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Aggressionstheorien

Wie sich Psychologen das "Böse im Menschen" vorstellen

Jugendliche Fußballfans vermöbeln sich gegenseitig im Stadion, gewalttätige Szenen in Fernsehkrimis, Schüler zerdeppern das Schul-mobiliar, Demonstranten werfen Steine auf Polizisten, ein wütender Autofahrer... „Gewalt wird täglich verübt. Woran liegt es, daß die Gewaltbereitschaft in vielen Bereichen unserer Gesellschaft zunimmt?“ So oder so ähnlich heißt die Fragestellung, unter der im Politik- oder Sozialkundeunterricht das Thema „Aggressionstheorie“ behandelt wird. Das verspricht insofern interessant zu werden, als die Psychologie mit diesem Begriff bekanntlich so etwas wie einen theoretischen General-schlüssel zu den „Ursachen von Gewalt“ gefunden haben will. Fragt sich nur, was man eigentlich worüber weiß, wenn man gelernt hat: „Gewalt ist eine Form von Aggression.“

Von Gewalt als "menschlicher Tatsache"...

Schon an dieser Frage nach den „Wurzeln der Gewalt“ könnte einem gleich in zweierlei Hinsicht etwas auffallen:

Erstens liegt es nämlich überhaupt nicht auf der Hand, die disparatesten „Verhaltensweisen“ in einem großen Topf mit dem Etikett „Erscheinungsformen von Gewalt“ zusammenzurühren. Worin liegt denn eigentlich die Gemeinsamkeit, die damit unterstellt wird? In den Ab-sichten, die jeweils verfolgt werden, jedenfalls nicht: Daß schlagende Patrioten im Stadion dasselbe wollen wie etwa ein wütender Autofahrer, mag so ja auch wohl niemand behaupten. Als mögliche „Fallbeispiele“ für das „Phänomen Aggressivität“ betrachtet, wird der jeweils spezifische Inhalt dieser Handlungen für ziemlich gleichgültig erklärt. Daß es auch nicht um die formelle Gemeinsamkeit geht, daß da jeweils – wie auch immer – zu gewalttätigen Mitteln gegriffen wird, läßt sich auch leicht erkennen: ein recht „umfassender Bereich unserer Gesellschaft“, in dem man sich ganz profimäßig aufs Schlagen, Schießen und Bombenwerfen versteht – Polizei und Bundeswehr – gilt selbstverständlich nicht als Beispiel „zunehmender Gewaltbereitschaft“. Umgekehrt soll man es durchaus als einen „versteckten Akt von Gewalt“ bewerten, wenn jemand einem andern Menschen ein Schimpfwort an den Kopf wirft („sprachliche Verhaltens-weisen“). Man merkt: wer so nach den Ursachen „der Gewalt“ fragt, will die Realität von vornherein durch eine besondere Brille betrachten; die besagten Umtriebe interessieren ihn nur deswegen und insofern, als sie gleichermaßen – gemessen an dem, was man sich vorstellt, daß es sich fürs menschliche Miteinander gehöre – nicht erlaubt sind. Dieses Kopfschütteln darüber, wie es nur angehen kann, daß dauernd gegen Gesetz und Moral verstoßen wird, obwohl man das doch nicht darf, ist alles andere als der Auftakt zu einer vorurteilsfreien Klärung der Gründe für Mord und Totschlag.

Wer ohne eine Erkundigung nach dem Warum und Wozu an den diversesten Handlungen immer bloß eine Verletzung der (nur) eigentlich geltenden Gebote der Mitmenschlichkeit bemerkt, der hält dann auch prompt seine Einordnung für deren Warum und Wozu: da betätigt sich der verwerfliche Wille „des Menschen“, der darauf aus ist, andere zu schädigen! Und diesen Schuldspruch kann man auch als kluge „Erklärung“ vortragen: Also – lautet der Fehlschluß – wird es auch irgendwie zum Menschen und zum menschlichen Zusammenleben gehörende Naturkonstante namens „Gewaltbereitschaft“ o.ä. sein, die der Grund für die an sich so unerklärlich erscheinenden „Untaten“ ist. So hat man es dann mit einem Grundproblem am Menschen zu tun.

 
...zum "Aggressionstrieb" des Menschen

Daß die Aggressionstheorie von dem Volksurteil ‚der Mensch ist schlecht’ quasi inspiriert ist, zeigt z.B. Altmeister Freud, der angesichts eines Krieges zwischen dessen Machern und deren Kanonenfutter nicht unterscheiden konnte, weil er ein verständnisstiftendes Menschenbild suchte – freilich eines, das dem Anspruch einer Theorie gerecht wird:

„Als Sigmund Freud, Begründer der Psychoanalyse, Zeuge unvorstell-barer Grausamkeiten während des 1. Weltkrieges wurde, schrieb er an Albert Einstein, die Ursache für diese Geschehnisse läge darin, daß der Mensch aktive Kräfte zum Töten und Zerstören in sich trage. Freud sah in den aggressiven Handlungen einen Ausdruck des von ihm behaupteten ‚Todestriebes’, den nach seiner Überzeugung alle Lebe-wesen, Mensch und Tier, besäßen. Die Kräfte dieses Triebes, so meinte er, können (nach innen gerichtet) z.B. als Selbstbestrafung, möglicherweise sogar als Selbstmord, in Erscheinung treten. Wenn sie sich dagegen nach außen richten, ist mit ihrer Äußerung als aggressive, feindliche Verhaltensweise zu rechnen.“ [1]

Völlig daneben wäre es also, den „Entdecker“ des „Todestriebes“ danach zu fragen, wo er diese „Kraft“ im Menschen eigentlich dingfest gemacht hat. Nicht die Analyse von Krieg oder Selbstmord, sondern sein Moralismus ist der Vater dieser Kategorie: Weil für ihn feststeht, daß es zum Wesen des menschlichen Handelns gehört, seinesgleichen zu malträtieren, ist er auch „davon überzeugt“, daß in jedem Menschen so etwas wie ein Motor herumfuhrwerkt, der ihn zu diesen Taten treibt. Freuds wissenschaftliche Fehlleistung besteht also darin, die Vorstel-lung von der menschlichen Destruktivität dadurch zu „beweisen“, daß er sich hinter dem „aggressiven Verhalten“ ein dieses angeblich verursachendes Verhaltensprinzip mit genau demselben Inhalt denkt. Hat er dieses unter dem Titel „Kraft“ in den Menschen hineingedacht, fällt es ihm auch nicht schwer, deren „Äußerungen“ wieder aus ihm herauszuholen, sprich die tatsächlichen „Verhaltensweisen“ vom Standpunkt dieses Dogmas aus zu interpretieren. Vom Krieg bis zum Selbstmord wird so jeder Zweck, der sich irgendwie gewaltsamer Mittel bedient, zur bloß vordergründigen und letztlich zufälligen Ausdrucks-weise eines völlig unspezifischen Drangs zum „Töten und Zerstören“. So gesehen kann der Psychologe selbst bei den Lemmingen die Existenz eines natürlichen (Selbst)Zerstörungstriebs „beweisen“. Und bekannt-lich zeugt es auch von psychologischem Durchblick, etwa einem seine Frau verprügelnden Ehemann als „alternative Möglichkeit der Trieb-befriedigung“ anzubieten, er könne doch auch ebensogut ein paar Mal gegen die Wand laufen.

Das gewöhnliche Bild vom Bösen im Menschen findet in Freuds Erfindung eines entsprechenden inneren Antriebs also durchaus seine Bestätigung, andererseits kann man sich als aufgeklärter Zeitgenosse mit diesem psychologischen Menschenbild auch über die bloße moralische Verurteilung lässig erheben. Als dieser angeborene Triebmechanismus gedacht, erhält das „destruktive Verhalten“ ganz wertfrei die Qualität einer natürlichen Funktion im menschlichen Gemüts- und Seelenhaushalt. Warum ein Mensch „aggressiv“ handelt, ist so ganz ohne Zeigefinger auch „erklärt“; ein solcher psychologischer Haushalt besitzt nämlich einen ziemlich eigenartig selbstzweckhaften Charakter: sinnigerweise besteht der jedem Psychologen bekannte Nutzen des Herauslassens von „zerstörerischen Energien“ darin, daß so dafür gesorgt ist, daß sie nicht drinbleiben müssen. Darauf muß die Natur erst einmal kommen!
 

Ein Blick in die Werkstatt der Aggressionstheorie: Dampfkochtöpfe und andere Psycho-Mechanismen

Dieses Allzweck-Deutungsmuster namens „Aggressionstrieb“ hält die Psychologie insofern für ergänzungsbedürftig, als sie sich nach Bedingungen fragt, unter denen der innere Motor des Menschen überhaupt anspringt:

- Dem Verhaltensforscher Konrad Lorenz hat sich so die Frage aufgedrängt, wie es eigentlich kommt, daß sich die Aggressivität bei dem einen Individuum so und beim anderen anders „äußert“. „Offenbar“ muß es am Individuum liegen, lautete seine messerscharfe Folgerung, weshalb er sich ein „Dampfkesselmodell“ ausdachte, das es ihm erlaubt, zwischen Menschen mit starkem und schwachen Überdruckventil zu unterscheiden und folgendes Gesetz zu formulieren:

“Wie lange ein Mensch einen Aggressionsstau ertragen kann, wird bestimmt durch die Stärke des Ventils.“

Der Vorteil dieses Modells besteht nicht nur darin, daß es leicht faßlich als Schaubild darzustellen, sondern auch völlig idiotensicher anzu-wenden ist: Wenn sich jemand „sehr aggressiv“ verhält, bei dem kann man damit auf ein schwaches „Ventil“ „schließen“; wer nicht gleich zuschlägt, „muß“ ein starkes haben. Fragt sich nur, weshalb man es eigentlich plausibel finden soll, beim Menschen an Druck, Ventile u.ä. zu denken. Dumme Frage: Man muß sich das menschliche Gefühlsleben eben nur als Dampfkochtopf vorstellen und der hat ja bekanntlich ein Ventil.

- Die Frustrations-Aggressions-Theorie sieht die Ursachen für individuelle Verhaltensunter¬schiede eher in der verschiedenen „Reaktion“ auf die „Umwelt“. Ob und wann jemand seinem „Aggres-sionspotential“ Luft macht, hängt ihrer Ansicht nach von ent-sprechenden „Auslösern“ ab, wobei „der Frustration die entscheidende Rolle bei der Auslösung aggressiven Verhaltens zukomme“. Auch diesen Psychologen ist es zweifellos gelungen, die Theorie um ein universell anwendbares Verhaltensgesetz zu bereichern: Einerseits kann man so jeweils auf einen äußeren Einfluß als Ursache für eine aggressive Handlung verweisen. Man bedenke etwa „an das Beispiel des Busses, der einem vor der Nase wegfährt“. Bekommt jemand in dieser Situation keinen Wutanfall, dann spricht dies andererseits überhaupt nicht gegen dieses Gesetz, weil mit „frustrierende Situation“ eben nur das als „Auslöser“ definiert ist, was auch die entsprechende „Reaktion“ hervorruft. Wenn nicht, dann nicht:

“Wie der Betroffene reagiert, hängt nicht unerheblich von seiner Bewertung der Situation ab.“

Um dies überzeugend und einleuchtend zu finden, muß man nur den kleinen Widerspruch übersehen, daß hier behauptet wird, der Mensch sei mit seinem Verhalten einer Situation ausgeliefert (er „reagiert“ ja bloß), die er selbst als „Reiz“ definiert hat („Bewertung“).

- Wenn schließlich die Lerntheorie Fragen des Kalibers „Macht Fern-sehen aggressiv?“ aufwirft, dann wird weder die Botschaft eines Krimis oder Westerns und deren Darstellung analysiert, noch der Frage nachgegangen, warum so mancher wohlerzogene Junge liebend gern wie ein Rambo oder Schimanski wäre. Stattdessen landet sie zielstrebig bei Einsichten der folgenden Art, die nicht zufällig an schlechte Wetterprognosen erinnern:

“Es muß damit gerechnet werden, daß die häufige (!) Betrachtung gewalttätiger Szenen im Fernsehen bei bestimmten (!) Gruppen von Kindern mit (!) dazu führt, daß deren Aggressivität gesteigert (!) wird.“

Um so den „Schluß“ nahezulegen, man müsse eben die gesamte „Umwelt“ als eine Ansammlung möglicher Einflußfaktoren ansehen:

“Auf die Entwicklung der Aggressivität nehmen im Kindesalter eine Fülle von Faktoren Einfluß...“

Denn daß „aggressives Verhalten“ die Folge von „Umwelterfahrungen“ ist, davon geht diese Theorie von vornherein aus. Und mit dieser Sichtweise sind der psychologischen Phantasie keine Grenzen gesetzt; allenthalben kann sie mögliche auslösende Momente für zerstörerische Neigungen entdecken.

Der erzieherische Wert der Aggressionstheorie

Im Unterricht über die Aggressionstheorien bewegt man sich so in einer völlig künstlichen Vorstellungswelt von Verhaltensmechanismen, die sich im Menschen abspulen sollen und auf alles als Deutung passen. Ohne je auf die Idee zu kommen, danach zu fragen, für welche Sorte Ansprüche Gewalt die angemessene Form der Verwirklichung ist, was es für Interessen sind, deren Durchsetzung die Schädigung anderer notwendig macht (dann käme peinlicherweise auf jede Menge als legitim geltender Ansprüche und allgemein anerkannter Interessen), wird so ein „Problem der Gewalt“ aufgeworfen, das die Erziehung angehender Staatsbürger bereichert und nicht stört. Wer sich die psychologische Deutung der „Aggressivität“ zu Herzen nimmt und bei jeder kleineren und größeren Gewalttat ganz automatisch an den kleinen Triebtäter „in uns allen“ denkt, der landet bei sich als der für jeden am nächsten liegenden „Ursache von Gewalt“.

„Der Krieg fängt bei den Wörtern an“, heißt daher konsequenterweise auch einer der Merksätze, die man aus solchen Unterrichtsstunden mit nach Hause nehmen kann. Daß auch und gerade Kriege, also jene Gewalttätigkeiten, zu denen ein Individuum beim besten Willen nicht fähig ist, sondern die es nur als Konsequenz staatlicher Rechts-ansprüche gibt, ihren Keim in den alltäglichen Beschimpfungen und Gehässigkeiten haben sollen, ist das passende Bewußtsein für jemanden, der dieser Gewalt unterworfen ist.

Daß in jedem Menschen ein potentieller Kriegstreiber innewohnt, soll freilich nicht als Rechtfertigung für ein billiges ‚so ist es nunmal’ verstanden werden. Richtig liegt, wer die eigentlichen Quellen von Krieg und Gewalt im Kinderzimmer entdeckt (Kriegsspielzeug!), und sich über-haupt dafür einsetzt, daß vor allem der Nachwuchs von „schädlichen Einflüssen“ aller Art ferngehalten wird. Zu einer demokratischen Unter-tanengesinnung gehört eben auch praktische Verantwortung, d.h. man soll sich dafür zuständig fühlen, daß nicht über die Stränge geschlagen wird, einschließlich des eigenen inneren Schweine-hundes, versteht sich. Womit natürlich nicht gesagt ist, daß sich der Staat auf die (psychologisch geschulte) Selbstkontrolle seiner Leute verlassen würde. Dazu hat er seine unschlagbaren Gewaltmittel, aber die gehören ja wie gesagt nicht zum Thema.

[1] alle Zitate aus: Gewalt und Aggression, in Politik 3, Arbeitsbuch für den Politikunterricht, Schöningh-Verlag
 

 

(c) Verein zur Förderung des studentischen Pressewesens


contradictio - 2006