1.
Die Psychologie freilich will mit
der Kategorie "Motivation" nicht bloß ein Sprechdenkmal für die
Legitimation mäßiger sportlicher und anderer Leistungen erfunden,
sondern eine Theorie geliefert haben;
und zwar eine, die jede Tat eines Menschen erklärt, eine
Theorie des "mensch-lichen Verhaltens" eben. Der geistige
Vater der Motivationspsycho-logie, HECKHAUSEN, faßt das
diesbezügliche Resultat seiner Disziplin so zusammen:
"Es muß etwas in den Personen drinnen
sein, was sie treibt, schiebt oder zieht, sie so und nicht anders
unter den gegebenen Anlässen handeln läßt." (1980)
Frage: Was bewegt einen Psychologen zu der sinnigen
Auskunft, irgendetwas im Menschen drinnen müsse es sein, was ihn zu
seinen verschiedenen Handlungen treibt? Antwort: Seine bescheuerte
Fragestellung. Die lautet nämlich: Warum handelt der Mensch so und
nicht anders? Kaum hat ein Motivationspsychologe eine bestimmte
Handlung vor sich, wundert er sich über ihre Bestimmtheit und fühlt
sich zu der haltlosen Gedankenoperation gedrängt, daß der Mensch das,
was er gerade tut, genauso gut unterlassen oder auch ganz was anderes
machen könnte: Sicher könnte er – bloß: was hat diese
Nonsensüberlegung mit einer Klärung zu tun, was der Mensch gerade tut
und warum er es tut? Wenn einer Pädagogische Psychologie betreibt,
dann ist es doch wenig aufklärerisch, darauf hinzuweisen, daß der
Mann glatt Vorlesungen über Motivation hält und nicht etwa kegelt,
was ja auch möglich wäre. Oder: Wenn ein anständiger Familienvater
Frau und Nachwuchs verprügelt, soll man dann wirklich die
Verhaltensweise "Liebkosen" für ebenso möglich halten und sich
darüber wundern, daß sie – unter den "gegebenen Anlässen" – nicht
"emittiert" wird? Worauf will der Motivationspsychologe hinaus, wenn
er so fragt? Offenbar geht es ihm nicht darum, die Zwecke und
Absichten, also die Gründe für die verschiedenen Aktivitäten seiner
Zeitgenossen, aufzuklären, sondern darum, ein Begründungsprinzip
des Handelns überhaupt zu entdecken.
„Welche sind die wirklichen
Beweggründe menschlichen Handelns und (!) tierischen Verhaltens?“,
fragt die Motivationspsychologie mißtrauisch gegen
die sich in den Handlungen betätigenden Absichten und gibt ihr
Programm bekannt: Sie will Verhaltensdeterminanten finden, die
getrennt von jeder bestimmten Handlung wirken, aber jede
bestimmte Handlung hervor-bringen. Ausgerechnet die Feststellung, daß
jede Handlung so und nicht anders ist (die übrigens nur bemerkenswert
ist, wenn man sich das Handeln der Menschen zuvor als völlig beliebig
imaginiert hat), also bestimmt ist, liefert ihr das Argument,
vom Inhalt einer Handlung abzusehen und nur noch festzuhalten, daß
sie bestimmt ist. Aus dem Ausbleiben der von ihr konstruierten,
angeblich ebenso denkbaren Handlungsalternativen schließt die
Motivationspsychologie, daß dann im „gegebenen“ Falle ein
Mechanismus am Werk gewesen sein muß. Was zwar ein Fehlschluß
ist, aber immerhin zeigt, wie diese Wissenschaft „menschliches
Handeln“ betrachten will.
2.
Die Motivationspsychologie macht also für die verschiedenen
Handlungen innere Kräfte verantwortlich. Oder andersherum
gesagt: Die bestimmten Aktivitäten gelten ihr ausschließlich als
Äußerungen jener Kräfte, die die Menschen treiben, schieben oder
ziehen. Man muß freilich schon eine bestimmte Tat als Äußerung
einer inneren Kraft definiert haben, um sie als das Resultat
derselben behaupten zu können. Umgekehrt wird die Kraft einzig
dadurch bestimmt, genau die Äußerungen hervorzubringen, für
die sie der Grund sein soll.
Es handelt sich dabei um eine völlig leere
Gedankenbewegung, die nichts erklärt: Entweder wird die Handlung, die
erklärt werden soll, schlichtweg zweimal ausgedrückt: als Handlung
und als Kraft (Trieb, Motiv, Neigung, Begierde, Interesse etc.
– was für den Psychologen alles dasselbe ist) dazu. Warum
prügelt ein Mensch? Weil er einen Trieb, Schub, Zug zum Prügeln hat!
Eine offenkundige Tautologie. Oder: Es wird für eine bestimmte
Handlung eine allgemeine Hand-lungsbereitschaft, gewissermaßen
eine ziellose Energie, als Grund angegeben. Dann ist aber nicht
einzusehen, wieso diese unspezifische Triebkraft zum Handeln
schlechthin das eine Mal zum Balltreten, das andere Mal zum beten und
dann zum Pädagogische-Psychologie-Treiben führt.
Die Phrase von der leeren Energie, mit der jede
Handlung erklärt werden soll, erklärt eben deshalb keine
einzige. Sie kürzt sich also heraus.
3.
Die Motivationspsychologie bemerkt selbst, daß ihre
Idee von einer universellen inneren Schubkraft, also die Fiktion von
einem Willen, der nicht will und zu allem bereit sein ist, niemals
die von ihr behauptete Notwendigkeit „menschlichen Verhaltens“
erbringt. Das hält sie allerdings nicht für eine Widerlegung ihres
Bemühens, das menschliche Handeln als notwendiges Produkt von
Antriebskräften darzustellen. Im Gegenteil: Jetzt erst recht, lautet
ihr Motto, und sie begibt sich auf die Suche nach Bedingungen,
inneren wie äußeren, die der Motivation, also der leeren
Handlungsbereitschaft, Ziel und Richtung verpassen sollen. Da werden
dann wilde Schaubilder mit unzähligen Doppelpfeilen gezeichnet –
und es liest sich z.B. so:
„Der Bedingungssatz der
Motivationspsychologie: Motivation ist eine Funktionsvariable, sie
beschäftigt sich mit den Bedingungen in Per-sonen und Situationen für
ein bestimmtes Verhalten.“
An der „Motivation“, in die der Psychologe den
Willen einer „Person“ übersetzt hat, fällt auf, daß sie selbst rein
gar nichts ist. Die „Kraft“, die angeblich alles „bewegen“ soll, ist
hier die „variable Funktion“ von „Faktoren“, die sie überhaupt erst
hervorbringen. Weiter fällt auf, daß das Subjekt gleich doppelt
vorkommt: zum einen handelt es, indem es z.B. „die Situation“
„bewertet“, „interpretiert“ oder „strukturiert“; zum anderen ist das
Subjekt das Werk von sich selbst, insofern es Bedingung = innerer
Auslöser seines eigenen Handelns vorfindet, eine Voraussetzung, die
er begutachtet, gegebenenfalls ändert oder überhaupt erst herstellt:
Unter dem Gesichtspunkt der Ermöglichung von Handlungen ist sie
dasselbe wie eine Abteilung der „Person“, auslösende Bedingung, also
z.B. wie der „Trieb“ einzig dazu da, „Verhalten“ hervorzulocken.
Der Sache nach hat die Motivationspsychologie mit
einem solchen Modell ihren gedanklichen Zirkel nur um einen
zusätzlichen „Faktor“ erweitert: Wann ergeben die „inneren Faktoren“
ein „bestimmtes Verhalten“? Dann, wenn die „Situation“ jene
„Faktoren“ „auszulösen“ in der Lage ist. Wann kommt die „Situation“
als „auslösender Faktor“ für ein „bestimmtes Verhalten“ in Betracht?
Dann, wenn sie auf „innere Faktoren“ trifft, die sie überhaupt erst
zu einem „Auslöser“ machen!
Für die Motivationspsychologie freilich ist der
Gewinn beträchtlich: Sie braucht sich auf keine der einzelnen
Gesetzmäßigkeiten, die sie ins Spiel gebracht hat, festzulegen. Weder
der „Mensch“ als „Kognition“ oder „Organismus“ noch die „Situation“
mit ihren möglichen „Reizen“ sollen für sich genommen einen gültigen
Verhaltensmechanismus abgeben. Aber zusammengenommen und mit Kästen,
Kreisen und Pfeilen ins Bild gesetzt, liefert das Modell die
Möglichkeit, sich das menschliche Handeln als Gesetzmäßigkeit
vorzustellen. Wobei die so vorgestellte Gesetzmäßigkeit nur
den Inhalt hat, gesetzmäßig zu sein: Wie man an den zugleich
vorwärts und rückwärtsgerichteten Pfeilen sieht, soll gar nichts mehr
unterschieden werden. „Situation“, „Mensch“ und „Handlung“ (sogar die
zählt plötzlich als Faktor, der beim „Zustandekommen“ von
„Handlung“ zu berücksichtigen ist!) wirken jeweils aufeinander
ein und sind zugleich jeweils voneinander bewirkt – das ist
die ganze Aussage, die die Motivationspsychologie in ihrer
„differenzierteren“ Abteilung zu bieten hat. Müßig zu fragen, wie
sich damit bestimmte, voneinander unterschiedene Handlungen erklären
lassen. Darum geht es dieser Wissenschaft eben nicht. Sie will nichts
anderes als die Möglichkeit ihrer Sichtweise beweisen:
daß das „Verhalten“ des Menschen als abhängige Variable innerer und
äußerer Bedingungen gedacht werden kann.
4.
Diesem methodischen Beweisziel sind alle Anstrengungen
dieser Wissenschaft gewidmet. Und entsprechend öde fallen die
motivations-psychologischen Bücher und Vorlesungen auch aus: Zig
Modelle werden konstruiert und mehr oder weniger stolz präsentiert;
angebliche mathematische Beziehungen werden aufgestellt und
aufrechterhalten, indem man sie – teilweise – verwirft, verwegene
Analogieschlüsse werden gezogen und spielerisch weitergesponnen – und
siehe da: es geht, man kann das menschliche Handeln als ein
Resultat wechsel-seitiger funktioneller Abhängigkeiten darstellen.
Beweis: Die Motiva-tionspsychologie verfährt so! |