Die Warnung vor
Manipulation gehört heute zum Standardrepertoire eines “mündigen”
Staatsbürgers, der sich selbst natürlich nichts vormachen läßt
und weiß, wie der Hase läuft. Und auch Psychologen, Soziologen,
Kommunikations-wissenschaftler, Medienexperten und Politiker wollen
in den verschiedensten Bereichen Phänomene entdeckt haben, deren
Existenz sich ihrer Meinung nach nur durch die Wirkung von
Mechanismen erklären lassen, die einen manipulativen Charakter
aufweisen.
Der Zulauf, der
zeitweise bei gewissen Psycho-Sekten registriert wird (Scientology),
der Wahlerfolg rechtsextremer Parteien, die unbestreit-bare Umsatzsteigerung,
die sich durch Werbung erzielen läßt, die BILD-Zeitungsleserschaft,
die angeblich eine gemachte Meinung bloß über-nimmt, montägliche
Aggressionen in Kindergärten und Schulen, Modetrends u.v.a.m. – sämtlich
eine Folge von und Produkt der Manipulation, so wird behauptet:
“Solche
Steuerungen bleiben den Betroffenen häufig unbewußt. Ihre
Auswirkungen auf das Denken und Handeln erscheinen in vielen Fällen
sogar als Ergebnis eigenen Nachdenkens. Daß Steuerung durch andere
im Spiel ist, daß das vermeintlich eigene Nachdenken fremdbestimmt
ist, kommt nicht in den Blick. ” (F. Winterling,
Kommunikation/Sprache)
Dennoch –
Manipulation bleibt, auch wenn sie noch so oft probiert und
diagnostiziert wird, ein Ding der
Unmöglichkeit . Sie
bezweckt nämlich die Fixierung eines Willens auf einen
bestimmten
Inhalt unter
Umgehung
des Willens!
Na klar, Werbefritzen
und Politiker arbeiten mit allen erdenklichen Tricks, wenn sie das
TAED-System oder ihre Partei als das Non-plus-ultra anpreisen. Aber:
Ohne daß die Adressaten sich die mehr oder öfter weniger guten
“Argumente” der Käufer- und Wählerbetörung
zueigen machen
, sie sich die gedanklichen Inhalten
einleuchten lassen, kommt
kein Erfolg für die Rattenfänger zustande.[1]
Es ist schon verräterisch,
woran der Fachmensch überhaupt Mani-pulation erkennen will.
Beispielsweise werden “künstliche Bedürfnisse” gern als ein
manipulatives Produkt angeprangert. Die einen bevorzugen Müsli,
phosphat- und parfümfreie Waschmittel und mit dem Fahrrad
umherzugurken, die anderen Kaviar, Weichspüler und Porsche fahren.
Natürlich im eigentlichen Sinne ist keines der genannten Produkte;
wo also soll Manipulation vorliegen? Eben – das hängt vom
Standpunkt
des Betrachters ab. Ein Yuppie wird Luxus zum natürlichsten
Drang des Menschen erklären [2] und verächtlich
auf die seiner Meinung nach ideologisch manipulierten Öko-Jünger
herabblicken. Umgekehrt umge-kehrt. Ob also Manipulation vorliegt,
entscheidet sich nicht an einem objektiven Inhalt einer Auffassung
oder eines Verhaltens, sondern an der definitorischen Willkür
desjenigen, der diesen Vorwurf erhebt. Die verlogene Technik besteht
darin, daß man den
mißbilligten oder den für jemanden als
schädlich erkannten Willen
nicht kritisiert, sondern als
nicht
existent
zurückweist, weil es angeblich kein
eigener oder
eigentlicher sei. Eine
elitäre Anmaßung, die unvermeidlich
einen Widerspruch nach sich zieht: Einerseits soll die Raffinesse der
Manipulation darin liegen, daß sie dem Willen
unbewußt
bleibt und andererseits nimmt sich der Kritiker von seiner eigenen
Regel aus und will im Unterschied zum Rest ein Bewußtsein von der
Fremdeinwirkung haben! Anders gesagt: Gäbe es die dem Bewußtsein
verborgene Steuerung des Willens, wäre sie für niemanden zu
entdecken, weil alle der Manipulation unterliegen!
Nun, dem
Manipulationstheoretiker ist dieser Widerspruch nicht ent-gangen. Aber
er nimmt dies nicht zum Anlaß, seine Theorie zu ver-werfen, sondern hält
an ihr fest, indem er sie geringfügig modifiziert: Manipulation
findet jetzt nicht mehr generell, sondern nur noch “häufig”
statt.
So befreit sich der Herr Wissenschaftler von jeder
Beweislast, indem er fortan
alles mit dem bloßen
Verdacht
der Manipulation überzieht.
Mit einer
Kritik
am Denken und Handeln sollte man diesen Standpunkt nicht verwechseln,
auch wenn er sich so vorkommt; wie auch – wird doch nie auch nur
ein einziger
Inhalt zur Kenntnis genommen, geprüft und evtl.
verworfen. Der ganze Verdacht besteht darin, daß eine Handlung möglicherweise
nicht aus eigenem Entschluß, sondern “fremdbestimmt”
vollzogen wird. Ein in mehrfacher Hinsicht unver-nünftiger bis ärgerlicher
Gedanke, denn erstens ist “eigen”, “selbst” oder
“autonom” ebensowenig ein Gütesiegel, wie “fremd” nichts
Nega-tives bedeuten muß. “Selbstbestimmt” hat sich Clinton dazu
entschlos-sen, Somalis töten zu lassen, während es Kindern hingegen
ganz gut bekommt, wenn ihnen “fremdbestimmt” das Überqueren der
Straße bei Rotlicht untersagt wird. Zweitens aber, entwaffnet dieser
Standpunkt jede vernünftige Kritik: Mit einem derartigen Vorwurf
konfrontiert, ist die Diskussion beendet, bevor sie angefangen hat.
Gemäß der
universalistischen Logik des Verdachts wird Manipulation konse-quenterweise
auch und gerade bei solchen Einstellungen, Überzeugungen,
Verhaltenskodices gewittert, die sich der gesellschaft-lichen Norm
entziehen, die eine Ausnahme zu den herrschenden Vorstellungen
darstellen, die gerade “in” oder auch “out” sind. Einem
Scientology-Jünger bspw. wird stets so begegnet, als hätte man eine
arme verkaufte Seele vor sich, die verführt worden sein muß, die
sich mindestens einer Gehirnwäsche unterzogen haben muß und
eigentlich gar nicht wissen kann, was sie da wirklich tut. Nie wird
so einem Menschen zugestanden, daß seine Anhängerschaft Resultat
eigenen Nachdenkens sein könnte. Das ist lustig. Denn nun behauptet
die Manipulationsthese zweierlei: die diagnostizierte
Konformität
der Massen muß das Ergebnis von Manipulation sein und eine
Abweichung
davon ebenso!?!
Der Grundfehler der
Manipulationsthese ist die Leugnung des abstrakt freien Willens,[3]
oder anders gesagt, die verkehrte
Verdopplung des Willens in
einen
eigentlichen inneren und einen
uneigentlichen äußeren,
der angeblich auf den inneren wirkt; und diese sonderbare Wirkung die
da postuliert wird, soll schließlich dem Bewußtsein auch noch
unbewußt bleiben.
Fußnoten:
[1]
Man stelle sich folgende Szene vor: Ein überzeugter
Milchtrinker sieht im Kino einen ansprechenden Coca-Cola-Spot. Und
daraufhin soll er gegen seinen (“eigentlichen”) Willen
nacheinander das um ihn herumsitzende Publikum nerven, zum
Verkaufstand tapern, eine gewisse Menge Zahlungsmittel den Besitzer
wechseln lassen, um schließlich eine Flüssigkeit die Kehle
hinablaufen zu lassen, die ihm gar nicht schmeckt? Absurd!
[2]
Die Apologeten des Kapitalismus in Form
ihres ökonomischen “Sachver-stands” übrigens auch – Stichwort
“Knappheitstheorem”!
[3]
Man könnte denken, daß der Begriff des abstrakt freien Willens
widersprüchlich ist; entweder ist er frei oder abstrakt (also von
etwas abgesehen) frei. Hier soll aber gesagt werden, daß ein Wollen
ein Müssen nicht ausschließt, wer eine gebügelte Hose anziehen will,
muß bügeln (oder bügeln lassen…). Auf der Ebene des Gegensatzes
zwischen Müssen und Wollen, d.h. auf der zwischen Pflicht und
Interesse ist freilich der Begriff freier Wille ein Pleonasmus, wie
Hegel treffend festhielt.
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