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Hegels Wissenschaft der Logik

Vorgeführt an typischen Fehlern bürgerlicher Wissenschaft
 

Gliederung

1. Einleitung
2. Dialektik als Methode
3. Hegels Widerlegung aller Methodenlehren
4. „Grenzen der Erkenntnis“
5. Formen undialektischen Denkens in der herrschenden Wissenschaft
      5.1. Kraft, Trieb, Begabung, Fähigkeit
      5.2. Möglichkeit
      5.3. Bedingung
      5.4. Funktion
6. Grund-Folge, Ursache-Wirkung
7. Was ist Wissenschaft: Begriff, Urteil, Schluss
      7.1. Der Begriff
      7.2. Das Urteil
           7.2.1. Das qualitative Urteil
           7.2.2. Das Reflexionsurteil
           7.2.3. Das Urteil des Begriffs
      7.3. Der Schluss
           7.3.1. Der qualitative Schluss
           7.3.2. Der Reflexionsschluss
           7.3.3. Der Schluss der Allheit


1. Einleitung

Wenn man sich die Geisteswissenschaften ansieht, wie sie heutzutage an der Universität gelehrt werden, von der VWL über die Soziologie, die Sprach-wissenschaft und Psychologie bis zur Philosophie, dann stellt man eines fest: Es existiert eine Vielfalt von Theorien zum gleichen Gegenstand, und diese Theorien stehen nicht nur nebeneinander, vielmehr widersprechen sie sich. Dass das niemanden wirklich zu stören scheint, verdankt sich nicht einer Unfähigkeit, die Fehler zu erkennen.

Die Art, wie diese Wissenschaften mit Argumenten umgehen, d. h. die Grund-muster ihrer Fehler, hat Hegel schon vor über 150 Jahren kritisiert. Den Plu-ralismus gibt es jedenfalls nicht deswegen, weil man es nicht besser wüsste. Andererseits hat Hegel aber auch keine Rezepte für richtiges Denken entwickelt. Die Kenntnis der Formen, deren sich eine richtige und deren sich eine falsche Wissenschaft bedient, verhilft einem beispielsweise bei „Erkennt-nissen“ der Wissenschaft aus dem Bereich der Ökonomie oder Politik zum leichteren Erkennen der Fehler. Was man von Hegel lernen kann, ist seine Wissenschaft von der Wissenschaft selbst. Hegel hat diese Wissenschaft Dialektik genannt.

2. Dialektik als Methode

Das Wort „Dialektik“ ist auch bei Leuten bekannt, die noch keine Zeile Hegel gelesen haben. Was darunter verstanden wird, zeigt schon eine falsche Auffassung vom Denken als solchem: Für Sir Karl POPPER ist Dialektik „das Blendwerk der falschen Propheten“, und er meint damit in etwa dasselbe wie die populäre Vorstellung, Dialektik sei die rhetorische Trickkiste, die Marxisten benutzen, um anständigen Menschen das Hirn so zu vernebeln, dass sie alles glauben. BLOCH und andere Dialektik-Befürworter sehen darin ein Verfahren, das Hoffnung macht, weil alles „mehr ist, als es bloß ist“, eine Weise, die Dinge nicht so zu sehen, wie sie wirklich sind, sondern sie als die bessere Möglichkeit ihrer selbst, als etwas über sie Hinausweisendes aufzufassen.

Gemeinsam ist den positiven wie den negativen Interpretationen, dass Dialektik als eine Denkmethode aufgefasst wird. Allerdings ist es widersinnig, Denken und Argumentieren als Mittel zu einem Zweck zu begreifen: Wenn das Ergebnis feststeht, wenn man schon weiß, was beim Nachdenken herauskommen soll – was sollen dann geistige Anstrengungen, bei denen dasselbe herauskommt? Wer mit BLOCH hoffen will, soll das halt tun, und wer als „falscher Prophet“ einen Schwindel an den Mann bringen will, ist für eine Botschaft, die man sowieso glauben soll. Sich zu einem bereits feststehenden Resultat noch einmal geistig hinzurobben, ist schon eine ziemlich überflüssige Angelegenheit.

Was bei BLOCH noch drinsteckt und von manchen ausdrücklich vertreten wird, ist, dass Dialektik als Methode zugleich objektiv, der Sache angemessen sein soll. So ist bei ALTVATER Dialektik „die Methode der Kritik, weil der Kapitalismus widersprüchlich ist.“ Soll heißen, sie ist eine Weise, Wissenschaft zu treiben, die der zu untersuchenden Sache entspricht. Aber: woher weiß man das? Dazu müsste man ja die Sache schon – ohne Methode – untersucht haben, um entscheiden zu können, welche Methode zu ihr passt. Dann kürzt sich aber die Methode heraus.

Dialektik wurde bis hierher als Beispiel für die Vorstellung von Denken als Methode überhaupt gebraucht. Diese Vorstellung haben alle bürgerliche Wissenschaftlern, seien sie nun Befürworter oder Gegner von Dialektik. Gegen Dialektik haben die letzteren nur einzuwenden, dass sie die falsche Methode sei.

 

3. Hegels Widerlegung aller Methodenlehren

HEGEL, der es damals noch nicht mit so niveaulosem Zeug zu tun hatte, wie es heute an der Uni verbreitet wird, hat in seiner Kritik an KANT ein für allemal die Haltlosigkeit solcher Ideen gezeigt. KANT wollte, um gewissermaßen erst einmal das Feld für die Wissenschaft abzustecken, das Erkenntnisvermögen untersuchen. Dazu HEGEL:

„Dies ist der Hauptsatz der Kantischen Philosophie, sie wird auch Kritische Philosophie genannt, indem ihr Zweck zunächst ist – sagt Kant – eine Kritik des Erkenntnisvermögens zu sein. Vor dem Erkennen muss man das Erkenntnisvermögen untersuchen. Das ist dem Menschenverstand plausibel, ein Fund für den gesunden Menschenverstand. Das Erkennen wird vorgestellt als ein Instru-ment, die Art und Weise, wie wir uns der Wahrheit bemächtigen wollen; ehe man also an die Wahrheit selbst gehen könne, müsse man zuerst die Natur, die Art seines Instrumentes kennen. Es ist tätig; man müsse sehen, ob dies fähig sei, das zu leisten, was gefordert wird, - den Gegenstand zu packen; man muss wissen, was es an dem Gegenstand ändert, um diese Änderung nicht mit den Bestimmungen des Gegenstands selbst zu verwechseln. – Es ist, als ob man mit Spießen und Stangen auf die Wahrheit losgehen könnte. Vor der Wahrheit erkennt das Erkennen nichts Wahres; es geht ihm dann wie den Juden, der Geist geht mitten hindurch. Das Erkenntnisvermögen untersuchen heiß, es erkennen. Die Forderung ist also diese: man soll das Erkenntnisvermögen erkennen, ehe man erkennt; es ist dasselbe wie mit dem Schwimmenwollen, ehe man ins Wasser geht. Die Untersuchung des Erkenntnisvermögens ist selbst erkennend, kann nicht zu dem kommen, zu was es kommen will, weil es selbst dies ist, - nicht zu sich zu kommen, weil es bei sich ist.“ HEGEL, Geschichte der Philosophie III, WW 220, S. 333

Das ist eben das Zirkuläre einer solchen Unternehmung: Wenn man das Denken als Instrument ansieht und wissen will, ob dieses Instrument dazu taugt, die Wahrheit über bestimmte Dinge herauszubekommen, was bleibt einem dann anderes übrig als – zu Denken, seinen Verstand, den man erst prüfen will, zu gebrauchen und sich auf ihn zu verlassen. Dann erübrigt es sich aber, ihn erst noch zu prüfen. Will man aber daran festhalten, dass die Tauglichkeit des Denkens eine offene Frage ist, dann ist das Resultat der Untersuchung nichts wert. Die zu prüfende Sache kann nicht zugleich Prüfinstanz sein.

KANT stellt sich die Sache so vor: Das Denken ist ein Werkzeug – Spieße und Stangen, sagt Hegel – mit dem man sich der Welt geistig bemächtigt. Es bearbeitet sein Objekt, und die Veränderung, die dabei an diesem bewirkt wird, muss man doch in Rechnung stellen.

Da hat er sich aber etwas unmögliches vorgenommen, denn er müsste die Realität außerhalb des Denkens mit der vom Denken erfassten Realität vergleichen können, um die Abweichung, die das Denken bewirkt zu bestimmen. Von welchem Standpunkt sollte er die Feststellung treffen können: Hoppla, die Sache ist ja in Wirklichkeit anders als sie mir mein Bewusstsein zeigt? Da wird mit dem Denken ein fiktiver Maßstab gesetzt- Übereinstimmung mit der Realität, ein Maßstab, den man nicht anwenden kann. Und das taugt nur zu einem: Einen grundlosen Zweifel ins Denken in die Welt zu setzen. Einen Zweifel, der den Beweis schuldig bleiben muss. Skepsis ist eine haltlose Angelegenheit, weil man immer nur bestimmte Fehler im Denken nachweisen kann, aber nie die Tauglichkeit oder Untauglichkeit des Denkens überhaupt. (Eben: Tauglichkeit in Bezug auf was?)

Dasselbe sagt MARX in seiner zweiten Feuerbachthese:

„Die Frage, ob dem menschlichem Denken gegenständliche Wahrheit zukomme – ist- keine Frage der Theorie, sondern eine praktische Frage. In der Praxis muss der Mensch die Wahrheit, i. e. Wirklichkeit und Macht, Diesseitigkeit seines Denkens beweisen. Der Streit über die Wirklichkeit oder Nichtwirklichkeit des Denkens – das von der Praxis isoliert ist – ist eine rein scholastische Frage.“ MEW 3, S. 5

Bei einer Wissenschaft, die über reale Gegenstände nachdenkt und Ergebnisse liefert, die dann auch praktisch anwendbar sind, stellt sich die Frage überhaupt nicht. Und ob das Denken überhaupt die Realität trifft, wobei man sich das Denken wohl als ein von der Wirklichkeit getrenntes Spintisieren vorstellt, darüber sollen sich andere den Kopf zerbrechen.

Die ganze Problematisierung des Verhältnisses von Denken und Welt ist fruchtlos, da die Differenz von beidem nur als möglicherweise vorhanden (möglicherweise aber auch nicht) bestimmt werden kann, und, was die Erkenntnis betrifft, eine praktische Konsequenz einer Differenz, die nicht fassbar ist, nicht angegeben werden kann.


4.  „Grenzen der Erkenntnis“

Seine Kritik an KANT setzt Hegel so fort:

„Indem aber auf der Seite diese Erkenntnis sich als die Erkenntnis nur von Erscheinendem weiß, wird das Unbefriedigende derselben eingestanden, aber zugleich vorausgesetzt, als ob zwar nicht die Dinge an sich, aber doch innerhalb der Sphäre der Erscheinung richtig erkannt würde, als ob dabei gleichsam nur die Art der Gegenstände verschieden wäre, und die eine Art, nämlich die Erscheinungen in die Erkenntnis fielen. Wie wenn einem Manne richtige Einsicht beigemessen würde mit dem Zusatz, dass er jedoch nichts Wahres sonder nur Unwahres einzusehen fähig sei. So ungereimt das letztere währe, so ungereimt ist eine wahre Erkenntnis, die den Gegenstand nicht erkännte, wie er an sich ist..

Die Kritik der Formen des Verstandes hat das angeführte Resultat gehabt, dass diese Formen keine Anwendung auf die Dinge an sich haben. – Dies kann keinen anderen Sinn haben, als dass diese Formen an ihnen selbst etwas unwahres sind. Allein indem sie für die subjektive Vernunft und für die Erfahrung als geltend gelassen, so hat die Kritik keine Änderung an ihnen selbst bewirkt, sondern lässt sie für das Subjekt, wie einst in der selben Gestalt für das Objekt gelten. Wenn sie aber ungenügend für das Ding an sich sind, so müsste der Verstand, dem sie angehören sollen, noch weniger dieselben sich gefallen lassen und damit vorlieb nehmen wollen.“ HEGEL, Wissenschaft der Logik I, S. 27

Das gibt es nicht, sagt Hegel, dass das erkennende Subjekt weiß, das es nur Erscheinungen erkennt, dass sein Denken eine Schranke hat, über die es nicht hinaus kann. Man kann nicht wissen, dass man sich täuscht. Das weiß man immer erst hinterher, wenn die Täuschung bereits aufgeklärt ist. Kant dagegen behauptet, das Unzureichen des Wissen sei damit, dass er es herausgefunden hat, nicht erledigt. Er behauptet glatt den Widerspruch – der bis heute ein Schlager geblieben ist – die menschliche Erkenntnis sei notwendig unzureichend. Diesen Widerspruch löst Hegel nach zwei Seiten auf:

Wenn dem Menschen „nur“ Erkenntnis von Erscheinungen möglich ist, dann kann er von einem „Ding an sich“ auch nichts wissen, und die Behauptung, so etwas gäbe es, ist haltlos. Andererseits: Wenn KANTs Untersuchung bestimmter Denkkategorien, „Formen des Verstandes“, ergeben hat, dass sie mangelhaft sind, die Sache nicht treffen, dann soll er auch nicht sagen, diese Kategorien seien notwendig. Dann sind das eben nicht die geeigneten Kategorien der Erkenntnis. Wenn man schon weiß, dass sie mangelhaft sind, dann ist man auch nicht mehr in ihnen befangen, dann wird man ja auch weitergehen können und den Mangel bestimmen können, den sie haben.

Nicht das Erkenntnisvermögen ist ganz grundsätzlich in Frage zu stellen, wohl aber gibt es falsche Denkmuster zu untersuchen und zu kritisieren. Und das kann nur so gehen, dass man sie an sich selbst misst, nicht den Vergleich mit der „Realität“ aufs Programm setzt, sondern prüft, ob sie das leisten, worauf sie abzielen. Das ist die einzig reelle Aufgabe, die sich hier stellt.

Dass der grundsätzliche Zweifel am Denken im Gegensatz steht zur Beseitigung von Fehlern, das war HEGELs Entdeckung. Die moderne Wissenschaftstheorie besteht überhaupt nur aus dem Anmelden von Vorbehalten gegen das Denken. Starke Behauptungen werden da gar nicht mehr aufgestellt. Genügt es nicht auf die prinzipielle „Irrtumsmöglichkeit“ (POPPER) hinzuweisen?

Damit ist eben nicht gesagt, dass Irrtümer ausgeräumt gehören. Wenn man nämlich alle Gedanken unter einem ganz abstrakten Verdacht stellt, dann will man zwischen richtigen und falschen Gedanken nicht unterscheiden. Dann lässt man – schwer bedenklich – alles gelten, nur eben nicht eine Kritik, die diesen Unterschied macht.

 

5. Formen undialektischen Denkens in der herrschenden Wissenschaft

5.1. Kraft, Trieb, Begabung, Fähigkeit

Wer irgendein geisteswissenschaftliches Fach studiert, kennt diese Kategorien: Die Politologie sagt: „Der Mensch ist ein Staatenbildendes Wesen.“ Er hat in sich eine Anlage, einen Trieb zum Staat. Die Pädagogik erklärt, was aus einem Kind wird, aus seiner Begabung. Und die Psychologie hat überhaupt die Kategorien Kraft/Trieb gepachtet: Da gibt es den Aggressionstrieb, der dafür verantwortlich ist, wenn einer dem Anderen ans Schienenbein tritt, den Liebestrieb, der zur Liebe, den Todestrieb, der zum Tod führt. Und Intelligenz wird z. B. so erklärt:

„Die in sehr großer Anzahl vorliegenden Definitionen der Intelligenz betonen im wesentlichen vier Sachverhalte: 1. dass es sich um eine Begabung bzw. um eine Gruppe von Begabungen handelt, die ein Lebewesen im höheren oder geringerem Maße besitzen kann; 2. dass diese Fähigkeit die Lösung konkreter oder abstrakter Probleme und damit die Bewältigung neuartiger Situationen ermöglicht; 3. dass sie das bloße Herumprobieren und Lernen an dessen sich zufällig einstellenden Erfolgen weitgehend erübrigt; 4. dass diese Begabung sich in der Erfassung, Anwendung, Deutung und Herstellung von Beziehungen und Sinnzusammenhängen äußert.“ Fischer Lexikon Psychologie, S. 172

Was weiß man jetzt über Intelligenz? Intelligenz wird hier erklärt als Begabung zum Lösen von Problemen, Erfassen von Zusammenhängen usw., also zu intelligentem Verhalten. Die Erklärung ist nur formell vorangekommen. Intelligenz steht jetzt zweimal da: einmal als Verhaltensweisen, die der Psychologe so festgestellt haben will und zum zweiten als Begabung, die in nichts anderem besteht, als die zu erklärenden Verhaltensweisen hervorzubringen. Der Inhalt bleibt eine Leerstelle – für Intelligenz könnte man sonst was einsetzen. Die Sache ist, dass sie produziert, hervorgebracht ist. Diese logische Figur taugt offenbar dazu, Sachen zu erfinden, die es nicht gibt. Das intelligente Verhalten, das durch die Fähigkeit dazu erklärt wird, ist ja auch schon eine merkwürdige Beschäftigung. Es scheint so etwas ähnliches wie Denken zu sein, aber doch nicht dasselbe. Offenbar kann man sich bei jeder Tätigkeit intelligent verhalten oder nicht. Und wodurch unterscheidet sich das intelligente Tun vom nicht-intelligenten?

Intelligent ist es dann, wenn man die Tätigkeit beherrscht, wenn man nicht herumprobiert, sondern systematisch vorgeht, den Überblick hat, und wenn auch das herauskommt, was herauskommen soll.

Das Können vom Nicht-Können zu unterscheiden, ist es aber nicht worauf diese Theorie hinauswill. Sie will das können zu einer selbstständigen Eigenschaft neben den Tätigkeiten die es so gibt, erklären. Sie erfindet ein umfassendes Know-how, das keines von irgend etwas ist. Von bestimmten Tätigkeiten ist es zwar nicht zu trennen, die Behauptung, dass es sich darin äußert, kreiert es als Extra-Ding, ein Ding, über das man nichts verlauten lassen muss, weil eine Kraft ja wohl nicht anders zu haben und zu fassen ist, als in ihrer Äußerung. Dennoch verbürgt sie etwas davon Unterschiedenes. Und das ist der Vorzug für diese Kategorie für Denker, die Sachen erfinden wollen, in diesem Fall eine Eigenschaft des Menschen, die dafür verantwortlich ist, dass es manche auf der Welt weiter bringen als andere. Wer nichts gelernt hat, besitzt eben nicht die Anlage dazu. Die gesellschaftlichen Einrichtungen, die ihn gezielt von Bildung ausgeschlossen haben, sind so aus dem Schneider.

Reizvoll für eine falsche Wissenschaft ist diese Kategorie durch ihren Mangel, ihre spezifische Unwissenschaftlichkeit, die HEGEL, der sich allerdings nicht vorstellen kann, warum sie trotzdem verwendet wird, so erklärt:

„Man pflegt zu sagen, dass die Natur der Kraft selbst unbekannt sei und nur ihre Äußerung erkannt werde. Einesteils ist die ganze Inhaltsbestimmung der Kraft eben dieselbe als die der Äußerung ; die Erklärung einer Erscheinung aus einer Kraft ist deswegen eine leere Tautologie. Was unbekannt bleiben soll, ist also in der Tat nichts als die leere Form der Reflexion-in-sich, wodurch allein die Kraft von der Äußerung unterschieden ist. Diese Form tut zum Inhalte und zum Gesetze, welche nur aus der Erscheinung erkannt werden, im Geringsten nichts hinzu. Auch wird überall versichert, es solle damit über die Kraft nichts behauptet werden; es ist also nicht abzusehen, warum die Form von Kraft in die Wissenschaft eingeführt worden ist.“ Enz. I, §136 Zus.

Die Form der Erklärung ist mit dieser Kategorie schon geleistet: Man geht über das hinaus, was man so in der Welt konstatiert und zeigt etwas ähnliches wie einen Grund, etwas, was die Sache, die in Frage steht, bestimmt (Reflexion-in-sich). Nur ist das, was die Sache erklären soll, inhaltlich völlig leer. Die Kraft hat keine andere Eigenschaft, als die, die Sache hervorzubringen. Die formelle Differenz von Kraft und Äußerung suggeriert einen inhaltlichen Fortschritt, der aber gar nicht stattfindet. Und wo diese gedankliche Figur benützt wird, dient sie auch gar nicht zur Erklärung, sondern dazu, einer ungereimten Idee eine rationelle äußere Form zu geben. Immer ist es die Behauptung, dass eine Sache gar keine andere Erklärung habe als sich selber und damit entweder die Opposition gegen eine wirkliche Erklärung, wie im Fall der Aussage „Der Mensch ist ein Staatenbildendes Wesen“ oder wie im Fall von Aggression und Intelligenz das Abstreiten des irrationalen Charakters erfundener Sachen.

Ihren Mangel offenbart die Kategorie Kraft-Äußerung auch „an sich selbst“. Ihre Anwendung wirft immer die Frage auf, wieso die Kraft gerade jetzt diese Äußerung hervorbringt. So, wenn Aggression als allgemeine Disposition eines Menschen behauptet wird, dann stellt sich zwangsläufig die Frage: Warum ist er dann nicht immer aggressiv? Wenn das in ihm drinsteckt, dann muss es wohl raus. Warum in diesem Fall und sonst nicht? Die Kraft, die doch dem Inhalt nach gar nichts anderes ist als die Äußerung, stimmt andererseits mit der Äußerung gar nicht überein. Für jede bestimmte Äußerung ist die Kraft als Erklärung zu allgemein. Beispiel: Das Kind kann gut rechnen, es ist intelligent. Dann müsste es aber auch gut rechtschreiben können und das kann es nicht. Na ja, vielleicht hat es nur eine ‚Mathematische Intelligenz’. – Nun hat man die Wahl, ob man gleich sagen will: es kann halt rechnen, oder ob man doch noch eine Extra-Fähigkeit behaupten will, die für das Rechnen können verantwortlich ist, dann setze sich das Spiel fort. Immer muss die Entsprechung von Kraft und Äußerung erst noch bewiesen werden. Da die Kraft ja etwas gegenüber ihren diversen Äußerungen Selbstständiges sein soll, geht sie darin eben auch nie auf und „erklärt“ diese immer nur unzureichend. Deshalb müssen andere Faktoren dafür verantwortlich sein, dass sie sich so und nicht anders äußert. – Und wo ist jetzt der Erklärungswert der Kraft?

„Die Endlichkeit der Kraft zeigt sich ferner darin, dass dieselbe, um sich zu äußern, der Solizitation* bedarf. Dasjenige, wodurch die Kraft solizitiert wird, ist selbst wieder Äußerung einer Kraft, welche um sich zu äußern, gleichfalls solizitiert werden muss. Wir erhalten auf diese Weise wieder den unendlichen Progress.“

*Solizitation = "Erweckung", Auslösung

Psychologie und Pädagogik machen auch tatsächlich in dieser Logik weiter und halten an der Entsprechung von Kraft und Äußerung so fest, dass sie noch mal einen „Anstoß“ erfinden, der die Kraft dazu bringt sich zu äußern: Ein Reiz muss auf den aggressiven Menschen wirken, damit er tatsächlich aggressiv wird, und die Intelligenz muss „geweckt“ werden, damit sie nicht ein Leben lang verschüttet beleibt.

Das Kategorienpaar Kraft-Äußerung, in dem die Sache und ihre Erklärung einerseits inhaltlich identisch sind, andererseits völlig auseinanderfallen, leistet nur eine formelle – nur den Schein der – Notwendigkeit. Darin, dass es an der Kraft gar nicht liegt, ob die Äußerung zustande kommt, steckt ein Übergang: Sie bringt die Sache gar nicht hervor, die Sache ist durch sie nicht notwendig, sondern nur möglich.


5.2. Möglichkeit

Die Frage „Ist es möglich..?! ruft im gewöhnlichen Leben häufig Radio-Eriwan-Antworten hervor: „Im Prinzip ja, aber...“ Dies ist schon ein Verweis auf den Mangel der Kategorie Möglichkeit, die in der herrschenden Wissenschaft sehr verbreitet ist. Alles ist möglich - oder auch nicht.

„Die Möglichkeit von Wissenschaft“ heißt ein Buch von MITTELSTRASS, ein Titel, der über der gesamten Erkenntnistheorie stehen könnte. „Die Möglichkeit von Erziehung“ ist das Thema der Pädagogik.

Nehmen wir zunächst ein Beispiel aus der Politikwissenschaft:

„Vornehmste Aufgabe der Opposition ist es, den Wählern Alter-nativmöglichkeiten aufzuzeigen und hierdurch die Abhaltung echter Wahlen zu ermöglichen.“ Fränkel, Fischer-Lexikon Staat Politik

Man hört hier sehr leicht heraus, dass die Bedeutung der Opposition betont wird, ohne dass man über sie oder die Wahl etwas erfährt. Auf die Opposition in der Demokratie soll es Wunder wie ankommen, denn wenn es keine Wahlmöglichkeit gäbe könnte man doch tatsächlich nicht zwischen Alternativen wählen, käme keine – echte – Wahl zustande.

Wieder kommt eine Sache zweimal vor: Einmal im Ausgangspunkt als etwas, das sein soll, das als fraglos wünschenswert vorausgesetzt wird, und dann noch mal als etwas, was ebendieses ermöglicht.

Anders als bei der Kategorie Kraft-Äußerung wird hier aber die Sache nicht einfach als Inneres oder Äußeres gedacht, sondern ins Verhältnis zu ihrer Identität gesetzt. Dasjenige, was eine Sache ermöglicht, ist nicht einfach wieder sie selbst, sondern das für sie Entscheidende, ohne welches sie nicht wäre, was sie ist. In unserem Beispiel: An der Opposition hängt es, ob eine echte Wahl, eine Wahl im eigentlichem Sinn herauskommt, im Gegensatz zu einer bloß inszenierten.

Die wirkliche Sache, die durch etwas für sie Wesentliches ermöglicht wird, ist in dieser Gedankenfigur immer einerseits fragwürdig, andererseits etwas, das sein soll, etwas, wofür man Partei ergreift. Auch MITTELSTRASS wird in seinem Buch über die Möglichkeit von Wissenschaft nicht einfach an die Wissenschaft, die es so gibt, gedacht haben. Da würde sich die Frage „Kann es die geben?“ nicht stellen. Er denkt also an eine eigentliche, „echte“ Wissenschaft und macht etwas für diese Wesentliches – bei ihm ist es die Sprache – ausfindig. Ausgangspunkt ist also immer ein Idealismus: Die Sache ist etwas, was ich mir wünsche. Nun sage ich aber nicht einfach, wie ich sie gerne hätte, sondern behaupte, sie enthält (als Möglichkeit) das, worauf es (mir) ankommt. Trennung von Realität und Identität einer Sache eignet sich einerseits zur Erfindung idealer Gegenstände (z.B. die Prima Erziehung, die dem Kind so richtig entspricht), andererseits zum Kompliment an Gegenstände, die ohne ihre Identität nicht wären, was sie sind.

„Ohne Goethe wäre die Klassik nicht denkbar.“

Na ja, ist Goethe und Klassik nicht sowieso fast dasselbe? Eben: Ohne Goethe wäre sie einfach nicht, was sie ist. Hier geht es nicht darum, neben der miesen Realität eine feine Klassik zu erfinden, sondern ihre Identität fiktiv aufs Spiel zu setzen, um dann befriedigt zu konstatieren, dass sie sie doch hat, dank Goethe. In jedem Fall steht die Identität einer Sache in Frage, damit man sie ihr dann verpassen kann.

Das geht durchaus auch als Kritik an dem besprochenem Gegenstand, eine Kritik, die dadurch genauso wenig objektiv ist, wie die Parteinahme für ihn. Volkszählungsgegner haben als Begründung vorgebracht:

„Deanonymisierung ist möglich.“

und wollte damit ausdrücklich nicht behaupten, das Versehen der Fragebögen sei der Zweck oder irgendjemandes Absicht bei der Volkszählung. Ausdrücklich unterschieden davon wird das Entscheidende der Sache, das, was ihren „eigentlich“ bürgerfeindlichen Charakter belegt, ausgemacht. Man will „nur“ vor einer Möglichkeit warnen – und behauptet damit, auf diesen Punkt käme es ganz schwer an, weil jedenfalls in der Sache enthalten. Aber auch die Schwäche des Argumentierens mit Möglichkeiten ist hier offensichtlich: Eine bloße Möglichkeit, darüber soll man sich aufregen? Die macht doch die wirkliche Sache gar nicht aus!

Was ist nicht alles möglich! Ohne Goethe keine Klassik? Aber doch wohl ohne Herder auch nicht. Und nicht ohne Winkelmann. Und...

Hegel sagt dazu:

„Weil die Möglichkeit zunächst gegen das Konkrete als Wirkliches die bloße Form der Identität-mit-sich ist, so ist die Regel für dieselbe nur, dass etwas sich in sich nicht widerspreche, und so ist alles möglich; denn allem Inhalte kann diese Form der Identität durch die Abstraktion gegeben werden. Aber alles ist ebenso sehr unmöglich, denn in allem Inhalte, da er ein Konkretes ist, kann die Bestimmtheit als bestimmter Gegensatz und damit als Widerspruch gefasst werden. – Es gibt daher kein leereres Reden als das von solcher Möglichkeit und Unmöglichkeit. Insbesondere muss in der Philosophie von dem Aufzeigen, dass etwas möglich oder dass auch noch etwas anderes möglich und dass etwas, wie man es auch ausdrückt, denkbar sei, nicht die Rede sein. Der Geschichtsschreiber ist ebenso unmittelbar daran gewiesen, diese für sich auch schon als unwahr erklärte Kategorie nicht zu gebrauchen; aber der Scharfsinn des leeren Verstandes gefällt sich am meisten in dem hohlen Ersinnen von Möglichkeiten und recht vielen Möglichkeiten.“ Enz. I §143 Zus.

Da sie Identität getrennt von der Realität fasst, abstrakte Identität, erlaubt diese Kategorie das Spintisieren. Das Mögliche, das eben nur nicht in sich widersprüchlich sein darf, kann man sich beliebig ausdenken. Man muss nur von einer wirklichen Sache alles Grundsätzliche weglassen. Wieso soll es nicht möglich sein, dass der türkische Kaiser Papst wird? Er ist doch ein Mensch und kann sich zum Christentum bekehren, kann Priester werden usw.. Umgekehrt braucht man nur an einer wirklichen Sache einen Gegensatz festzuhalten, schon ist sie unmöglich. Wissenschaft ist nicht möglich, denn da steht Subjekt gegen Objekt. Krieg ist nicht möglich, denn er schadet dem, der ihn macht.

Wer etwas Wirkliches erklären will, macht einen Rückschritt, wenn er die Möglichkeit davon anführt. Die Wirklichkeit enthält schon immer die Möglichkeit. Was es gibt, wird es ja wohl auch geben können. Dagegen reicht die Möglichkeit nicht aus, die Wirklichkeit hervorzubringen: nicht alles, was möglich ist, wird auch Realität. Das ist vielmehr zufällig. Wer sagt: Der Atomkrieg ist möglich, weiß keinen Grund, warum irgend jemand ihn anfangen sollte. Deswegen ist diese Warnung auch beruhigend. Denn wenn Krieg nur möglich ist, dann ist eben sein Nicht-Stattfinden genauso möglich. Jede Möglichkeit enthält gleich den Verweis auf ihr Gegenteil. Die Kategorie hebt sich selbst auf: „möglich“ heißt immer zugleich: „oder auch nicht“. Möglichkeit, eine Form der Erklärung, die auf das Wesentliche, auf die Identität der Sache zielt, landet gerade beim Gegenteil. Die Identität der Sache löst sich auf: Sie kann sein oder nicht, sie kann so oder anders sein. sie ist nicht notwendig, sondern zufällig.


5.3. Bedingung

Die Möglichkeit als das Wesentliche einer Sache, bringt die Sache gar nicht aus sich heraus hervor. Die Sache steht und fällt damit, dass eine andere Sache vorhanden ist. Ihre wirkliche Möglichkeit ist die Bedingung.

„Diese Wirklichkeit, welche die Möglichkeit einer Sache ausmacht, ist daher nicht ihre eigene Möglichkeit, sondern das Ansichsein eines anderen Wirklichen; sie selbst ist die Wirklichkeit, die aufgehoben werden soll, die Möglichkeit als nur Möglichkeit. – So macht die reale Möglichkeit das Ganze von Bedingungen aus, eine nicht in sich reflektierte, zerstreute Wirklichkeit, welche aber bestimmt ist, das Ansichsein, aber eines Anderen, zu sein und in sich zurückgehen zu sollen.“ HEGEL, Logik II, S. 176f.

Auch diese Kategorie erfreut sich in der bürgerlichen Wissenschaft großer Beliebtheit. Zum Beispiel:

„Aus dem Geist der ökonomischen Rationalität vollendete die französische Revolution den modernen zentralistischen Verwal-tungsstaat... Erst die modernen technischen Verkehrs- und Nachrichtenmittel, die den Bürokratisierungsprozess des Jahrhun-derts freisetzten, schufen die Vorraussetzung zur Verfügbarkeit der staatlichen Machtmittel, ohne die die Entstehung des modernen Staates undenkbar ist.“ Fischer-Lexikon: Geschichte, S. 215

Ohne Telegraf und Eisenbahn kein moderner Staat! Eine Erklärung des Staates? Mit „ Bedingung“ ist an eine strengere Verknüpfung von Erklärung und Erklärtem gedacht: ist die Bedingung gegeben, kommt auch die Sache – wirklich – zustande. Inhaltlich werden mit dieser Kategorie ganz äußerliche Verhältnisse aufgemacht. Die Kategorie verlangt ja die Angabe einer zweiten Sache zur Erklärung der ersten. Das ist aber ein Widerspruch. Gebe ich als Bedingung etwas an , was mit der Sache nichts zu tun hat, dann kann es diese auch nicht hervorbringen. Die Kategorie taugt nur dazu, relativ beliebige (auch erfundene) Momente einer Sache – auch die moderne Technik gehört irgendwie zum modernen Staat – von ihr abzutrennen und als Auslöser (es soll gar nicht das Wesentliche der Sache sein), an dem die Existenz des Ganzem hängt, zu beglückwünschen. Wobei der Glückwunsch wieder enthält, dass das Bedingte als fraglos gut vorausgesetzt ist.

Der Widerspruch, dass die Bedingung zugleich etwas gegen die Sache Selbständiges ist, andererseits aber ganz in ihr aufgeht, bringt das „Problem“ mit dieser Kategorie hervor. Bedingung ist immer nur eine von vielfältigen Momenten, Beziehungen, in denen die Sache steht. Es gibt immer auch noch andere Bedingungen. Ohne Eisenbahn kein moderner Staat? Aber ohne Parlament, Kreditwesen, Kolonien, Wehrpflicht ... auch nicht. Nur der vollständige Umkreis der Bedingungen bringt die Sache tatsächlich hervor. Zugleich haben die Dinge, die als Bedingungen angegeben werden, als solche gar keinen Zusammenhang, sind verstreute Umstände, so dass man nie weiß, wann die Aufzählung fertig ist.


5.4. Funktion

Die Äußerlichkeit des Verhältnisses, das mit Bedingung angegeben ist, wird übertroffen durch eine moderne Erfindung, von der HEGEL noch keine Ahnung hatte, durch die Kategorie Funktion.

Die Schwierigkeit der bisher behandelten Kategorien: Eine Sache durch sich selbst zu erklären ist tautologisch, sie durch eine andere zu erklären ein Widerspruch; diese Schwierigkeit „löst“ die Kategorie „Funktion“, indem sie den Formalismus der Erklärung durch ein Verhältnis auf die Spitze treibt: Man darf einfach kein bestimmtes Verhältnis behaupten!

Der Kürze halber zu dieser Kategorie, die einer ganzen wissenschaftlichen Richtung den Namen gegeben hat, der Soziologe KÄSLER:

„Die RAF hatte die Funktion, die Einführung fälschungssicherer Ausweise zu befördern.“

Hätte er gesagt, die RAF hat den Zweck, für fälschungssichere Ausweise zu sorgen, könnte man ihm widersprechen. Hätte er gesagt, sie war der Grund, ließe sich auch etwas einwenden. Sogar gegen Bedingung könnte man noch Stellung nehmen: Eine Bedingung vielleicht, aber ... Zu „Funktion“ kann man eigentlich gar nichts mehr sagen. Die Behauptung: Da gibt es einen Zusammenhang, ist einfach unkritisierbar, weil nur der Form nach überhaupt etwas behauptet wird. Fragt man nach, was nun die RAF mit den fälschungssicheren Ausweisen genau zu tun hatte, erhält man sicher die Antwort, dass es die Ausweise vielleicht auch ohne die RAF gegeben hätte, dass die Bundesregierung sie auch gar nicht unbedingt wegen der RAF eingeführt habe, dass die RAF die Sache aber irgendwie befördert habe, das könne doch auch niemand bestreiten. Und darum geht es offenbar: Um das unkritisierbare Herstellen von Verknüpfungen. Wer so argumentiert, weiß, dass er Zusammenhänge findet, wo keine sind und will sich deshalb nicht festnageln lassen.

Eine Sache ist für eine andere 'gut'. Das heißt eben weder Mittel, noch Bedingung oder Grund. Im Unterschied zu den falschen Erklärungen, die durch 'Kraft', 'Möglichkeit', 'Bedingung' zustande kommen, ist hier kein Erklärungswille mehr vorhanden. Die Aussage, eine Sache diene einem höheren Zweck, den man ihr gar nicht ansieht, bekommt mit 'Funktion' eine wissenschaftliche Form.

Eine Funktion haben als Eigenschaft der Sache ausgedrückt, heißt 'Faktor', z.B.:

„Es gibt eine begrenzte Anzahl von Begabungsfaktoren (F1 ... F4), die in verschiedenem Ausmaß für die verschiedenen (Intelligenz-) Leistungen bestimmt sind.“

Also: Begabung ist etwas, was einen Beitrag zur Intelligenz leistet, welchen auch immer und wie viel auch immer. Und natürlich spielen für Intelligenz auch andere Funktionen eine Rolle ... Jedenfalls ist Intelligenz eine Sache, zu der einiges seinen Beitrag leistet. Ganz bestimmt wäre es zu viel verlangt, dass der Wissenschaftler sagt, was sie eigentlich ist, also wozu da Beiträge geliefert werden. Denn das kann er nicht, solange er nicht alle Faktoren auf der Reihe und beisammen hat.

 

6. Grund-Folge, Ursache-Wirkung

Das Begründen; Die Warum-Frage

Begründen ist fast schon ein Synonym für wissenschaftliches Erklären, ebenso wie Kausalität als Modell strenger (Natur-) Wissenschaftlichkeit gilt. Dass man mit diesen Kategorien erst in den Bereich der Notwendigkeit vorstößt, ist bekannt.

Und deshalb ist von Ursachen und Gründen in der bürgerlichen Wissenschaft kaum die Rede. Das Unwissenschaftliche von Kraft, Möglichkeit, Bedingung, das die Sache in Verhältnisse setzt, in denen sie als etwas Zufälliges, etwas, das sein kann oder auch nicht, erscheint, ist den heutigen Denkern lieber. Wer einen Grund, eine Ursache sagt, der sagt eben, dass es die Sache deswegen gibt und geben muss. Das ist antipluralistisch und wird bekämpft:

Eine Erklärung sei monokausal, ist ein Vorwurf. Wie kann man eine Sache auf eines zurückführen, wo sie doch komplex ist. Das ist das Gebot, keine – eindeutige – Erklärung zu liefern. Von wegen komplex! Woher wissen sie denn, dass die Sache nicht mono ist?

Für die Geisteswissenschaften gilt, dass hier Kausalität nicht geht. Nicht erklären, sondern verstehen sei da am Platz. Wieder wird mit der zirkulären Behauptung, die Sache verlange eine bestimmte Art der Erklärung, verboten, die wirklichen Gründe zu finden, statt die guten Gründe.

In der Philosophie, nämlich in der Wissenschaftstheorie, ist das Erklären Thema. Und es kommt immer heraus, dass es auch ginge, wenn ... HUMEs Rätsel ist da noch Gold: Er fragt sich: Was verbindet eigentlich Ursache und Wirkung? Dabei verliert er das Verhältnis ganz aus dem Auge und stellt sich zwei Ereignisse vor, die außer, dass sie nacheinander passieren, nichts miteinander zu tun haben, findet keine Verbindung und kommt zu dem Schluss, es sei eine geistige Gewohnheit des Menschen, aus einer häufigeren Abfolge von Ereignissen eine Notwendigkeit abzulesen und das Schmelzen von Wachs partout auf das Feuer zurückzuführen. Moderne Theoretiker denken sich „ Modelle der Kausalerklärung“ aus oder stellen „sprachliche Hilfsmittel“ bereit und machen so aus Erklären und Begründen ein Ideal, vor dem jede wirkliche Wissenschaft schlecht ausschaut.

Andererseits werden gerade in der Philosophie die Kategorien Grund und Ursache verwendet, weil sie ihre metaphysische Unternehmung mit Rationalitätspathos betreibt. Die Kategorien bieten sich auch dafür an.

Im Folgenden sollen Grund und Ursache gemeinsam behandelt werden, obwohl sie nicht ganz dasselbe sind. Sie verhalten sich in etwa wie Möglichkeit und Bedingung. Grund wird als etwas Inneres, Ursache als etwas Äußeres, eine Sache, gedacht.

Im Grunde wird nicht mehr die Identität einer Sache zu ihrer – vielfältigen – Wirklichkeit in Beziehung gesetzt. Der Grund enthält vielmehr schon die Sache als Ganze. Wenn ich nach dem Grund frage, dann will ich die Sache nicht auf einen Punkt bringen, der für sie – als wirkliche – entscheidend ist, sondern dann will ich schon wissen, wodurch sie als ganze, mit ihren verschiedenen Momenten zustande kommt. Da zeigt sich aber schon gleich die Schwierigkeit:

„Der Grund ist nur Grund, sofern er begründet; das aus dem Grund Hervorgegangene aber ist er selbst, und hierin liegt der Formalismus des Grundes. Das Begründete und der Grund sind ein und derselbe Inhalt, und der Unterschied der einfachen Beziehung aus sich und der Vermittlung oder des Gesetztsein.“ HEGEL, Enz. I, § 121, Zus.

Der frühere Widerspruch: die Sache geht nicht auf in ihren Bedingungen, in einer Fähigkeit oder Möglichkeit ihrer Existenz, ist nun aufgehoben. Grund und Begründetes sind identisch. Aber damit stellt sich sofort der gleiche Wider-spruch auf neuer Ebene. Der gleiche Inhalt kommt doppelt vor, und damit ist auch der Grund eine formelle Kategorie, bei der sich der Inhalt herauskürzt.

Beispiel: Was ist der Grund der Arbeitslosigkeit? Sagen wir: die Konjunktur oder: der Dollarkurs. Das sind, genau betrachtet, unzureichende Antworten. Jetzt ist etwas anderes angeführt worden, und es stellt sich noch mal die Frage, was denn diese Dinge genau mit der Arbeitslosigkeit zu tun haben. Konjunktur und Dollarkurs können genauso gut Gründe für ein anderes Phänomen sein, ebenso könnte Arbeitslosigkeit noch andere Gründe haben. Was verlangt ist, dass der Grund genau dieses Phänomen erklärt, nicht mehr und nicht weniger, ist so nicht geleistet. Bleibt nur ein Ausweg: Der Grund der Arbeitslosigkeit ist die schlechte Beschäftigungslage. Jetzt ist als Grund etwas genannt, was nicht mehr und nicht weniger ist als die Sache selbst, die strengste Verbindung, die totale Identität ist hergestellt. Aber das ist ja überhaupt keine Erklärung. Man wollte etwas wissen und weiß nichts. Gerade die „Strenge“ der Kategorie hat ihre Unerfüllbarkeit zur Folge: Gefordert ist etwas anderes als das zu erklärende Phänomen und zugleich genau dasselbe, es gibt nichts dazwischen. Grund ist der Widerspruch von Identität und Nicht-Identität. Die Frage der Wissenschaft kann nicht die Warum-Frage sein, ihre Technik kann nicht das Zurückführen sein.

Wo „Grund“ verwendet wird, ist er Technik des Gegenstandwechsels bzw. der Verwandlung einer Sache in eine andere. Noch ein prominentes Beispiel: Max Weber führt den Kapitalismus auf die protestantische Ethik zurück. Offen-sichtlich ist Kapitalismus und Religion etwas ganz Verschiedenes. Ohne das Buch weiter zu würdigen, kann man die Aufgabe formulieren, die es erfüllen müsste und unmöglich erfüllen kann: Den Beweis, dass Kapitalismus letztlich gar nichts anderes ist als Protestantismus. Kredit und Zins ein religiöses Phänomen? Ist auch die Krise in diesem Glauben schon vorgesehen? Usw.

Konsequenz, Fortsetzung des Mangels der Kategorie ist der unendliche Prozess. Zur Kausalität sagt HEGEL:

„Ursache und Wirkung sind somit beide ein und derselbe Inhalt, und der Unterschied derselben ist zunächst nur der des Setzens und des Gesetztseins, welcher Formunterschied sich dann aber auch aus ebenso wieder aufhebt, dargestellt, dass die Ursache nicht nur Ursache eines Anderen, sondern auch Ursache ihrer selbst, und die Wirkung nicht nur die Wirkung eines anderen, sondern auch Wirkung ihrer selbst ist. Die Endlichkeit der Dinge besteht hiernach darin, dass während Ursache und Wirkung ihrem Begriff nach identisch sind, diese beiden Formen in der Art getrennt vorkommen, dass die Ursache zwar auch Wirkung und die Wirkung zwar auch Ursache ist, jedoch jene nicht in derselben Beziehung, in welcher sie Ursache und diese nicht in derselben Beziehung, in der sie Wirkung ist. Dies gibt dann wieder den unendlichen Progress in der Gestalt einer endlosen Gestalt von Ursachen, welche sich zugleich als eine endlose Reihe von Wirkungen zeigt.“ Enz. I, § 153, Zus.

Ursache und Wirkung haben denselben Inhalt: Der Regen macht den Boden nass, Regen und Nässe auf der Straße sind dasselbe Wasser. Das Feuer bringt das Wachs zum Schmelzen – beides dieselbe Wärme. Der Unterschied ist nur formell, der des Selbstständigen und des Abhängigen. Da nun die Wirkung den gleichen Inhalt hat wie die Ursache, kann man auch sagen, dass die Ursache sich selbst hervorbringt. Das ist aber schon über die Kategorie hinausgedacht. So kann man sie nicht mehr gebrauchen. Sie selbst hält den Unterschied so fest, dass zwar alles was Wirkung ist, genauso Ursache sein kann, aber nicht zugleich in der selben Beziehung. Das Feuer, das das Schmelzen des Wachses bewirkt, ist selbst bewirkt, aber wieder von etwas anderem. So kann man unendliche Ketten von Ursachen und Wirkungen bilden. Den gleichen Inhalt kann man als Ursache oder als Wirkung betrachten. Das hat mit ihm einfach nichts zu tun, sondern ist nur die Perspektive des Betrachters.

Diesen Mangel benützen Metaphysiker für ihre Idee der causa sui, des letzten Grundes von allem.

„Die Vernunft (ist gedrungen) irgendwo ihren Ruhestand, in dem Regressus vom Bedingten das gegeben ist, zum Unbedingten, zu suchen, das zwar an sich und seinem bloßen Begriff nach nicht als wirklich gegeben ist, welches aber allein die Reihe der zu ihren Gründen hinausgeführten Bedingungen vollenden kann. Wenn etwas, was es auch sei, existiert, so muss auch eingeräumt werden, dass irgend etwas notwendigerweise existierte. Denn das Zufällige existiert nur unter der Bedingung eines anderen, als seiner Ursache, und von dieser gilt der Schluss fernerhin, bis zu einer Ursache, die nicht zufällig und eben darum ohne Bedingung notwendigerweise da ist. Das ist das Argument, worauf die Vernunft ihren Fortschritt zum Urwesen gründet.“ KANT, Kr. D. r. V., B 612f.

Wenn jede Ursache ihrerseits bewirkt ist und so fort, dann gibt es ja gar keine Ursache, so wird gefolgert; es gibt nur Abhängiges und nichts, wo von es abhängig ist. Also muss es ein Urwesen geben, das selber sein eigener Grund ist und alles andere hervorbringt. Die Überlegung ist falsch, denn mit gleichem Recht könnte man sie umdrehen und sagen: Wenn alles Ursache von etwas anderem ist, alle Wirkungen sich wieder in Ursachen auflösen, dann gibt es nur Unbedingtes und nichts Abhängiges. Beides ist eine unzulässige Hypostasierung. Die Welt ist nicht voller Wirkungen oder Ursachen wie voller Dinge. Es hängt auch nicht alles, was passiert, an einer Kette. So usurpiert eine logische Kategorie das Universum. Das fällt ihnen bei anderen Kategorien auch nicht ein: Die ganze Welt ist positiv, wo ist das Negative; quantitativ, wo ist die Qualität?

Der Mangel der Kategorie – sie erweist eine Sache als relativ notwendig –, bietet sich an für den „Beweis“, dass die Vernunft irgendwo ihren Abschied einreichen und zum glauben werden muss. Der unendliche Progress, der nun zeigt, dass die Kategorie nichts taugt, wird zur Eigenschaft der Vernunft selber, die nie festen Boden unter die Füße kriegt, wenn sie sich nicht selbst aufgibt.

„Warum gibt es überhaupt etwas und nicht nichts?“ HEIDEGGER, Was ist Metaphysik

Auch Heidegger meint, die unendliche Kette von Wirkungen und Räsonnement müsse irgendwo ihr Ende haben. Er fragt nicht: was ist der Grund dieser Sache?, sondern: was ist der Grund von „etwas“? Aber „etwas“ hat keinen Grund. Wer so fragt, behauptet, es gebe einen Punkt, an dem das „rationale“ Denken aussetzt.

 

7. Was ist Wissenschaft: Begriff, Urteil, Schluß

7.1. Der Begriff

„Der Begriff der Notwendigkeit ist sehr schwer, und zwar, weil sie der Begriff selbst ist, ... Wenn von etwas gesagt wird, es sei notwendig, so fragen wir zunächst nach dem Warum. Das Notwendige soll sich somit als ein Gesetztes, als Vermitteltes erweisen. Bleiben wir indes bei der bloßen Vermittlung stehen, so haben wir noch nicht dasjenige, was unter der Notwendigkeit verstanden wird. Das bloß Vermittelte ist das, was es ist nicht durch sich selbst, sondern durch ein Anderes, und damit ist dasselbe auch bloß ein Zufälliges. Von dem Notwendigen dagegen verlangen wir, dass es das, was es ist, durch sich selbst sei und somit, vermittelt zwar, doch zugleich die Vermittlung als aufgehoben in sich enthalte. Wir sagen demgemäß vom Notwendigen: es ist, und so gilt uns dasselbe als einfache Beziehung auf sich, in welchen das Bedingtsein durch Anderes hinwegfällt.“ HEGEL, Enz. I §147

Wissenschaft, sagt Hegel, heißt, die Notwendigkeit einer Sache erkennen. Die Warum-Frage ist dabei nicht ganz der richtige Weg, solange sie nur darauf zielt, die Sache als vermittelt, als durch etwas anderes bestimmt zu wissen. Da kommt, wie wir gesehen haben, nur eine relative Notwendigkeit heraus. Die Sache steht und fällt mit ihrem Grund, ihrer Ursache. Das Notwendige dagegen ist zwar vermittelt, aber nicht durch etwas anderes, sondern durch sich selbst oder es enthält selber seinen Grund. Die Warum-Frage löst sich in die Was-Frage auf. Die Wissenschaft fragt: Was ist das? Und zielt auf den Begriff des Gegenstandes.

Was ein Begriff ist, ist heutzutage weitgehend unbekannt. Die moderne Wissenschaftstheorie bekämpft den Begriff auf einer Ebene, auf der er noch gar nichts zu suchen hat, auf der Ebene der Sprache. Begriffe sind für sie nichts anderes als Wörter, und mit Wörtern hat es folgende Bewandtnis:

„Die Sprache dient dem Menschen dazu, über die Welt zu sprechen und zum Beispiel Tatsachen, die in der Welt existieren, mithilfe sinnvoller Sätze im Medium der Sprache widerzuspiegeln. Damit die dazu nötige Verbindung zwischen Sprache und Welt hergestellt werden kann, müssen die Wörter Dinge in der Welt bezeichnen.. Ein Wort, das nichts bezeichnet, ist leer, es hat keine Bedeutung. Wörter die nichts bedeuten, sind also Wörter, zu denen es keine Gegenstände gibt. Wörter dagegen, die etwas bezeichnen, bedeuten etwas.“ E. v. Savigny, Die Philosophie der normalen Sprache, FfM 1980, S.15

Savigny beschreibt die Referenztheorie der Sprache, zu der es auch Gegenpositionen gibt, die aber auf das gleiche hinauslaufen, nämlich die Allgemeinheit zu bestreiten, die bereits die Sprache liefert. Es ist nicht richtig, dass die Bedeutung von Wörtern „Dinge in der Welt“ sind. So wird die „Verbindung von Sprache und Welt“ erst rätselhaft: Eine geistlose Lautkette und mein Wohnzimmerschrank kommen nie zusammen. Man kann über Dinge – und nicht nur Dinge – in der Welt nur deshalb reden, weil die Vorstellung, die ein Wort bezeichnet, sich vom unmittelbar Existierenden, das man so mit den Sinnen aufnimmt, bereits entfernt hat. „Schrank“ ist nicht das Trumm dort in der Ecke. (Wie sollte man sich auch unterhalten, wenn jeder Schrank auf der Welt einen anderen Namen hätte!) Das Wort bezeichnet in diesem Fall einen hochgestellten Kasten mit Türen, in dem man etwas aufbewahrt. Wie viele Türen und ob Nussbaum oder Eiche, ist dabei unwichtig. Das kann man doch noch extra dazusagen. Ein Wort bezeichnet die allgemeine Bestimmtheit von Dingen und nicht nur Dingen. Es gibt auch Wörter für Sachen, die es nicht gibt. Auch das Wort „Pegasus“ hat eine Bedeutung, die jemand sagen kann, der sie nicht kennt: ein geflügeltes Pferd, womit auch klar ist, dass es das nicht in der gleichen Weise „gibt“ wie Tisch und Schrank.

Die Wissenschaftstheorie will aufklärend wirken und Schluss machen mit „Scheinproblemen“, das Denken auf die Objektivität verpflichten. Und das macht sie so, dass sie einfach das Nachdenken über alles verbietet, was man nicht anfassen kann. „Gott“ und „Kapitalismus“ sind für sie ein und dasselbe: Wörter, die nichts bedeuten. So werden einerseits Metaphysik und Religion unkritisierbar, Wissenschaft andererseits zur reinen Spekulation.

Wo der Begriff erlaubt wird, ist er auch gleich etwas ganz anderes, z.B. eine Klasse. Und eine Klasse ist die Menge aller Dinge, die unter sie fallen. Die Klasse und ihre Exemplare sind wechselseitig durcheinander bestimmt. Unter was soll man den Dinge einordnen, die nicht selbst eine Gemeinsamkeit haben? Auch hier wird die Allgemeinheit des Begriffs verboten durch eine Interpretation, die sich als einzelnes knüpft. Aber es geht auch anders:

„Ein Begriff ist die Bedeutung eines Terminus. Die Bedeutung eines Wortes dasjenige, was das Wort auf Grund von Vereinbarung zu verstehen gibt.“ KAMLAH/LORENZEN, Logische Propädeutik, S. 86

Ein Terminus, ein wissenschaftlicher Ausdruck, hat für die Logische Propädeutik durchaus eine allgemeine Bedeutung. Aber worin besteht die: sie ist nicht das allgemeine einer Sache, sondern von Subjekten vereinbart. Wozu dann eigentlich noch Wissenschaft? Dann macht man halt aus, was unter „Kapitalismus“, „Moral“ oder „Gravitation“ zu verstehen ist und fertig. Allgemeinheit ist in der Wissenschaftstheorie nur dann nicht verboten, wenn sie von Objektivität getrennt ist. Die Objektivität der Sprache und damit des Denkens liegt für sie im „Widerspiegeln von Tatsachen, die in der Welt existieren“. Auch nach dieser Seite ist Wissenschaft überflüssig.

„Die Philosophie kann daher wohl eine Bekanntheit mit ihren Gegenständen, ja sie muss eine solche, wie ohnehin ein Interesse an denselben voraussetzen, - schon darum, weil das Bewusstsein sich der Zeit nach Vorstellungen von den Gegenständen früher als Begriffe von denselben macht und auf dasselbe sich wendend zum denkenden Erkennen und Begreifen fortgeht.“ HEGEL, Enz I, § 1

Die Wissenschaft setzt eine Bekanntschaft mit ihren Gegenständen voraus. Man kann nur untersuchen, was man kennt. Ob Katholizismus, Demokratie oder Dollar, zu all diesen Themen haben wir bereits Vorstellungen. (Es kommt bei manchen Gegenständen vor, dass man sie so unzureichend kennt, dass man erst mal Material sammeln muss, das ist dann aber eine vorwissenschaftliche Angelegenheit. Zur Kenntnis nehmen ist noch nicht erklären.) Die einzige Aufgabe der Wissenschaft besteht darin, diesen Vorstellungen ihren notwendigen Inhalt zu geben, die notwendigen von den zufälligen Momenten zu scheiden.

Vor der Wissenschaft ist die Sache zunächst ein Wort: Katholizismus. Damit weiß man aber durchaus schon etwas, nämlich, irgendwie gehört da alles zusammen: der Papst, die Mutter Gottes, lateinische Gebete, Zölibat usw. Man kann schon Katholizismus und Protestantismus unterscheiden und auch Katholizismus vom Rest der Welt. Was hat nun die Wissenschaft zu tun: Die Eigenart der Sache, die man abstrakt als eine weiß, zu bestimmen und diese zu den verschiedensten Momenten, die man auch schon weiß, in ein inhaltliches Verhältnis zu bringen.

„Wenn vom Begriff gesprochen wird, so ist es gewöhnlich nur die abstrakte Allgemeinheit, welche man dabei vor Auge hat, und der Begriff pflegt dann auch wohl als eine allgemeine Vorstellung definiert zu werden. Man spricht demgemäß vom Begriff der Farbe, der Pflanze, des Tieres usw. und die Begriffe sollen dadurch entstehen, dass bei Hinweglassung des Besonderen, wodurch sich die verschiedenen Farben, Pflanzen, Tiere usw. unterscheiden, das denselben Gemeinschaftliche festgehalten werde. Dies ist die Weise, wie der Verstand den Begriff auffasst, und das Gefühl hat Recht, wenn es solche Begriffe für hohl und leer, für bloße Schemen und Schatten erklärt. Nun aber ist das Allgemeine des Begriffs nicht bloß ein Gemeinschaftliches, welchem gegenüber das Besondere (Spezifizierende) und in seinen Anderen in ungetrübter Klarheit bei sich selbst Bleibende. Es ist von der größten Wichtigkeit sowohl für das Erkennen als auch für unser praktisches Verhalten, dass das bloß Gemeinschaftliche nicht mit dem wahrhaft Allgemeinen, dem Universellen, verwechselt wird.“ Enz. I, § 163, Zus.

Die Allgemeinheit des Begriffs ist nicht abstrakte Allgemeinheit, das bloß Gemeinschaftliche, das man durch Weglassen von Unterschieden erhält, zu denen dann auch kein Weg mehr zurückführt. Das Allgemeine des Begriffs ist dagegen das Prinzip, das die Besonderungen regiert, die sich daher auch aus ihm ergeben. Unter Kapitalismus oder „Kapital“ lässt sich vielerlei fassen. Hat man es einmal bestimmt als sich verwertender Wert, dann lässt sich auch weiterfragen, in welchen Formen es das nur geben kann.

„Das Besondere enthält die Allgemeinheit, welche dessen Substanz ausmacht; die Gattung ist unverändert in ihren Arten; die Arten sind nicht von dem Allgemeinen, sondern nur gegeneinander verschieden. Das Besondere hat mit den anderen Besonderen, zu denen es sich verhält, eine und dieselbe Allgemeinheit. Zugleich ist die Verschiedenheit derselben um ihrer Identität mit dem Allgemeinen willen als solche allgemein; sie ist Totalität.“ HEGEL, Logik II, S. 280

Durch den Unterschied der Besonderungen von der Allgemeinheit ist der Begriff Einzelheit, das heißt die wirkliche konkrete Sache:

„Die Bestimmtheit in der Form der Allgemeinheit ist zum Einfachen mit derselben verbunden; dies bestimmte Allgemeine ist die sich auf sich selbst beziehende Bestimmtheit; die bestimmte Bestimmtheit oder absolute Negativität für sich gesetzt. Die sich auf sich selbst beziehende Bestimmtheit aber ist die Einzelheit, welche zunächst als drittes Moment des Begriffes, insofern sie gegen die beiden ersten festgehalten wird, aber auch als die absolute Rückkehr desselben in sich und zugleich als der gesetzte Verlust seiner selbst zu betrachten ist.“ Logik II, S. 288

In den verschiedenen Ausprägungen des allgemeinen Inhalts ist die Sache mit sich identisch, bleibt und ist sie eine. Das Kapital im allgemeinen gibt es überhaupt nur als Handelskapital, Zinskapital und produktives. Seine besonderen Formen sind aber auch unterschieden vom Allgemeinen: eine äußere Realität im Gegensatz zu ihrem eigenen inneren Prinzip. Die Besonderungen fallen nicht zusammen mit dem Allgemeinen und sind so „auf der anderen Seite“ Bestimmungen eines konkreten Individualismus. Dadurch, dass das allgemeine einen besonderen Inhalt bekommt, bezieht es sich „auf sich selbst“ als Inhalt von etwas, was eben für sich nichts anderes als reales, von allen anderen unterschiedenes Eines ist: absolute Negativität.

Das ist die „Rückkehr“ des Begriffs „in sich“ und sein „Verlust“. So ist z.B. die AEG einerseits genau dasselbe wie Kapital überhaupt und alles Spezielle an ihr lässt sich auf dieses Allgemeine zurückführe. Inhaltlich besteht kein Unterschied, andererseits ist sie total davon unterschieden als konkretes, wirkliches Exemplar. Begriff und Sache sind auch nicht dasselbe, stehen sich gegenüber.

Damit ist gar kein Mangel ausgesprochen. Die Trennung von Begriff und Realität ist ja so gerade aufgehoben, dass der Begriff die Realität als sein eigenes, wenn auch negatives, Moment in sich enthält, gerade durch die Differenz „trifft“ das allgemeine Prinzip die Realität.

Die „Problematik“, dass das Einzelne nie durch allgemeine Begriffe restlos zu erfassen sei – individuum est ineffabile – beruht auf dem einseitigem Fest-halten des Gegensatzes: So viele allgemeine Bestimmungen man auch auf-zählen mag, nie kommt man aus der Sphäre des Allgemeinen heraus. Die „Brücke“ des Besonderen, der Differenz zum Allgemeinen, die es selbst enthält, wird übersehen, wenn halt nichts anderes interessiert, als der Formunterschied von Denken und Welt. Der ist als solcher wirklich nicht überbrückbar. Der Mensch ist nicht Gott, aus dessen Geist sich die Sachen materialisieren.

Hier zeigt sich aber auch, dass der Begriff als solcher gar nichts Fertiges ist. Allgemeinheit, Besonderheit, Einzelheit fallen in ihm zusammen und ausein-ander. Dieses Verhältnis, das er enthält, sagt er nicht. Will man den Begriff einer Sache sagen, so landet man wieder beim Wort auf der einen Seite, einem gewussten Inhalt auf der anderen.

Man kann ihn nur sagen als das auseinandergelegte Verhältnis von Identität und Inhalt, in dem beides aber auch identisch ist: als Urteil.

 

7.2. Das Urteil

Auch das Urteil kennt die moderne Wissenschaftstheorie nicht mehr, sie kennt nur Sätze. Dann unterscheiden sich aber Wissenschaft und Literatur nicht mehr. Freilich bedienen sich beide der Sprache, aber sie haben etwas anderes zum Inhalt. In der Wissenschaft geht es um den Begriff einer Sache und das bedingt eine logische Form: das Urteil. Für das Urteil ist es relativ gleichgültig, in welcher Satzart es ausgedrückt wird. Umgekehrt enthält zwar ein Satz üblicherweise ein Subjekt und ein Prädikat, aber nur ein bestimmtes Verhältnis von Subjekt und Prädikat macht einen Satz zum Urteil. Allerdings scheiden deshalb Frage- und Befehlssätze z.B. von vorneherein aus, weil sie ein Verhältnis von Subjekt und Prädikat enthalten, das zum Urteil quer liegt.

„Die Urteile sind von den Sätzen unterschieden; die letzteren enthalten eine Bestimmung von den Subjekten, die nicht im Verhältnis der Allgemeinheit zu ihnen steht, - einem Zustand, eine einzelne Handlung und dergleichen; ‚Cäsar ist zu Rom in dem und dem Jahr geboren, hat 10 Jahre Krieg in Gallien geführt, ist über den Rubikon gegangen´ usf. sind Sätze, keine Urteile. Es ist ferner etwas ganz Leeres, zu sagen, dass dergleichen Sätze, z.B. ‚ich habe heute Nacht gut geschlafen´ oder auch ‚Präsentiert das Gewehr!´ in die Form des Urteils gebracht werden können.“ Enz I, § 167

align="justify"Heutzutage stehen in den Logikbüchern Sätze wie „Werner ist verreist“ oder „Friedel singt“. In diesen Sätzen ist das Prädikat ein zufälliger Umstand. Werner kommt vielleicht zurück und Friedel ist auch mal still. Für oder gegen solche Sätze kann man nicht argumentieren. Sie gehen die Wissenschaft nichts an. Wie sehen nun Urteile aus?

„Das abstrakte Urteil ist der Satz: das Einzelne ist das Allgemeine. Dies sind Bestimmungen, die das Subjekt und Prädikat zunächst gegeneinander haben, indem die Momente des Begriffs in ihrer unmittelbaren Bestimmtheit oder ersten Abstraktion genommen werden. Es ist für einen bewundernswürdigen Mangel an Beob-achtung anzusehen, das Faktum in den Logiken nicht angegeben zu finden, dass in jedem Urteil solcher Satz ausgesprochen wird: `das Einzelne ist das Allgemeine´ oder noch bestimmter `das Subjekt ist das Prädikat´. Freilich sind die Bestimmungen Einzelheit und Allgemeinheit, Subjekt und Prädikat auch unterschieden, aber darum bleibt nicht weniger das ganz allgemeine Faktum, dass jedes Urteil sie als identisch aussagt.“ Enz. I, §166

In jedem Urteil werden Subjekt und Prädikat – durch „ist“ – identisch gesetzt. Andererseits sind sie auch unterschieden. Beides – Identität und Unterschied, sagt das Urteil aus, und beides gilt auch nur innerhalb des Urteils. Moderne Logiken fassen das Urteilen als: Wir sprechen einen Prädikator zu. Ein Prädikat gibt es aber überhaupt nicht getrennt vom Urteil, ohne seine Beziehung auf ein Subjekt.

„Es ist falsch, von einer Verbindung der Seiten des Urteils zu sprechen, da, wenn von einer Verbindung die Rede ist, die Verbundenen als auch ohne die Verbindung für sich vorhanden gedacht werden. Diese äußerliche Auffassung zeigt sich dann noch bestimmter, wenn von dem Urteil gesagt wird, dass dasselbe dadurch zustande komme, dass einem Subjekt ein Prädikat beigelegt werde. Das Subjekt gilt hierbei als draußen für sich bestehend und das Prädikat als in unserem Kopfe befindlich. Dieser Vorstellung entspricht indessen schon die Kopula ‚ist’. Wenn wir sagen: ‚diese Rose ist rot´, ... so ist damit ausgesprochen, dass wir es nicht sind, die es der Rose erst äußerlich antun, rot... zu sein, sondern dass dies die eigenen Bestimmungen dieser Gegenstände sind.“ Enz. I, §166, Zus.

Nur deshalb, weil „ist“ gesagt wird, weil das Urteil Objektivität zum Inhalt hat, kann man sich überhaupt darüber streiten, kann Argumente für und wider bringen. Wenn es dagegen so wäre, dass der eine den Prädikator „Fagott“ zuspricht und der andere „Blockflöte“ – und das Ding gar keins vom beiden ist, dann ist es ja auch wirklich wurscht, und man fragt sich warum man so einem X überhaupt etwas prädiziert.

Welche Rollen spielen denn nun Subjekt und Prädikat im Urteil:

„Im abstrakten Urteil ‚das Einzelne ist das Allgemeine’ ist das Subjekt als das negativ sich auf sich Beziehende das unmittelbar Konkrete, das Prädikat hingegen das Abstrakte, Unbestimmte, das Allgemeine. Da sie aber durch ‚ist’ zusammenhängen, so muss auch das Prädikat in seiner Allgemeinheit die Bestimmtheit des Subjekts enthalten, so ist sie die Besonderheit und diese die gesetzte Identität des Subjekts und Prädikats; als das hiermit gegen diesen Form-unterschied gleichgültige ist der Inhalt.“ Enz I., §169

Das Subjekt ist im Urteil zunächst nichts weiter als ein Name, was es ist, sagt ja erst das Prädikat, Name einer wirklichen Sache, von der nur ihre Identität, ihre Unverwechsel¬barkeit im Verhältnis zu allen anderen Sachen auf der Welt, behauptet wird, „das negativ sich auf sich Beziehende“. Das Prädikat dagegen ist eine allgemeine Bestimmung, abstrakt, man kann auch sagen: gedacht, unwirklich, wenn man damit nicht wie vorhin an etwas vom Subjekt hinausgesetztes meint. So stehen sich Subjekt und Prädikat als Gegenpole gegenüber. Wie geht dies im „ist“ zusammen?

Wenn man „ist“ sagen kann, dann trifft das Prädikat auf das Subjekt zu. Dann hat das Subjekt schon an sich die Eigenschaft, die ihm als Prädikat gegenübersteht. Das Subjekt ist dann ein besonderer „Fall“, ein besonderes Exemplar des Allgemeinen. Umgekehrt ist das Prädikat als allgemeine Bestimmung, die auf dieses Subjekt zutrifft, im Unterschied zu anderen allgemeinen Bestimmungen, selbst ein Besonderes. Und insofern hat das Urteil Identität und einen Inhalt.


7.2.1. Das qualitative Urteil

„Das unmittelbare Urteil ist das Urteil des Daseins; das Subjekt in einer Allgemeinheit, als seinem Prädikate, gesetzt, welches eine unmittelbare (somit sinnliche) Qualität ist.“ Enz. I, § 172

Die erste Form des Urteils ist die, in der einfach eine unmittelbare, sinnliche Eigenschaft von einem Ding ausgesagt wird: Die Rose ist rot.

Das ist das positive Urteil, dessen Form erst mal genauso heißt, wie die des Urteils überhaupt: „Das Einzelne ist allgemein“. Das Subjekt ist als wirkliches, aber noch inhaltsloses Ding zunächst die selbstständige Seite. Das Prädikat dagegen gibt eine allgemeine Bestimmung, ist zunächst die abstrakte, unselbstständige Seite. Es „inhäriert“ dem Subjekt, hat sein Bestehen nur an ihm.

Indem aber erst das Prädikat sagt, was das Subjekt ist, ist andererseits das Prädikat das Selbstständige in diesem Verhältnis: Der Inhalt besteht unab-hängig von der Sache und macht diese erst zu etwas Bestimmten und damit etwas Wirklichem. „Das Prädikat subsumiert insofern das Subjekt.“ Die Sache ist bloß eine mögliche Existenzform ihrer allgemeinen Bestimmung. Also ebenso wie die Rose durch das Prädikat „rot“ erst so etwas wie eine Eigenart bekommt, die im Namen „Rose“ bloß behauptet ist, so ist sie andererseits auch nur ein besonderer Fall von „Röte“. Das leere Subjekt bekommt einen Inhalt und wird etwas Allgemeines, das Prädikat kommt einem wirklichem Ding zu, der allgemeine Inhalt erhält Realität. „Das Allgemeine ist einzeln“ ist damit ebenso in diesem Urteil ausgesprochen.

Die Form des Urteils als „A ist B“ zu kennzeichnen, ist ganz verkehrt. Dabei stehen beide Seiten nur für ihren Unterschied gegeneinander. Die Form des Urteils hat immer einen Inhalt: im positiven Urteil wird die Objektivität gesehen als Ding mit Eigenschaften. Das heißt, die Sache wird bestimmt durch ihre Eigenschaften (nicht Wohlgeruch überhaupt, sondern Wohlgeruch der Rose).

Das ist dann aber auch nur eine ihrer Eigenschaften. Die Rose ist rot und wohlriechend und stachlig und... Das Sammelsurium der Bestimmungen hat kein Kriterium der Voll¬ständigkeit. Mit jeder Nennung einer neuen Eigenschaft wird nur bekräftigt, dass das Ding noch mehr ist. Es ist das Allgemeine all dieser vielfältigen Eigenschaften, hat aber als solches keinen allgemeinen Inhalt. So betrachtet, liegt die Identität der Sache immer jenseits von ihren Bestimmungen.

Die Unwahrheit des positiven Urteils hat nichts damit zu tun, ob es rote Rosen auf der Welt gibt oder nicht. (Der Empirismus hält Wahrheit für eine Frage von „gibt’s“ und „gibt’s nicht“.) Die beiden Sätze des positiven Urteils können nicht so zusammengefasst werden: Das Einzelne ist einzeln und das Allgemeine ist allgemein. Sie gelten in verschiedener Hinsicht. Der erste bezeichnet unmittelbar die Form des positiven Urteils, also: Was wird von der Sache gesagt – sie ist ein Allgemeines, der zweite den Inhalt davon: Wie wird es gesagt – indem vereinzelte Bestimmungen genannt werden. Beide Sätze wider-sprechen sich, bzw. der Widerspruch wiederholt sich in jedem von ihnen.

„Das Einzelne ist allgemein“ – stimmt nicht, es ist doch einzeln. Das Prädikat „rot“ kommt nicht nur der Rose zu. Damit es aber auch gar nicht nur die Bestimmung dieses konkreten einzelnen.

„Das Allgemeine ist einzeln“ – stimmt auch nicht, es ist ja allgemein. Das Subjekt enthält nicht nur „rot“, sondern auch „wohlriechend“ und „stachlig“ usw. Das Subjekt ist weiter als das Prädikat.

„Das positive Urteil hat seine Wahrheit zunächst in dem negativen: Das Einzelne ist nicht abstrakt allgemein, - sondern das Prädikat des Einzelnen ist darum, weil es solches Prädikat oder, für sich ohne die Beziehung auf das Subjekt betrachtet, weil es abstrakt Allgemeines ist, selbst ein Bestimmtes; das Einzelne ist daher zunächst ein Besonderes. Logik II, S. 318

Das negative Urteil ist nicht die Behauptung des Gegenteils und damit dasselbe wie das positive. ‚Nicht-rot’ ist keine Eigenschaft. Die Negation ist nicht, wie die formale Logik meint, eine von zwei sich ausschließenden Behauptungen.

Das negative Urteil bestätigt, was als Resultat des positiven herausgekommen ist: Das Einzelne ist nicht das Allgemeine, das von ihm gesagt wird. Aber darin ist noch mehr enthalten. „Die Rose ist nicht rot“ hat als positiven Inhalt: erstens sie hat eine Farbe und zweitens eine bestimmte. Das negative Urteil heißt also genauer: „Das Einzelne unterscheidet sich vom Allgemeinen“ oder „Das Einzelne ist ein besonders“. Das Subjekt wird nun bestimmt dadurch, dass es nicht im Allgemeinen aufgeht. Im Prädikat sind Allgemeinheit und Bestimmt-heit getrennt.

Auch der Satz des negativen Urteils lässt sich umkehren. Die Sache ist mehr als nur diese einzelne Eigenschaft, das Allgemeine unterscheidet sich vom Einzelnen, „das Allgemeine ist ein Besonderes“.

Das negative Urteil sagt also nicht, dass Subjekt und Prädikat nichts miteinander zu tun haben. Das Subjekt bleibt sowieso unmittelbar, was es auch im positiven Urteil war: ein Einzelnes, dass eine Beziehung zum Allgemeinen hat. Und im Prädikat wird nicht das Allgemeine überhaupt negiert, sondern dieser Inhalt, dass Allgemeine wird als Sphäre gerade affirmiert. Das negative Urteil ist eine Sachbehauptung – mit der Crux, dass die Sache durch ihren Unterschied zu einem Inhalt, mit dem sie aber in der Sphäre übereinstimmt, bestimmt wird. Das ist der Witz bei der Benutzung des negativen Urteil im politischen Idealismus. Durch die Negation einer Eigenschaft wird die Sache bestimmt als dieser Eigenschaft jedenfalls verwandt. Die Eigenschaft, die der Idealist gern hätte, wird so zu einer potentiellen Eigenschaft der Sache selbst, ihr Fehler zu einem immanenten Widerspruch der Sache.

Das negative Urteil drückt schon aus, dass sich das Einzelne durch seine Eigenschaft nicht bestimmen lässt. Zugleich behauptet es, dass die Bestimmung im Bereich der Eigenschaften zu suchen wäre. Der Widerspruch des positiven Urteils wiederholt sich: Das Prädikat ist weiter als das Subjekt, die Rose hat nicht irgendeine Farbe, sondern ihre. Das Subjekt ist weiter als das Prädikat, die Rose ist mehr als nur Farbiges.

Resultat ist, dass das Einzelne auch mit seiner Besonderheit nicht identisch ist. Es ist also absolut unterschieden von allem, was es nicht ist bzw. es ist nur es selbst und sonst nichts: negativ und positiv unendliches Urteil.

 
7.2.2. Das Reflexionsurteil

Die beiden unendlichen Urteile drücken die prinzipielle Inkommensurabilität von Einzelnen und Allgemeinem aus. Durch ihre Eigenschaft ist die Sache nicht zu bestimmen. Man kann immer noch mehr aufzählen, sie noch weiter differenzieren und kommt doch nicht weiter. Nie ist die Identität der Sache vollständig erfasst. Also doch: „individuum est ineffabile“? An das Einzelne, das Individuelle kommt man eben nicht oder nur annäherungsweise heran?

Um zu diesem Schluss zu kommen, muss man allerdings eine gehörige Portion Respekt vor dem Individuum haben und partout auf der Differenz von Identität und Inhalt herumreiten wollen. Der Fehlschluss heißt: Wenn erst das Prädikat sagt, was das Subjekt ist, dann ist das Subjekt für sich eben nur Identität getrennt von jedem Inhalt und unbestimmbar. Die Form des Urteils soll somit schon beweisen, dass es scheitern muss. Dabei hebt schon das simpelste Urteil diesen Gegensatz auch auf. Gerade dadurch, dass die Sache bestimmt wird, kommt heraus, dass dieser Inhalt ihr nicht angemessen ist und nicht, dass sie in keinem Verhältnis dazu steht.

Das Reflexionsurteil bestimmt das Einzelne durch eine von ihm verschiedene Allgemeinheit, eine Allgemeinheit, die ihm in Beziehung auf etwas Äußeres zukommt und wofür seine Eigenschaften nur die Basis sind.

„Als Beispiele von Reflexionsurteilen können daher dienen: ‚Der Mensch ist sterblich’, ‚die Dinge sind vergänglich’, ‚dies Ding ist nützlich, schädlich´; Härte, Elastizität der Körper, die Glückseligkeit sind solche eigentümlichen Prädikate. Sie drücken eine Wesentlich-keit aus, welche aber eine Bestimmung im Verhältnisse oder eine zusammenfassende Allgemeinheit ist.“ Logik II, S. 326

Urteile der Reflexion geben im Prädikat eine Wesentlichkeit der Sache in diesem oder jenem Zusammenhang an. An dieser Wesentlichkeit wird das Subjekt gemessen, seine sonstigen Eigenschaften interessieren nicht. Deshalb geht auch der Fortgang der Urteile jetzt am Subjekt.

Die moderne Wissenschaftstheorie hält für objektiv nur das qualitative Urteil, dessen „Wahrheit“ sich nicht im Denken sondern im Hinschauen erweist. Denken hält sie für eine Entfernung von der Realität und entdeckt die Form des Reflexionsurteils als Methode, die Wirklichkeit durch subjektive Gesichtspunkte in den Griff zu kriegen, in eine Ordnung zu bringen. Der Widerspruch ist: Wenn die Wirklichkeit in lauter disparaten Trümmern vorliegt, dann bringt man sie durch keine Kategorie und Gesichtspunkte in eine Ordnung. Was soll man unter welche Rubrik einordnen? Dazu müsste man solche Trümmer für sich sortieren können.

Die erste Form des Reflexionsurteils ist das singuläre Urteil: „Dieses ist ein wesentlich Allgemeines“. Also zum Beispiel: „Dieses Kraut ist heilsam“. Damit ist gesagt, es geht nicht um die Kamille und ihre vielfältigen Eigenschaften, sondern sie gilt hier als dasselbe wie Salbei und Arnika usw. Dann ist es aber unangemessen, überhaupt von diesem einen zu sprechen.

„Aber ein Dieses ist nicht ein wesentlich Allgemeines. Jenes seiner allgemeinen Form nach positive Urteil überhaupt muss negativ genommen werden. ...Das negative Urteil ist hier daher so zu fassen: Nicht ein Dieses ist ein Allgemeines der Reflexion; ein solches Ansich hat eine allgemeinere Existenz als nur in einem Diesen. Das singuläre Urteil hat hiermit seine nächste Wahrheit im partikulären.“ Logik II, S. 328

In „diese Kraut ist heilsam“ steckt schon, dass es noch andere gibt, also: „Manche Kräuter sind heilsam.“ Das ist das partikuläre Urteil: „Einige Einzelne sind ein Allgemeines der Reflexion.“

Das partikuläre Urteil ist positives und negatives Urteil in einem „Manche Kräuter sind heilsam.“ enthält „manche nicht“. Damit ist es unbestimmt. Es ist keine Auskunft. Man will sofort wissen: „welche Kräuter denn?“ Darin steckt aber auch, dass das Subjekt im partikulären Urteil gar nicht mehr das Einzelne als solches ist.

„Betrachten wir weiter in dem Beispiele eines solchen Urteils das Subjekt, einige Menschen, Tiere, usf., so enthält es außer der partiku-lären Formbestimmung: Einige, auch noch die Inhaltsbestimmung Mensch. Das Subjekt des singulären Urteils könnte heißen: dieser Mensch, eine Singularität, die eigentlich dem äußerlichen Mon-strieren angehört: es soll daher vielmehr lauten etwa ‚Cajus’. Aber das Subjekt des partikulären Urteils kann nicht mehr sein: Einige Caji, denn Cajus soll ein Einzelner als solcher sein. Dem Einigen wird daher ein allgemeiner Inhalt beigegeben, etwa Menschen. Dies ist nicht bloß ein empirischer, sondern durch die Form des Urteils bestimmter Inhalt, er ist nämlich ein Allgemeines, weil Einige die Allgemeinheit enthält und sie zugleich von den Einzelnen, da die reflektierte Einzelheit zu Grunde liegt, getrennt sein muss.“ Logik II, S. 329 f

Das Subjekt enthält bereits eine Allgemeinheit. Diese, immer noch als Zusammenfassung von Einzelnen ausgedrückt, ist das universelle Urteil: „Alle Menschen sind sterblich.“ Die Gesamtheit von Einzelexemplaren einer Gattung wird hier gegen die Gattung festgehalten. In dieser Form kennt die Wissenschaftstheorie das Gesetz als Allsatz. Ein solches „Gesetz“, das von weißen Schwänen oder schwarzen Raben handelt, fällt einerseits mit dem Einzelfall total zusammen – es regiert nicht die Fälle, sondern es besteht aus ihnen –andererseits ist es als Zusammenfassung von zufälligen Einzelnen – die weißen Schwäne sind halt so da, haben kein Gesetz – davon absolut verschieden. Jede Anzahl von Einzelfällen ist immer nur diese Anzahl und nie alle. Die Allgemeinheit und damit die Geltung der Allaussage bleibt immer in der Luft hängen. Widerlegen lässt sie sich genaugenommen auch nicht, weil ein abweichender Fall gar nicht als Fall dieses „Gesetztes“ bestimmt werden kann.

Auch dies bemerkt die Wissenschaftstheorie, wenn sie sich ernsthaft fragt, ob sie den schwarzen Schwan nicht per Sprachregelung aus der Welt schaffen soll. Soll/darf man bei einem schwarzen Schwan noch von „Schwan“ sprechen? So kriegt die Allaussage „Gesetzesartigkeit“, wenn Gegenbeispiele von vornherein ausgeschlossen sind! Aber wenn man Notwendigkeit nicht anders kennen will als das gemeinsame Auftreten von zwei Merkmalen, dann spricht auch wirklich nichts dagegen.

„Die empirische Allheit bleibt darum eine Aufgabe, ein Sollen, welches so nicht als Sein dargestellt werden kann. Ein empirisch allgemeiner Satz – denn es werden deren doch aufgestellt – beruht nun auf der stillschweigenden Übereinkunft, dass, wenn nur keine Instanz des Gegenteils angeführt werden könne, die Mehrheit von Fällen für Allheit gelten solle oder dass die subjektive Allheit, nämlich die der zur Kenntnis gekommenen Fälle für eine objektive Allheit genommen werden dürfe.“ Logik II, S. 332

Dabei steht im universellen Urteil neben der Behauptung der Allgemeinheit – „alle“ – auch schon ihr Inhalt: „Menschen“, „Schwäne“ etc. Es ist ja gar nicht die Rede von zusammenhanglosen Einzelnen, sondern von Einzelnen einer Gattung. Wie kommt man denn überhaupt auf die Idee, etwas über „alle Menschen“ zu sagen? Dabei muss man doch schon daran denken, dass es sich nicht um zufällige Merkmale von Individuen handelt, sondern dass der Mensch soundso ist, dass die Individuen qua Mensch diese Eigenschaft haben.

„Was allen Einzelnen einer Gattung zukommt, kommt durch die Natur der Gattung zu` - ist eine unmittelbare Konsequenz und der Ausdruck dessen..., dass das Subjekt, z.B. alle Menschen seine Formbestimmungen abstreift und der Mensch dafür zu sagen ist.“ Logik II, S.334f

Damit ergibt sich das Urteil der Notwendigkeit.

Das Urteil der Notwendigkeit, das als Subjekt nicht mehr dies oder jenes Einzelne hat, sondern eine Sache, die nur von ihrer allgemeinen Natur her interessiert, enthält damit auch ein anderes Prädikat: weder eine Eigenschaft, die an dem Ding halt dran ist, noch eine Gemeinsamkeit im Bezug auf eine Sache Äußerliches, sondern ihre eigene allgemeine Natur. Diese „substantielle Identität“ von Subjekt und Prädikat macht die Notwendigkeit dieser Urteilsform aus, die als kategorisches Urteil z.B. heißt: „Gold ist Metall“ oder: „Die Rose ist eine Pflanze“. Man merkt den Unterschied zu „Die Rose ist rot“. Der Einwand: aber das Subjekt hat noch viele andere Eigenschaften und „rot“ ist überhaupt nicht besser als „stachlig“ oder „wohlriechend“ – trifft beim kategorischen Urteil nicht mehr zu. Hier wird gesagt, was die Sache wesentlich auszeichnet, und auch nicht wesentlich für bzw. in einem bestimmten Zusammenhang, sondern als ihr eigenes Wesen.

„Das kategorische Urteil ist daher bestimmt von dem positiven und dem negativen Urteile zu unterscheiden; in diesen ist das, was vom Subjekt ausgesagt wird, ein einzelner zufälliger Inhalt, in jenem ist er die Totalität der in sich reflektierenden Form. Die Kopula hat daher in ihm die Bedeutung der Notwendigkeit, in jenen nur des abstrakten, unmittelbaren Seins.“ Logik II, S. 336

Andererseits ist aber auch der Mangel des kategorischen Urteils kein Geheimnis. Nicht zufällig erinnert es an so etwas wie: Oberbegriffe finden, Klassen bilden. In „Gold ist Metall“ sind Subjekt und Prädikat zwar Allgemeinheit, aber ihr Verhältnis ist total unbestimmt.

Das Subjekt ist zunächst Besonderheit gegen seine Allgemeinheit. Gold ist eine Art von Metall. Andererseits ist seine Besonderheit gar nicht bestimmt, gar nichts fixes. „Gold“ fällt irgendwie unter die Oberkategorie „Metall“, aber man könnte es genauso gut unter „Edelmetalle“ subsumieren oder unter einen weiteren Oberbegriff „Elemente“. Das Subjekt ist spezieller als das Prädikat. Das Prädikat ist allgemeiner als das Subjekt. Besonderheit und Allgemeinheit sind nur relativ. Das Prädikat ist so etwas wie der große Sack, in den man die Sache – unter anderem – stecken kann. Die Notwendigkeit dieses Urteils ist durch das unbestimmte Verhältnis auch wieder total negiert. Es sagt nicht, inwiefern Gold eine bestimmte Art von Metall ist oder was der spezifische Unterschied von Gold gegen Metall ist.

„Weiter ist nun aber auch das kategorische Urteil noch mangelhaft, als in dem selben das Moment der Besonderheit noch nicht zu seinem Rechte kommt. So ist z.B. Gold wohl Metall; allein Silber, Kupfer, Eisen, usw. sind gleichfalls Metalle, gleichgültig gegen das Besondere ihrer Arten.“ Enz. I §117

Und für das Prädikat heißt das:

„Die objektive Allgemeinheit aber hat ebenso hier nur erst ihre unmittelbare Partikularisation; einerseits ist sie darum selbst eine bestimmte, gegen welche es höhere Gattungen gibt, - andererseits ist sie nicht gerade die nächste, d.h. deren Bestimmtheit nicht gerade das Prinzip der spezifischen Besonderheit das Subjekts ist.“ Logik II, S. 335f

Das hypothetische Urteil formuliert den Widerspruch des kategorischen: eine notwendige Beziehung unabhängig vom Inhalt.

Wenn ich sage „Gold ist Metall“, dann ist damit über die Beziehung beider nicht viel gesagt, nur dies: Gold gehört jedenfalls zu den Metallen, vielleicht auch zu den Edelmetallen, aber nicht zu den Insekten oder Paarhufern. Diese Zusammengehörigkeit spricht das hypothetische Urteil aus, indem es nicht mehr um eine Hierarchie von Gattungen geht, sondern um die Abhängigkeit eines unmittelbar bestimmten von einem anderen:

‚Wenn A ist, so ist B`; oder ‚das Sein des A ist nicht sein eigenes Sein, sondern das Sein eines Anderen, des B’. Logik II, S. 337

Wer jemals eine Einführung in die formale Logik besucht hat, erinnert sich vielleicht an den Junktor, mithilfe dessen Sätze der Art gebildet werden :

„Wenn 2 + 2 = 5, dann ist der Mars ein Planet.“

Hier liegt ein Missverständnis des hypothetischen Urteils vor. Denn das Einzige, was es besagt, ist der Zusammenhang von A und B. Es behauptet tatsächlich nicht, dass es A und B gibt. Deswegen kann man trotzdem nicht mit ‚wenn...’ jeden Unsinn postulieren, weil ein Unsinn eben keinen notwendigen Zusammenhang hat.

Der Mangel des hypothetischen Urteils – und deswegen kommt die formale Logik auch darauf – ist, dass das Verhältnis von A und B unbestimmt bleibt. Was A und B miteinander zu tun haben, ist offen. Diese Art der Notwendigkeit schließt den Inhalt aus. Und diese Unabhängigkeit von Notwendigkeit und Inhalt, ist es, was die formale Logik daran interessiert.

Die inhaltsvolle Identität von Subjekt und Prädikat bringt das disjunktive Urteil:

A ist entweder B oder C. Dies ist die Notwendigkeit des Begriffs, worin Dieselbigkeit beider Extreme einerlei Umfang, Inhalt und Allgemeinheit ist... Drittens erscheint die identische objektive Allgemeinheit deswegen als das in sich Reflektierte gegen die unwesentliche Form, als Inhalt, der aber an ihm selbst die Bestimmung der Form hat, das eine Mal als die einfache Bestimmtheit der Gattung, das andere Mal ebendiese Bestimmtheit als in ihren Unterschied entwickelt, - auf welche Weise sie die Besonderheit der Arten und deren Totalität, die Allgemeinheit der Gattung ist.“ Logik II, S. 339

Der allgemeine Begriff wird bestimmt durch den Umkreis seiner Besonderungen. Das Subjekt der Gattung, das Prädikat sind ihre Arten als Totalität. Z.B.: „Das Kapital ist entweder produktiv oder Handelskapital oder zinstragendes Kapital.“ Mehr gibt es nicht und kann es nicht geben. Dagegen: „Die Farbe ist entweder grün oder rosa oder mahagoni oder ...“ ist ein schlechtes Beispiel für das disjunktive Urteil. Ein nicht abschließbares Sammelsurium von Unterfällen widerspricht der Notwendigkeit, die darin liegt, dass Subjekt und Prädikat nach Umfang und Allgemeinheit identisch sind. Das Prädikat ist als der vollständige Umkreis der Arten nicht weiter oder enger als das Subjekt und als diese Gesamtheit hat es auch die gleiche Allgemeinheit. Beides – Subjekt und Prädikat – ist jeweils die ganze Sache.

Das Subjekt ist positiv identisch mit seinen Besonderungen. Das Allgemeine, z.B. das „Kapital“ ist enthalten in jeder seiner Besonderungen. Die besonderen Formen schließen sich gegenseitig aus – das Kapital liegt entweder als produktives oder als Zinskapital vor, aber nicht als beides zugleich. Durch diese negative, ausschließende Beziehung der Arten ist die Gattung nicht mehr etwas allgemeineres, ein „Sack“, in den alles mögliche passt, sondern die nächste Gattung, nämlich die Einheit ihrer Unterschiede.

 

7.2.3. Das Urteil des Begriffs

„Diese Einheit des Allgemeinen und des Besonderen ist der Begriff, und dieser ist es, welcher nunmehr den Inhalt des Urteils bildet.“ Enz. I §177 Zus.

Im disjunktiven Urteil ist diese Einheit als einfach Identität beziehungsweise als negative Einheit vorhanden. Es besteht keine bestimmte Beziehung zwischen der Gattung und ihren Arten sowie der Arten untereinander. Das Verhältnis von Einzelheit, Besonderheit und Allgemeinheit sagt das Urteil des Begriffs. Es hat daher Prädikate wie „gut, schlecht, wahr, richtig“, die den Vergleich einer einzelnen Sache mit ihrem allgemeinen Begriff ausdrücken.

Es ist richtig, dass „gut“ und „schlecht“ eine reine subjektive Vorliebe oder Abneigung ausdrücken. Wer sagt „Dieses Haus ist gut.“, sagt eben nicht „Es gefällt mir.“, sondern behauptet einen objektiven Maßstab, den er nun auf dieses Einzelexemplar anwendet. Dass verschiedene Leute ganz verschiedene Häuser gut finden können, ist dagegen kein Einwand. Ihre Kriterien mögen ja auch inhaltlich ziemlich subjektiv sein, dennoch werden sie für das Haus schlechthin angewendet. Sicher versteht der Bauer unter „gutem Wetter“ etwas anderes als der Urlauber. Jeder macht sein Interesse zum Maßstab der Sache, die in diesem Fall auch nichts anderes vorgibt. (Beim Wetter gibt es keine Differenz von Einzelheit und Allgemeinheit. Platzregen ist keine unpassende Realisierungsform von Wetter.) Dennoch wird der Form nach ein Urteil des Begriffs gefällt; die konkrete Sache damit verglichen, wie sie zu sein hat.

„Erst ein solches Urteilen, ob ein Gegenstand, Handlung usf. gut oder schlecht, wahr oder schön usf. ist, heißt man auch im gemeinen Leben urteilen; man wird keinem Menschen Urteilskraft zuschrieben, der z.B. die positiven oder negativen Urteile zu machen weiß: ‚diese Rose ist rot´, ‚diese Gemälde ist rot, grün, staubig´ usf.“ Enz. I, §178

Ein Urteil von einer Sache haben, heißt eben, zu wissen was man von ihr zu halten hat. Dass zwischen „Beschreiben“ und „Werten“ eine unüberbrückbare Kluft herrscht, ist eine Behauptung, die sich aus der Zumutung der Moralphilosophie an den Verstand ergibt: Pflichten einsehen. Diese Zumutung wird haltbar gemacht durch zweierlei intellektueller Reiche, dem der „deskriptiven“ und dem der „präskriptiven“ Sätze. Wenn aus Wissen Moral nicht zu begründen ist, dann begründet sie sich eben aus sich selbst (Sollensätze aus Sollensätzen) und das ist auch eine Art von „Logik“.

Dass „gut“ eine Eigenschaft ist wie „gelb“ (Moore), nur dass man sie nicht sieht, sondern mit einem ganz eigenen Sinn wahrnimmt, ist die Gegenposition, die sich zur Unbe¬gründbarkeit der Moral bekennt, dies aber genauso wenig für einen Einwand halten will.

Eine Sache zu bewerten, ohne ein Wissen über sie zu Rate ziehen zu dürfen, ist ein geistige Unding. Was für einen Witz soll eine Wertung haben, die mit der Sache, die sie bewertet nichts zu tun hat?

Dem Einwand, das Prädikat „gut“ sei doch eine rein subjektive Angelegenheit, bietet das assertorische Urteil allerdings keine Angriffsfläche. Eine einzelne Sache mit konkreter Beschaffenheit wird auf ihren Begriff bezogen, ohne dass die Übereinstimmung von besonderen Eigenschaften und allgemeinem Begriff inhaltlich vorkäme. Sie wird nur behauptet. Der Maßstab des Vergleichs bleibt dunkel. Genauso wie „Dies Haus ist gut.“ Da kann man auch das Gegenteil behaupten.

Resultat ist: dieses Ding kann gut oder schlecht sein, es ist einmal gut und einmal schlecht und das hängt von seinen jeweiligen Eigenschaften ab.

Das ist das problematische Urteil: „Ein Haus, je nach dem wie es beschaffen ist, ist gut.“ Es wird nicht mehr nur das Ergebnis des Vergleichs der Sache mit ihrem Begriff gesagt, sondern schon das Kriterium angegeben, an dem es sich entscheidet. Die Diskrepanz von Subjekt und Prädikat – einerseits das konkrete Ding, andererseits der Vergleich mit seinem Begriff, der als seiner gar nicht kenntlich ist – ist aufgehoben; das Subjekt enthält in seiner jeweiligen Beschaffenheit seine Übereinstimmung oder Nicht-Übereinstimmung mit seinem Begriff, die seinerseits das Prädikat ausspricht. Damit ist aber auch die Seite des Begriffs inhaltlich ausgefüllt und es ist nicht mehr die Frage, ob die Sache ihrem Begriff gemäß ist oder nicht: diese Beschaffenheit des konkreten Hauses ist zugleich die besonderer Ausprägung des allgemeinen Begriffs. Wenn diese bestimmten Eigenschaften ein Haus zu einem guten Haus machen, dann sind diese Eigenschaften umgekehrt auch die Konkretisierung des allgemeinen Begriffs des Hauses.

Das apodiktische Urteil verknüpft das konkrete Einzelne über seine besondere Beschaffenheit mit seinem Begriff. In „Das Haus, so und so beschaffen, ist gut“ kommt das Haus dreimal vor: einmal als dieses einzelne Ding hier, einmal als bestimmte Beschaffenheit und einmal als das Haus schlechthin, das den Maßstab für die prädizierte Entsprechung abgibt.

Das Verhältnis Subjekt – Prädikat, die Trennung von Identität und Inhalt, ist hier schon aufgehoben: das Subjekt ist sowohl Identität als auch Inhalt, das Prädikat ist die Übereinstimmung beider. Die Kopula ist einerseits als Beziehung „ins Prädikat übergegangen“, andererseits zur inhaltlichen Gemeinsamkeit von Subjekt und Prädikat geworden. Der Form nach hat das apodiktische Urteil noch immer den Charakter der bloßen Behauptung, die in der Selbständigkeit der Extreme des Urteils liegt. Andererseits enthält es bereits ihre inhaltliche Einheit. Es enthält schon ein Argument.


7.3. Der Schluss

Der Schluss ist eine Beziehung von Extremen wie das Urteil und zugleich ihre inhaltlich Einheit. So geht Erklären, so weiß man die Bestimmung ihre Sache als notwendig.

Der Schluss ist keine Aneinanderreihung von Urteilen und schon gar keine „Umformulierung von Sätzen“. Wie soll dadurch, dass man mehrere Urteile hintereinander schreibt oder Varianten des selben Satzes eine neue Qualität, eine neue Erkenntnis zustande kommen. Auch die Aussage, der Schluss sei die Ableitung eines Urteils aus einem anderen (Kant) ist ganz witzlos, solange man nicht sagt, was denn eine Ableitung sein soll, also worin der Zusammenhang des ersten und des zweiten Urteils besteht.

Ein Schluss wie „Gabi geht ins Kino oder sie bleibt zu Hause. Sie geht nicht ins Kino. Also bleibt sie zu Hause.“ ist keiner. Die Alternative im ersten Satz ist kein disjunktives Urteil, sondern eine Festlegung, auf die sich die ganze Sache zusammenkürzt. Warum nicht gleich die Konklusion zusammenlegen? Dies ist ja sowieso schon passiert in der Behauptung „Kino gehen oder zu Hause bleiben“ – eins von beiden trifft auf jeden Fall zu. Wenn nicht das eine, dann das andere, na klar!

Einen Schluss kann man als Begründung eines Urteils auffassen, als Antwort auf die Frage „Wieso?“, „Inwiefern?“. Das entscheidende dabei ist aber nicht, dass auf ein Urteil noch ein Weiteres folgt, sondern dass die Extreme des ersten Urteils in der Begründung eine Vermittlung erhalten. Ein Schluss ist kein Verhältnis zwischen Urteilen, sondern zwischen Begriffsbestimmungen – Einzelnes, Allgemeines, Besonderes (Termini). Der Witz beim Schließen ist auch nicht, dass etwas erschlossen wird, was man noch nicht gewusst hat. Das kann zwar auch sein, aber worauf es ankommt ist, dass die Einheit, die die Extreme haben, durch ein drittes, ein Mittelbegriff, vermittelt ist. Welcher der drei Termini schon bekannt ist und auf welchen geschlossen wird, welcher das Resultat bildet, ist eine subjektive Sache und geht die Wahrheit dieses Zusammenhangs nichts an. Die Idee, Schließen sei eine Operation, mit der sich der Verstand Kenntnisse aus zweiter Hand verschafft, die aus erster unmittelbar nicht zu haben sind, zeigt wieder eine schlechte Meinung vom Denken: als Krücke der Wahrnehmung kommt es zu keinem anderen Resultat, als dass es etwas gibt – was man nicht sieht.


7.3.1. Der qualitative Schluss

„Der Schluss wie er unmittelbar ist, hat zu seinen Momenten die Begriffsbestimmungen als unmittelbare. Sie sind somit die abstrakten Bestimmtheiten der Form, welche noch nicht durch Vermittlung zur Konkretion gebildet, sondern nur die einzelnen Bestimmtheiten sind. Der erste Schluss ist daher der eigentlich formelle. Der Formalismus des Schließens besteht darin, bei der Bestimmung dieses ersten Schlusses stehen zu bleiben. Der Begriff, in seine abstrakten Momente dirimiert hat die Einzelheit und die Allgemeinheit zu seinen Extremen und es selbst scheint als die zwischen ihnen stehende Besonderheit.“ Logik II, S.354

Im Schluss des Daseins steht ein Einzelnes einem Allgemeinen gegenüber – es ist nicht unmittelbar allgemein – und hat mit diesem eine Gemeinsamkeit in einem noch mal von beiden unterschiedenen Dritten.

„Diese Rose ist rot; Rot ist eine Farbe, also ist diese Rose ein Farbiges.“

Man mag zwar nicht direkt widersprechen, aber was damit an Erkenntnis gewonnen sein soll, ist auch nicht klar. Im qualitativen Schluss wird an einem Einzelwesen eine seiner Eigenschaften hervorgehoben und dann wieder aus dieser noch etwas Allgemeineres heraus gezogen. Der Schluss ist formell: man könnte an der Rose auch irgendeine andere Eigenschaft festhalten und sie darüber mit so mancherlei – auch miteinander unverträglichen – Allgemeinheiten zusammenschließen. Hier ist die Quelle der Auffassung, dass sich alles beweisen lässt. Die Extreme haben miteinander nichts zu tun, sind nur über eine beliebige Gemeinsamkeit verknüpft. „Rückwärts“ funktioniert dieser Schluss genauso gut oder schlecht wie „vorwärts“. Von „Farbiges“ ausgerechnet auf „Rose“ zu kommen, ist genauso zufällig wie von „Rose“ auf „Farbiges“. Genauso wie die Rose nur unter anderem farbig ist, ist Farbiges nur unter anderem eine Rose. Die kriminalistische Logik vollzieht den Schluss vom Allgemeinen über das Besondere zum Einzelnen. Von der Tat wird über die spezifischen Umstände auf den Täter geschlossen. Dabei ist es natürlich genauso zufällig – beziehungsweise der Kunst des Schriftstellers geschuldet – ob die besonderen Umstände den Schluss auf nur einen Täter zulassen.

„Ebenso zufällig ist dieser Schluss b) durch die Form der Beziehung, welche in ihm ist. Nach dem Begriffe des Schlusses ist das Wahre die Beziehung von Unterscheidungen durch eine Mitte, welche deren Einheit ist. Beziehungen der Extreme auf die Mitte aber (die sogenannten Prämissen, der Obersatz und der Untersatz) sind vielmehr unmittelbare Beziehungen. Dieser Widerspruch des Schlusses drückt sich wieder durch einen unendlichen Progress aus, als Forderung, dass die Prämisse gleichfalls jede durch einen Schluss bewiesen werden kann da dieser aber zwei ebensolche unmittelbare Prämissen hat, so wiederholt sich diese und zwar sich immer verdoppelnde Forderung ins Unendliche.“ Enz. I, §188

Die Mitte, die die beiden Extreme zusammenschließt, also den Beweis liefern soll, schließt sie nur formell zusammen. Es kommt halt zweimal „rot“ vor. Der Schluss fordert den Widerspruch gegen die Prämisse heraus. Wieso denn „rot“? Die Rose ist stachlig! Und: Blau ist eine Farbe! Und wo ist dann der Schluss? Er hängt offenbar an einer gesonderten Begründung der Prämissen, die aber nicht gelingen kann.

7.3.2. Der Reflexionsschluss

Im Reflexionsschluss ist die Mitte das, was der qualitative Schluss als ganzes besagt: durch eine Bestimmung, die das Einzelne neben anderen hat, ist es etwas Allgemeines. „Rot“ fasst nicht nur die Rose unter sich, sondern alle roten Dinge, sie mögen ansonsten so verschieden sein, wie sie wollen und darin ist die Besonderheit zugleich etwas – wenn auch inhaltlos – Allgemeines. Die Besonderheit als Summe von Einzelnen ist die Mitte des Reflexions-schlusses, dessen erste Form der Schluss der Allheit ist:

7.3.3. Schluss der Allheit

Alle Menschen sind sterblich. Gajus ist ein Mensch. Also ist Gajus sterblich.

„Die Mitte so zunächst 1. nicht allein als abstrakte, besondere Bestimmtheit des Subjekts, sondern zugleich als alle einzelnen konkreten Subjekte, denen nur unter anderen auch jene Bestimmt-heit zukommt, gibt den Schluss der Allheit. Der Obersatz, der die besondere Bestimmtheit, den terminus medius als Allheit zum Subjekt hat, setzt aber den Schlusssatz, der jenen zur Voraus-setzung haben sollte, vielmehr selbst voraus.“ Enz. I, §190

Diesen Schluss hält die moderne formale Logik für den Schluss überhaupt, obwohl der gerade weil sein „Pedantismus“ und „nichtssagender Formalismus“ nach HEGEL jeder¬mann ins Auge springt. Gerade seine offenkundige Leerheit hält sie für das Zwingende an ihm. Dass die Konklusion in den Prämissen schon enthalten ist, ist sein Fehler. Die erste Prämisse setzt die Sterblichkeit des guten Gajus schon voraus. Es darf gar nicht behauptet werden, dass alle Menschen sterblich sind, wenn das bei Gajus erst noch die Frage ist. Wenn aber „alle“ „alle, außer Gajus“ sind, folgt nichts für Gajus. Der Schluss ist überhaupt nur der Widerspruch, dass nur dann etwas geschlossen werden kann, wenn es nichts zu schließen gibt.

Der Schluss der Allheit beruht auf der Induktion: die gesonderte Prüfung der Einzelfälle erlaubt erst die Allaussage. Die Kette der Einzelnen – unterschieden von der Besonderheit – bildet die Mitte des Induktionsschlusses, der so aussieht:

Kupfer ist Metall. Gold ist Metall. Silber ... Blei ... Usw. Kupfer leitet. Gold leitet Silber ... Blei ... Usw. Also sind alle Metalle (elektrische) Leiter.

„Bei einer Induktion können die Einzelheiten niemals erschöpft werden. Wenn man sagt: alle Metalle, alle Pflanzen usw., so heiß dies nur soviel als: alle Metalle, alle Pflanzen, die man bis jetzt kennen gelernt hat. Jede Induktion ist deshalb unvollkommen.“ ebd.

Die Aufzählung aller Einzelnen kommt nie über die Zufälligkeit des Zusammentreffens von zwei Eigenschaften hinaus. „Alle“ kann immer nur heißen „alle bisher beobachteten Fälle“. Die Allaussage ist nicht einzulösen. Eine Häufung von Zufällen gibt keine Notwendigkeit. Der Schein eines Schlusses entsteht überhaupt nur durch das „usw.“, durch die Unabge¬schlossenheit der Aufzählung. Würde man gleich sagen: „Die 27 bisher bekannten Metalle sind elektrische Leiter.“ Dann wäre offensichtlich, dass das kein Grund dafür ist, dass alle Metalle leiten.

„Dieser Mangel der Induktion ist es, welcher zur Analogie führt. Im Schluss der Analogie wird daraus, dass Dingen einer gewissen Gattung eine gewisse Eigenschaft zukommt, geschlossen, dass auch anderen Dingen derselben Gattung dieselbe Eigenschaft zukommt.“ ebd.

Wenn die unabschließbare Reihe von Einzelheiten schon lauter Dinge derselben Gattung aufzählt, dann ist die Aufzählung überhaupt überflüssig. Die gemeinsame Gattung liefert die Grundlage des Schlusses auf einen neuen Fall.

Es gibt bessere und schlechtere Analogien:

„Wenn z.B. gesagt wird: „Der Mensch Gajus ist ein Gelehrter; Titus ist auch ein Mensch, also wird er wohl auch ein Gelehrter sein.“ so ist dies jedenfalls eine sehr schlechte Analogie und zwar um deswillen, weil das Gelehrtensein eines Mensch gar nicht ohne weiteres in dieser seiner Gattung begründet ist.“ ebd.

Es wird von der gemeinsamen Gattung auf eine weitere Gemeinsamkeit von Gajus und Titus geschlossen. Das kann deshalb daneben gehen, weil der Medius Terminus widersprüchlich ist: er enthält sowohl die Gattung als auch den einzelnen Gajus, der alle möglichen Eigenschaften hat, die mit seinem Menschsein sehr wenig zu tun haben. Eine gelungene Analogie liegt dann vor, wenn auf eine wirkliche Gattungseigenschaft geschlossen wird, also wenn der Mittelbegriff auch gar nicht mehr „der Mensch Gajus“ sondern nur „der Mensch“ ist.

Im Schluss der Notwendigkeit wird eine einzelne wirkliche Sache über ihre allgemeine Natur mit einer notwendigen Eigenschaft dieser allgemeinen Natur zusammen geschlossen. Einzelheit, Allgemeinheit und Besonderheit sind dann inhaltlich identisch (die Mitte ist nicht mehr eine äußerliche Zusammenfassung der Extreme) – „und die Form des Schlusses, der im Unterschied der Mitte gegen seine Extreme bestand, hat sich aufgehoben.“ Logik II, S. 400f

Das Wesentliche am Schluss ist, dass die Sache bestimmt, erklärt wird. Als Operation ist er tatsächlich etwas Subjektives: so herum oder andersherum, je nachdem wonach gefragt ist oder wie man die Sache darstellen will.

 


contradictio - 2006