Download
als PDF-Dokument (13 kB):
moral.pdf
"Wo kämen wir denn dahin, wenn sich niemand mehr an
etwas halten würde..." |
|
Wenn der
Anstand theoretisch wird
|
|
Daß man für die Moral, an die man
sich doch ganz unbedingt halten soll, schlecht
argumentieren kann; daß jemandem, der sehr ernsthaft fragt,
warum er moralisch sein soll, letztlich nicht zu helfen ist,
weiß jeder Moralist. Das Argumentieren hört deshalb nicht auf. So
weit mag auch ein gestandener Anwalt des „Höheren“ seinen Verstand
nicht verge-waltigen, daß er aufhörte, dem Gegenstand seiner
Verehrung eine Art Nutzen anzudichten. Mit Vorliebe wird
dabei zu Schreckens-visionen gegriffen, die im Negativbild absoluter
Wertferne die segens-reiche Wirkung der Moral in „unserer“ – wie
immer „unvollkommenen“ – Gesellschaft vorstellig machen. |
|
Ohne Moral ginge es schrecklich zu auf der Welt |
Das ist die Botschaft all dieser
Naturzustands-Phantasien. Wovor wird da gewarnt? Nun, man soll sich
das so denken: Kaum hätten „wir“ uns z.B. eine Wohnungseinrichtung
gebastelt – ein Antrag auf Arbeits-teilung ist aus wechselseitigem
Mißtrauen der Leute gegeneinander nie gestellt worden – würde der
böse Nachbar gewaltsam bei uns ein-dringen. Zu faul, sich selbst
etwas Hübsches zusammen zu zimmern, zwingt er uns, ihm das neue
Mobiliar zu überlassen. Um vor ähnlichen Überraschungen sicher zu
sein, läßt er das eigene Haus von seinen Heimsklaven zur Festung
ausbauen. Die Leute zur Arbeit zu bringen, ist für diesen
Privatkrieger ganz schön anstrengend: Ständige Beauf-sichtigung mit
vorgehaltener Waffe (gestohlen? selbstgeschmiedet? man weiß es
nicht...), ständige Angst vor einem Hinterhalt. Der Mann schläft
nicht mehr, hat keine freie Minute...
Die Moral von der Geschicht’: Wer bloß auf sein
Interesse schaut, schädigt erstens alle anderen und letztlich vor
allem sich. „Der Mensch“ ihres Weltbildes ist eben gar nicht
einer, der nur sein Interesse im Auge hat. Er ist der Böse,
der andere schädigen will und wehrlose Omas für 20 Cent
umbringt. Seinen Vorteil auf Kosten anderer zu suchen, macht ihm
einfach zuviel Freude, als daß er dabei noch auf seinen Vorteil
schauen würde.
Keine Frage: So bekommt man schon eher ein Bild vom
morallosen Zustand. Es wäre wirklich furchtbar:
„Da findet sich kein Fleiß, weil kein Vorteil davon
zu erwarten ist; es gibt keinen Ackerbau, keine Schiffahrt, keine
bequemen Wohnungen, keine Werkzeuge höherer Art, keine
Länderkenntnis, keine Zeit-rechnung, keine Künste, keine
gesellschaftlichen Verbindungen“ mehr, wenn die Amoral um sich
greift; „statt dessen ein tausendfaches Elend; Furcht, gemordet zu
werden, stündliche Gefahr, ein einsames, kümmerliches, rohes und kurz
dauerndes Leben.“ (aus: Hobbes, Leviathan, I/13)
Auffallend ist freilich eines an all den Bildern
vom Chaos, die vor der Abwesenheit der Moral warnen sollen: Sie leben
von der festen Über-zeugung, daß der eigene Vorteil nur auf Kosten
eines anderen gesucht werden kann und erinnern darin an das, was die
real existierende kapitalistische Welt so ungemütlich macht. Wo der
Gewinn nur hoch sein kann, wenn der Lohn niedrig ist, da trifft es
allerdings zu, daß die Verwirklichung des einen Interesses den
Schaden des anderen einschließt. Die Bilder vom Chaos, die so
überzeugend für die Moral sprechen sollen, unterscheiden sich nicht
nur in einer entscheidenden Hinsicht von der Wirklichkeit einer
Konkurrenz-Gesellschaft: Sie sind maßlos übertrieben; Gewalt, Mord
und Totschlag werden da so allgegenwärtig ausgemalt, daß sie zweck-
und nutzlos auch für den Sieger im Kampf aller gegen alle wären: Ein
albernes Schreckens-gemälde, vor dem man sich wirklich nicht fürchten
muß. Nord um des Mordes willen, Krieg um des Krieges willen, betreibt
keiner – auch nicht der berühmte „Stärkere“, dessen Gesetz in diesem
Bild vom Chaos gilt. |
|
Mit Moral geht es schrecklich zu auf der Welt |
In unserem Staat, in dem alles
rechtlich geregelt ist, werden keine Menschen aus Willkür und Bosheit
ihrer Herren geschunden – nur soweit die Arbeitsgesetze es zulassen
und die Konkurrenzfähigkeit der Gewinnemacherei es erfordert. Bei uns
wird kein Mieter unangemeldet von Rollkommandos auf die Straße
geworfen, sondern erst nach Räumungsklage und Gerichtsbeschluß; kein
Krieg wird ohne ernsten Anlaß und vor Ausschöpfung aller
diplomatischen Mittel vom Zaun gebrochen und keine Erbtante ermordet,
ohne daß es etwas zum Erben gibt.
Sinn- und zwecklos ist keine dieser
Härten der modernen Welt und die meisten sind rechtlich geregelt: Als
Rechte und Pflichten, Dürfen und Müssen – woher die Moral überhaupt
ihre Maßstäbe bezieht.
Die billige Vorstellung maß- und
nutzloser Gewaltorgien läßt die wirk-lichen Gegensätze als das von
der Moral gezügelte Böse erscheinen, und die Verhältnisse bekommen
das nette Lob, nicht so schlimm zu sein, wie man sie sich
vorstellen könnte – wenn auch nicht so gut, wie man sie sich
andererseits auch vorstellen könnte.
Das schöne Gefühl, dem Schlimmsten
entkommen zu sein, ist also recht billig zu haben: Daß die größten
anzunehmenden Untaten (meistens) nicht passieren, beweist ohne
weiteres, daß die Moral das verhindert haben muß. Was man umgekehrt
an den schaumgebremsten Verhält-nissen für kritikabel findet, führt
man auf den Umstand zurück, daß die Moral ihre Bremswirkung noch
nicht voll entfalten kann: „Aus so krum-mem Holze, als
woraus der Mensch gemacht ist, kann nichts ganze Gerades gezimmert
werden.“ (Kant) |
|
Ohne Moral wäre es besser |
Jedenfalls würde nichts fehlen: Die Moral beseitigt keinen Gegensatz,
verhindert keinen Mord und keine Ausbeutung. Kein Krieg, den eine
Regierung nötig und aussichtsreich findet, wird aus moralischen
Skrupeln unterlassen. Umgekehrt ist es: Kein Krieg wird von Volk und
Regierung ohne das Bewußtsein, moralisch im Recht zu sein, begonnen!
Moral taugt nur dazu, die eigenen Vorhaben zu heiligen. Kein
Interesse in der bürgerlichen Welt, das nicht gleich mit dem Ausweis
seiner Berechtigung daherkommt, sich selbst als moralisch gebremstes
präsentiert und mit diesem Argument bei dem anderen Mäßigung
einklagt. Ein Verfahren, das freilich nur von den maßgeblichen
Instan-zen der Gesellschaft mit Erfolg praktiziert wird – weil er
nicht von der moralischen Wucht abhängt, mit der er sich
rechtfertigt. Nichts als dieses Theater der Berufung auf
unwidersprechlich Höheres ginge verloren, „wenn es keine Moral gäbe“.
Es käme nicht mehr jede Zumutung an den Menschen – vom ruinösen
Arbeitsplatz bis zur Ent-lassung, von der schulischen Selektion bis
zum Gestellungsbefehl – mit einer moralischen
Unbedenklichkeitserklärung daher.
Die Menschen müßten die Sachen so sehen wie sie sind, statt ihren
Verstand für Ver- und Mißtrauen in die vorgeschobenen moralischen
Rechtfertigungen zu verschwenden. |
|
(c) Verein zur Förderung des studentischen
Pressewesens |
|