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Motivationspsychologie

Die Sehnsucht nach einem
gesetzmäßigen menschlichen Willen

Die Tour mit der Motivation beherrscht mittlerweile bis hin zum Balltreter aus der Bundesliga so ziemlich jeder: Wenn der Kicker nach einer schlechten Leistung interviewt wird, wird er sich mit dem Rückzieher: „Ich war heute nicht motiviert!“ aus der Affäre zu ziehen versuchen. Der gutbezahlte Sportidiot bietet auf diese Weise eine Deutung seines Mißerfolgs, die psycho¬logische Bildung verrät: Weder an seinem Willen noch an seinem Können hat es gelegen (auch nicht daran, daß der Gegner vielleicht einfach besser gespielt hat oder der Ball ziemlich rund gewesen ist), sondern daran, daß er leider Gottes nicht wollen gekonnt hat. "Nicht motiviert" – damit ist hier nicht eine Selbstkritik des Willens gemeint, etwa: nicht ganz bei der Sache gewesen zu sein, wenig Lust gehabt und sich nicht zusammen¬gerissen zu haben, sich nur halbherzig eingesetzt zu haben. Unser Fußballer will sich eher entschuldigen: Er verdoppelt seinen Willen, in einen, der schon gewollt hätte, und in einen zweiten – eigentlichen – Willen, der als innerer Mechanismus erst darüber entscheidet, ob der an sich willige Wille Nr. 1 sich betätigt oder nicht. Anders gesagt Seinen eigenen Willen, auf den er sich durchaus etwas zugute hält, betrachtet der Mann zugleich als abhängig Größe, als Passivum: Es kommt darauf an, ob er sich motivieren (=bewegen) läßt.

Von den Fehlern der Lehre von der Motivation


1.

Die Psychologie freilich will mit der Kategorie "Motivation" nicht bloß ein Sprechdenkmal für die Legitimation mäßiger sportlicher und anderer Leistungen erfunden, sondern eine Theorie geliefert haben; und zwar eine, die jede Tat eines Menschen erklärt, eine Theorie des "mensch-lichen Verhaltens" eben. Der geistige Vater der Motivationspsycho-logie, HECKHAUSEN, faßt das diesbezügliche Resultat seiner Disziplin so zusammen:

  "Es muß etwas in den Personen drinnen sein, was sie treibt, schiebt oder zieht, sie so und nicht anders unter den gegebenen Anlässen handeln läßt." (1980)

Frage: Was bewegt einen Psychologen zu der sinnigen Auskunft, irgendetwas im Menschen drinnen müsse es sein, was ihn zu seinen verschiedenen Handlungen treibt? Antwort: Seine bescheuerte Fragestellung. Die lautet nämlich: Warum handelt der Mensch so und nicht anders? Kaum hat ein Motivationspsychologe eine bestimmte Handlung vor sich, wundert er sich über ihre Bestimmtheit und fühlt sich zu der haltlosen Gedankenoperation gedrängt, daß der Mensch das, was er gerade tut, genauso gut unterlassen oder auch ganz was anderes machen könnte: Sicher könnte er – bloß: was hat diese Nonsensüberlegung mit einer Klärung zu tun, was der Mensch gerade tut und warum er es tut? Wenn einer Pädagogische Psychologie betreibt, dann ist es doch wenig aufklärerisch, darauf hinzuweisen, daß der Mann glatt Vorlesungen über Motivation hält und nicht etwa kegelt, was ja auch möglich wäre. Oder: Wenn ein anständiger Familienvater Frau und Nachwuchs verprügelt, soll man dann wirklich die Verhaltensweise "Liebkosen" für ebenso möglich halten und sich darüber wundern, daß sie – unter den "gegebenen Anlässen" – nicht "emittiert" wird? Worauf will der Motivationspsychologe hinaus, wenn er so fragt? Offenbar geht es ihm nicht darum, die Zwecke und Absichten, also die Gründe für die verschiedenen Aktivitäten seiner Zeitgenossen, aufzuklären, sondern darum, ein Begründungsprinzip des Handelns überhaupt zu entdecken.

   „Welche sind die wirklichen Beweggründe menschlichen Handelns und (!) tierischen Verhaltens?“,

fragt die Motivationspsychologie mißtrauisch gegen die sich in den Handlungen betätigenden Absichten und gibt ihr Programm bekannt: Sie will Verhaltensdeterminanten finden, die getrennt von jeder bestimmten Handlung wirken, aber jede bestimmte Handlung hervor-bringen. Ausgerechnet die Feststellung, daß jede Handlung so und nicht anders ist (die übrigens nur bemerkenswert ist, wenn man sich das Handeln der Menschen zuvor als völlig beliebig imaginiert hat), also bestimmt ist, liefert ihr das Argument, vom Inhalt einer Handlung abzusehen und nur noch festzuhalten, daß sie bestimmt ist. Aus dem Ausbleiben der von ihr konstruierten, angeblich ebenso denkbaren Handlungsalternativen schließt die Motivationspsychologie, daß dann im „gegebenen“ Falle ein Mechanismus am Werk gewesen sein muß. Was zwar ein Fehlschluß ist, aber immerhin zeigt, wie diese Wissenschaft „menschliches Handeln“ betrachten will.

2.

Die Motivationspsychologie macht also für die verschiedenen Handlungen innere Kräfte verantwortlich. Oder andersherum gesagt: Die bestimmten Aktivitäten gelten ihr ausschließlich als Äußerungen jener Kräfte, die die Menschen treiben, schieben oder ziehen. Man muß freilich schon eine bestimmte Tat als Äußerung einer inneren Kraft definiert haben, um sie als das Resultat derselben behaupten zu können. Umgekehrt wird die Kraft einzig dadurch bestimmt, genau die Äußerungen hervorzubringen, für die sie der Grund sein soll.

Es handelt sich dabei um eine völlig leere Gedankenbewegung, die nichts erklärt: Entweder wird die Handlung, die erklärt werden soll, schlichtweg zweimal ausgedrückt: als Handlung und als Kraft (Trieb, Motiv, Neigung, Begierde, Interesse etc. – was für den Psychologen alles dasselbe ist) dazu. Warum prügelt ein Mensch? Weil er einen Trieb, Schub, Zug zum Prügeln hat! Eine offenkundige Tautologie. Oder: Es wird für eine bestimmte Handlung eine allgemeine Hand-lungsbereitschaft, gewissermaßen eine ziellose Energie, als Grund angegeben. Dann ist aber nicht einzusehen, wieso diese unspezifische Triebkraft zum Handeln schlechthin das eine Mal zum Balltreten, das andere Mal zum beten und dann zum Pädagogische-Psychologie-Treiben führt.

Die Phrase von der leeren Energie, mit der jede Handlung erklärt werden soll, erklärt eben deshalb keine einzige. Sie kürzt sich also heraus.

3.

Die Motivationspsychologie bemerkt selbst, daß ihre Idee von einer universellen inneren Schubkraft, also die Fiktion von einem Willen, der nicht will und zu allem bereit sein ist, niemals die von ihr behauptete Notwendigkeit „menschlichen Verhaltens“ erbringt. Das hält sie allerdings nicht für eine Widerlegung ihres Bemühens, das menschliche Handeln als notwendiges Produkt von Antriebskräften darzustellen. Im Gegenteil: Jetzt erst recht, lautet ihr Motto, und sie begibt sich auf die Suche nach Bedingungen, inneren wie äußeren, die der Motivation, also der leeren Handlungsbereitschaft, Ziel und Richtung verpassen sollen. Da werden dann wilde Schaubilder mit unzähligen Doppelpfeilen gezeichnet –

und es liest sich z.B. so:

  „Der Bedingungssatz der Motivationspsychologie: Motivation ist eine Funktionsvariable, sie beschäftigt sich mit den Bedingungen in Per-sonen und Situationen für ein bestimmtes Verhalten.

An der „Motivation“, in die der Psychologe den Willen einer „Person“ übersetzt hat, fällt auf, daß sie selbst rein gar nichts ist. Die „Kraft“, die angeblich alles „bewegen“ soll, ist hier die „variable Funktion“ von „Faktoren“, die sie überhaupt erst hervorbringen. Weiter fällt auf, daß das Subjekt gleich doppelt vorkommt: zum einen handelt es, indem es z.B. „die Situation“ „bewertet“, „interpretiert“ oder „strukturiert“; zum anderen ist das Subjekt das Werk von sich selbst, insofern es Bedingung = innerer Auslöser seines eigenen Handelns vorfindet, eine Voraussetzung, die er begutachtet, gegebenenfalls ändert oder überhaupt erst herstellt: Unter dem Gesichtspunkt der Ermöglichung von Handlungen ist sie dasselbe wie eine Abteilung der „Person“, auslösende Bedingung, also z.B. wie der „Trieb“ einzig dazu da, „Verhalten“ hervorzulocken.

Der Sache nach hat die Motivationspsychologie mit einem solchen Modell ihren gedanklichen Zirkel nur um einen zusätzlichen „Faktor“ erweitert: Wann ergeben die „inneren Faktoren“ ein „bestimmtes Verhalten“? Dann, wenn die „Situation“ jene „Faktoren“ „auszulösen“ in der Lage ist. Wann kommt die „Situation“ als „auslösender Faktor“ für ein „bestimmtes Verhalten“ in Betracht? Dann, wenn sie auf „innere Faktoren“ trifft, die sie überhaupt erst zu einem „Auslöser“ machen!

Für die Motivationspsychologie freilich ist der Gewinn beträchtlich: Sie braucht sich auf keine der einzelnen Gesetzmäßigkeiten, die sie ins Spiel gebracht hat, festzulegen. Weder der „Mensch“ als „Kognition“ oder „Organismus“ noch die „Situation“ mit ihren möglichen „Reizen“ sollen für sich genommen einen gültigen Verhaltensmechanismus abgeben. Aber zusammengenommen und mit Kästen, Kreisen und Pfeilen ins Bild gesetzt, liefert das Modell die Möglichkeit, sich das menschliche Handeln als Gesetzmäßigkeit vorzustellen. Wobei die so vorgestellte Gesetzmäßigkeit nur den Inhalt hat, gesetzmäßig zu sein: Wie man an den zugleich vorwärts und rückwärtsgerichteten Pfeilen sieht, soll gar nichts mehr unterschieden werden. „Situation“, „Mensch“ und „Handlung“ (sogar die zählt plötzlich als Faktor, der beim „Zustandekommen“ von „Handlung“ zu berücksichtigen ist!) wirken jeweils aufeinander ein und sind zugleich jeweils voneinander bewirkt – das ist die ganze Aussage, die die Motivationspsychologie in ihrer „differenzierteren“ Abteilung zu bieten hat. Müßig zu fragen, wie sich damit bestimmte, voneinander unterschiedene Handlungen erklären lassen. Darum geht es dieser Wissenschaft eben nicht. Sie will nichts anderes als die Möglichkeit ihrer Sichtweise beweisen: daß das „Verhalten“ des Menschen als abhängige Variable innerer und äußerer Bedingungen gedacht werden kann.

4.

Diesem methodischen Beweisziel sind alle Anstrengungen dieser Wissenschaft gewidmet. Und entsprechend öde fallen die motivations-psychologischen Bücher und Vorlesungen auch aus: Zig Modelle werden konstruiert und mehr oder weniger stolz präsentiert; angebliche mathematische Beziehungen werden aufgestellt und aufrechterhalten, indem man sie – teilweise – verwirft, verwegene Analogieschlüsse werden gezogen und spielerisch weitergesponnen – und siehe da: es geht, man kann das menschliche Handeln als ein Resultat wechsel-seitiger funktioneller Abhängigkeiten darstellen. Beweis: Die Motiva-tionspsychologie verfährt so!

 

(c) Verein zur Förderung des studentischen Pressewesens


contradictio - 2006