1. Einleitung
Wenn man sich die Geisteswissenschaften ansieht, wie sie
heutzutage an der Universität gelehrt werden, von der VWL über die
Soziologie, die Sprach-wissenschaft und Psychologie bis zur
Philosophie, dann stellt man eines fest: Es existiert eine Vielfalt
von Theorien zum gleichen Gegenstand, und diese Theorien stehen
nicht nur nebeneinander, vielmehr widersprechen sie sich. Dass das
niemanden wirklich zu stören scheint, verdankt sich nicht einer
Unfähigkeit, die Fehler zu erkennen.
Die Art, wie diese Wissenschaften mit Argumenten umgehen, d. h.
die Grund-muster ihrer Fehler, hat Hegel schon vor über 150 Jahren
kritisiert. Den Plu-ralismus gibt es jedenfalls nicht deswegen, weil
man es nicht besser wüsste. Andererseits hat Hegel aber auch keine
Rezepte für richtiges Denken entwickelt. Die Kenntnis der Formen,
deren sich eine richtige und deren sich eine falsche Wissenschaft
bedient, verhilft einem beispielsweise bei „Erkennt-nissen“ der
Wissenschaft aus dem Bereich der Ökonomie oder Politik zum
leichteren Erkennen der Fehler. Was man von Hegel lernen kann, ist
seine Wissenschaft von der Wissenschaft selbst. Hegel hat diese
Wissenschaft Dialektik genannt.
2. Dialektik als Methode
Das Wort „Dialektik“ ist auch bei Leuten bekannt, die noch keine
Zeile Hegel gelesen haben. Was darunter verstanden wird, zeigt schon
eine falsche Auffassung vom Denken als solchem: Für Sir Karl POPPER
ist Dialektik „das Blendwerk der falschen Propheten“, und er meint
damit in etwa dasselbe wie die populäre Vorstellung, Dialektik sei
die rhetorische Trickkiste, die Marxisten benutzen, um anständigen
Menschen das Hirn so zu vernebeln, dass sie alles glauben. BLOCH und
andere Dialektik-Befürworter sehen darin ein Verfahren, das Hoffnung
macht, weil alles „mehr ist, als es bloß ist“, eine Weise, die Dinge
nicht so zu sehen, wie sie wirklich sind, sondern sie als die
bessere Möglichkeit ihrer selbst, als etwas über sie Hinausweisendes
aufzufassen.
Gemeinsam ist den positiven wie den negativen Interpretationen,
dass Dialektik als eine Denkmethode aufgefasst wird.
Allerdings ist es widersinnig, Denken und Argumentieren als Mittel
zu einem Zweck zu begreifen: Wenn das Ergebnis feststeht, wenn man
schon weiß, was beim Nachdenken herauskommen soll – was sollen dann
geistige Anstrengungen, bei denen dasselbe herauskommt? Wer mit
BLOCH hoffen will, soll das halt tun, und wer als „falscher Prophet“
einen Schwindel an den Mann bringen will, ist für eine Botschaft,
die man sowieso glauben soll. Sich zu einem bereits feststehenden
Resultat noch einmal geistig hinzurobben, ist schon eine ziemlich
überflüssige Angelegenheit.
Was bei BLOCH noch drinsteckt und von manchen ausdrücklich
vertreten wird, ist, dass Dialektik als Methode zugleich objektiv,
der Sache angemessen sein soll. So ist bei ALTVATER Dialektik „die
Methode der Kritik, weil der Kapitalismus widersprüchlich ist.“ Soll
heißen, sie ist eine Weise, Wissenschaft zu treiben, die der zu
untersuchenden Sache entspricht. Aber: woher weiß man das? Dazu
müsste man ja die Sache schon – ohne Methode – untersucht haben, um
entscheiden zu können, welche Methode zu ihr passt. Dann kürzt sich
aber die Methode heraus.
Dialektik wurde bis hierher als Beispiel für die Vorstellung von
Denken als Methode überhaupt gebraucht. Diese Vorstellung haben alle
bürgerliche Wissenschaftlern, seien sie nun Befürworter oder Gegner
von Dialektik. Gegen Dialektik haben die letzteren nur einzuwenden,
dass sie die falsche Methode sei.
3. Hegels Widerlegung aller Methodenlehren
HEGEL, der es damals noch nicht mit so niveaulosem Zeug zu tun
hatte, wie es heute an der Uni verbreitet wird, hat in seiner Kritik
an KANT ein für allemal die Haltlosigkeit solcher Ideen gezeigt.
KANT wollte, um gewissermaßen erst einmal das Feld für die
Wissenschaft abzustecken, das Erkenntnisvermögen untersuchen. Dazu
HEGEL:
„Dies ist der Hauptsatz der Kantischen Philosophie, sie wird
auch Kritische Philosophie genannt, indem ihr Zweck zunächst ist –
sagt Kant – eine Kritik des Erkenntnisvermögens zu sein. Vor dem
Erkennen muss man das Erkenntnisvermögen untersuchen. Das ist dem
Menschenverstand plausibel, ein Fund für den gesunden
Menschenverstand. Das Erkennen wird vorgestellt als ein
Instru-ment, die Art und Weise, wie wir uns der Wahrheit
bemächtigen wollen; ehe man also an die Wahrheit selbst gehen
könne, müsse man zuerst die Natur, die Art seines Instrumentes
kennen. Es ist tätig; man müsse sehen, ob dies fähig sei, das zu
leisten, was gefordert wird, - den Gegenstand zu packen; man muss
wissen, was es an dem Gegenstand ändert, um diese Änderung nicht
mit den Bestimmungen des Gegenstands selbst zu verwechseln. – Es
ist, als ob man mit Spießen und Stangen auf die Wahrheit losgehen
könnte. Vor der Wahrheit erkennt das Erkennen nichts Wahres; es
geht ihm dann wie den Juden, der Geist geht mitten hindurch. Das
Erkenntnisvermögen untersuchen heiß, es erkennen. Die Forderung
ist also diese: man soll das Erkenntnisvermögen erkennen, ehe man
erkennt; es ist dasselbe wie mit dem Schwimmenwollen, ehe man ins
Wasser geht. Die Untersuchung des Erkenntnisvermögens ist selbst
erkennend, kann nicht zu dem kommen, zu was es kommen will, weil
es selbst dies ist, - nicht zu sich zu kommen, weil es bei sich
ist.“ HEGEL, Geschichte der Philosophie III, WW 220, S. 333
Das ist eben das Zirkuläre einer solchen Unternehmung: Wenn man
das Denken als Instrument ansieht und wissen will, ob dieses
Instrument dazu taugt, die Wahrheit über bestimmte Dinge
herauszubekommen, was bleibt einem dann anderes übrig als – zu
Denken, seinen Verstand, den man erst prüfen will, zu gebrauchen und
sich auf ihn zu verlassen. Dann erübrigt es sich aber, ihn erst noch
zu prüfen. Will man aber daran festhalten, dass die Tauglichkeit des
Denkens eine offene Frage ist, dann ist das Resultat der
Untersuchung nichts wert. Die zu prüfende Sache kann nicht zugleich
Prüfinstanz sein.
KANT stellt sich die Sache so vor: Das Denken ist ein Werkzeug –
Spieße und Stangen, sagt Hegel – mit dem man sich der Welt geistig
bemächtigt. Es bearbeitet sein Objekt, und die Veränderung, die
dabei an diesem bewirkt wird, muss man doch in Rechnung stellen.
Da hat er sich aber etwas unmögliches vorgenommen, denn er müsste
die Realität außerhalb des Denkens mit der vom Denken erfassten
Realität vergleichen können, um die Abweichung, die das Denken
bewirkt zu bestimmen. Von welchem Standpunkt sollte er die
Feststellung treffen können: Hoppla, die Sache ist ja in
Wirklichkeit anders als sie mir mein Bewusstsein zeigt? Da wird mit
dem Denken ein fiktiver Maßstab gesetzt- Übereinstimmung mit der
Realität, ein Maßstab, den man nicht anwenden kann. Und das taugt
nur zu einem: Einen grundlosen Zweifel ins Denken in die Welt zu
setzen. Einen Zweifel, der den Beweis schuldig bleiben muss. Skepsis
ist eine haltlose Angelegenheit, weil man immer nur bestimmte Fehler
im Denken nachweisen kann, aber nie die Tauglichkeit oder
Untauglichkeit des Denkens überhaupt. (Eben: Tauglichkeit in Bezug
auf was?)
Dasselbe sagt MARX in seiner zweiten Feuerbachthese:
„Die Frage, ob dem menschlichem Denken gegenständliche Wahrheit
zukomme – ist- keine Frage der Theorie, sondern eine praktische
Frage. In der Praxis muss der Mensch die Wahrheit, i. e.
Wirklichkeit und Macht, Diesseitigkeit seines Denkens beweisen.
Der Streit über die Wirklichkeit oder Nichtwirklichkeit des
Denkens – das von der Praxis isoliert ist – ist eine rein
scholastische Frage.“ MEW 3, S. 5
Bei einer Wissenschaft, die über reale Gegenstände nachdenkt und
Ergebnisse liefert, die dann auch praktisch anwendbar sind, stellt
sich die Frage überhaupt nicht. Und ob das Denken überhaupt die
Realität trifft, wobei man sich das Denken wohl als ein von der
Wirklichkeit getrenntes Spintisieren vorstellt, darüber sollen sich
andere den Kopf zerbrechen.
Die ganze Problematisierung des Verhältnisses von Denken und Welt
ist fruchtlos, da die Differenz von beidem nur als möglicherweise
vorhanden (möglicherweise aber auch nicht) bestimmt werden kann,
und, was die Erkenntnis betrifft, eine praktische Konsequenz einer
Differenz, die nicht fassbar ist, nicht angegeben werden kann.
4. „Grenzen der Erkenntnis“
Seine Kritik an KANT setzt Hegel so fort:
„Indem aber auf der Seite diese Erkenntnis sich als die
Erkenntnis nur von Erscheinendem weiß, wird das Unbefriedigende
derselben eingestanden, aber zugleich vorausgesetzt, als ob zwar
nicht die Dinge an sich, aber doch innerhalb der Sphäre der
Erscheinung richtig erkannt würde, als ob dabei gleichsam nur die
Art der Gegenstände verschieden wäre, und die eine Art, nämlich
die Erscheinungen in die Erkenntnis fielen. Wie wenn einem Manne
richtige Einsicht beigemessen würde mit dem Zusatz, dass er jedoch
nichts Wahres sonder nur Unwahres einzusehen fähig sei. So
ungereimt das letztere währe, so ungereimt ist eine wahre
Erkenntnis, die den Gegenstand nicht erkännte, wie er an sich
ist..
Die Kritik der Formen des Verstandes hat das angeführte
Resultat gehabt, dass diese Formen keine Anwendung auf die Dinge
an sich haben. – Dies kann keinen anderen Sinn haben, als dass
diese Formen an ihnen selbst etwas unwahres sind. Allein indem sie
für die subjektive Vernunft und für die Erfahrung als geltend
gelassen, so hat die Kritik keine Änderung an ihnen selbst
bewirkt, sondern lässt sie für das Subjekt, wie einst in der
selben Gestalt für das Objekt gelten. Wenn sie aber ungenügend für
das Ding an sich sind, so müsste der Verstand, dem sie angehören
sollen, noch weniger dieselben sich gefallen lassen und damit
vorlieb nehmen wollen.“ HEGEL, Wissenschaft der Logik I, S. 27
Das gibt es nicht, sagt Hegel, dass das erkennende Subjekt
weiß,
das es nur Erscheinungen erkennt, dass sein Denken eine Schranke
hat, über die es nicht hinaus kann. Man kann nicht wissen, dass man
sich täuscht. Das weiß man immer erst hinterher, wenn die Täuschung
bereits aufgeklärt ist. Kant dagegen behauptet, das Unzureichen des
Wissen sei damit, dass er es herausgefunden hat, nicht erledigt. Er
behauptet glatt den Widerspruch – der bis heute ein Schlager
geblieben ist – die menschliche Erkenntnis sei notwendig
unzureichend. Diesen Widerspruch löst Hegel nach zwei Seiten auf:
Wenn dem Menschen „nur“ Erkenntnis von Erscheinungen möglich ist,
dann kann er von einem „Ding an sich“ auch nichts wissen, und die
Behauptung, so etwas gäbe es, ist haltlos. Andererseits: Wenn KANTs
Untersuchung bestimmter Denkkategorien, „Formen des Verstandes“,
ergeben hat, dass sie mangelhaft sind, die Sache nicht treffen, dann
soll er auch nicht sagen, diese Kategorien seien notwendig. Dann
sind das eben nicht die geeigneten Kategorien der Erkenntnis. Wenn
man schon weiß, dass sie mangelhaft sind, dann ist man auch nicht
mehr in ihnen befangen, dann wird man ja auch weitergehen können und
den Mangel bestimmen können, den sie haben.
Nicht das Erkenntnisvermögen ist ganz grundsätzlich in Frage zu
stellen, wohl aber gibt es falsche Denkmuster zu untersuchen und zu
kritisieren. Und das kann nur so gehen, dass man sie an sich selbst
misst, nicht den Vergleich mit der „Realität“ aufs Programm setzt,
sondern prüft, ob sie das leisten, worauf sie abzielen. Das ist die
einzig reelle Aufgabe, die sich hier stellt.
Dass der grundsätzliche Zweifel am Denken im Gegensatz steht zur
Beseitigung von Fehlern, das war HEGELs Entdeckung. Die moderne
Wissenschaftstheorie besteht überhaupt nur aus dem Anmelden von
Vorbehalten gegen das Denken. Starke Behauptungen werden da gar
nicht mehr aufgestellt. Genügt es nicht auf die prinzipielle
„Irrtumsmöglichkeit“ (POPPER) hinzuweisen?
Damit ist eben nicht gesagt, dass Irrtümer ausgeräumt gehören.
Wenn man nämlich alle Gedanken unter einem ganz abstrakten Verdacht
stellt, dann will man zwischen richtigen und falschen Gedanken nicht
unterscheiden. Dann lässt man – schwer bedenklich – alles gelten,
nur eben nicht eine Kritik, die diesen Unterschied macht.
5. Formen undialektischen Denkens
in der herrschenden Wissenschaft
5.1. Kraft, Trieb, Begabung, Fähigkeit
Wer irgendein geisteswissenschaftliches Fach studiert, kennt
diese Kategorien: Die Politologie sagt: „Der Mensch ist ein
Staatenbildendes Wesen.“ Er hat in sich eine Anlage, einen Trieb zum
Staat. Die Pädagogik erklärt, was aus einem Kind wird, aus seiner
Begabung. Und die Psychologie hat überhaupt die Kategorien
Kraft/Trieb gepachtet: Da gibt es den Aggressionstrieb, der dafür
verantwortlich ist, wenn einer dem Anderen ans Schienenbein tritt,
den Liebestrieb, der zur Liebe, den Todestrieb, der zum Tod führt.
Und Intelligenz wird z. B. so erklärt:
„Die in sehr großer Anzahl vorliegenden Definitionen der
Intelligenz betonen im wesentlichen vier Sachverhalte: 1. dass es
sich um eine Begabung bzw. um eine Gruppe von Begabungen handelt,
die ein Lebewesen im höheren oder geringerem Maße besitzen kann;
2. dass diese Fähigkeit die Lösung konkreter oder abstrakter
Probleme und damit die Bewältigung neuartiger Situationen
ermöglicht; 3. dass sie das bloße Herumprobieren und Lernen an
dessen sich zufällig einstellenden Erfolgen weitgehend erübrigt;
4. dass diese Begabung sich in der Erfassung, Anwendung, Deutung
und Herstellung von Beziehungen und Sinnzusammenhängen äußert.“
Fischer Lexikon Psychologie, S. 172
Was weiß man jetzt über Intelligenz? Intelligenz wird hier
erklärt als Begabung zum Lösen von Problemen, Erfassen von
Zusammenhängen usw., also zu intelligentem Verhalten. Die Erklärung
ist nur formell vorangekommen. Intelligenz steht jetzt zweimal da:
einmal als Verhaltensweisen, die der Psychologe so festgestellt
haben will und zum zweiten als Begabung, die in nichts anderem
besteht, als die zu erklärenden Verhaltensweisen hervorzubringen.
Der Inhalt bleibt eine Leerstelle – für Intelligenz könnte man sonst
was einsetzen. Die Sache ist, dass sie produziert, hervorgebracht
ist. Diese logische Figur taugt offenbar dazu, Sachen zu erfinden,
die es nicht gibt. Das intelligente Verhalten, das durch die
Fähigkeit dazu erklärt wird, ist ja auch schon eine merkwürdige
Beschäftigung. Es scheint so etwas ähnliches wie Denken zu sein,
aber doch nicht dasselbe. Offenbar kann man sich bei jeder Tätigkeit
intelligent verhalten oder nicht. Und wodurch unterscheidet sich das
intelligente Tun vom nicht-intelligenten?
Intelligent ist es dann, wenn man die Tätigkeit beherrscht, wenn
man nicht herumprobiert, sondern systematisch vorgeht, den Überblick
hat, und wenn auch das herauskommt, was herauskommen soll.
Das Können vom Nicht-Können zu unterscheiden, ist es aber nicht
worauf diese Theorie hinauswill. Sie will das können zu einer
selbstständigen Eigenschaft neben den Tätigkeiten die es so gibt,
erklären. Sie erfindet ein umfassendes Know-how, das keines von
irgend etwas ist. Von bestimmten Tätigkeiten ist es zwar nicht zu
trennen, die Behauptung, dass es sich darin äußert, kreiert es als
Extra-Ding, ein Ding, über das man nichts verlauten lassen muss,
weil eine Kraft ja wohl nicht anders zu haben und zu fassen ist, als
in ihrer Äußerung. Dennoch verbürgt sie etwas davon Unterschiedenes.
Und das ist der Vorzug für diese Kategorie für Denker, die Sachen
erfinden wollen, in diesem Fall eine Eigenschaft des Menschen, die
dafür verantwortlich ist, dass es manche auf der Welt weiter bringen
als andere. Wer nichts gelernt hat, besitzt eben nicht die Anlage
dazu. Die gesellschaftlichen Einrichtungen, die ihn gezielt von
Bildung ausgeschlossen haben, sind so aus dem Schneider.
Reizvoll für eine falsche Wissenschaft ist diese Kategorie durch
ihren Mangel, ihre spezifische Unwissenschaftlichkeit, die HEGEL,
der sich allerdings nicht vorstellen kann, warum sie trotzdem
verwendet wird, so erklärt:
„Man pflegt zu sagen, dass die Natur der Kraft selbst unbekannt
sei und nur ihre Äußerung erkannt werde. Einesteils ist die ganze
Inhaltsbestimmung der Kraft eben dieselbe als die der Äußerung ;
die Erklärung einer Erscheinung aus einer Kraft ist deswegen eine
leere Tautologie. Was unbekannt bleiben soll, ist also in der Tat
nichts als die leere Form der Reflexion-in-sich, wodurch allein
die Kraft von der Äußerung unterschieden ist. Diese Form tut zum
Inhalte und zum Gesetze, welche nur aus der Erscheinung erkannt
werden, im Geringsten nichts hinzu. Auch wird überall versichert,
es solle damit über die Kraft nichts behauptet werden; es ist also
nicht abzusehen, warum die Form von Kraft in die Wissenschaft
eingeführt worden ist.“ Enz. I, §136 Zus.
Die Form der Erklärung ist mit dieser Kategorie schon geleistet:
Man geht über das hinaus, was man so in der Welt konstatiert und
zeigt etwas ähnliches wie einen Grund, etwas, was die Sache, die in
Frage steht, bestimmt (Reflexion-in-sich). Nur ist das, was die
Sache erklären soll, inhaltlich völlig leer. Die Kraft hat keine
andere Eigenschaft, als die, die Sache hervorzubringen. Die formelle
Differenz von Kraft und Äußerung suggeriert einen inhaltlichen
Fortschritt, der aber gar nicht stattfindet. Und wo diese
gedankliche Figur benützt wird, dient sie auch gar nicht zur
Erklärung, sondern dazu, einer ungereimten Idee eine rationelle
äußere Form zu geben. Immer ist es die Behauptung, dass eine Sache
gar keine andere Erklärung habe als sich selber und damit entweder
die Opposition gegen eine wirkliche Erklärung, wie im Fall der
Aussage „Der Mensch ist ein Staatenbildendes Wesen“ oder wie im Fall
von Aggression und Intelligenz das Abstreiten des irrationalen
Charakters erfundener Sachen.
Ihren Mangel offenbart die Kategorie Kraft-Äußerung auch „an sich
selbst“. Ihre Anwendung wirft immer die Frage auf, wieso die Kraft
gerade jetzt diese Äußerung hervorbringt. So, wenn Aggression als
allgemeine Disposition eines Menschen behauptet wird, dann stellt
sich zwangsläufig die Frage: Warum ist er dann nicht immer
aggressiv? Wenn das in ihm drinsteckt, dann muss es wohl raus. Warum
in diesem Fall und sonst nicht? Die Kraft, die doch dem Inhalt nach
gar nichts anderes ist als die Äußerung, stimmt andererseits mit der
Äußerung gar nicht überein. Für jede bestimmte Äußerung ist die
Kraft als Erklärung zu allgemein. Beispiel: Das Kind kann gut
rechnen, es ist intelligent. Dann müsste es aber auch gut
rechtschreiben können und das kann es nicht. Na ja, vielleicht hat
es nur eine ‚Mathematische Intelligenz’. – Nun hat man die Wahl, ob
man gleich sagen will: es kann halt rechnen, oder ob man doch noch
eine Extra-Fähigkeit behaupten will, die für das Rechnen können
verantwortlich ist, dann setze sich das Spiel fort. Immer muss die
Entsprechung von Kraft und Äußerung erst noch bewiesen werden. Da
die Kraft ja etwas gegenüber ihren diversen Äußerungen
Selbstständiges sein soll, geht sie darin eben auch nie auf und
„erklärt“ diese immer nur unzureichend. Deshalb müssen andere
Faktoren dafür verantwortlich sein, dass sie sich so und nicht anders äußert. – Und wo ist jetzt der Erklärungswert der Kraft?
„Die Endlichkeit der Kraft zeigt sich ferner darin, dass
dieselbe, um sich zu äußern, der Solizitation* bedarf. Dasjenige,
wodurch die Kraft solizitiert wird, ist selbst wieder Äußerung
einer Kraft, welche um sich zu äußern, gleichfalls solizitiert
werden muss. Wir erhalten auf diese Weise wieder den unendlichen
Progress.“
*Solizitation = "Erweckung", Auslösung
Psychologie und Pädagogik machen auch tatsächlich in dieser Logik
weiter und halten an der Entsprechung von Kraft und Äußerung so
fest, dass sie noch mal einen „Anstoß“ erfinden, der die Kraft dazu
bringt sich zu äußern: Ein Reiz muss auf den aggressiven Menschen
wirken, damit er tatsächlich aggressiv wird, und die Intelligenz
muss „geweckt“ werden, damit sie nicht ein Leben lang verschüttet
beleibt.
Das Kategorienpaar Kraft-Äußerung, in dem die Sache und ihre
Erklärung einerseits inhaltlich identisch sind, andererseits völlig
auseinanderfallen, leistet nur eine formelle – nur den Schein der –
Notwendigkeit. Darin, dass es an der Kraft gar nicht liegt, ob die
Äußerung zustande kommt, steckt ein Übergang: Sie bringt die Sache
gar nicht hervor, die Sache ist durch sie nicht notwendig, sondern
nur möglich.
5.2. Möglichkeit
Die Frage „Ist es möglich..?! ruft im gewöhnlichen Leben häufig
Radio-Eriwan-Antworten hervor: „Im Prinzip ja, aber...“ Dies ist
schon ein Verweis auf den Mangel der Kategorie Möglichkeit, die in
der herrschenden Wissenschaft sehr verbreitet ist. Alles ist möglich
- oder auch nicht.
„Die Möglichkeit von Wissenschaft“ heißt ein Buch von
MITTELSTRASS, ein Titel, der über der gesamten Erkenntnistheorie
stehen könnte. „Die Möglichkeit von Erziehung“ ist das Thema der
Pädagogik.
Nehmen wir zunächst ein Beispiel aus der Politikwissenschaft:
„Vornehmste Aufgabe der Opposition ist es, den Wählern
Alter-nativmöglichkeiten aufzuzeigen und hierdurch die Abhaltung
echter Wahlen zu ermöglichen.“ Fränkel, Fischer-Lexikon Staat
Politik
Man hört hier sehr leicht heraus, dass die Bedeutung der
Opposition betont wird, ohne dass man über sie oder die Wahl etwas
erfährt. Auf die Opposition in der Demokratie soll es Wunder wie
ankommen, denn wenn es keine Wahlmöglichkeit gäbe könnte man doch
tatsächlich nicht zwischen Alternativen wählen, käme keine – echte –
Wahl zustande.
Wieder kommt eine Sache zweimal vor: Einmal im Ausgangspunkt als
etwas, das sein soll, das als fraglos wünschenswert vorausgesetzt
wird, und dann noch mal als etwas, was ebendieses ermöglicht.
Anders als bei der Kategorie Kraft-Äußerung wird hier aber die
Sache nicht einfach als Inneres oder Äußeres gedacht, sondern ins
Verhältnis zu ihrer Identität gesetzt. Dasjenige, was eine Sache
ermöglicht, ist nicht einfach wieder sie selbst, sondern das für sie
Entscheidende, ohne welches sie nicht wäre, was sie ist. In unserem
Beispiel: An der Opposition hängt es, ob eine echte Wahl, eine Wahl
im eigentlichem Sinn herauskommt, im Gegensatz zu einer bloß
inszenierten.
Die wirkliche Sache, die durch etwas für sie Wesentliches
ermöglicht wird, ist in dieser Gedankenfigur immer einerseits
fragwürdig, andererseits etwas, das sein soll, etwas, wofür man
Partei ergreift. Auch MITTELSTRASS wird in seinem Buch über die
Möglichkeit von Wissenschaft nicht einfach an die Wissenschaft, die
es so gibt, gedacht haben. Da würde sich die Frage „Kann es die
geben?“ nicht stellen. Er denkt also an eine eigentliche, „echte“
Wissenschaft und macht etwas für diese Wesentliches – bei ihm ist es
die Sprache – ausfindig. Ausgangspunkt ist also immer ein
Idealismus: Die Sache ist etwas, was ich mir wünsche. Nun sage ich
aber nicht einfach, wie ich sie gerne hätte, sondern behaupte, sie
enthält (als Möglichkeit) das, worauf es (mir) ankommt. Trennung von
Realität und Identität einer Sache eignet sich einerseits zur
Erfindung idealer Gegenstände (z.B. die Prima Erziehung, die dem
Kind so richtig entspricht), andererseits zum Kompliment an
Gegenstände, die ohne ihre Identität nicht wären, was sie sind.
„Ohne Goethe wäre die Klassik nicht denkbar.“
Na ja, ist Goethe und Klassik nicht sowieso fast dasselbe? Eben:
Ohne Goethe wäre sie einfach nicht, was sie ist. Hier geht es nicht
darum, neben der miesen Realität eine feine Klassik zu erfinden,
sondern ihre Identität fiktiv aufs Spiel zu setzen, um dann
befriedigt zu konstatieren, dass sie sie doch hat, dank Goethe. In
jedem Fall steht die Identität einer Sache in Frage, damit man sie
ihr dann verpassen kann.
Das geht durchaus auch als Kritik an dem besprochenem Gegenstand,
eine Kritik, die dadurch genauso wenig objektiv ist, wie die
Parteinahme für ihn. Volkszählungsgegner haben als Begründung
vorgebracht:
„Deanonymisierung ist möglich.“
und wollte damit ausdrücklich nicht behaupten, das Versehen der
Fragebögen sei der Zweck oder irgendjemandes Absicht bei der
Volkszählung. Ausdrücklich unterschieden davon wird das
Entscheidende der Sache, das, was ihren „eigentlich“
bürgerfeindlichen Charakter belegt, ausgemacht. Man will „nur“ vor
einer Möglichkeit warnen – und behauptet damit, auf diesen Punkt
käme es ganz schwer an, weil jedenfalls in der Sache enthalten. Aber
auch die Schwäche des Argumentierens mit Möglichkeiten ist hier
offensichtlich: Eine bloße Möglichkeit, darüber soll man sich
aufregen? Die macht doch die wirkliche Sache gar nicht aus!
Was ist nicht alles möglich! Ohne Goethe keine Klassik? Aber doch
wohl ohne Herder auch nicht. Und nicht ohne Winkelmann. Und...
Hegel sagt dazu:
„Weil die Möglichkeit zunächst gegen das Konkrete als Wirkliches
die bloße Form der Identität-mit-sich ist, so ist die Regel für
dieselbe nur, dass etwas sich in sich nicht widerspreche, und so ist
alles möglich; denn allem Inhalte kann diese Form der Identität
durch die Abstraktion gegeben werden. Aber alles ist ebenso sehr
unmöglich, denn in allem Inhalte, da er ein Konkretes ist, kann die
Bestimmtheit als bestimmter Gegensatz und damit als Widerspruch
gefasst werden. – Es gibt daher kein leereres Reden als das von
solcher Möglichkeit und Unmöglichkeit. Insbesondere muss in der
Philosophie von dem Aufzeigen, dass etwas möglich oder dass auch
noch etwas anderes möglich und dass etwas, wie man es auch
ausdrückt, denkbar sei, nicht die Rede sein. Der
Geschichtsschreiber ist ebenso unmittelbar daran gewiesen, diese
für sich auch schon als unwahr erklärte Kategorie nicht zu
gebrauchen; aber der Scharfsinn des leeren Verstandes gefällt sich
am meisten in dem hohlen Ersinnen von Möglichkeiten und recht vielen
Möglichkeiten.“ Enz. I §143 Zus.
Da sie Identität getrennt von der Realität fasst, abstrakte
Identität, erlaubt diese Kategorie das Spintisieren. Das Mögliche,
das eben nur nicht in sich widersprüchlich sein darf, kann man sich
beliebig ausdenken. Man muss nur von einer wirklichen Sache alles
Grundsätzliche weglassen. Wieso soll es nicht möglich sein, dass der
türkische Kaiser Papst wird? Er ist doch ein Mensch und kann sich
zum Christentum bekehren, kann Priester werden usw.. Umgekehrt
braucht man nur an einer wirklichen Sache einen Gegensatz
festzuhalten, schon ist sie unmöglich. Wissenschaft ist nicht
möglich, denn da steht Subjekt gegen Objekt. Krieg ist nicht
möglich, denn er schadet dem, der ihn macht.
Wer etwas Wirkliches erklären will, macht einen Rückschritt, wenn
er die Möglichkeit davon anführt. Die Wirklichkeit enthält schon
immer die Möglichkeit. Was es gibt, wird es ja wohl auch geben
können. Dagegen reicht die Möglichkeit nicht aus, die Wirklichkeit
hervorzubringen: nicht alles, was möglich ist, wird auch Realität.
Das ist vielmehr zufällig. Wer sagt: Der Atomkrieg ist möglich, weiß
keinen Grund, warum irgend jemand ihn anfangen sollte. Deswegen ist
diese Warnung auch beruhigend. Denn wenn Krieg nur möglich ist, dann
ist eben sein Nicht-Stattfinden genauso möglich. Jede Möglichkeit
enthält gleich den Verweis auf ihr Gegenteil. Die Kategorie hebt
sich selbst auf: „möglich“ heißt immer zugleich: „oder auch nicht“.
Möglichkeit, eine Form der Erklärung, die auf das Wesentliche, auf
die Identität der Sache zielt, landet gerade beim Gegenteil. Die
Identität der Sache löst sich auf: Sie kann sein oder nicht, sie
kann so oder anders sein. sie ist nicht notwendig, sondern zufällig.
5.3. Bedingung
Die Möglichkeit als das Wesentliche einer Sache, bringt die Sache
gar nicht aus sich heraus hervor. Die Sache steht und fällt damit,
dass eine andere Sache vorhanden ist. Ihre wirkliche Möglichkeit ist
die Bedingung.
„Diese Wirklichkeit, welche die Möglichkeit einer Sache ausmacht,
ist daher nicht ihre eigene Möglichkeit, sondern das Ansichsein
eines anderen Wirklichen; sie selbst ist die Wirklichkeit, die
aufgehoben werden soll, die Möglichkeit als nur Möglichkeit. – So
macht die reale Möglichkeit das Ganze von Bedingungen aus, eine
nicht in sich reflektierte, zerstreute Wirklichkeit, welche aber
bestimmt ist, das Ansichsein, aber eines Anderen, zu sein und in
sich zurückgehen zu sollen.“ HEGEL, Logik II, S. 176f.
Auch diese Kategorie erfreut sich in der bürgerlichen
Wissenschaft großer Beliebtheit. Zum Beispiel:
„Aus dem Geist der ökonomischen Rationalität vollendete die
französische Revolution den modernen zentralistischen
Verwal-tungsstaat... Erst die modernen technischen Verkehrs- und
Nachrichtenmittel, die den Bürokratisierungsprozess des
Jahrhun-derts freisetzten, schufen die Vorraussetzung zur
Verfügbarkeit der staatlichen Machtmittel, ohne die die Entstehung
des modernen Staates undenkbar ist.“ Fischer-Lexikon: Geschichte, S.
215
Ohne Telegraf und Eisenbahn kein moderner Staat! Eine Erklärung
des Staates? Mit „ Bedingung“ ist an eine strengere Verknüpfung von
Erklärung und Erklärtem gedacht: ist die Bedingung gegeben, kommt
auch die Sache – wirklich – zustande. Inhaltlich werden mit dieser
Kategorie ganz äußerliche Verhältnisse aufgemacht. Die Kategorie
verlangt ja die Angabe einer zweiten Sache zur Erklärung der ersten.
Das ist aber ein Widerspruch. Gebe ich als Bedingung etwas an , was
mit der Sache nichts zu tun hat, dann kann es diese auch nicht
hervorbringen. Die Kategorie taugt nur dazu, relativ beliebige (auch
erfundene) Momente einer Sache – auch die moderne Technik gehört
irgendwie zum modernen Staat – von ihr abzutrennen und als Auslöser
(es soll gar nicht das Wesentliche der Sache sein), an dem die
Existenz des Ganzem hängt, zu beglückwünschen. Wobei der Glückwunsch
wieder enthält, dass das Bedingte als fraglos gut vorausgesetzt ist.
Der Widerspruch, dass die Bedingung zugleich etwas gegen die
Sache Selbständiges ist, andererseits aber ganz in ihr aufgeht,
bringt das „Problem“ mit dieser Kategorie hervor. Bedingung ist
immer nur eine von vielfältigen Momenten, Beziehungen, in denen die
Sache steht. Es gibt immer auch noch andere Bedingungen. Ohne
Eisenbahn kein moderner Staat? Aber ohne Parlament, Kreditwesen,
Kolonien, Wehrpflicht ... auch nicht. Nur der vollständige Umkreis
der Bedingungen bringt die Sache tatsächlich hervor. Zugleich haben
die Dinge, die als Bedingungen angegeben werden, als solche gar
keinen Zusammenhang, sind verstreute Umstände, so dass man nie weiß,
wann die Aufzählung fertig ist.
5.4. Funktion
Die Äußerlichkeit des Verhältnisses, das mit Bedingung angegeben
ist, wird übertroffen durch eine moderne Erfindung, von der HEGEL
noch keine Ahnung hatte, durch die Kategorie Funktion.
Die Schwierigkeit der bisher behandelten Kategorien: Eine Sache
durch sich selbst zu erklären ist tautologisch, sie durch eine
andere zu erklären ein Widerspruch; diese Schwierigkeit „löst“ die
Kategorie „Funktion“, indem sie den Formalismus der Erklärung durch
ein Verhältnis auf die Spitze treibt: Man darf einfach kein
bestimmtes Verhältnis behaupten!
Der Kürze halber zu dieser Kategorie, die einer ganzen
wissenschaftlichen Richtung den Namen gegeben hat, der Soziologe
KÄSLER:
„Die RAF hatte die Funktion, die Einführung fälschungssicherer
Ausweise zu befördern.“
Hätte er gesagt, die RAF hat den Zweck, für fälschungssichere
Ausweise zu sorgen, könnte man ihm widersprechen. Hätte er gesagt,
sie war der Grund, ließe sich auch etwas einwenden. Sogar gegen
Bedingung könnte man noch Stellung nehmen: Eine Bedingung
vielleicht, aber ... Zu „Funktion“ kann man eigentlich gar nichts
mehr sagen. Die Behauptung: Da gibt es einen Zusammenhang, ist
einfach unkritisierbar, weil nur der Form nach überhaupt etwas
behauptet wird. Fragt man nach, was nun die RAF mit den
fälschungssicheren Ausweisen genau zu tun hatte, erhält man sicher
die Antwort, dass es die Ausweise vielleicht auch ohne die RAF
gegeben hätte, dass die Bundesregierung sie auch gar nicht unbedingt
wegen der RAF eingeführt habe, dass die RAF die Sache aber irgendwie
befördert habe, das könne doch auch niemand bestreiten. Und darum
geht es offenbar: Um das unkritisierbare Herstellen von
Verknüpfungen. Wer so argumentiert, weiß, dass er Zusammenhänge
findet, wo keine sind und will sich deshalb nicht festnageln lassen.
Eine Sache ist für eine andere 'gut'. Das heißt eben weder
Mittel, noch Bedingung oder Grund. Im Unterschied zu den falschen
Erklärungen, die durch 'Kraft', 'Möglichkeit', 'Bedingung' zustande
kommen, ist hier kein Erklärungswille mehr vorhanden. Die Aussage,
eine Sache diene einem höheren Zweck, den man ihr gar nicht ansieht,
bekommt mit 'Funktion' eine wissenschaftliche Form.
Eine Funktion haben als Eigenschaft der Sache ausgedrückt, heißt
'Faktor', z.B.:
„Es gibt eine begrenzte Anzahl von Begabungsfaktoren (F1 ... F4),
die in verschiedenem Ausmaß für die verschiedenen (Intelligenz-)
Leistungen bestimmt sind.“
Also: Begabung ist etwas, was einen Beitrag zur Intelligenz
leistet, welchen auch immer und wie viel auch immer. Und natürlich
spielen für Intelligenz auch andere Funktionen eine Rolle ...
Jedenfalls ist Intelligenz eine Sache, zu der einiges seinen Beitrag
leistet. Ganz bestimmt wäre es zu viel verlangt, dass der
Wissenschaftler sagt, was sie eigentlich ist, also wozu da Beiträge
geliefert werden. Denn das kann er nicht, solange er nicht alle
Faktoren auf der Reihe und beisammen hat.
6. Grund-Folge, Ursache-Wirkung
Das Begründen; Die Warum-Frage
Begründen ist fast schon ein Synonym für wissenschaftliches
Erklären, ebenso wie Kausalität als Modell strenger (Natur-)
Wissenschaftlichkeit gilt. Dass man mit diesen Kategorien erst in
den Bereich der Notwendigkeit vorstößt, ist bekannt.
Und deshalb ist von Ursachen und Gründen in der bürgerlichen
Wissenschaft kaum die Rede. Das Unwissenschaftliche von Kraft,
Möglichkeit, Bedingung, das die Sache in Verhältnisse setzt, in
denen sie als etwas Zufälliges, etwas, das sein kann oder auch
nicht, erscheint, ist den heutigen Denkern lieber. Wer einen Grund,
eine Ursache sagt, der sagt eben, dass es die Sache deswegen gibt
und geben muss. Das ist antipluralistisch und wird bekämpft:
Eine Erklärung sei monokausal, ist ein Vorwurf. Wie kann man eine
Sache auf eines zurückführen, wo sie doch komplex ist. Das ist das
Gebot, keine – eindeutige – Erklärung zu liefern. Von wegen komplex!
Woher wissen sie denn, dass die Sache nicht mono ist?
Für die Geisteswissenschaften gilt, dass hier Kausalität nicht
geht. Nicht erklären, sondern verstehen sei da am Platz. Wieder wird
mit der zirkulären Behauptung, die Sache verlange eine bestimmte Art
der Erklärung, verboten, die wirklichen Gründe zu finden, statt die
guten Gründe.
In der Philosophie, nämlich in der Wissenschaftstheorie, ist das
Erklären Thema. Und es kommt immer heraus, dass es auch ginge, wenn
... HUMEs Rätsel ist da noch Gold: Er fragt sich: Was verbindet
eigentlich Ursache und Wirkung? Dabei verliert er das Verhältnis
ganz aus dem Auge und stellt sich zwei Ereignisse vor, die außer,
dass sie nacheinander passieren, nichts miteinander zu tun haben,
findet keine Verbindung und kommt zu dem Schluss, es sei eine
geistige Gewohnheit des Menschen, aus einer häufigeren Abfolge von
Ereignissen eine Notwendigkeit abzulesen und das Schmelzen von Wachs
partout auf das Feuer zurückzuführen. Moderne Theoretiker denken
sich „ Modelle der Kausalerklärung“ aus oder stellen „sprachliche
Hilfsmittel“ bereit und machen so aus Erklären und Begründen ein
Ideal, vor dem jede wirkliche Wissenschaft schlecht ausschaut.
Andererseits werden gerade in der Philosophie die Kategorien
Grund und Ursache verwendet, weil sie ihre metaphysische
Unternehmung mit Rationalitätspathos betreibt. Die Kategorien bieten
sich auch dafür an.
Im Folgenden sollen Grund und Ursache gemeinsam behandelt werden,
obwohl sie nicht ganz dasselbe sind. Sie verhalten sich in etwa wie
Möglichkeit und Bedingung. Grund wird als etwas Inneres, Ursache als
etwas Äußeres, eine Sache, gedacht.
Im Grunde wird nicht mehr die Identität einer Sache zu ihrer –
vielfältigen – Wirklichkeit in Beziehung gesetzt. Der Grund enthält
vielmehr schon die Sache als Ganze. Wenn ich nach dem Grund frage,
dann will ich die Sache nicht auf einen Punkt bringen, der für sie –
als wirkliche – entscheidend ist, sondern dann will ich schon
wissen, wodurch sie als ganze, mit ihren verschiedenen Momenten
zustande kommt. Da zeigt sich aber schon gleich die Schwierigkeit:
„Der Grund ist nur Grund, sofern er begründet; das aus dem Grund
Hervorgegangene aber ist er selbst, und hierin liegt der Formalismus
des Grundes. Das Begründete und der Grund sind ein und derselbe
Inhalt, und der Unterschied der einfachen Beziehung aus sich und der
Vermittlung oder des Gesetztsein.“ HEGEL, Enz. I, § 121, Zus.
Der frühere Widerspruch: die Sache geht nicht auf in ihren
Bedingungen, in einer Fähigkeit oder Möglichkeit ihrer Existenz, ist
nun aufgehoben. Grund und Begründetes sind identisch. Aber damit
stellt sich sofort der gleiche Wider-spruch auf neuer Ebene. Der
gleiche Inhalt kommt doppelt vor, und damit ist auch der Grund eine
formelle Kategorie, bei der sich der Inhalt herauskürzt.
Beispiel: Was ist der Grund der Arbeitslosigkeit? Sagen wir: die
Konjunktur oder: der Dollarkurs. Das sind, genau betrachtet,
unzureichende Antworten. Jetzt ist etwas anderes angeführt worden,
und es stellt sich noch mal die Frage, was denn diese Dinge genau
mit der Arbeitslosigkeit zu tun haben. Konjunktur und Dollarkurs
können genauso gut Gründe für ein anderes Phänomen sein, ebenso
könnte Arbeitslosigkeit noch andere Gründe haben. Was verlangt ist,
dass der Grund genau dieses Phänomen erklärt, nicht mehr und nicht
weniger, ist so nicht geleistet. Bleibt nur ein Ausweg: Der Grund
der Arbeitslosigkeit ist die schlechte Beschäftigungslage. Jetzt ist
als Grund etwas genannt, was nicht mehr und nicht weniger ist als
die Sache selbst, die strengste Verbindung, die totale Identität ist
hergestellt. Aber das ist ja überhaupt keine Erklärung. Man wollte
etwas wissen und weiß nichts. Gerade die „Strenge“ der Kategorie hat
ihre Unerfüllbarkeit zur Folge: Gefordert ist etwas anderes als das
zu erklärende Phänomen und zugleich genau dasselbe, es gibt nichts
dazwischen. Grund ist der Widerspruch von Identität und
Nicht-Identität. Die Frage der Wissenschaft kann nicht die
Warum-Frage sein, ihre Technik kann nicht das Zurückführen sein.
Wo „Grund“ verwendet wird, ist er Technik des Gegenstandwechsels
bzw. der Verwandlung einer Sache in eine andere. Noch ein
prominentes Beispiel: Max Weber führt den Kapitalismus auf die
protestantische Ethik zurück. Offen-sichtlich ist Kapitalismus und
Religion etwas ganz Verschiedenes. Ohne das Buch weiter zu würdigen,
kann man die Aufgabe formulieren, die es erfüllen müsste und
unmöglich erfüllen kann: Den Beweis, dass Kapitalismus letztlich gar
nichts anderes ist als Protestantismus. Kredit und Zins ein
religiöses Phänomen? Ist auch die Krise in diesem Glauben schon
vorgesehen? Usw.
Konsequenz, Fortsetzung des Mangels der Kategorie ist der
unendliche Prozess. Zur Kausalität sagt HEGEL:
„Ursache und Wirkung sind somit beide ein und
derselbe Inhalt, und der Unterschied derselben ist zunächst nur
der des Setzens und des Gesetztseins, welcher Formunterschied sich
dann aber auch aus ebenso wieder aufhebt, dargestellt, dass die
Ursache nicht nur Ursache eines Anderen, sondern auch Ursache
ihrer selbst, und die Wirkung nicht nur die Wirkung eines anderen,
sondern auch Wirkung ihrer selbst ist. Die Endlichkeit der Dinge
besteht hiernach darin, dass während Ursache und Wirkung ihrem
Begriff nach identisch sind, diese beiden Formen in der Art
getrennt vorkommen, dass die Ursache zwar auch Wirkung und
die Wirkung zwar auch Ursache ist, jedoch jene nicht in derselben
Beziehung, in welcher sie Ursache und diese nicht in
derselben Beziehung, in der sie Wirkung ist. Dies gibt dann wieder
den unendlichen Progress in der Gestalt einer endlosen Gestalt von
Ursachen, welche sich zugleich als eine endlose Reihe von Wirkungen
zeigt.“ Enz. I, § 153, Zus.
Ursache und Wirkung haben denselben Inhalt: Der Regen macht den
Boden nass, Regen und Nässe auf der Straße sind dasselbe Wasser. Das
Feuer bringt das Wachs zum Schmelzen – beides dieselbe Wärme. Der
Unterschied ist nur formell, der des Selbstständigen und des
Abhängigen. Da nun die Wirkung den gleichen Inhalt hat wie die
Ursache, kann man auch sagen, dass die Ursache sich selbst
hervorbringt. Das ist aber schon über die Kategorie hinausgedacht.
So kann man sie nicht mehr gebrauchen. Sie selbst hält den
Unterschied so fest, dass zwar alles was Wirkung ist, genauso
Ursache sein kann, aber nicht zugleich in der selben Beziehung. Das
Feuer, das das Schmelzen des Wachses bewirkt, ist selbst bewirkt,
aber wieder von etwas anderem. So kann man unendliche Ketten von
Ursachen und Wirkungen bilden. Den gleichen Inhalt kann man als
Ursache oder als Wirkung betrachten. Das hat mit ihm einfach nichts
zu tun, sondern ist nur die Perspektive des Betrachters.
Diesen Mangel benützen Metaphysiker für ihre Idee der causa sui,
des letzten Grundes von allem.
„Die Vernunft (ist gedrungen) irgendwo ihren Ruhestand, in dem
Regressus vom Bedingten das gegeben ist, zum Unbedingten, zu suchen,
das zwar an sich und seinem bloßen Begriff nach nicht als wirklich
gegeben ist, welches aber allein die Reihe der zu ihren Gründen
hinausgeführten Bedingungen vollenden kann. Wenn etwas, was es auch
sei, existiert, so muss auch eingeräumt werden, dass irgend etwas
notwendigerweise existierte. Denn das Zufällige existiert nur unter
der Bedingung eines anderen, als seiner Ursache, und von dieser gilt
der Schluss fernerhin, bis zu einer Ursache, die nicht zufällig und
eben darum ohne Bedingung notwendigerweise da ist. Das ist das
Argument, worauf die Vernunft ihren Fortschritt zum Urwesen
gründet.“ KANT, Kr. D. r. V., B 612f.
Wenn jede Ursache ihrerseits bewirkt ist und so fort, dann gibt
es ja gar keine Ursache, so wird gefolgert; es gibt nur Abhängiges
und nichts, wo von es abhängig ist. Also muss es ein Urwesen geben,
das selber sein eigener Grund ist und alles andere hervorbringt. Die
Überlegung ist falsch, denn mit gleichem Recht könnte man sie
umdrehen und sagen: Wenn alles Ursache von etwas anderem ist, alle
Wirkungen sich wieder in Ursachen auflösen, dann gibt es nur
Unbedingtes und nichts Abhängiges. Beides ist eine unzulässige
Hypostasierung. Die Welt ist nicht voller Wirkungen oder Ursachen
wie voller Dinge. Es hängt auch nicht alles, was passiert, an einer
Kette. So usurpiert eine logische Kategorie das Universum. Das fällt
ihnen bei anderen Kategorien auch nicht ein: Die ganze Welt ist
positiv, wo ist das Negative; quantitativ, wo ist die Qualität?
Der Mangel der Kategorie – sie erweist eine Sache als relativ
notwendig –, bietet sich an für den „Beweis“, dass die Vernunft
irgendwo ihren Abschied einreichen und zum glauben werden muss. Der
unendliche Progress, der nun zeigt, dass die Kategorie nichts taugt,
wird zur Eigenschaft der Vernunft selber, die nie festen Boden unter
die Füße kriegt, wenn sie sich nicht selbst aufgibt.
„Warum gibt es überhaupt etwas und nicht nichts?“ HEIDEGGER, Was
ist Metaphysik
Auch Heidegger meint, die unendliche Kette von Wirkungen und
Räsonnement müsse irgendwo ihr Ende haben. Er fragt nicht: was ist
der Grund dieser Sache?, sondern: was ist der Grund von „etwas“?
Aber „etwas“ hat keinen Grund. Wer so fragt, behauptet, es gebe
einen Punkt, an dem das „rationale“ Denken aussetzt.
7. Was ist Wissenschaft: Begriff,
Urteil, Schluß
7.1. Der Begriff
„Der Begriff der Notwendigkeit ist sehr schwer, und zwar, weil
sie der Begriff selbst ist, ... Wenn von etwas gesagt wird, es sei
notwendig, so fragen wir zunächst nach dem Warum. Das Notwendige
soll sich somit als ein Gesetztes, als Vermitteltes erweisen.
Bleiben wir indes bei der bloßen Vermittlung stehen, so haben wir
noch nicht dasjenige, was unter der Notwendigkeit verstanden wird.
Das bloß Vermittelte ist das, was es ist nicht durch sich selbst,
sondern durch ein Anderes, und damit ist dasselbe auch bloß ein
Zufälliges. Von dem Notwendigen dagegen verlangen wir, dass es das,
was es ist, durch sich selbst sei und somit, vermittelt zwar, doch
zugleich die Vermittlung als aufgehoben in sich enthalte. Wir sagen
demgemäß vom Notwendigen: es ist, und so gilt uns dasselbe als
einfache Beziehung auf sich, in welchen das Bedingtsein durch
Anderes hinwegfällt.“ HEGEL, Enz. I §147
Wissenschaft, sagt Hegel, heißt, die Notwendigkeit einer Sache
erkennen. Die Warum-Frage ist dabei nicht ganz der richtige Weg,
solange sie nur darauf zielt, die Sache als vermittelt, als durch
etwas anderes bestimmt zu wissen. Da kommt, wie wir gesehen haben,
nur eine relative Notwendigkeit heraus. Die Sache steht und fällt
mit ihrem Grund, ihrer Ursache. Das Notwendige dagegen ist zwar
vermittelt, aber nicht durch etwas anderes, sondern durch sich
selbst oder es enthält selber seinen Grund. Die Warum-Frage löst
sich in die Was-Frage auf. Die Wissenschaft fragt: Was ist das? Und
zielt auf den Begriff des Gegenstandes.
Was ein Begriff ist, ist heutzutage weitgehend unbekannt. Die
moderne Wissenschaftstheorie bekämpft den Begriff auf einer Ebene,
auf der er noch gar nichts zu suchen hat, auf der Ebene der Sprache.
Begriffe sind für sie nichts anderes als Wörter, und mit Wörtern hat
es folgende Bewandtnis:
„Die Sprache dient dem Menschen dazu, über die Welt zu sprechen
und zum Beispiel Tatsachen, die in der Welt existieren, mithilfe
sinnvoller Sätze im Medium der Sprache widerzuspiegeln. Damit die
dazu nötige Verbindung zwischen Sprache und Welt hergestellt werden
kann, müssen die Wörter Dinge in der Welt bezeichnen.. Ein Wort, das
nichts bezeichnet, ist leer, es hat keine Bedeutung. Wörter die
nichts bedeuten, sind also Wörter, zu denen es keine Gegenstände
gibt. Wörter dagegen, die etwas bezeichnen, bedeuten etwas.“ E. v.
Savigny, Die Philosophie der normalen Sprache, FfM 1980, S.15
Savigny beschreibt die Referenztheorie der Sprache, zu der es
auch Gegenpositionen gibt, die aber auf das gleiche hinauslaufen,
nämlich die Allgemeinheit zu bestreiten, die bereits die Sprache
liefert. Es ist nicht richtig, dass die Bedeutung von Wörtern „Dinge
in der Welt“ sind. So wird die „Verbindung von Sprache und Welt“
erst rätselhaft: Eine geistlose Lautkette und mein Wohnzimmerschrank
kommen nie zusammen. Man kann über Dinge – und nicht nur Dinge – in
der Welt nur deshalb reden, weil die Vorstellung, die ein Wort
bezeichnet, sich vom unmittelbar Existierenden, das man so mit den
Sinnen aufnimmt, bereits entfernt hat. „Schrank“ ist nicht das Trumm
dort in der Ecke. (Wie sollte man sich auch unterhalten, wenn jeder
Schrank auf der Welt einen anderen Namen hätte!) Das Wort bezeichnet
in diesem Fall einen hochgestellten Kasten mit Türen, in dem man
etwas aufbewahrt. Wie viele Türen und ob Nussbaum oder Eiche, ist
dabei unwichtig. Das kann man doch noch extra dazusagen. Ein Wort
bezeichnet die allgemeine Bestimmtheit von Dingen und nicht nur
Dingen. Es gibt auch Wörter für Sachen, die es nicht gibt. Auch das
Wort „Pegasus“ hat eine Bedeutung, die jemand sagen kann, der sie
nicht kennt: ein geflügeltes Pferd, womit auch klar ist, dass es das
nicht in der gleichen Weise „gibt“ wie Tisch und Schrank.
Die Wissenschaftstheorie will aufklärend wirken und Schluss
machen mit „Scheinproblemen“, das Denken auf die Objektivität
verpflichten. Und das macht sie so, dass sie einfach das Nachdenken
über alles verbietet, was man nicht anfassen kann. „Gott“ und
„Kapitalismus“ sind für sie ein und dasselbe: Wörter, die nichts
bedeuten. So werden einerseits Metaphysik und Religion
unkritisierbar, Wissenschaft andererseits zur reinen Spekulation.
Wo der Begriff erlaubt wird, ist er auch gleich etwas ganz
anderes, z.B. eine Klasse. Und eine Klasse ist die Menge aller
Dinge, die unter sie fallen. Die Klasse und ihre Exemplare sind
wechselseitig durcheinander bestimmt. Unter was soll man den Dinge
einordnen, die nicht selbst eine Gemeinsamkeit haben? Auch hier wird
die Allgemeinheit des Begriffs verboten durch eine Interpretation,
die sich als einzelnes knüpft. Aber es geht auch anders:
„Ein Begriff ist die Bedeutung eines Terminus. Die Bedeutung
eines Wortes dasjenige, was das Wort auf Grund von Vereinbarung zu
verstehen gibt.“ KAMLAH/LORENZEN, Logische Propädeutik, S. 86
Ein Terminus, ein wissenschaftlicher Ausdruck, hat für die
Logische Propädeutik durchaus eine allgemeine Bedeutung. Aber worin
besteht die: sie ist nicht das allgemeine einer Sache, sondern von
Subjekten vereinbart. Wozu dann eigentlich noch Wissenschaft? Dann
macht man halt aus, was unter „Kapitalismus“, „Moral“ oder
„Gravitation“ zu verstehen ist und fertig. Allgemeinheit ist in der
Wissenschaftstheorie nur dann nicht verboten, wenn sie von
Objektivität getrennt ist. Die Objektivität der Sprache und damit
des Denkens liegt für sie im „Widerspiegeln von Tatsachen, die in
der Welt existieren“. Auch nach dieser Seite ist Wissenschaft
überflüssig.
„Die Philosophie kann daher wohl eine Bekanntheit mit ihren
Gegenständen, ja sie muss eine solche, wie ohnehin ein Interesse an
denselben voraussetzen, - schon darum, weil das Bewusstsein sich der
Zeit nach Vorstellungen von den Gegenständen früher als Begriffe von
denselben macht und auf dasselbe sich wendend zum denkenden Erkennen
und Begreifen fortgeht.“ HEGEL, Enz I, § 1
Die Wissenschaft setzt eine Bekanntschaft mit ihren Gegenständen
voraus. Man kann nur untersuchen, was man kennt. Ob Katholizismus,
Demokratie oder Dollar, zu all diesen Themen haben wir bereits
Vorstellungen. (Es kommt bei manchen Gegenständen vor, dass man sie
so unzureichend kennt, dass man erst mal Material sammeln muss, das
ist dann aber eine vorwissenschaftliche Angelegenheit. Zur Kenntnis
nehmen ist noch nicht erklären.) Die einzige Aufgabe der
Wissenschaft besteht darin, diesen Vorstellungen ihren notwendigen
Inhalt zu geben, die notwendigen von den zufälligen Momenten zu
scheiden.
Vor der Wissenschaft ist die Sache zunächst ein Wort:
Katholizismus. Damit weiß man aber durchaus schon etwas, nämlich,
irgendwie gehört da alles zusammen: der Papst, die Mutter Gottes,
lateinische Gebete, Zölibat usw. Man kann schon Katholizismus und
Protestantismus unterscheiden und auch Katholizismus vom Rest der
Welt. Was hat nun die Wissenschaft zu tun: Die Eigenart der Sache,
die man abstrakt als eine weiß, zu bestimmen und diese zu den
verschiedensten Momenten, die man auch schon weiß, in ein
inhaltliches Verhältnis zu bringen.
„Wenn vom Begriff gesprochen wird, so ist es gewöhnlich nur die
abstrakte Allgemeinheit, welche man dabei vor Auge hat, und der
Begriff pflegt dann auch wohl als eine allgemeine Vorstellung
definiert zu werden. Man spricht demgemäß vom Begriff der Farbe, der
Pflanze, des Tieres usw. und die Begriffe sollen dadurch entstehen,
dass bei Hinweglassung des Besonderen, wodurch sich die
verschiedenen Farben, Pflanzen, Tiere usw. unterscheiden, das
denselben Gemeinschaftliche festgehalten werde. Dies ist die Weise,
wie der Verstand den Begriff auffasst, und das Gefühl hat Recht,
wenn es solche Begriffe für hohl und leer, für bloße Schemen und
Schatten erklärt. Nun aber ist das Allgemeine des Begriffs nicht
bloß ein Gemeinschaftliches, welchem gegenüber das Besondere
(Spezifizierende) und in seinen Anderen in ungetrübter Klarheit bei
sich selbst Bleibende. Es ist von der größten Wichtigkeit sowohl für
das Erkennen als auch für unser praktisches Verhalten, dass das bloß
Gemeinschaftliche nicht mit dem wahrhaft Allgemeinen, dem
Universellen, verwechselt wird.“ Enz. I, § 163, Zus.
Die Allgemeinheit des Begriffs ist nicht abstrakte Allgemeinheit,
das bloß Gemeinschaftliche, das man durch Weglassen von
Unterschieden erhält, zu denen dann auch kein Weg mehr zurückführt.
Das Allgemeine des Begriffs ist dagegen das Prinzip, das die
Besonderungen regiert, die sich daher auch aus ihm ergeben. Unter
Kapitalismus oder „Kapital“ lässt sich vielerlei fassen. Hat man es
einmal bestimmt als sich verwertender Wert, dann lässt sich auch
weiterfragen, in welchen Formen es das nur geben kann.
„Das Besondere enthält die Allgemeinheit, welche dessen Substanz
ausmacht; die Gattung ist unverändert in ihren Arten; die Arten sind
nicht von dem Allgemeinen, sondern nur gegeneinander verschieden.
Das Besondere hat mit den anderen Besonderen, zu denen es sich
verhält, eine und dieselbe Allgemeinheit. Zugleich ist die
Verschiedenheit derselben um ihrer Identität mit dem Allgemeinen
willen als solche allgemein; sie ist Totalität.“ HEGEL, Logik
II, S.
280
Durch den Unterschied der Besonderungen von der Allgemeinheit ist
der Begriff Einzelheit, das heißt die wirkliche konkrete Sache:
„Die Bestimmtheit in der Form der Allgemeinheit ist zum Einfachen
mit derselben verbunden; dies bestimmte Allgemeine ist die sich auf
sich selbst beziehende Bestimmtheit; die bestimmte Bestimmtheit oder
absolute Negativität für sich gesetzt. Die sich auf sich selbst
beziehende Bestimmtheit aber ist die Einzelheit, welche zunächst als
drittes Moment des Begriffes, insofern sie gegen die beiden ersten
festgehalten wird, aber auch als die absolute Rückkehr desselben in
sich und zugleich als der gesetzte Verlust seiner selbst zu
betrachten ist.“ Logik II, S. 288
In den verschiedenen Ausprägungen des allgemeinen Inhalts ist die
Sache mit sich identisch, bleibt und ist sie eine. Das Kapital im
allgemeinen gibt es überhaupt nur als Handelskapital, Zinskapital
und produktives. Seine besonderen Formen sind aber auch
unterschieden vom Allgemeinen: eine äußere Realität im Gegensatz zu
ihrem eigenen inneren Prinzip. Die Besonderungen fallen nicht
zusammen mit dem Allgemeinen und sind so „auf der anderen Seite“
Bestimmungen eines konkreten Individualismus. Dadurch, dass das
allgemeine einen besonderen Inhalt bekommt, bezieht es sich „auf
sich selbst“ als Inhalt von etwas, was eben für sich nichts anderes
als reales, von allen anderen unterschiedenes Eines ist: absolute
Negativität.
Das ist die „Rückkehr“ des Begriffs „in sich“ und sein „Verlust“.
So ist z.B. die AEG einerseits genau dasselbe wie Kapital überhaupt
und alles Spezielle an ihr lässt sich auf dieses Allgemeine
zurückführe. Inhaltlich besteht kein Unterschied, andererseits ist
sie total davon unterschieden als konkretes, wirkliches Exemplar.
Begriff und Sache sind auch nicht dasselbe, stehen sich gegenüber.
Damit ist gar kein Mangel ausgesprochen. Die Trennung von Begriff
und Realität ist ja so gerade aufgehoben, dass der Begriff die
Realität als sein eigenes, wenn auch negatives, Moment in sich
enthält, gerade durch die Differenz „trifft“ das allgemeine Prinzip
die Realität.
Die „Problematik“, dass das Einzelne nie durch allgemeine
Begriffe restlos zu erfassen sei – individuum est ineffabile –
beruht auf dem einseitigem Fest-halten des Gegensatzes: So viele
allgemeine Bestimmungen man auch auf-zählen mag, nie kommt man aus
der Sphäre des Allgemeinen heraus. Die „Brücke“ des Besonderen, der
Differenz zum Allgemeinen, die es selbst enthält, wird übersehen,
wenn halt nichts anderes interessiert, als der Formunterschied von
Denken und Welt. Der ist als solcher wirklich nicht überbrückbar.
Der Mensch ist nicht Gott, aus dessen Geist sich die Sachen
materialisieren.
Hier zeigt sich aber auch, dass der Begriff als solcher gar
nichts Fertiges ist. Allgemeinheit, Besonderheit, Einzelheit fallen
in ihm zusammen und ausein-ander. Dieses Verhältnis, das er enthält,
sagt er nicht. Will man den Begriff einer Sache sagen, so landet man
wieder beim Wort auf der einen Seite, einem gewussten Inhalt auf der
anderen.
Man kann ihn nur sagen als das auseinandergelegte Verhältnis von
Identität und Inhalt, in dem beides aber auch identisch ist: als
Urteil.
7.2. Das Urteil
Auch das Urteil kennt die moderne Wissenschaftstheorie nicht
mehr, sie kennt nur Sätze. Dann unterscheiden sich aber Wissenschaft
und Literatur nicht mehr. Freilich bedienen sich beide der Sprache,
aber sie haben etwas anderes zum Inhalt. In der Wissenschaft geht es
um den Begriff einer Sache und das bedingt eine logische Form: das
Urteil. Für das Urteil ist es relativ gleichgültig, in welcher
Satzart es ausgedrückt wird. Umgekehrt enthält zwar ein Satz
üblicherweise ein Subjekt und ein Prädikat, aber nur ein bestimmtes
Verhältnis von Subjekt und Prädikat macht einen Satz zum Urteil.
Allerdings scheiden deshalb Frage- und Befehlssätze z.B. von
vorneherein aus, weil sie ein Verhältnis von Subjekt und Prädikat
enthalten, das zum Urteil quer liegt.
„Die Urteile sind von den Sätzen unterschieden; die letzteren
enthalten eine Bestimmung von den Subjekten, die nicht im Verhältnis
der Allgemeinheit zu ihnen steht, - einem Zustand, eine einzelne
Handlung und dergleichen; ‚Cäsar ist zu Rom in dem und dem Jahr
geboren, hat 10 Jahre Krieg in Gallien geführt, ist über den Rubikon
gegangen´ usf. sind Sätze, keine Urteile. Es ist ferner etwas ganz
Leeres, zu sagen, dass dergleichen Sätze, z.B. ‚ich habe heute Nacht
gut geschlafen´ oder auch ‚Präsentiert das Gewehr!´ in die Form des
Urteils gebracht werden können.“ Enz I, § 167
align="justify"Heutzutage stehen in den Logikbüchern Sätze wie „Werner ist
verreist“ oder „Friedel singt“. In diesen Sätzen ist das Prädikat
ein zufälliger Umstand. Werner kommt vielleicht zurück und Friedel
ist auch mal still. Für oder gegen solche Sätze kann man nicht
argumentieren. Sie gehen die Wissenschaft nichts an. Wie sehen nun
Urteile aus?
„Das abstrakte Urteil ist der Satz: das Einzelne ist das
Allgemeine. Dies sind Bestimmungen, die das Subjekt und
Prädikat
zunächst gegeneinander haben, indem die Momente des Begriffs in
ihrer unmittelbaren Bestimmtheit oder ersten Abstraktion genommen
werden. Es ist für einen bewundernswürdigen Mangel an Beob-achtung
anzusehen, das Faktum in den Logiken nicht angegeben zu finden, dass
in jedem Urteil solcher Satz ausgesprochen wird: `das Einzelne ist
das Allgemeine´ oder noch bestimmter `das Subjekt ist das Prädikat´.
Freilich sind die Bestimmungen Einzelheit und Allgemeinheit, Subjekt
und Prädikat auch unterschieden, aber darum bleibt nicht weniger das
ganz allgemeine Faktum, dass jedes Urteil sie als identisch
aussagt.“ Enz. I, §166
In jedem Urteil werden Subjekt und Prädikat – durch „ist“ –
identisch gesetzt. Andererseits sind sie auch unterschieden. Beides
– Identität und Unterschied, sagt das Urteil aus, und beides gilt
auch nur innerhalb des Urteils. Moderne Logiken fassen das Urteilen
als: Wir sprechen einen Prädikator zu. Ein Prädikat gibt es aber
überhaupt nicht getrennt vom Urteil, ohne seine Beziehung auf ein
Subjekt.
„Es ist falsch, von einer Verbindung der Seiten des Urteils zu
sprechen, da, wenn von einer Verbindung die Rede ist, die
Verbundenen als auch ohne die Verbindung für sich vorhanden gedacht
werden. Diese äußerliche Auffassung zeigt sich dann noch bestimmter,
wenn von dem Urteil gesagt wird, dass dasselbe dadurch zustande
komme, dass einem Subjekt ein Prädikat beigelegt werde. Das Subjekt
gilt hierbei als draußen für sich bestehend und das Prädikat als in
unserem Kopfe befindlich. Dieser Vorstellung entspricht indessen
schon die Kopula ‚ist’. Wenn wir sagen: ‚diese Rose ist rot´, ... so
ist damit ausgesprochen, dass wir es nicht sind, die es der Rose
erst äußerlich antun, rot... zu sein, sondern dass dies die eigenen
Bestimmungen dieser Gegenstände sind.“ Enz. I, §166, Zus.
Nur deshalb, weil „ist“ gesagt wird, weil das Urteil Objektivität
zum Inhalt hat, kann man sich überhaupt darüber streiten, kann
Argumente für und wider bringen. Wenn es dagegen so wäre, dass der
eine den Prädikator „Fagott“ zuspricht und der andere „Blockflöte“ –
und das Ding gar keins vom beiden ist, dann ist es ja auch wirklich
wurscht, und man fragt sich warum man so einem X überhaupt etwas
prädiziert.
Welche Rollen spielen denn nun Subjekt und Prädikat im Urteil:
„Im abstrakten Urteil ‚das Einzelne ist das Allgemeine’ ist das
Subjekt als das negativ sich auf sich Beziehende das unmittelbar
Konkrete, das Prädikat hingegen das Abstrakte, Unbestimmte, das
Allgemeine. Da sie aber durch ‚ist’ zusammenhängen, so muss auch das
Prädikat in seiner Allgemeinheit die Bestimmtheit des Subjekts
enthalten, so ist sie die Besonderheit und diese die gesetzte
Identität des Subjekts und Prädikats; als das hiermit gegen diesen
Form-unterschied gleichgültige ist der Inhalt.“ Enz I., §169
Das Subjekt ist im Urteil zunächst nichts weiter als ein Name,
was es ist, sagt ja erst das Prädikat, Name einer wirklichen Sache,
von der nur ihre Identität, ihre Unverwechsel¬barkeit im Verhältnis
zu allen anderen Sachen auf der Welt, behauptet wird, „das negativ
sich auf sich Beziehende“. Das Prädikat dagegen ist eine allgemeine
Bestimmung, abstrakt, man kann auch sagen: gedacht, unwirklich, wenn
man damit nicht wie vorhin an etwas vom Subjekt hinausgesetztes
meint. So stehen sich Subjekt und Prädikat als Gegenpole gegenüber.
Wie geht dies im „ist“ zusammen?
Wenn man „ist“ sagen kann, dann trifft das Prädikat auf das
Subjekt zu. Dann hat das Subjekt schon an sich die Eigenschaft, die
ihm als Prädikat gegenübersteht. Das Subjekt ist dann ein besonderer
„Fall“, ein besonderes Exemplar des Allgemeinen. Umgekehrt ist das
Prädikat als allgemeine Bestimmung, die auf dieses Subjekt zutrifft,
im Unterschied zu anderen allgemeinen Bestimmungen, selbst ein
Besonderes. Und insofern hat das Urteil Identität und einen Inhalt.
7.2.1. Das qualitative Urteil
„Das unmittelbare Urteil ist das Urteil des Daseins; das Subjekt
in einer Allgemeinheit, als seinem Prädikate, gesetzt, welches eine
unmittelbare (somit sinnliche) Qualität ist.“ Enz. I, § 172
Die erste Form des Urteils ist die, in der einfach eine
unmittelbare, sinnliche Eigenschaft von einem Ding ausgesagt wird:
Die Rose ist rot.
Das ist das positive Urteil, dessen Form erst mal genauso heißt,
wie die des Urteils überhaupt: „Das Einzelne ist allgemein“. Das
Subjekt ist als wirkliches, aber noch inhaltsloses Ding zunächst die
selbstständige Seite. Das Prädikat dagegen gibt eine allgemeine
Bestimmung, ist zunächst die abstrakte, unselbstständige Seite. Es
„inhäriert“ dem Subjekt, hat sein Bestehen nur an ihm.
Indem aber erst das Prädikat sagt, was das Subjekt ist, ist
andererseits das Prädikat das Selbstständige in diesem Verhältnis:
Der Inhalt besteht unab-hängig von der Sache und macht diese erst zu
etwas Bestimmten und damit etwas Wirklichem. „Das Prädikat
subsumiert insofern das Subjekt.“ Die Sache ist bloß eine mögliche
Existenzform ihrer allgemeinen Bestimmung. Also ebenso wie die Rose
durch das Prädikat „rot“ erst so etwas wie eine Eigenart bekommt,
die im Namen „Rose“ bloß behauptet ist, so ist sie andererseits auch
nur ein besonderer Fall von „Röte“. Das leere Subjekt bekommt einen
Inhalt und wird etwas Allgemeines, das Prädikat kommt einem
wirklichem Ding zu, der allgemeine Inhalt erhält Realität. „Das
Allgemeine ist einzeln“ ist damit ebenso in diesem Urteil
ausgesprochen.
Die Form des Urteils als „A ist B“ zu kennzeichnen, ist ganz
verkehrt. Dabei stehen beide Seiten nur für ihren Unterschied
gegeneinander. Die Form des Urteils hat immer einen Inhalt: im
positiven Urteil wird die Objektivität gesehen als Ding mit
Eigenschaften. Das heißt, die Sache wird bestimmt durch ihre
Eigenschaften (nicht Wohlgeruch überhaupt, sondern Wohlgeruch der
Rose).
Das ist dann aber auch nur eine ihrer Eigenschaften. Die Rose ist
rot und wohlriechend und stachlig und... Das Sammelsurium der
Bestimmungen hat kein Kriterium der Voll¬ständigkeit. Mit jeder
Nennung einer neuen Eigenschaft wird nur bekräftigt, dass das Ding
noch mehr ist. Es ist das Allgemeine all dieser vielfältigen
Eigenschaften, hat aber als solches keinen allgemeinen Inhalt. So
betrachtet, liegt die Identität der Sache immer jenseits von ihren
Bestimmungen.
Die Unwahrheit des positiven Urteils hat nichts damit zu tun, ob
es rote Rosen auf der Welt gibt oder nicht. (Der Empirismus hält
Wahrheit für eine Frage von „gibt’s“ und „gibt’s nicht“.) Die beiden
Sätze des positiven Urteils können nicht so zusammengefasst werden:
Das Einzelne ist einzeln und das Allgemeine ist allgemein. Sie
gelten in verschiedener Hinsicht. Der erste bezeichnet unmittelbar
die Form des positiven Urteils, also: Was wird von der Sache gesagt
– sie ist ein Allgemeines, der zweite den Inhalt davon: Wie wird es
gesagt – indem vereinzelte Bestimmungen genannt werden. Beide Sätze
wider-sprechen sich, bzw. der Widerspruch wiederholt sich in jedem
von ihnen.
„Das Einzelne ist allgemein“ – stimmt nicht, es ist doch einzeln.
Das Prädikat „rot“ kommt nicht nur der Rose zu. Damit es aber auch
gar nicht nur die Bestimmung dieses konkreten einzelnen.
„Das Allgemeine ist einzeln“ – stimmt auch nicht, es ist ja
allgemein. Das Subjekt enthält nicht nur „rot“, sondern auch
„wohlriechend“ und „stachlig“ usw. Das Subjekt ist weiter als das
Prädikat.
„Das positive Urteil hat seine Wahrheit zunächst in dem
negativen: Das Einzelne ist nicht abstrakt allgemein, -
sondern das
Prädikat des Einzelnen ist darum, weil es solches Prädikat oder, für
sich ohne die Beziehung auf das Subjekt betrachtet, weil es abstrakt
Allgemeines ist, selbst ein Bestimmtes; das Einzelne ist daher
zunächst ein Besonderes. Logik II, S. 318
Das negative Urteil ist nicht die Behauptung des Gegenteils und
damit dasselbe wie das positive. ‚Nicht-rot’ ist keine Eigenschaft.
Die Negation ist nicht, wie die formale Logik meint, eine von zwei
sich ausschließenden Behauptungen.
Das negative Urteil bestätigt, was als Resultat des positiven
herausgekommen ist: Das Einzelne ist nicht das Allgemeine, das von
ihm gesagt wird. Aber darin ist noch mehr enthalten. „Die Rose ist
nicht rot“ hat als positiven Inhalt: erstens sie hat eine Farbe und
zweitens eine bestimmte. Das negative Urteil heißt also genauer:
„Das Einzelne unterscheidet sich vom Allgemeinen“ oder „Das
Einzelne ist ein besonders“. Das Subjekt wird nun bestimmt dadurch,
dass es nicht im Allgemeinen aufgeht. Im Prädikat sind
Allgemeinheit und Bestimmt-heit getrennt.
Auch der Satz des negativen Urteils lässt sich umkehren. Die
Sache ist mehr als nur diese einzelne Eigenschaft, das Allgemeine
unterscheidet sich vom Einzelnen, „das Allgemeine ist ein
Besonderes“.
Das negative Urteil sagt also nicht, dass Subjekt und Prädikat
nichts miteinander zu tun haben. Das Subjekt bleibt sowieso
unmittelbar, was es auch im positiven Urteil war: ein Einzelnes,
dass eine Beziehung zum Allgemeinen hat. Und im Prädikat wird nicht
das Allgemeine überhaupt negiert, sondern dieser Inhalt, dass
Allgemeine wird als Sphäre gerade affirmiert. Das negative Urteil
ist eine Sachbehauptung – mit der Crux, dass die Sache durch ihren
Unterschied zu einem Inhalt, mit dem sie aber in der Sphäre
übereinstimmt, bestimmt wird. Das ist der Witz bei der Benutzung
des negativen Urteil im politischen Idealismus. Durch die Negation
einer Eigenschaft wird die Sache bestimmt als dieser Eigenschaft
jedenfalls verwandt. Die Eigenschaft, die der Idealist gern hätte,
wird so zu einer potentiellen Eigenschaft der Sache selbst, ihr
Fehler zu einem immanenten Widerspruch der Sache.
Das negative Urteil drückt schon aus, dass sich das Einzelne
durch seine Eigenschaft nicht bestimmen lässt. Zugleich behauptet
es, dass die Bestimmung im Bereich der Eigenschaften zu suchen
wäre. Der Widerspruch des positiven Urteils wiederholt sich: Das
Prädikat ist weiter als das Subjekt, die Rose hat nicht irgendeine
Farbe, sondern ihre. Das Subjekt ist weiter als das Prädikat, die
Rose ist mehr als nur Farbiges.
Resultat ist, dass das Einzelne auch mit seiner Besonderheit
nicht identisch ist. Es ist also absolut unterschieden von allem,
was es nicht ist bzw. es ist nur es selbst und sonst nichts: negativ
und positiv unendliches Urteil.
7.2.2. Das Reflexionsurteil
Die beiden unendlichen Urteile drücken die prinzipielle
Inkommensurabilität von Einzelnen und Allgemeinem aus. Durch ihre
Eigenschaft ist die Sache nicht zu bestimmen. Man kann immer noch
mehr aufzählen, sie noch weiter differenzieren und kommt doch nicht
weiter. Nie ist die Identität der Sache vollständig erfasst. Also
doch: „individuum est ineffabile“? An das Einzelne, das Individuelle
kommt man eben nicht oder nur annäherungsweise heran?
Um zu diesem Schluss zu kommen, muss man allerdings eine gehörige
Portion Respekt vor dem Individuum haben und partout auf der
Differenz von Identität und Inhalt herumreiten wollen. Der
Fehlschluss heißt: Wenn erst das Prädikat sagt, was das Subjekt ist,
dann ist das Subjekt für sich eben nur Identität getrennt von jedem
Inhalt und unbestimmbar. Die Form des Urteils soll somit schon
beweisen, dass es scheitern muss. Dabei hebt schon das simpelste
Urteil diesen Gegensatz auch auf. Gerade dadurch, dass die Sache
bestimmt wird, kommt heraus, dass dieser Inhalt ihr nicht angemessen
ist und nicht, dass sie in keinem Verhältnis dazu steht.
Das Reflexionsurteil bestimmt das Einzelne durch eine von ihm
verschiedene Allgemeinheit, eine Allgemeinheit, die ihm in
Beziehung auf etwas Äußeres zukommt und wofür seine Eigenschaften
nur die Basis sind.
„Als Beispiele von Reflexionsurteilen können daher dienen: ‚Der
Mensch ist sterblich’, ‚die Dinge sind vergänglich’, ‚dies Ding ist
nützlich, schädlich´; Härte, Elastizität der Körper, die
Glückseligkeit sind solche eigentümlichen Prädikate. Sie drücken
eine Wesentlich-keit aus, welche aber eine Bestimmung im Verhältnisse
oder eine zusammenfassende Allgemeinheit ist.“ Logik II, S. 326
Urteile der Reflexion geben im Prädikat eine Wesentlichkeit der
Sache in diesem oder jenem Zusammenhang an. An dieser Wesentlichkeit
wird das Subjekt gemessen, seine sonstigen Eigenschaften
interessieren nicht. Deshalb geht auch der Fortgang der Urteile
jetzt am Subjekt.
Die moderne Wissenschaftstheorie hält für objektiv nur das
qualitative Urteil, dessen „Wahrheit“ sich nicht im Denken sondern
im Hinschauen erweist. Denken hält sie für eine Entfernung von der
Realität und entdeckt die Form des Reflexionsurteils als Methode,
die Wirklichkeit durch subjektive Gesichtspunkte in den Griff zu
kriegen, in eine Ordnung zu bringen. Der Widerspruch ist: Wenn die
Wirklichkeit in lauter disparaten Trümmern vorliegt, dann bringt man
sie durch keine Kategorie und Gesichtspunkte in eine Ordnung. Was
soll man unter welche Rubrik einordnen? Dazu müsste man solche
Trümmer für sich sortieren können.
Die erste Form des Reflexionsurteils ist das singuläre Urteil:
„Dieses ist ein wesentlich Allgemeines“. Also zum Beispiel: „Dieses
Kraut ist heilsam“. Damit ist gesagt, es geht nicht um die Kamille
und ihre vielfältigen Eigenschaften, sondern sie gilt hier als
dasselbe wie Salbei und Arnika usw. Dann ist es aber unangemessen,
überhaupt von diesem einen zu sprechen.
„Aber ein Dieses ist nicht ein wesentlich Allgemeines. Jenes
seiner allgemeinen Form nach positive Urteil überhaupt muss negativ
genommen werden. ...Das negative Urteil ist hier daher so zu fassen:
Nicht ein Dieses ist ein Allgemeines der Reflexion; ein solches
Ansich hat eine allgemeinere Existenz als nur in einem Diesen. Das
singuläre Urteil hat hiermit seine nächste Wahrheit im
partikulären.“ Logik II, S. 328
In „diese Kraut ist heilsam“ steckt schon, dass es noch andere
gibt, also: „Manche Kräuter sind heilsam.“ Das ist das partikuläre
Urteil: „Einige Einzelne sind ein Allgemeines der Reflexion.“
Das partikuläre Urteil ist positives und negatives Urteil in
einem „Manche Kräuter sind heilsam.“ enthält „manche nicht“. Damit
ist es unbestimmt. Es ist keine Auskunft. Man will sofort wissen:
„welche Kräuter denn?“ Darin steckt aber auch, dass das Subjekt im
partikulären Urteil gar nicht mehr das Einzelne als solches ist.
„Betrachten wir weiter in dem Beispiele eines solchen Urteils das
Subjekt, einige Menschen, Tiere, usf., so enthält es außer der
partiku-lären Formbestimmung: Einige, auch noch die Inhaltsbestimmung
Mensch. Das Subjekt des singulären Urteils könnte heißen:
dieser
Mensch, eine Singularität, die eigentlich dem äußerlichen
Mon-strieren angehört: es soll daher vielmehr lauten etwa ‚Cajus’.
Aber das Subjekt des partikulären Urteils kann nicht mehr sein: Einige Caji, denn Cajus soll ein Einzelner als solcher sein. Dem
Einigen wird daher ein allgemeiner Inhalt beigegeben, etwa
Menschen.
Dies ist nicht bloß ein empirischer, sondern durch die Form des
Urteils bestimmter Inhalt, er ist nämlich ein Allgemeines, weil
Einige die Allgemeinheit enthält und sie zugleich von den Einzelnen,
da die reflektierte Einzelheit zu Grunde liegt, getrennt sein muss.“
Logik II, S. 329 f
Das Subjekt enthält bereits eine Allgemeinheit. Diese, immer noch
als Zusammenfassung von Einzelnen ausgedrückt, ist das universelle
Urteil: „Alle Menschen sind sterblich.“ Die Gesamtheit von
Einzelexemplaren einer Gattung wird hier gegen die Gattung
festgehalten. In dieser Form kennt die Wissenschaftstheorie das
Gesetz als Allsatz. Ein solches „Gesetz“, das von weißen Schwänen
oder schwarzen Raben handelt, fällt einerseits mit dem Einzelfall
total zusammen – es regiert nicht die Fälle, sondern es besteht aus
ihnen –andererseits ist es als Zusammenfassung von zufälligen
Einzelnen – die weißen Schwäne sind halt so da, haben kein Gesetz –
davon absolut verschieden. Jede Anzahl von Einzelfällen ist immer
nur diese Anzahl und nie alle. Die Allgemeinheit und damit die
Geltung der Allaussage bleibt immer in der Luft hängen. Widerlegen
lässt sie sich genaugenommen auch nicht, weil ein abweichender Fall
gar nicht als Fall dieses „Gesetztes“ bestimmt werden kann.
Auch dies bemerkt die Wissenschaftstheorie, wenn sie sich
ernsthaft fragt, ob sie den schwarzen Schwan nicht per
Sprachregelung aus der Welt schaffen soll. Soll/darf man bei einem
schwarzen Schwan noch von „Schwan“ sprechen? So kriegt die
Allaussage „Gesetzesartigkeit“, wenn Gegenbeispiele von vornherein
ausgeschlossen sind! Aber wenn man Notwendigkeit nicht anders kennen
will als das gemeinsame Auftreten von zwei Merkmalen, dann spricht
auch wirklich nichts dagegen.
„Die empirische Allheit bleibt darum eine
Aufgabe, ein Sollen,
welches so nicht als Sein dargestellt werden kann. Ein empirisch
allgemeiner Satz – denn es werden deren doch aufgestellt – beruht
nun auf der stillschweigenden Übereinkunft, dass, wenn nur keine
Instanz des Gegenteils angeführt werden könne, die Mehrheit von
Fällen für Allheit gelten solle oder dass die subjektive Allheit,
nämlich die der zur Kenntnis gekommenen Fälle für eine objektive
Allheit genommen werden dürfe.“ Logik II, S. 332
Dabei steht im universellen Urteil neben der Behauptung der
Allgemeinheit – „alle“ – auch schon ihr Inhalt: „Menschen“,
„Schwäne“ etc. Es ist ja gar nicht die Rede von zusammenhanglosen
Einzelnen, sondern von Einzelnen einer Gattung. Wie kommt man denn
überhaupt auf die Idee, etwas über „alle Menschen“ zu sagen? Dabei
muss man doch schon daran denken, dass es sich nicht um zufällige
Merkmale von Individuen handelt, sondern dass der Mensch soundso
ist, dass die Individuen qua Mensch diese Eigenschaft haben.
„Was allen Einzelnen einer Gattung zukommt, kommt durch die Natur
der Gattung zu` - ist eine unmittelbare Konsequenz und der Ausdruck
dessen..., dass das Subjekt, z.B. alle Menschen seine
Formbestimmungen abstreift und der Mensch dafür zu sagen ist.“ Logik
II, S.334f
Damit ergibt sich das Urteil der Notwendigkeit.
Das Urteil der Notwendigkeit, das als Subjekt nicht mehr dies
oder jenes Einzelne hat, sondern eine Sache, die nur von ihrer
allgemeinen Natur her interessiert, enthält damit auch ein anderes
Prädikat: weder eine Eigenschaft, die an dem Ding halt dran ist,
noch eine Gemeinsamkeit im Bezug auf eine Sache Äußerliches, sondern
ihre eigene allgemeine Natur. Diese „substantielle Identität“ von
Subjekt und Prädikat macht die Notwendigkeit dieser Urteilsform aus,
die als kategorisches Urteil z.B. heißt: „Gold ist Metall“ oder:
„Die Rose ist eine Pflanze“. Man merkt den Unterschied zu „Die Rose
ist rot“. Der Einwand: aber das Subjekt hat noch viele andere
Eigenschaften und „rot“ ist überhaupt nicht besser als „stachlig“
oder „wohlriechend“ – trifft beim kategorischen Urteil nicht mehr
zu. Hier wird gesagt, was die Sache wesentlich auszeichnet, und auch
nicht wesentlich für bzw. in einem bestimmten Zusammenhang, sondern
als ihr eigenes Wesen.
„Das kategorische Urteil ist daher bestimmt von dem positiven und
dem negativen Urteile zu unterscheiden; in diesen ist das, was vom
Subjekt ausgesagt wird, ein einzelner zufälliger Inhalt, in jenem
ist er die Totalität der in sich reflektierenden Form. Die Kopula
hat daher in ihm die Bedeutung der Notwendigkeit, in jenen nur des
abstrakten, unmittelbaren Seins.“ Logik II, S. 336
Andererseits ist aber auch der Mangel des kategorischen Urteils
kein Geheimnis. Nicht zufällig erinnert es an so etwas wie:
Oberbegriffe finden, Klassen bilden. In „Gold ist Metall“ sind
Subjekt und Prädikat zwar Allgemeinheit, aber ihr Verhältnis ist
total unbestimmt.
Das Subjekt ist zunächst Besonderheit gegen seine Allgemeinheit.
Gold ist eine Art von Metall. Andererseits ist seine Besonderheit
gar nicht bestimmt, gar nichts fixes. „Gold“ fällt irgendwie unter
die Oberkategorie „Metall“, aber man könnte es genauso gut unter
„Edelmetalle“ subsumieren oder unter einen weiteren Oberbegriff
„Elemente“. Das Subjekt ist spezieller als das Prädikat. Das
Prädikat ist allgemeiner als das Subjekt. Besonderheit und
Allgemeinheit sind nur relativ. Das Prädikat ist so etwas wie der
große Sack, in den man die Sache – unter anderem – stecken kann. Die
Notwendigkeit dieses Urteils ist durch das unbestimmte Verhältnis
auch wieder total negiert. Es sagt nicht, inwiefern Gold eine
bestimmte Art von Metall ist oder was der spezifische Unterschied
von Gold gegen Metall ist.
„Weiter ist nun aber auch das kategorische Urteil noch
mangelhaft, als in dem selben das Moment der Besonderheit noch nicht
zu seinem Rechte kommt. So ist z.B. Gold wohl Metall; allein Silber,
Kupfer, Eisen, usw. sind gleichfalls Metalle, gleichgültig gegen das
Besondere ihrer Arten.“ Enz. I §117
Und für das Prädikat heißt das:
„Die objektive Allgemeinheit aber hat ebenso hier nur erst ihre
unmittelbare Partikularisation; einerseits ist sie darum selbst eine
bestimmte, gegen welche es höhere Gattungen gibt, - andererseits ist
sie nicht gerade die nächste, d.h. deren Bestimmtheit nicht gerade
das Prinzip der spezifischen Besonderheit das Subjekts ist.“ Logik
II, S. 335f
Das hypothetische Urteil formuliert den Widerspruch des
kategorischen: eine notwendige Beziehung unabhängig vom Inhalt.
Wenn ich sage „Gold ist Metall“, dann ist damit über die
Beziehung beider nicht viel gesagt, nur dies: Gold gehört jedenfalls
zu den Metallen, vielleicht auch zu den Edelmetallen, aber nicht zu
den Insekten oder Paarhufern. Diese Zusammengehörigkeit spricht das
hypothetische Urteil aus, indem es nicht mehr um eine Hierarchie von
Gattungen geht, sondern um die Abhängigkeit eines unmittelbar
bestimmten von einem anderen:
‚Wenn A ist, so ist B`; oder ‚das Sein des A ist nicht sein
eigenes Sein, sondern das Sein eines Anderen, des B’. Logik II, S.
337
Wer jemals eine Einführung in die formale Logik besucht hat,
erinnert sich vielleicht an den Junktor, mithilfe dessen Sätze der
Art gebildet werden :
„Wenn 2 + 2 = 5, dann ist der Mars ein Planet.“
Hier liegt ein Missverständnis des hypothetischen Urteils vor.
Denn das Einzige, was es besagt, ist der Zusammenhang von A und B.
Es behauptet tatsächlich nicht, dass es A und B gibt. Deswegen kann
man trotzdem nicht mit ‚wenn...’ jeden Unsinn postulieren, weil ein
Unsinn eben keinen notwendigen Zusammenhang hat.
Der Mangel des hypothetischen Urteils – und deswegen kommt die
formale Logik auch darauf – ist, dass das Verhältnis von A und B
unbestimmt bleibt. Was A und B miteinander zu tun haben, ist offen.
Diese Art der Notwendigkeit schließt den Inhalt aus. Und diese
Unabhängigkeit von Notwendigkeit und Inhalt, ist es, was die formale
Logik daran interessiert.
Die inhaltsvolle Identität von Subjekt und Prädikat bringt das
disjunktive Urteil:
„A ist entweder B oder C. Dies ist die Notwendigkeit des
Begriffs, worin Dieselbigkeit beider Extreme einerlei Umfang, Inhalt
und Allgemeinheit ist... Drittens erscheint die identische objektive
Allgemeinheit deswegen als das in sich Reflektierte gegen die
unwesentliche Form, als Inhalt, der aber an ihm selbst die
Bestimmung der Form hat, das eine Mal als die einfache Bestimmtheit
der Gattung, das andere Mal ebendiese Bestimmtheit als in ihren
Unterschied entwickelt, - auf welche Weise sie die Besonderheit der
Arten und deren Totalität, die Allgemeinheit der Gattung ist.“ Logik
II, S. 339
Der allgemeine Begriff wird bestimmt durch den Umkreis seiner
Besonderungen. Das Subjekt der Gattung, das Prädikat sind ihre Arten
als Totalität. Z.B.: „Das Kapital ist entweder produktiv oder
Handelskapital oder zinstragendes Kapital.“ Mehr gibt es nicht und
kann es nicht geben. Dagegen: „Die Farbe ist entweder grün oder rosa
oder mahagoni oder ...“ ist ein schlechtes Beispiel für das
disjunktive Urteil. Ein nicht abschließbares Sammelsurium von
Unterfällen widerspricht der Notwendigkeit, die darin liegt, dass
Subjekt und Prädikat nach Umfang und Allgemeinheit identisch sind.
Das Prädikat ist als der vollständige Umkreis der Arten nicht weiter
oder enger als das Subjekt und als diese Gesamtheit hat es auch die
gleiche Allgemeinheit. Beides – Subjekt und Prädikat – ist jeweils
die ganze Sache.
Das Subjekt ist positiv identisch mit seinen Besonderungen. Das
Allgemeine, z.B. das „Kapital“ ist enthalten in jeder seiner
Besonderungen. Die besonderen Formen schließen sich gegenseitig aus
– das Kapital liegt entweder als produktives oder als Zinskapital
vor, aber nicht als beides zugleich. Durch diese negative,
ausschließende Beziehung der Arten ist die Gattung nicht mehr etwas
allgemeineres, ein „Sack“, in den alles mögliche passt, sondern die
nächste Gattung, nämlich die Einheit ihrer Unterschiede.
7.2.3. Das Urteil des Begriffs
„Diese Einheit des Allgemeinen und des Besonderen ist der
Begriff, und dieser ist es, welcher nunmehr den Inhalt des Urteils
bildet.“ Enz. I §177 Zus.
Im disjunktiven Urteil ist diese Einheit als einfach Identität
beziehungsweise als negative Einheit vorhanden. Es besteht keine
bestimmte Beziehung zwischen der Gattung und ihren Arten sowie der
Arten untereinander. Das Verhältnis von Einzelheit, Besonderheit und
Allgemeinheit sagt das Urteil des Begriffs. Es hat daher Prädikate
wie „gut, schlecht, wahr, richtig“, die den Vergleich einer
einzelnen Sache mit ihrem allgemeinen Begriff ausdrücken.
Es ist richtig, dass „gut“ und „schlecht“ eine reine subjektive
Vorliebe oder Abneigung ausdrücken. Wer sagt „Dieses Haus ist gut.“,
sagt eben nicht „Es gefällt mir.“, sondern behauptet einen
objektiven Maßstab, den er nun auf dieses Einzelexemplar anwendet.
Dass verschiedene Leute ganz verschiedene Häuser gut finden können,
ist dagegen kein Einwand. Ihre Kriterien mögen ja auch inhaltlich
ziemlich subjektiv sein, dennoch werden sie für das Haus schlechthin
angewendet. Sicher versteht der Bauer unter „gutem Wetter“ etwas
anderes als der Urlauber. Jeder macht sein Interesse zum Maßstab der
Sache, die in diesem Fall auch nichts anderes vorgibt. (Beim Wetter
gibt es keine Differenz von Einzelheit und Allgemeinheit. Platzregen
ist keine unpassende Realisierungsform von Wetter.) Dennoch wird der
Form nach ein Urteil des Begriffs gefällt; die konkrete Sache damit
verglichen, wie sie zu sein hat.
„Erst ein solches Urteilen, ob ein Gegenstand, Handlung usf. gut
oder schlecht, wahr oder schön usf. ist, heißt man auch im gemeinen
Leben urteilen; man wird keinem Menschen Urteilskraft zuschrieben,
der z.B. die positiven oder negativen Urteile zu machen weiß: ‚diese
Rose ist rot´, ‚diese Gemälde ist rot, grün, staubig´ usf.“ Enz. I,
§178
Ein Urteil von einer Sache haben, heißt eben, zu wissen was man
von ihr zu halten hat. Dass zwischen „Beschreiben“ und „Werten“ eine
unüberbrückbare Kluft herrscht, ist eine Behauptung, die sich aus
der Zumutung der Moralphilosophie an den Verstand ergibt: Pflichten
einsehen. Diese Zumutung wird haltbar gemacht durch zweierlei
intellektueller Reiche, dem der „deskriptiven“ und dem der
„präskriptiven“ Sätze. Wenn aus Wissen Moral nicht zu begründen ist,
dann begründet sie sich eben aus sich selbst (Sollensätze aus
Sollensätzen) und das ist auch eine Art von „Logik“.
Dass „gut“ eine Eigenschaft ist wie „gelb“ (Moore), nur dass man
sie nicht sieht, sondern mit einem ganz eigenen Sinn wahrnimmt, ist
die Gegenposition, die sich zur Unbe¬gründbarkeit der Moral bekennt,
dies aber genauso wenig für einen Einwand halten will.
Eine Sache zu bewerten, ohne ein Wissen über sie zu Rate ziehen
zu dürfen, ist ein geistige Unding. Was für einen Witz soll eine
Wertung haben, die mit der Sache, die sie bewertet nichts zu tun
hat?
Dem Einwand, das Prädikat „gut“ sei doch eine rein subjektive
Angelegenheit, bietet das assertorische Urteil allerdings keine
Angriffsfläche. Eine einzelne Sache mit konkreter Beschaffenheit
wird auf ihren Begriff bezogen, ohne dass die Übereinstimmung von
besonderen Eigenschaften und allgemeinem Begriff inhaltlich vorkäme.
Sie wird nur behauptet. Der Maßstab des Vergleichs bleibt dunkel.
Genauso wie „Dies Haus ist gut.“ Da kann man auch das Gegenteil
behaupten.
Resultat ist: dieses Ding kann gut oder schlecht sein, es ist
einmal gut und einmal schlecht und das hängt von seinen jeweiligen
Eigenschaften ab.
Das ist das problematische Urteil: „Ein Haus, je nach dem wie es
beschaffen ist, ist gut.“ Es wird nicht mehr nur das Ergebnis des
Vergleichs der Sache mit ihrem Begriff gesagt, sondern schon das
Kriterium angegeben, an dem es sich entscheidet. Die Diskrepanz von
Subjekt und Prädikat – einerseits das konkrete Ding, andererseits
der Vergleich mit seinem Begriff, der als seiner gar nicht kenntlich
ist – ist aufgehoben; das Subjekt enthält in seiner jeweiligen
Beschaffenheit seine Übereinstimmung oder Nicht-Übereinstimmung mit
seinem Begriff, die seinerseits das Prädikat ausspricht. Damit ist
aber auch die Seite des Begriffs inhaltlich ausgefüllt und es ist
nicht mehr die Frage, ob die Sache ihrem Begriff gemäß ist oder
nicht: diese Beschaffenheit des konkreten Hauses ist zugleich die
besonderer Ausprägung des allgemeinen Begriffs. Wenn diese
bestimmten Eigenschaften ein Haus zu einem guten Haus machen, dann
sind diese Eigenschaften umgekehrt auch die Konkretisierung des
allgemeinen Begriffs des Hauses.
Das apodiktische Urteil verknüpft das konkrete Einzelne über
seine besondere Beschaffenheit mit seinem Begriff. In „Das Haus, so
und so beschaffen, ist gut“ kommt das Haus dreimal vor: einmal als
dieses einzelne Ding hier, einmal als bestimmte Beschaffenheit und
einmal als das Haus schlechthin, das den Maßstab für die prädizierte
Entsprechung abgibt.
Das Verhältnis Subjekt – Prädikat, die Trennung von Identität und
Inhalt, ist hier schon aufgehoben: das Subjekt ist sowohl Identität
als auch Inhalt, das Prädikat ist die Übereinstimmung beider. Die
Kopula ist einerseits als Beziehung „ins Prädikat übergegangen“,
andererseits zur inhaltlichen Gemeinsamkeit von Subjekt und Prädikat
geworden. Der Form nach hat das apodiktische Urteil noch immer den
Charakter der bloßen Behauptung, die in der Selbständigkeit der
Extreme des Urteils liegt. Andererseits enthält es bereits ihre
inhaltliche Einheit. Es enthält schon ein Argument.
7.3. Der Schluss
Der Schluss ist eine Beziehung von Extremen wie das Urteil und
zugleich ihre inhaltlich Einheit. So geht Erklären, so weiß man die
Bestimmung ihre Sache als notwendig.
Der Schluss ist keine Aneinanderreihung von Urteilen und schon
gar keine „Umformulierung von Sätzen“. Wie soll dadurch, dass man
mehrere Urteile hintereinander schreibt oder Varianten des selben
Satzes eine neue Qualität, eine neue Erkenntnis zustande kommen.
Auch die Aussage, der Schluss sei die Ableitung eines Urteils aus
einem anderen (Kant) ist ganz witzlos, solange man nicht sagt, was
denn eine Ableitung sein soll, also worin der Zusammenhang des
ersten und des zweiten Urteils besteht.
Ein Schluss wie „Gabi geht ins Kino oder sie bleibt zu Hause. Sie
geht nicht ins Kino. Also bleibt sie zu Hause.“ ist keiner. Die
Alternative im ersten Satz ist kein disjunktives Urteil, sondern
eine Festlegung, auf die sich die ganze Sache zusammenkürzt. Warum
nicht gleich die Konklusion zusammenlegen? Dies ist ja sowieso schon
passiert in der Behauptung „Kino gehen oder zu Hause bleiben“ – eins
von beiden trifft auf jeden Fall zu. Wenn nicht das eine, dann das
andere, na klar!
Einen Schluss kann man als Begründung eines Urteils auffassen,
als Antwort auf die Frage „Wieso?“, „Inwiefern?“. Das entscheidende
dabei ist aber nicht, dass auf ein Urteil noch ein Weiteres folgt,
sondern dass die Extreme des ersten Urteils in der Begründung eine
Vermittlung erhalten. Ein Schluss ist kein Verhältnis zwischen
Urteilen, sondern zwischen Begriffsbestimmungen – Einzelnes,
Allgemeines, Besonderes (Termini). Der Witz beim Schließen ist auch
nicht, dass etwas erschlossen wird, was man noch nicht gewusst hat.
Das kann zwar auch sein, aber worauf es ankommt ist, dass die
Einheit, die die Extreme haben, durch ein drittes, ein
Mittelbegriff, vermittelt ist. Welcher der drei Termini schon
bekannt ist und auf welchen geschlossen wird, welcher das Resultat
bildet, ist eine subjektive Sache und geht die Wahrheit dieses
Zusammenhangs nichts an. Die Idee, Schließen sei eine Operation, mit
der sich der Verstand Kenntnisse aus zweiter Hand verschafft, die
aus erster unmittelbar nicht zu haben sind, zeigt wieder eine
schlechte Meinung vom Denken: als Krücke der Wahrnehmung kommt es zu
keinem anderen Resultat, als dass es etwas gibt – was man nicht
sieht.
7.3.1. Der qualitative Schluss
„Der Schluss wie er unmittelbar ist, hat zu seinen Momenten die
Begriffsbestimmungen als unmittelbare. Sie sind somit die
abstrakten Bestimmtheiten der Form, welche noch nicht durch
Vermittlung zur Konkretion gebildet, sondern nur die einzelnen
Bestimmtheiten sind. Der erste Schluss ist daher der eigentlich
formelle. Der Formalismus des Schließens besteht darin, bei der
Bestimmung dieses ersten Schlusses stehen zu bleiben. Der Begriff,
in seine abstrakten Momente dirimiert hat die Einzelheit und die
Allgemeinheit zu seinen Extremen und es selbst scheint als die
zwischen ihnen stehende Besonderheit.“ Logik II, S.354
Im Schluss des Daseins steht ein Einzelnes einem Allgemeinen
gegenüber – es ist nicht unmittelbar allgemein – und hat mit diesem
eine Gemeinsamkeit in einem noch mal von beiden unterschiedenen
Dritten.
„Diese Rose ist rot; Rot ist eine Farbe, also ist diese Rose ein
Farbiges.“
Man mag zwar nicht direkt widersprechen, aber was damit an
Erkenntnis gewonnen sein soll, ist auch nicht klar. Im qualitativen
Schluss wird an einem Einzelwesen eine seiner Eigenschaften
hervorgehoben und dann wieder aus dieser noch etwas Allgemeineres
heraus gezogen. Der Schluss ist formell: man könnte an der Rose auch
irgendeine andere Eigenschaft festhalten und sie darüber mit so
mancherlei – auch miteinander unverträglichen – Allgemeinheiten
zusammenschließen. Hier ist die Quelle der Auffassung, dass sich
alles beweisen lässt. Die Extreme haben miteinander nichts zu tun,
sind nur über eine beliebige Gemeinsamkeit verknüpft. „Rückwärts“
funktioniert dieser Schluss genauso gut oder schlecht wie
„vorwärts“. Von „Farbiges“ ausgerechnet auf „Rose“ zu kommen, ist
genauso zufällig wie von „Rose“ auf „Farbiges“. Genauso wie die Rose
nur unter anderem farbig ist, ist Farbiges nur unter anderem eine
Rose. Die kriminalistische Logik vollzieht den Schluss vom
Allgemeinen über das Besondere zum Einzelnen. Von der Tat wird über
die spezifischen Umstände auf den Täter geschlossen. Dabei ist es
natürlich genauso zufällig – beziehungsweise der Kunst des
Schriftstellers geschuldet – ob die besonderen Umstände den Schluss
auf nur einen Täter zulassen.
„Ebenso zufällig ist dieser Schluss b) durch die Form der
Beziehung, welche in ihm ist. Nach dem Begriffe des Schlusses ist
das Wahre die Beziehung von Unterscheidungen durch eine Mitte,
welche deren Einheit ist. Beziehungen der Extreme auf die Mitte aber
(die sogenannten Prämissen, der Obersatz und der Untersatz) sind
vielmehr unmittelbare Beziehungen. Dieser Widerspruch des Schlusses
drückt sich wieder durch einen unendlichen Progress aus, als
Forderung, dass die Prämisse gleichfalls jede durch einen Schluss
bewiesen werden kann da dieser aber zwei ebensolche unmittelbare
Prämissen hat, so wiederholt sich diese und zwar sich immer
verdoppelnde Forderung ins Unendliche.“ Enz. I, §188
Die Mitte, die die beiden Extreme zusammenschließt, also den
Beweis liefern soll, schließt sie nur formell zusammen. Es kommt
halt zweimal „rot“ vor. Der Schluss fordert den Widerspruch gegen
die Prämisse heraus. Wieso denn „rot“? Die Rose ist stachlig! Und:
Blau ist eine Farbe! Und wo ist dann der Schluss? Er hängt offenbar
an einer gesonderten Begründung der Prämissen, die aber nicht
gelingen kann.
7.3.2. Der Reflexionsschluss
Im Reflexionsschluss ist die Mitte das, was der qualitative
Schluss als ganzes besagt: durch eine Bestimmung, die das Einzelne
neben anderen hat, ist es etwas Allgemeines. „Rot“ fasst nicht nur
die Rose unter sich, sondern alle roten Dinge, sie mögen ansonsten
so verschieden sein, wie sie wollen und darin ist die Besonderheit
zugleich etwas – wenn auch inhaltlos – Allgemeines. Die Besonderheit
als Summe von Einzelnen ist die Mitte des Reflexions-schlusses,
dessen erste Form der Schluss der Allheit ist:
7.3.3. Schluss der Allheit
Alle Menschen sind sterblich. Gajus ist ein Mensch. Also ist
Gajus sterblich.
„Die Mitte so zunächst 1. nicht allein als abstrakte, besondere
Bestimmtheit des Subjekts, sondern zugleich als alle einzelnen
konkreten Subjekte, denen nur unter anderen auch jene Bestimmt-heit
zukommt, gibt den Schluss der Allheit. Der Obersatz, der die
besondere Bestimmtheit, den terminus medius als Allheit zum Subjekt
hat, setzt aber den Schlusssatz, der jenen zur Voraus-setzung haben
sollte, vielmehr selbst voraus.“ Enz. I, §190
Diesen Schluss hält die moderne formale Logik für den Schluss
überhaupt, obwohl der gerade weil sein „Pedantismus“ und
„nichtssagender Formalismus“ nach HEGEL jeder¬mann ins Auge springt.
Gerade seine offenkundige Leerheit hält sie für das Zwingende an
ihm. Dass die Konklusion in den Prämissen schon enthalten ist, ist
sein Fehler. Die erste Prämisse setzt die Sterblichkeit des guten
Gajus schon voraus. Es darf gar nicht behauptet werden, dass alle
Menschen sterblich sind, wenn das bei Gajus erst noch die Frage ist.
Wenn aber „alle“ „alle, außer Gajus“ sind, folgt nichts für Gajus.
Der Schluss ist überhaupt nur der Widerspruch, dass nur dann etwas
geschlossen werden kann, wenn es nichts zu schließen gibt.
Der Schluss der Allheit beruht auf der Induktion: die gesonderte
Prüfung der Einzelfälle erlaubt erst die Allaussage. Die Kette der
Einzelnen – unterschieden von der Besonderheit – bildet die Mitte
des Induktionsschlusses, der so aussieht:
Kupfer ist Metall. Gold ist Metall. Silber ... Blei ... Usw. Kupfer
leitet. Gold leitet Silber ... Blei ... Usw. Also sind alle Metalle
(elektrische) Leiter.
„Bei einer Induktion können die Einzelheiten niemals erschöpft
werden. Wenn man sagt: alle Metalle, alle Pflanzen usw., so heiß
dies nur soviel als: alle Metalle, alle Pflanzen, die man bis jetzt
kennen gelernt hat. Jede Induktion ist deshalb unvollkommen.“ ebd.
Die Aufzählung aller Einzelnen kommt nie über die Zufälligkeit
des Zusammentreffens von zwei Eigenschaften hinaus. „Alle“ kann
immer nur heißen „alle bisher beobachteten Fälle“. Die Allaussage
ist nicht einzulösen. Eine Häufung von Zufällen gibt keine
Notwendigkeit. Der Schein eines Schlusses entsteht überhaupt nur
durch das „usw.“, durch die Unabge¬schlossenheit der Aufzählung.
Würde man gleich sagen: „Die 27 bisher bekannten Metalle sind
elektrische Leiter.“ Dann wäre offensichtlich, dass das kein Grund
dafür ist, dass alle Metalle leiten.
„Dieser Mangel der Induktion ist es, welcher zur
Analogie führt.
Im Schluss der Analogie wird daraus, dass Dingen einer gewissen
Gattung eine gewisse Eigenschaft zukommt, geschlossen, dass auch
anderen Dingen derselben Gattung dieselbe Eigenschaft zukommt.“ ebd.
Wenn die unabschließbare Reihe von Einzelheiten schon lauter
Dinge derselben Gattung aufzählt, dann ist die Aufzählung überhaupt
überflüssig. Die gemeinsame Gattung liefert die Grundlage des
Schlusses auf einen neuen Fall.
Es gibt bessere und schlechtere Analogien:
„Wenn z.B. gesagt wird: „Der Mensch Gajus ist ein Gelehrter;
Titus ist auch ein Mensch, also wird er wohl auch ein Gelehrter
sein.“ so ist dies jedenfalls eine sehr schlechte Analogie und zwar
um deswillen, weil das Gelehrtensein eines Mensch gar nicht ohne
weiteres in dieser seiner Gattung begründet ist.“ ebd.
Es wird von der gemeinsamen Gattung auf eine weitere
Gemeinsamkeit von Gajus und Titus geschlossen. Das kann deshalb
daneben gehen, weil der Medius Terminus widersprüchlich ist: er
enthält sowohl die Gattung als auch den einzelnen Gajus, der alle
möglichen Eigenschaften hat, die mit seinem Menschsein sehr wenig zu
tun haben. Eine gelungene Analogie liegt dann vor, wenn auf eine
wirkliche Gattungseigenschaft geschlossen wird, also wenn der
Mittelbegriff auch gar nicht mehr „der Mensch Gajus“ sondern nur
„der Mensch“ ist.
Im Schluss der Notwendigkeit wird eine einzelne wirkliche Sache
über ihre allgemeine Natur mit einer notwendigen Eigenschaft dieser
allgemeinen Natur zusammen geschlossen. Einzelheit, Allgemeinheit
und Besonderheit sind dann inhaltlich identisch (die Mitte ist nicht
mehr eine äußerliche Zusammenfassung der Extreme) – „und die Form
des Schlusses, der im Unterschied der Mitte gegen seine Extreme
bestand, hat sich aufgehoben.“ Logik II, S. 400f
Das Wesentliche am Schluss ist, dass die Sache bestimmt, erklärt
wird. Als Operation ist er tatsächlich etwas Subjektives: so herum
oder andersherum, je nachdem wonach gefragt ist oder wie man die
Sache darstellen will.
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