Becher entspricht) und für
die Kennzeichnung, wie denn bloß der Geschmack in den Joghurt
gekommen ist, die Angabe “..und Aromastoffe” ausreichend
ist. Eine weitverbreitete Quelle von Erdbeeraroma ist ein
Auszugs-produkt von Sägespänen einer bestimmten australischen
Holzsorte. Und das sollen sich die Erdbeerjoghurt-Konsumenten
bestellt haben? Wohl kaum. Allein die ewigen Forderungen der
Verbraucherschutzverbände, endlich eine lückenlose
Kennzeich-nungspflicht aller Inhaltsstoffe bei Lebensmitteln
einzuführen, die aus guten Gründen nie leiser werden, und
die monatlich von den Ökotestmagazinen veröffentlichten
detektivgleichen Recherchen bezüglich neuer Schweinereien in
der Lebensmittelbranche sprechen für das genaue Gegenteil. Es
ist umgekehrt so, daß der Verbraucher am Ende einer
langen Kette von zuvor und unabhängig von seinen Wünschen
getroffenen Entscheidungen steht, z.B. hinsichtlich der Art
und Weise der Produktion aber auch der Rezeptur von
Nahrungsmitteln, mit der er wirklich nichts zu schaffen hat;
der Verbraucher ist die dumme Nuß. Er steht einem fix und
fertigen Warenangebot gegenüber, bei dem ihm nichts übrig
bleibt, gemäß seiner Zahlungsfähigkeit auszuwählen,
welches Maß an Geschmack und Vergiftung er sich zumuten will
oder muß, wobei auch dort der Realismus vorherrscht, daß
auch teure Produkte, die des sogenannten gehobenen
Premium-Class-Produktsegments, keine Garantie für Qualität
sein müssen.
-
Zweitens wird
behauptet, Fleisch sei zu billig. Eigentlich weiß doch jedes
Kind, daß die Warenproduzenten gerade soviel für ihre Güter
nehmen, wie sie eben bekommen können. Das Preisniveau kann
dabei zeitlich und örtlich erheblich schwanken, je nachdem,
wieviel die Käufer in den verschiedensten Situationen und
Orten bereit und fähig sind, für ein bestimmtes Gut
auszugeben; so kommt es, daß ein halber Liter Bier bei Aldi für
0,89 DM zu haben ist, während dieselbe Menge desselben Saftes
in Kneipen ca. 6 DM kostet. Was soll da also heißen, etwas
sei zu billig? Zu billig wofür? Auch hier ist eher das
Gegenteil richtig: Bezogen auf die stets sehr beschränkte
Gesamtzahlungsfähigkeit der potentiellen Kundschaft, die
umworben und um die konkurriert wird, sind die Produkte ständig
zu teuer; die begrenzte Kaufkraft ist die Grenze auf die die
Geschäftsleute stoßen und die Grundlage ihrer Kalkulation
bilden. Wenn eine absolute Extension der Geschäfte durch ein
erfolgreicheres Aufsichziehen zahlungskräftiger Nach-frage auf
die Produkte nicht gelingt, dann bleibt eine weitere Möglichkeit,
den erwünschten Überschuß – gemessen in Geld – zu
steigern. Sie besteht bei den Bauern darin, die Kosten pro
Kilogramm Fleisch zu senken, damit der pro Kilogramm
erwirt-schaftete Gewinn steigt, möglichst hoch ist. Und genau
dies hat abenteuerliche Folgen für die Qualität der
Produkte, so werden kapitalistisch produzierte Nahrungsmittel
ungenießbar. Im ersten und zweiten Kapitel wird dieser Punkt
noch ausführlicher behandelt.
-
Als dritter
Grund für diesen “Landwirtschafts-GAU” wird die
Massentierhaltung genannt. Wenn man es mal ganz
unvoreinge-nommen betrachtet: ginge es um eine vernünftige
Landwirt-schaft, um die Versorgung der Menschen mit
Lebensmitteln, von mir aus Fleisch, und das massenhaft, dann würde
man doch kein Gift (sei es Klärschlamm, Dioxin…., seien es
verdorbene Tierka-daver) hineinmischen – und zwar ganz unabhängig
von der
Herdengröße! In der kapitalistischen hingegen
schon! Im 3. Kapitel wird hierauf noch näher eingegangen.
B. Die
kapitalistische Landwirtschaft (und das Tiermehl)
Daß es in der
kapitalistischen Landwirtschaft nicht um die Versorgung der Leute
mit Nahrungsmitteln sondern um Gewinn geht, ist so offensichtlich
wie nichts. Allein die pure Anschauung lehrt dies: auf der einen
Seite in der EU die Milchseen, Fleisch-, Gemüse-, Obst- und
Butterberge, auf der anderen Seite, vornehmlich auf der südlichen
Halbkugel der Erde, lauter Elendsfiguren, die Hunger leiden. Bevor
also auch nur eine einzige Tomate verschenkt wird, wirft man sie
eher ins Meer oder auf die Müllhalde, anstatt sie Bedürftigen zu
geben. Gleich-zeitiges Vorhandensein von maßlosem Überfluß
einerseits und Hungers-nöten andererseits charakterisiert die
globale Ernährungssituation. Aber so selbstverständlich wie es
scheint, ist es auch hierzulande nicht mit dem Zugang zu Nahrung.
Erstens haften bekanntlich auch an Lebens-mitteln Preisschilder und
die Preise, die man erstmal bezahlen können muß, sind so bemessen,
daß mit der Veräußerung der Ware ein Über-schuß erzielt wird.
Zweitens machen die meisten Lebensmittel, die hierzulande zu kaufen
sind, zwar satt, aber ihr Geschmack oder auch nur ihre reine Bekömmlichkeit
sind nicht garantiert. Denn um mehr Ware verkaufen zu können, oder
pro verkauftem Stück Rindfleisch mehr Gewinn zu machen, wird ständig
an den Produktionskosten gedreht; sie zu senken ist Quelle größerer
Überschüsse. Diese Methode hat notwendige Konsequenzen für die
Qualität der Lebensmittel [1].
Der BSE-Skandal ist ja nicht der erste seiner
Art, ein Lebensmittel-skandal jagt den anderen und der jüngste
Schweinemast-Skandal ist gerade mal ein paar Wochen alt [2
]. Da steckt ein Prinzip dahinter – das der Marktwirtschaft.
Was für den einen
Nahrungs-
oder
Genußmittel, das Hunger stillen und womöglich noch
lecker schmecken soll, ist für den anderen
Kapital-anlage.
Die hat sich zu rentieren, oder sie ist buchstäblich nichts wert.
Das ist auch die ökonomische Bestimmung und Existenzweise von
Rindfleisch
in der freien Marktwirtschaft.
Massentierhaltung
Der in
Rindvieh angelegte Kapitalvorschuß soll sich lohnen und erfordert
eine erhebliche Masse an in Bewegung gesetztes Kapital. Dieses muß
zunächst einmal vorgeschossen werden, Land gepachtet oder gekauft,
Ställe gebaut, Tiere, Futtermittel erworben, modernes Inventar,
Melk-maschinen etc. angeschafft und schließlich Löhne für
Stallburschen, Mägde oder Agrarökonomen gezahlt werden. Dabei ist
es so, daß zwischen dem Aufwand und der Herdengröße keine
Proportionalität
besteht. Ein Bauer, der eine Kuh pflegt, füttert, melkt kann ohne
proportionalen Mehraufwand auch zwei Viecher versorgen. In ein stallähnliches
Gebäude einer gewissen Größe passen ebenso drei wie vier Rinder,
ohne daß das entsprechende Mehrkosten verursachen würde usw. D.h.
daß mit zunehmender Herdengröße die Auslage pro Tier
sinkt,
oder umgekehrt, die Gewinnspanne pro Tier steigt. So entscheidet
allein die Größe der Herde über die Konkurrenzfähigkeit auf dem
heimischen wie Weltmarkt. Massentierhaltung ist deshalb ein
marktwirtschaftliches Muß – und drückt dem Gebrauchswert der
Nutztiere seinen kapitalistischen Stempel auf. Die stetige
Ausweitung der erforderlichen Rinderschar, mit dem Zweck sich in der
Konkurrenz, die wie ein Sachzwang des Marktes wirkt, Vorteile zu
verschaffen oder zumindest in ihr nicht ins Hintertreffen zu
geraten, soll und kann nicht mit einer proportionalen Ausdehnung des
Weidelandes einhergehen Die
Massentierhaltung verlangt deshalb auch quasi automatisch eine
Neuregelung der Futterfrage. Die Prinzipien die hier gelten, daß
etwas produziert wird, weil und damit es sich lohnt, ist natürlich
auch in anderen Bereichen zu finden. Aber im Bereich der
Landwirtschaft ist das Material mit dem Gewinn erwirtschaftet werden
soll ein Naturgegenstand – und da gibt es schon einige
Besonderheiten. Anhand des Tiermehls kann man viel lernen.
Tiermehl,
die Erste
Die
Leitartikler der Süddeutschen Zeitung fragen z.B., nach dem ausführlich
die einigermaßen unappetitlichen Details des Betriebes einer Tierkörper-Verwertungsanstalt
geschildert wurden, “Und das hat man über Jahre hinweg verfüttert?
Da ist keiner auf die Idee gekommen, daß das mal schlecht ausgehen
könnte?” (SZ 04.01.2001)
[3].
Soweit so rhetorisch gefragt, denn nur weil der Redakteur keinen
guten Grund dafür kennt, verseuchte Tierkadaver zu verfüttern,
will er gar keinen mehr kennen. Dabei ist der Grund so
offensichtlich wie nichts. Was
die Tiere zu futtern bekommen,
liegt nicht an der Massentierhaltung per se, sondern gehorcht
ausschließlich den Gesetzen marktwirtschaft-lichen Kalkulierens.
Jede Umstellung der Produktion soll die Kosten senken und dadurch
das Verhältnis von vorgeschossener Geldsumme pro Gelderlös
verbessern. Und das geschieht im Futterbereich zum einen dadurch, daß
alles
was an einen Vieh dran ist, zur Ware
zu taugen
hat. Getreu diesem Grundsatz werden aus Schlachtabfällen
Futtermittel fabriziert, gleichgültig wie bekömmlich die
verwendeten Basisstoffe auch sein mögen. Die Futtermittelhersteller
entfalten ihrerseits unternehmerische Kreativität um Kosten zu
sparen und strecken die Kadaver und sonstige tierische Abfälle z.B.
mit Klärschlammrückständen. Das so geschaffene Junkfood für Kühe
und Ochsen ist eine entschieden billigere
Art, eine größere
Anzahl von Tieren zu ernähren. Das Tiermehl ist ein konkurrenzlos
billiges Produkt und findet bei den Bauern reißenden Absatz,
die damit wiederum den Tiermehlproduzenten ihren Profit garantieren.
Tiermehl, die
Zweite
In anderen Artikeln
wird die Frage gestellt, wie man nur auf die Idee verfallen könne,
tierisches
Eiweiß an (vegetarische
) Wiederkäuer zu verfüttern. Also
wenn es um die wissenschaftliche Frage geht, ob Tiermehl eine
nicht-artgerechte Ernährung für Rinder ist und sie damit zu
“fleischfressenden Kannibalen” mutieren, wie manche Tierfreunde
behaupten, sollte das die Biologie entscheiden. Aber das ist hier
nicht der Witz. Im Biologieunterricht kann man lernen, daß es ca.
500 Grassorten gibt, von denen sich die Kühe ungefähr 300
schmecken lassen. Warum gibt man ihnen also kein Gras zu fressen?
Warum läßt man Weidetiere nicht mehr weiden? Die Antwort ist kein
Geheimnis: Weil das dazu nötige Weideland, daß gepachtet oder
gekauft werden muß, einer der größten Kostenfaktoren darstellt.
Um Kosten zu sparen, wird eine Landwirtschaft (fast) ohne Land
betrieben (es gibt das Ziel des sog. “Zero-grazings”), immer
mehr Viecher werden in immer kleinere Ställe gepfercht und die
Nahrung der alten Grasfresser wird auf Kraftfutter aus der Dose
umgestellt, das auf Tier- und Knochenmehl basiert. Bei IKEA oder VW
ist das anders: auch diese Konzerne brauchen ein gewisses Maß an
Boden um produzieren zu können, aber denkt man z.B. an die
Verwaltung schafft da schon die Flucht in den Himmel, sprich der Bau
von Hochhäusern, eine gewisse Abhilfe. Und wenn eine Ausdehnung der
Produktion ansteht, so wird dafür auch ein bestimmtes Mehr an Raum
benötigt, doch sorgen die dann zum Einsatz kommenden Maschinen, die
technisch auf dem neuesten Stand der Dinge oder weiter sind, dafür,
daß der
vergrößerte
Ausstoß an Waren, die
Mehrkosten für das benötigte Land mehr als
überkompensieren.
So ist es in diesen Branchen mit der
Rentabilität also genau
umgekehrt wie in der Landwirtschaft, wo der
Ertrag immer noch
in Einheiten
pro
Hektar
gemessen wird!
Anders als in
Argentinien bspw., das gerade in ganzseitigen Anzeigen mit seinen
reichlich 50 Mio. Hektar billigsten Weidelandes wirbt, ist in der
BRD aber auch insbesondere den Niederlanden das Land knapp, weshalb
es überhaupt so etwas wie Flächennutzungs- und Bebauungspläne auf
Grundlage des Baugesetzbuches gibt. Die enormen Kosten, die mit
einer der Herdengröße entsprechenden Ausdehnung des Weidelandes
verbunden wären, werden dann dadurch gesenkt, daß man sich ein Stück
weit von der Verfügbarkeit von Boden unabhängig macht. Um
Weideland einzusparen ist man zum einen, wie in Holland zu
bestaunen, zum Bau von mehrgeschossigen Ställen übergegangen, und
zum anderen mußte eine andere Futterquelle aufgetan werden. Man hätte
auch auf Soja ausweichen können, das aber schlicht teurer ist,
weshalb “der Bayerische Bauernverband (BBV) an der Verfütterung
von Tiermehl festhalten will” (SZ 23.11.2000).
Tiermehl, die
Dritte
Es gibt einen noch
einen weiteren Grund für die Verfütterung dieses famosen
Tiermehls. Erstens steigert dieses eiweißhaltige Billigfutter die
“Milchleistung” der Kühe und damit den Profit, den die Bauern
und Agrarindustriellen damit verdienen und zweitens soll der Einsatz
des proteinhaltigen Kraftfutters die
Umschlagsgeschwindigkeit
des
Kapitals steigern, also die Zeit verkürzen, in der die
vorgeschossene Geldsumme (gewinnbringend) zurückfließt. Dieses
Ziel wird auch in anderen Produktionssphären verfolgt, nur gibt es
in der Landwirtschaft wiederum eine Besonderheit, nämlich so etwas
wie ein natürliches Hindernis: Getreide braucht eine bestimmte Zeit
zum Reifen, bevor es genießbar ist und Schlachttiere müssen eben
eine Zeitlang wachsen, bevor sie ihre Schlachtreife, ihr
Schlachtgewicht erreicht haben; wenn sie bspw. 1 Jahr zur Erreichung
ihres Schlachtgewichts brauchen, dann kann man z.B. noch so sehr um
die Viecher herumstiefeln, das verkürzt das Jahr nicht um eine
Minute. Kapitalisten sehen das anders: Damit die Kälber und
Schweine
schneller
auf den Viehmarkt wandern, wird –
wiederum rücksichtslos gegen die Folgen für Gesundheit und
Geschmackssinn – beim Mästen kräftig nachgeholfen. Vor ein paar
Jahren machte das Dopingmittel Clenbuterol Furore und nun ist es
eben das Tiermehl. Damit es seine volle Leistung entfaltet müssen
den Tierchen allerdings gewohnheitsmäßig und regelmäßig
Extraportionen von Antibiotika als sogenannte “Wachstumsförderer”
verabreicht werden:
“Die
Produktionsbedingungen führen auch dazu, dass immer mehr
Pharma-Produkte ins Tierfutter gemischt werden - als so genannte
Wachstumsförderer. Früher brauchten Schweine etwa ein Jahr, bis
sie ihr Schlachtgewicht erreicht hatten. Spezialfutter bringt sie
heute in etwa drei Monaten auf 80 Kilo. Gebräuchliche Wachstumsförderer
sind Carbadox und Olaquindox - Mittel, die im Verdacht stehen,
Krebs zu erregen beziehungsweise das Erbgut zu schädigen. Jedes
Jahr werden in der EU rund 1600 Tonnen Antibiotika prophylaktisch
an Schlachttiere verfüttert, etwa ein Fünftel der gesamten
Antibiotikaproduktion. Auch im Fleisch, das der Mensch verzehrt,
sind noch "Reste von Antibiotika", weiß der
Mikrobiologe Wolfgang Witte vom Robert-Koch-Institut in
Wernigerode. Als so genannte Leistungsförderer sollen Antibiotika
die Mikroflora des Darms für eine bessere Futter- und vor allem
Eiweißverwertung stabilisieren. So können die Futtermengen
reduziert und Kosten gesenkt werden.” (Spiegel 11/2000)
Die Gabe von
Antibiotika hat darüberhinaus noch den schönen Effekt, daß die
durch die extreme Enge der Ställe geförderte potentielle Gefahr
der rasanten Übertragungsgeschwindigkeit von Krankheiten in den
Herden gesenkt werden kann. Auch die Kollateralschäden, die die
Enge der Ställe so mit sich bringen und schlicht darin bestehen, daß
einige der Tiere krepieren bevor sie zur Schlachtbank geführt
werden, können so kompensiert werden.
Die Beschleunigung
des Mastvorgangs sorgt also dafür, daß mit dem Verkauf die in
Rinder vorgeschossene Geldsumme
rascher samt Überschuß zurückfließt,
das Verhältnis von investierter Geldsumme zu dem auf dem Warenmarkt
realisierten Profit, optimiert wird. Schlägt eine bestimmte
Kapitalmenge in einem halben statt einem Jahr um, so wirkt dies wie
eine Verdopplung der Profitrate, oder so, als hätte man pro Jahr
doppelt soviel Kapital pro Jahr eingesetzt, schließlich wird das
nach dem ersten halben Jahr zurückgeflossene Kapital erneut
investiert trägt nach einem weiteren halben Jahr erneut Zinsen ein.
Auch BSE ist deshalb nicht die Konsequenz eines Versagens oder einer
Übertreibung, sondern das Resultat strengster Befolgung des
Sachgesetzes
kapitalistischer Nahrungsmittelproduktion, ob in Deutschland
oder Großbritannien. An ihm und seinen Methoden kommt kein noch so
gutherziger Landwirt vorbei (zu den Biobauern, siehe unten).
Zusammenfassend läßt
sich zum Tiermehl sagen, daß es quasi das
perfekte Gut der
kapitalistischen Landwirtschaft ist – gäbe es noch keines, so hätte
man es erfinden müssen:
-
ehemals
wertlose Schlachtabfälle werden durch den Verkauf an die
Tierfuttermittelhersteller einer lohnenden Verwertung zuge-führt;
-
die
Tiermehlproduzenten bieten ein konkurrenzlos billiges
Futtermittel an und finden in den Bauern eine dankbare
Abnehmerschaft; so garantieren sie sich gegenseitig einen Teil
ihres Gewinns;
-
mit dem
Kraftfutter aus Dosen ist man dem Ziel des Zero-grazings etwas näher
gerückt, kostenintensives Weideland kann eingespart werden;
-
und schließlich
steigert der Einsatz dieses tierischen Eiweißes die
Umschlagsgeschwindigkeit des Kapitals, indem es den Mast-vorgang
beschleunigt.
Fußnoten
[1]
Bauernpräsident Gerd
Sonnleitner drückt es zynisch so aus, daß es halt einfach nicht
ginge, Steaks für 6 DM anzubieten, Sonntagsbraten so billig zu
verkaufen, daß sich ihn die Durchschnittsfamilie auch von Montag
bis Samstag leisten kann – da solle man sich als Verbraucher mal
nicht wundern, daß Sondermüll auf den Tisch kommt…
[2]
Man erfährt, daß Schweinen
massenhaft Antibiotika verabreicht werden, und zwar nicht um im
einzelnen Krankheitsfall die Schweine von ihrem Bakterienbefall zu
befreien, sondern ganz generell als beschleunigendes Masthilfemittel
(mit zweifacher Wirkung: appetitanregend un dmuskelaufbauend). Daß
dann Rückstände der Antibiotika im Schweineschnitzel zu finden
sind und daß der Verzehr dieser Schnitzel die allgemeine Gefahr der
Resistenzbildung auch beim Menschen erhöht ist logisch.
[3]
“Oberding – Nach drei Stunden hat man sich an all das gewöhnt.
An den penetranten Verwesungsgestank. An den Anblick der Berge von
Tierkadavern und den blutverschmierten Fliesenboden. An die
gewaltigen Tröge, in denen halbe Schweine neben ganzen Pferden und
Tonnen von Gedärmen und Gliedmaßen liegen. Sie werden zu Tiermehl
verarbeitet. […] Von Außen sieht die Anlage der Familie Berndt in
Oberding eher unauffällig aus. Sauber verpackt wie ein Schnitzel.
Totes Fleisch aus acht Landkreisen landet hier. Gerade kippt ein
Laster Berge von Innereien in den Trichter, der das kalte Material
in die schmatzende Zerkleinerungsspirale führt. Vom
Grobzerkleinerer wandert es später durch silbern schimmernde Rohre
in den Feinzerkleinerer, dann über die Hochdruckpumpe in die
Erhitzung. Und so weiter. Alles computergesteuert. Am Ende kommt
Tiermehl raus. Und das hat man über Jahre hinweg verfüttert? Da
ist keiner auf die Idee gekommen, dass das mal schlecht ausgehen könnte?
Wenige Meter neben dem Trog steht Manfred Kleder, hört Bayern 3 und
drückt ein langes, spitzes Rohr durch die Haut eines toten Kalbes.
Es ist eine Pumpe, mit der er den Kadaver aufbläst. Damit sich die
Haut besser abziehen lässt. Wenn der Körper voller Luft ist,
entsteht ein Geräusch. Ein unangenehmes Geräusch, wie bei diesen
Geräten, in die man Plastikflaschen dreht, um aus Leitungswasser
Sprudel zu machen. Während die Luft Bauch, Kopfhaut und Ohren des
toten Kalbes aufstellt, bricht Kleder dem Korpus die Klauen und
schneidet sie ab. Dann zieht er die Haut herunter. Vier, fünf
Minuten dauert das. Die enthäuteten Körper landen im
Zerkleinerungstrog. Und wenn Kleder den täglichen Leichenberg
komplett enthäutet hat, dann geht der muskulöse 42-Jährige wieder
nach Hause. […] Wie kam BSE in die Ställe? Der Senior-Chef
berichtet von der Liberalisierung des Fleischbeschaugesetzes in den
achtziger Jahren, das die Wirtschaftlichkeit vor alles andere
gestellt habe – und von den vielen Ausnahmeregelungen im Tierkörper-Beseitigungsgesetz.
Er erzählt von Tieraugen, Bullenhoden und Kuhscheiden, die von den
Schlachthöfen verkauft würden und die schließlich “in der
Mortadella” landeten. “Vom After bis zur Gebärmutter ist doch
alles frei handelbar.” Alles, womit sich Geld verdienen lässt,
meint Adalbert Berndt – zumindest so lange, bis die Gesetze nicht
eindeutiger und die Kontrollen nicht schärfer sind. […]” (SZ
04.01.2001)
|