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Der Terrorkrieg gegen die USA – die Gegengewalt
der Ohnmacht

 

Gliederung:

  1. Vorentschiedene Parteilichkeit

  2. "Uneingeschränkte Solidarität!"

  3. "Unschuldige Opfer"

  4. "Sinnlose Wahnsinnstat"

  5. Die Besonderheiten des Attentats - "Wie in einem Science-Fiction-Film!"

  6. Das Attentat - Produkt dieser Weltordnung

  7. "Zivilisation vs. Barbarei" ?

  8. Die Antwort der USA - Weltinnenpolitik neuen Typs

  9. Der Standpunkt der Europäer und der NATO-Bündnisfall

A.   Vorentschiedene Parteilichkeit

Es ist verständlich wenn beim Anblick der Bilder aus New York und Washington Mitleid empfunden oder Betroffenheit verspürt wird, vielleicht auch weil man Angehörige in den USA hat oder sei es einfach nur deshalb, weil man Gewalt verabscheut, kein Blut sehen kann o.ä.. Es ist aber ein Unterschied ob man diese nur allzu menschlichen Gefühle hat oder ob sie quasi von oben angeordnet werden: Gewerkschaften und Arbeitgeber fordern zu Arbeitsniederlegungen und öffentlichen Schweigeminuten auf, Kirchen rufen zu Gottesdiensten und Mahngebeten und am Brandenburger Tor versammeln sich 200.000 Leute, um den Worten von Rau und Schröder zu lauschen, “Ab heute sind wir alle Amerikaner!”. Klar, man kann nicht per Befehl Gefühle diktieren, die werden schon authentisch sein. Dennoch: Was da stattfindet, ist ein berechnender Zugriff auf den Gefühlshaushalt der Menschen, der sich die Betroffen- und Ergriffenheit zunutze macht, um eine aus dem Gefühl abgeleitete und deshalb distanzlose Parteiergreifung für die amerikanische Nation herzustellen. Vom Standpunkt des Opfers aus ergibt sich aber gar keine unmittelbare Parteinahme für einen Staat: oder waren wir vielleicht vor 10 Jahren im Golfkrieg alle Iraker, waren wir im Balkankrieg alle Serben, sind wir eventuell alle Sudanesen, Tschetschenen oder werden wir demnächst alle Afghanen sein? So viele Pässe kann man gar nicht auf einmal besitzen, wie Opfer von Insassen verschiedenster Nationen anfallen!

In kaum einer Stellungnahme zu den Attentaten fehlt darüberhinaus der Hinweis auf das persönliche Entsetzen angesichts tausender “ unschuldiger Opfer”. Doch was hat das Attribut “unschuldig” an dieser Stelle überhaupt zu suchen? Hat denn irgend jemand behauptet, daß im World Trade Center lauter Verbrecher herumlaufen? Wer sich so äußert, macht einen moralischen Maßstab auf und urteilt auf der Basis eines imaginären Richters, dessen Maßstäbe man teilt. Das unterstellt jedoch, daß man sich ebenso schuldige Opfer vorstellen kann; und offenbar gehörten beispielsweise die Serben dazu, die die gerechte Strafe der “internationalen Völkergemeinschaft” erfahren haben… Das Entsetzen gilt eben gar nicht der Gewalt, es gilt der bösen bzw. falschen. Warum rollt keine Welle der “uneingeschränkten Solidarität ” mit Indern durch die Republik, wenn in Kaschmir Attentate von pro-pakistanischen Untergrundbewegungen auf indische Einrichtungen verübt werden? Warum stehen keine Gedenkgottesdienste für Rußlands Opfer an, wenn in Moskau Gebäude von tschetschenischen Terroristen in die Luft gesprengt werden? Nochmal anders zur Verdeutlichung: es geht hier um die Zurückweisung der Kategorie Schuld überhaupt. Aus der Tatsache , daß irgendwo Opfer anfallen, aus dem Opfergesichtspunkt heraus also, folgt nichts. Niemand hat gefragt, ob z.B. die umgekommenen Putzfrauen des WTC letztlich nicht doch selbst Schuld an ihrem Schicksal wären. Das wäre ja auch absurd. Es soll vielmehr das Augenmerk darauf gelenkt werden, daß und welche Opfer in der öffentlichen Besprechung als “unschuldig”, oder umgekehrt eben auch mal als “notwendig”, “unvermeidlich” gelten. Das ergibt sich nicht daraus, daß sie Opfer sind. Ein israelisches Opfer eines palästinensischen Attentats ist ein Opfer. Ein durch das israelische Militär getöteter Hamas-Aktivist ist ein Opfer. Das ist aber anscheinend gar nicht das Interessante daran. Mit der Zuschreibung ‚schuldig/unschuldig‘, wird nicht das Opfer genauer beschrieben, sondern die Tat, oder besser gesagt, es werden die Täter beurteilt, man stellt sie vor ein imaginäres Gericht und verurteilt sie in dem einen Fall und spricht sie frei in dem anderen – und die Maßstäbe, die bei solchen Urteilen zur Anwendung gelangen, folgen keinem objektiven Standpunkt, sie sind alles andere als unparteilich.

Eine Parteinahme in der Alternative USA / Terroristen ist aber in keiner Weise angebracht. Und weil das so ist, sollte man mal für ein Weilchen seine Gefühle Gefühle sein lassen, um einmal sachlich zu analysieren, was es mit dem Attentat auf sich hat.

Da ist z.B. die Rede von einer “sinnlosen Wahnsinnstat”, ausgedacht und verübt von “kranken Gehirnen”. Mit der Charakterisierung dieser Tat als sinnlos soll gesagt sein, daß man keinen Zweck erkennen kann. Weil man sich keinen Zweck denken kann, den man teilt, wird so getan, als würde mit dieser Tat gleich gar kein Zweck mehr verfolgt. An die Stelle des Zwecks tritt ein Ersatzzweck: die Inkarnation des Bösen, vorgestellt als defekte Natur, als krankes Gehirn eben. Sehr kongenial ist daher auch die Forderung von George W. Bush, nach der solche Kreaturen “ ausgerottet” werden müssen! Dabei könnte einem schon bei der Tätersuche auffallen, daß das so nicht stimmen kann. Es wird doch gar nicht in den Irrenanstalten nach ihnen gefahndet, sondern sehr gezielt nach politischen Feinden! Es vergingen keine 10 Minuten, da war der Umkreis, aus dem die Täter höchstwahrscheinlich stammen, ausgemacht. Für einen Augenblick gerieten zwar auch die Rechtsradikalen des eigenen Landes unter Verdacht, die 1995 schließlich schon einmal einen Anschlag in Oklahoma City verübt hatten, aber da ist die Überlegung des amerikanischen Geheimdienstes ganz aufschlußreich: ein Attentat auf eines der Zentren des internationalen Kapitals auf amerikanischem Boden würden sie den Faschisten (gemäß deren Logik das “raffende” internationale Kapital die eigene Nation ausbluten läßt und die Kapitalisten entsprechend vaterlandslose Gesellen sind...) noch zutrauen, aber einen auf das frisch renovierte Pentagon, das als das militärische Gehirn der USA gilt und so etwas wie das Rückgrat der Macht der amerikanischen Nation darstellt, niemals.
 

B.  Die Besonderheiten des Attentats – “Wie in einem Science-Fiction-Film!”

Das Attentat weist zumindest zwei sehr auffällige Besonderheiten auf. Zum einen hat es eine militärische Qualität, entspricht also einem Kriegsakt, doch ist ein Subjekt, das sich gewöhnlich hinter einem solchen verbirgt, nicht auszumachen: keine konkrete Nation, kein bestimmter Staat. Und zum anderen – dazu passend – wurden keine üblichen militärischen (staatlichen) Gewaltmittel zum Einsatz gebracht, sondern eine Kombination zweier klassischer Terrormittel, nämlich die Flugzeugentführung und die Autobombe, was zusammengenommen Kerosinbomber als Tatwerkzeug ergibt. Der militärische Akt fand also in der Form eines privaten Verbrechens statt und wurde als Kriegsersatz geführt. Denn die typischen Charakteristika eines Krieges fehlen, zu denen etwa die Erpressungsdiplomatie und das Androhen weiterer Eskalationsstufen gehören (also: zu erkennen geben, wer man ist, was man will und was geschehen wird, falls auf die Forderung nicht eingegangen wird).

Die Bilder, die das Fernsehen vom Geschehen in NY und Washington in die Stuben lieferte, wurden von vielen Menschen als irreal empfunden: “Wie in einem Science-Fiction-Film!”. Zwei der ehemals strahlenden Glas-Marmor-Paläste, die Manhattans Skyline prägten, liegen in Schutt und Asche – ein solches Werk hat man bisher höchstens Dinosauriern und Außerirdischen zugetraut. Die USA galten auf ihrem eigenen Territorium als unangreifbar; nun haben sie mit dem Angriff auf ihr “Kernland” ihr zweites “Pearl-Harbor-Erlebnis”. Dies macht aber nur einen Teil des als fiktional Erlebten aus. Die Eindrücke sind auch darüber hinaus informativ. Man könnte mal umgekehrt fragen, wie es den Fernsehzuschauern denn realer vorgekommen wäre. Da ist vieles denkbar: Irakische Scud-Raketen schlagen in West-Jerusalem ein und Saddam Hussein fordert den Abzug der Amis aus dem Nahen Osten… Oder Libyens Geheimdienst gelingt es, eine Atombombe aus amerikanischen Raketensilos zu stehlen und droht den USA nun mit einem Vernichtungsschlag…. Solche oder ähnliche Szenarien wären gewiß sensationell, doch zwei Momente der Irritation fehlten ihnen, die der tatsächlich stattgefundene Terroranschlag hervorgerufen hat. Und diese Irritationen rühren daher, daß a) ein Verbrechen ohne Eigennutz verübt wurde, denn die Täter stellten keine Forderung und entzogen sich per Selbsttötung einer möglichen Strafe und b) ein Kriegsakt vorliegt, ohne daß eine Nation an ihr beteiligt wäre. Dafür wurde von der Öffentlichkeit der Begriff des Terrorkriegs geprägt – ausnahmsweise einmal ein sehr passender.

Der Wille der Täter geht freilich weit über das hinaus, was geschehen ist. Das wird schon dadurch deutlich, daß ja nicht nur eines sondern mehrere Flugzeuge benutzt wurden und dies auch nicht nur aus Gründen der Redundanz, also damit wenigstens eins sein Ziel erreicht, und es mit dem Landsitz des Präsidenten, Camp David, zumindest ein weiteres, drittes Ziel gab (die in Pittsburgh abgestürzte vierte entführte Maschine) Die USA sind erschüttert und, was die psychologisch-politische Dimension betrifft, vielleicht auch gedemütigt, aber nicht entscheidend geschwächt [zu den wirtschaftlichen Folgen später mehr]. Dies kann man umgekehrt auch so ausdrücken, daß die Attentäter den USA weit unterlegen sind, sie handelten aus einer Position der Ohnmacht heraus. Aber gerade deshalb wählten sie dieses Kriegsersatzmittel: zivile Flugzeuge umfunktioniert zu Kerosinbombern. Ein Mittel übrigens, das die US-Geheimdienste total verblüffte (was ihnen eine gehässige Kritik der entsprechenden israelischen und französischen Organe einbrachte): Man kann der Zeitungslektüre entnehmen, daß sie auf so ziemlich alles vorbereitet waren, auf High-Tech-Terrorismus jeder Art, für die verschiedensten Szenarien sind Abwehrmaßnahmen erdacht worden, doch mit dieser Sorte Low-Tech-Terrorismus (Flugzeugentführung mit Teppichmessern) haben sie anscheinend nicht gerechnet.

Was bezweckt nun dieses Attentat? Das ergibt sich unmittelbar aus dem bisher Gesagten. Der Angriff auf die Machtpotentiale der USA schlechthin ist bereits der Endzweck und hatte ein Beweisziel: die USA sind verletzlich!
 

C.   Das Attentat – ein Produkt dieser Weltordnung

Die Überschrift ist als These und Antwort auf die Frage, wie so etwas in die Welt kommt, zu verstehen. Zur Begründung soll eben diese Weltordnung wenigstens in groben Zügen angerissen werden.

Die USA sind die einzig übriggebliebene Weltmacht. Mit ihrem beispiellosen Gewaltpotential verfügen sie quasi über ein Abschreckungsmonopol. Darüber hinaus sind sie mit dem Aufbau ihres nationalen Raketenabwehrschirms (NMD) dabei, sich jede Freiheit zum Kriegführen zu verschaffen. Dieser Schirm soll sie auf eigenem Territorium unangreifbar und unverletzbar machen. Anders als jeder andere Staat sind die USA in der Lage, an jedem Ort der Welt einen Krieg zu führen, aus dem sie ziemlich sicher als Sieger hervorgehen werden. Wie benutzen die Amis diese ihre Freiheit? Nicht, um permanent alle andere Staaten mit Krieg zu überziehen, aber schon, um die gesamte restliche Staatenwelt auf die US-amerikanische Gewalt- und Geschäftsordnung zu verpflichten (was dann in den Augen der US-Regierung hin und wieder doch einen Krieg nötig macht…). Die USA verwenden ihre Macht dazu, der übrigen Staatenwelt die Regeln zu diktieren, die ihr nutzen. In allen internationalen Gremien und Organisationen und den entsprechenden multilateralen Abkommen, Gewalt- und Geschäftsfragen betreffend (UNO, NATO, WTO, GATT, MAI usw.), sind sie der maßgebliche, der bestimmende Faktor. Doch auch das Diktieren dieser Regeln ist ja nicht selbst der Zweck, sondern werden erdacht und durchgesetzt (zur Not auch militärisch), um die nationale Bilanz der USA zu verbessern. In einer Bildersprache könnte man auch formulieren, daß die USA, ausgehend von einem besseren Blatt, solche Spielregeln des Kartenspiels bestimmen, die ihren nationalen ökonomischen Ertrag befördern, was wiederum dazu führt, daß sie auf dieser Grundlage ihre militärische Potenz ausbauen können, um genau die Spielregeln zu zementieren, die ihr Blatt weiterhin und stärker begünstigen. Beim Spiel selbst soll es dabei möglichst “zivil” zugehen, die kapitalistische Rechnungsweise soll in jedem Winkel der Erde durchgesetzt und gültig sein. Das Öl der Golfregion beispielsweise soll eben nicht durch US-Soldaten gewaltsam abtransportiert werden, sondern die OPEC-Staaten haben es gefälligst selbständig zu fördern und auf der Rohstoffbörse zu verschachern, damit sich die USA dann auf dem Weltmarkt bedienen können. Um es auf eine einfache Formel zu bringen: die bestimmende Leitlinie der USA ist Gewalt fürs Geschäft für Gewalt fürs Geschäft usw., oder um eine völlig aus der Mode gekommene Vokabel zu gebrauchen: die USA betreiben Imperialismus. Selbstverständlich werden diese imperialistischen Ansprüche nicht so gekennzeichnet, sondern stets als gewissermaßen naturwüchsiges Recht der (überlegenen) amerikanischen Nation formuliert.

Auf der einen Seite gibt es also die USA; der Gewinner einer Weltordnung, die sie durchsetzen. Daneben haben es sich noch einige wenige Subimperialisten (Europa, Japan) im Fahrwasser der USA gemütlich gemacht und schmarotzen von der durch die USA hergestellten, überwachten und gewährleisteten Ordnung, doch dazu unten mehr. Und auf der anderen Seite? Da gibt es massenhaft Verlierernationen. Bei ungefähr 150-180 Staaten hat sich herausgestellt, daß die durchgesetzte Weltordnung ihnen nicht nutzt, sondern immer bloß schadet; sie sind die notwendigen Verlierer in einer Konkurrenzveranstaltung, auf die sie verpflichtet werden. Nur: ein Ausstieg aus dieser Weltordnung stellt für sie überhaupt keine Erfolgsperspektive dar! Wohin sollten denn beispielsweise die Vereinigten Arabischen Emirate ihr Öl auch schon verkaufen?! Und: ein Beseitigen der Weltordnung, ein offener Angriff auf die USA, kommt für sie genauso wenig in Frage, weil dies einem Selbstmord gleichkäme. Eine Nation, die so etwas wagen würde, unterschreibt ihr eigenes Todesurteil; sie wäre wahrscheinlich binnen weniger Tage vom Globus verschwunden, ausradiert durch die amerikanischen Streitkräfte. Die Verlierernationen haben keine Chance am prinzipiellen Kräfteverhältnis etwas zu ändern. Aber sie sind bisweilen in der Lage, unterhalb der weltweit gültigen Prinzipien des kapitalistischen Weltsystems die Kräfteverhältnisse zu verschieben. Und so kommt ein Krieg nach dem anderen in die Welt: Kriege der Verlierernationen untereinander! Iran gegen Irak, Serbien gegen Kosovo, Pakistan gegen Indien usw. und mit Afrika ist nahezu ein gesamter Kontinent in Kriegsscharmützeln involviert (um Rohstoffe, Erze, Wasservorkommen etc.). Wie sich die USA auf solche Konflikte beziehen, bemißt sich stets an ihren eigenen Kalkulationen und umfaßt eine ganze Bandbreite möglicher Antworten; daß sie nahezu jede Regung dieser Art automatisch auf sich beziehen, steht von vornherein fest. Jeder Krieg findet per se unter der Oberaufsicht der Amis statt. Einige Konflikte werden lizensiert, ohne direkt für einen bestimmten Staat Partei zu ergreifen, wenn es ihnen nützlich vorkommt, daß sich zwei Feinde der USA gegenseitig zerstören (Iran-Irak), andere werden mit einer Überlassung der Durchführung des US-Ordnungsinteresses an eine der beteiligten Parteien der betroffenen Region lizensiert (Isreal-Palästina), bei anderen entscheiden sie sich dazu, selbst vor Ort aufzumarschieren (Somalia, Jugoslawien), entziehen also Staaten die Lizenz zum Kriegführen und führen ihn dann selbst…, manchmal mischen sie sich ein, indem Oppositions- oder Geruillabewegungen finanziell und/oder militärisch unterstützt werden (Sowjetunion-Afghanistan), in anderen Fällen, wie in Angola z.B., lassen sie (seit nunmehr 20 Jahren) Bürgerkrieg Bürgerkrieg sein, solange Chevron ungehindert das Öl dieser Region fördern kann und der Diamantenabtransport funktioniert; oder, oder, oder.

Nicht nur, aber insbesondere den arabischen Staaten fällt daran auf, was die letzten Jahrzehnte des Weltgeschehens bezeugen: die USA sind immer der limitierende Faktor aller eigenen Berechnungen der islamistischen Staatenwelt! Der Irak hatte beispielsweise mit der Annexion Kuwaits vor, die Zahl seiner Ölquellen zu vergrößern, um darüber seinen Reichtum zu mehren, der ihm wiederum in die Lage versetzen sollte, seine Machtbasis zu erweitern. Obwohl diese Aktion gar nicht explizit gegen die USA ging und gemeint war, handelte sich der irakische Staat eine Antwort von ihnen ein, die nicht nur seine Berechnung zunichte machte, sondern darüber hinaus die (letzten) Grundpfeiler der gesamten irakischen Nation, die seit dem “Desert Storm” ein Dasein sehr begrenzter Souveränität fristet. Der irakische Staat mußte erfahren, daß zu einer wirklich wirksamen Abschreckung auch gelegentlich die praktische Demonstration der Fähigkeiten des Abschreckungspotentials gehört.

Diese Erfahrung, daß sozusagen keine Rechnung ohne den Wirt gemacht werden kann, haben so oder so ähnlich alle arabischen Staaten gemacht. Daß die USA Feinde haben, ist an sich eine banale Erkenntnis, die sich dennoch lohnt, einmal festzuhalten. Es gibt ganze Staaten, aber auch politisierende Gruppen innerhalb vieler Staaten, die sich durch die USA in ihren Interessen, in dem, was sie in der Welt darstellen, was sie an- und ausrichten wollen bzw. können, beschränkt und gedemütigt fühlen. Genau deshalb gibt es in ihren Augen genügend Gründe für eine Feindschaft gegen die USA. So sind die Attentate tatsächlich Produkt dieser Weltordnung.
 

D.   “Zivilisation vs. Barbarei” ?

Neben dem Vorhandensein klammheimlicher Freude und versteckten Sympathiebekundungen trifft die von den Terror-Organisationen gegen die USA gehegte Feindschaft allerdings auf keinerlei praktischen Zuspruch in der arabischen Staatenwelt. So auch bei diesen Attentaten: Kein arabischer Staat (mit Ausnahme des Irak, der sich offenbar dachte, daß er eh nichts mehr zu verlieren hat…) begrüßte in den öffentlichen Verlautbarungen die Attentate. Aufgrund des Abschreckungsmonopols der USA würde sich kein arabischer Staat trauen, staatliche Machtmittel gegen die USA einzusetzen. Genau deshalb sind es auch Privatorganisationen, die einen “war against America” führen, und deshalb setzen sie folgerichtig nicht-staatliche Mittel dafür ein; in diesem Fall waren es Flugzeuge, die ins WTC stürzen, in anderen könnte es das Vergiften von Trinkbrunnen oder ein Anschlag auf AKWs oder das Versprühen von Bakterien oder chemischen Kampfstoffen sein (also so ungefähr dasselbe Spektrum, das auch die CIA zur Anwendung kommen läßt…). Mit ‚Privatorganisation‘ soll nicht gesagt sein, daß es sich da um Typen handelt, die eine private, persönliche Feindschaft gegen den Bush hegen, weil ihnen vielleicht seine Nase nicht paßt o.ä. Das wird schon dadurch deutlich, daß im vorliegenden Fall eine politische Macht angegriffen worden ist. Die Verlautbarungen der nun übersandten Videobotschaften des El-Kaida-Netzwerks bestätigen dies (auch wenn noch immer kein Bekennerschreiben vorliegt).

Den Führern der freien Welt gemäß handelte es sich bei den Attentaten allerdings nicht nur um einen Akt der Schädigung der amerikanischen Macht, sondern gleich um einen Anschlag auf die heiligsten Werte der zivilisierten Menschheit und “unseren way of life” überhaupt. Bush interpretiert die Anschläge als “Kriegserklärung auf die gesamte freie Welt” und Fischer will sich von den Terroristen keinen “ Krieg der Kulturen” aufzwingen lassen und behauptet, daß es sich da um einen “Wertekonflikt” handelt.

Das ist natürlich gelogen. Als ginge es den bin Ladens dieser Welt darum, daß US-Hausfrauen zukünftig einen Schleier tragen sollen. Gewiß, es wird schon so sein, daß für die Feindschaft gegen die USA die islamische Religion benutzt wird und sie dafür Pate steht, denn daß der amerikanische Staat, der US-Imperialismus gottlos ist, drauf können sich wohl so ziemlich alle “Islamisten” einigen. Nur ist das Entscheidende, daß die Terroranschläge von der Art einer politischen Gegenwehr waren, was diese selbst auch zeigen.

Ebenso falsch und vordergründig wie die These, daß es sich um einen Krieg der Kulturen handeln soll, ist die Antwort, die die Globalisierungsgegner auf die Frage haben, woher denn bloß dieser “Haß und die Verzweiflung” der Terroristen herkommen. Es ist ein ausgemachter Unsinn zu behaupten, die Anschläge wären so etwas ähnliches wie Hungeraufstände! Ganz offensichtlich waren die Flugzeugentführer ja gerade keine verelendeten Opfer der “Globalisierung”; was kümmert es die denn, ob ein afrikanisches Baby verhungert oder nicht??

Nein, die für die Attentate verantwortlichen Gruppen verfolgen keinerlei materialistischen Interessen (das wäre ja auch eine merkwürdige Sorte Materialismus, der mit der Aufgabe des eigenen Lebens kämpft…). Sie sehen vielmehr ihre nationalen Rechte, Rechte ihrer Völkerschaften auf Respekt durch die USA und den Rest der Staatenwelt verletzt. Sie sind politische Überzeugungstäter, Kämpfer gegen die amerikanische Weltordnung und für ihre Sache. In New York und Washington wurde ein Fanal enttäuschter Nationalisten gesetzt.

Auch wenn Ulrich Wickert bei Androhung des Verlusts seines Arbeitsplatzes seine öffentlich gemachte Äußerung über die “Gleichheit der Denkstrukturen von Bush und bin Laden” nicht schnell genug zurücknehmen konnte – seit wann gelten Nation, Staat, Vaterland oder Heimat in der westlichen Welt denn als Un-Werte??! Das sind doch auch hierzulande so ziemlich die heiligsten Werte überhaupt – von wegen “kranke Hirne”. Und was ist mit den Mitteln? Wo soll denn der Unterschied liegen zwischen der geballten Militärmacht, mit der die NATO die Balkanvölker so fundamental “zivilisiert” (“Kollateralschäden” inklusive) und den zu Raketen umfunktionierten Flugzeugen? Worin soll die Differenz bestehen zwischen Elitesoldaten der special forces des US-Militärs, die es als Ehre erachten, für ihre Nation im Extremfall ihr Leben lassen zu dürfen und Selbstmordattentätern, denen das Paradies versprochen wird?

Bush beendet inzwischen jede Pressekonferenz mit “God bless america”, “Dschihad” nennen es bin Laden und seine Jünger. Beide lieben die Gedankenfigur, daß sie von Gott beauftragt sind, von der höchsten Instanz, bei der jede irdische nicht widersprechen kann. Welcher Pfaffe fällt denn den Wortführern des angekündigten und inzwischen begonnenen Feldzugs in den Arm oder wenigstens ins Wort, wer widerspricht denn aus der kirchlichen Fraktion, wenn Bush, Blair und Co. Gott für ihren Kampf gegen das “Böse” bemühen? Aber auf die “religiösen Spinner”, auf die “islamistischen Fanatiker” schimpfen! “Wahnsinn” ist das Vorhaben der Terroristen nur in bezug auf eins: ihnen fehlen alle Mittel dazu!

Zusammenfassend kann man sagen, daß sich die “Barbaren” sämtlich an die Maßstäbe halten, die hier gültig sind, daß sie ein derart ziviles Ziel verfolgen, daß es in keinster Weise zu billigen ist!
 

E.   Die Antwort der USA – Weltinnenpolitik neuen Typs

Bei der Beurteilung, was denn mit den Terroranschlägen nun wirklich getroffen wurde, gab es verschiedene Auffassungen. Die einen meinten, es sei lediglich ein Symbol zerstört worden, andere wiederum merkten an, daß doch auch wirklich Teile des Finanzzentrums und des Apparates, der das amerikanische Militär organisiert, kaputtgegangen sind. Dazu ist folgendes zu sagen: Zum einen verrät schon auch die Auswahl der Ziele der Terroristen etwas darüber. Nicht die Freiheitsstatue wurde gesprengt, keine Hollywood-Studios, und nicht die in Stein gehauene Präsidentengarde. Und zum anderen ist das WTC zwar auch ein Symbol, aber in ihm findet eben auch ein Teil des world trade statt. Daß mit der Zerstörung des WTC auch das Geschäft geschädigt wurde, läßt sich nicht leugnen: wenn ein Drittel der Börsenintelligenzia Amerikas hinweggerafft werden, wenn Airlines und Flugzeugbaukonzerne Börsenstürze erleben und ankündigen, bis zu 300.000 Leute entlassen zu müssen, wenn die Versicherungen ca. 5.000 Lebensversicherungen à 0,5 Mio. Dollar ausbezahlen müssen, weshalb ihre Aktienkurse und die der famosen Rückversicherer ins Straucheln geraten, 13.000 Menschen in New York ihren Arbeitsplatz verloren haben (Handelsblatt) und wenn schließlich allein der materielle Schaden der eingestürzten Gebäude auf 60 Mrd. Dollar beziffert wird, dann ist das zwar nicht der Untergang der US-Ökonomie und die Teilzerstörung des Pentagon ist auch nicht das Ende der amerikanischen Militärmacht, aber geht doch ein bißchen über die Vernichtung eines Symbols hinaus.

Die Börsen taumelten so stark, daß die Wallstreet bzw. die NYSE die zweitlängste Zwangsschließung seit dem Ersten Weltkrieg erlebte; die Spekulanten erwarteten fürs Erste schlechtere Geschäfte; eigentlich war nur eines sicher: alles ist unsicher, also gingen sie raus aus den Aktien und rein in die Rentenpapiere. Interessant in diesem Zusammenhang ist eine Stellungnahme des Chef-Volkswirts der Deutschen Bank, Norbert Walter, die er in einem Interview mit n-tv vom 12.09. abgab. Darin gab er seiner Hoffnung Ausdruck, daß trotz der Anschläge die offene Welthandelsordnung erhalten bleibe und es nicht zu protektionistischen Maßnahmen komme. Er mutmaßte, Bushs “Feldzug gegen das Böse”, könne die Kontraktförmigkeit des Weltstaatengeschäftsverkehrs in Frage stellen.

Was soll das heißen? Damit der internationale Devisen- und Geschäftsverkehr funktionieren kann, bedarf es gewisser Voraussetzungen. Da gibt es Investitions-, Zoll- und Kreditabkommen, Abkommen über Gewinntransfers, Regeln die Freizügigkeit betreffend, Visa- und Aufenthaltsbestimmungen, Arbeitsgenehmigungen, Währungen müssen konvertierbar sein, es gilt, das Privateigentum zu schützen, die Einhaltung von Verträgen aller Art muß überprüft werden usw. Die Gewährleistung dieser rechtlichen Voraussetzungen geschieht im Inneren durch die jeweiligen staatlichen Souveräne und international einigen sich diese untereinander per Willenserklärung und Unterschrift unter Verträge (Kontrakte) in bi- oder multilateralen Abkommen. Was Walter also befürchtet, sind zwei mögliche Folgen. Zum einen könnten durch die Reaktionen der Amis (von denen man noch nicht genau sagen kann, wie sie konkret aussehen und für welchen Zeitraum sie vorgesehen sind, aber die Konturen beginnen sich abzuzeichnen, seit die USA Afghanistan zerbomben) Staaten geschäftsunfähig gemacht werden, ganz einfach indem ihre materiellen Voraussetzungen zur Aufrechterhaltung einer innerstaatlichen Ordnung zerstört werden. Und zum anderen könnten die Maßnahmen dazu führen, daß andere Staaten es sich mit ihrem Willen zur Teilnahme am Weltmarkt nochmal anders überlegen, aussteigen, ihr eigenes Ding machen, sich versuchen abzuschotten.

Diese Befürchtungen und Mutmaßungen, die den Gedanken des Flächenbrandes enthalten, sind nicht völlig aus der Luft gegriffen, denn die USA antworten ja auf eine ganz bestimmte Weise: Sie erklären sich nicht nur von einem Kriegsakt getroffen, sondern erklären ihrerseits einen Krieg – ohne einen konkreten Staat zu nennen, der dieser Kriegserklärung gelten würde. D.h. aber im Umkehrschluß, daß es jeden treffen kann. Diese Kriegserklärung, die einen maßlosen Standpunkt verrät und den sich nur die verbliebene Weltmacht leisten kann, enthält andererseits ein Moment der Verlegenheit: es fehlt einfach eine eindeutig zu benennende Hauptstadt. Dennoch halten die USA an ihrem Standpunkt der Maßlosigkeit fest, den Bush – ansonsten ja nicht unbedingt der begnadetste Rhetoriker – in einem einzigen Wort zusammenfassen kann: “ Herbergsväter”! So wird dann doch jeder Staat Adressat der amerikanischen Kriegserklärung.

Das Verhältnis der politisierenden bzw. terroristischen Gruppen zu ihren jeweiligen Staaten kann ganz unterschiedlich beschaffen sein. So genau weiß man es in den meisten Fällen ja gar nicht zu sagen. Wahrscheinlich gibt es alle Varianten zwischen direkter Unterstützung durch einen Staat und einem (gemäßigt) oppositionellen Verhältnis. Liegt der Fall so, daß direkt ein Staat hinter den Organisationen steckt, zeugt es davon, daß sich diese Staaten diese privaten Terrororganisationen eben ausgesucht haben, weil sie sich als Staat nicht trauen würden, die USA anzugreifen. Die Orientexperten, die zu dieser Frage zu Wort kommen, gehen allerdings davon aus, daß die meisten Terrororganisationen ein eher distanziertes Verhältnis zur eigenen Staatsführung haben, weil auch die häufig als Verräter an der eigenen, nationalen Sache angesehen werden. D.h. es ist eher nicht so, daß die Terrororganisationen als Instrumentarium des Staats fungieren und benutzt werden, auch wenn die USA es so sehen (Übrigens ist auch in Saudi-Arabien die Sache bin Ladens hoch angesehen, weil sie im Geiste dieser Nation ist. Der persönliche Bruch bin Ladens mit dem saudischen Establishment geschah bekanntermaßen erst durch die Entscheidung des saudischen Königs, den USA ihre Luftwaffenstützpunkte für den Krieg gegen Saddam Husseins Irak zur Verfügung zu stellen.). Für den Standpunkt der USA ist das alles nicht von belang: im Prinzip gibt es keine Terroristen, ohne daß ein Staat sie gewähren lassen, zumindest beherbergen würde…

Was sich da in dem Begriff des Herbergsvaters zusammenfaßt, ist nicht die Formulierung eines außenpolitischen Anspruchs an die “Schurkenstaaten” etwa (da sind gewissermaßen die Frontlinien geklärt) sondern einer an die Innenpolitik (nicht nur) dieser Staaten. Nicht nur nach außen gehören sich keinerlei antiamerikanischen Umtriebe, auch im Inneren aller Staaten soll eine pro-amerikanische Einstellung durchgesetzt werden. Daß das keine einfache Aufgabe ist, wissen die USA selbst am besten, die bei ihrem Vorhaben auf allerlei Hindernisse stoßen, weshalb sie schätzen, daß ihr Feldzug mindestens mehrere Jahre dauern wird und klassische und nicht-klassische kriegerische Mittel genauso einschließt wie geheimdienstliche und diplomatische. Nebenbei bemerkt bezeugt diese Einschätzung übrigens, daß die USA selbst durchaus ein Bewußtsein von der gegen sie vorhandenen Feindschaft haben. Weltweit und dauerhaft (“Enduring Freedom”) soll jede Feindschaft gegen die USA beseitigt werden; und das ist etwas völlig anderes, als das selektive Zerbomben eines unbotmäßigen Staats (wie seinerzeit beim Irak). Wenn die Metapher vom Welt(innen)polizisten USA je wahr war, dann jetzt.

Die USA stellen jeden Staat unter einen Souveränitätsvorbehalt gemäß ihrer Devise der durchgreifenden Terrorismusbekämpfung. Sie begreifen es als Notwendigkeit einerseits und Gelegenheit andererseits, eine Neusortierung der Staatenwelt vorzunehmen: “Jedes Land muß sich entscheiden: Entweder ihr seid für uns oder für die Terroristen.” (Bush). Notwendig ist es vom Sicherheitsaspekt her; sie wollen die Garantie, daß ihnen so etwas nie wieder passieren kann. Und wie bewerkstelligt man dies am besten, was ist die bester aller Präventionsmaßnahmen? Klar, man “packt das Übel an der Wurzel”, indem man den “gesamten Sumpf, den Nährboden des Terrorismus‘ trockenlegt”. Die USA legen den so angesprochenen Herbergsstaaten eine neue Agenda vor, die eine komplette Umdefinition ihrer bis dato gültigen, prioritären nationalen Interessen und Anliegen bedeutet. Und hinzukommt, daß die Amis es nicht im geringsten interessiert, ob diese Staaten überhaupt die Mittel dazu haben. Sie werden dennoch in diese “Anti-Terror-Koalition” eingebunden, indem man sie schlicht dazu erpreßt. Ein schönes Beispiel dafür liefert Pakistan, einer der drei Staaten, die das afghanische Taliban-Regime anerkannten. Vermochten die ökonomisch-militärischen “Bestechungsversuche” seitens der USA (Zusage von Wirtschaftshilfen, günstigere Kreditkonditionen beim IWF, Aussicht auf militärische Hilfe im Kampf gegen den Erzfeind Indien im Konflikt um die Kaschmirregion etc.) allein die pakistanische Führung noch nicht gänzlich zu überzeugen, den USA ihr Territorium für Kriegshandlungen gegen Afghanistan zur Verfügung zu stellen, änderte sich dies schlagartig mit der Bekanntgabe, daß in den Computern der Flugzeugträger und Atom-U-Boote der US-Seestreitkraft auch pakistanische Zielkoordinaten einprogrammiert sind. Man mache sich klar, vor welche Wahl da Pervez Musharraf, General des Militärregimes und Staatsschef Pakistans, seinerzeit durch einen Militärputsch an die Macht gekommen, gestellt wurde. Arbeitet er wirklich mit Washington zusammen, droht eine Revolte im eigenen Land – die islamistischen Fraktionen Pakistans sitzen als gesellschaftliche Kraft auch in den höchsten Gremien des Landes, es gibt islamistische Oppositionsparteien im Parlament etc. –, verweigert er sich, droht ein US-Bombenhagel. Vorerst hat er sich entschieden, lieber nicht auf der schwarzen Liste der “Terrorismus unterstützenden Staaten” zu stehen. Die Folgen davon kann man nun täglich in der ‚tagesschau‘ begutachten oder in der Zeitung nachlesen.[1]

Soetwas umfaßt eben auch die Antwort der USA, beim Verteidigen ihrer Werte: Sie suchen sich einen Putsch-General und versehen ihn mit Auflagen, wie er seinen “implodierenden” Staat (so heißt das neuerdings) unter Kontrolle zu halten hat – der US-Außenminister Powell sagte, der pakistanische Machthaber Musharraf habe “kühn und mutig” gehandelt, als er sich der weltweiten Koalition gegen den Terrorismus angeschlossen habe. Das kann man wohl sagen…
 

F.  Der Standpunkt der Europäer und der NATO-Bündnisfall

Anders als im Falle Pakistans brauchen die europäischen Verbündeten der USA keine Kriegsdrohung, müssen nicht erst Flugzeugträger in der Nordsee stationiert werden, damit sie die von den USA angesagte globale Terrorismus-Bekämpfung als ihr eigenes Anliegen begreifen. Das wird schon durch das schnelle und entschlossene Handeln der jeweiligen Regierungen deutlich. Auch die rot-grüne Bundesregierung setzt neue Prioritäten und stellt die bis zum 11. September als vorrangig behandelten Tagesordnungspunkte ein wenig zurück [2]. Das erste “Sicherheitspaket” ist bereits verabschiedet, ein zweites ist auf dem Weg. Neben unmittelbaren Maßnahmen zur Erhöhung der Flugsicherheit wird u.a. beschlossen, das Religionsprivileg aus dem Vereinsrecht zu streichen, was insbesondere ausländische Vereine betrifft (eine Gratwanderung, denn eine prinzipielle Ausländerfeindschaft ist nicht erwünscht). Ferner sollen verstärkt Bewegungen im Internet und eMails überwacht bzw. durchleuchtet werden, das Bankengeheimnis wird gelockert und dubiose Finanzströme werden vermehrt kontrolliert usw. Darüber hinaus wird über eine generelle Erfassung sog. biometrischer Daten (Fingerabdrücke, Gesichtsproportionen) nachgedacht. (Dagegen nimmt sich die sagenhafte Geruchsproben-Datenbank der Stasi fast ein bißchen matt aus.) Diese innenpolitischen Maßnahmen machen deutlich, daß sich die europäischen Staaten gewissermaßen in die terroristische Bedrohung selbst mit hinein definieren, und zwar ganz unabhängig davon, ob ihre Geheimdienste objektiv ermittelt hätten, daß sie genauso auf einer Liste möglicher Ziele der Terroristen stünden wie die USA. Vielmehr beschließen sie, die von den USA angesagte globale Terrorismus-Bekämpfung auch zu ihrer Sache zu machen.

Woher diese Einmütigkeit der Europäer in dieser Frage und die nicht nur bekundete sondern auch praktizierte Solidarität mit ihrem Seniorpartner kommen, ist kein großes Geheimnis: Weltweit stehen die USA als Garanten ihrer Weltordnung für die politische und ökonomische Geschäftsgrundlage gerade, von der vor allem auch die europäischen Mitmacher profitiert haben. Deutschland und die EU haben sich unter dem Schutzschirm Amerikas in aller Welt ausgebreitet und sich so zum ernsten Konkurrenten hochgearbeitet. Und insofern sind eben die Europäer tatsächlich vom terroristischen Anschlag auf diese Weltordnung mit-betroffen. Wenn die Abschreckungsfähigkeit der USA beschädigt wird, die auch die Grundlage für die Machtentfaltung und ökonomische Potenz der Juniorpartner darstellt, dann sind auch letztere geschädigt. Deshalb sind auch die Solidaritätsbekundungen von Schröder keine bloßen Lippenbekenntnisse, ist der demonstrative “Schulterschluß mit unseren amerikanischen Freunden” keine pure Heuchelei. Dennoch kürzt sich die Position der Europäer nicht auf die eines reinen Vasallen der USA zusammen. Auf die schlichte Funktion eines Erfüllungsgehilfen des neuen durchschlagenden US-Ordnungsinteresses – in allen Staaten soll auch nach innen eine pro-amerikanische Haltung durchgesetzt werden – dessen Ziele und Mittel und damit auch dessen eventuelle Folgen für alle Mitmacher alleine die USA bestimmen, will man sich nicht degradieren lassen. Es gilt schließlich, das jeweilige nationale Eigeninteresse nicht aus den Augen zu verlieren.

Alle Reaktionen und Stellungnahmen der Europäer folgen der Dialektik des gleichzeitigen Vasallen- und Konkurrentendaseins im Bündnis mit den USA. Sie sind deshalb stets von einer entsprechenden Doppelbödigkeit geprägt. Es begann schon ganz unmittelbar nach den Attentaten mit dem Streuen von Bedenklichkeiten hinsichtlich der zunächst für sehr wahrscheinlich gehaltenen Reaktion der Amis: “mögen sie um Himmels willen besonnen bleiben!” Der Verdacht, daß die USA aus lauter Rachegefühlen heraus beginnen würden, blindwütig und aus der Hüfte um sich zu schießen und “wir” dann die möglicherweise negativen Konsequenzen davon auszubaden hätten, war sofort präsent.

Aufschlußreich für die Bestimmung des Verhältnisses der USA zu ihren europäischen Verbündeten ist auch die Aktivierung von Artikel 5 des NATO-Vertrags durch die USA am 12.09. (der endgültige Beschluß darüber wurde am 02.10. gefaßt) und die Reaktion seitens der Europäer, insbesondere Deutschlands, darauf. Für sich genommen mutet der Beschluß, daß der Bündnisfall eingetreten sei (der die NATO-Verbündeten zum Beistand zu einem von außen durch einen kriegerischen Akt angegriffenen NATO-Mitgliedsland verpflichtet), absurd an. Es soll ein Bündnisfall vorliegen, aber gegen wen der sich eigentlich richten soll, weiß man nicht genau anzugeben. Deshalb waren auch die besten Vertragsjuristen irritiert und einigermaßen überfordert, zu sagen, was denn nun die konkreten Konsequenzen wären. Das liegt aber nur an ihrer juristischen Sichtweise, denn was es praktisch bedeutet, liegt auf der Hand: die USA lassen sich für alle Maßnahmen, die sie im Rahmen ihres Feldzugs als geboten erachten, von den NATO-Partnern einen Persilschein ausstellen und verpflichten sie zur Bündnistreue, ohne daß sie auch nur den geringsten Einfluß darauf hätten, ob und wie sie an den Maßnahmen beteiligt werden. Selbstverständlich weigert sich Deutschland nicht, beim “Krieg gegen den Terrorismus” unter der Führung der USA mitzumachen: “Schröder sagte in einer Erklärung am 12. September 2001 in Berlin, die NATO habe wegen der terroristischen Anschläge auf die Vereinigten Staaten von Amerika ihre volle Solidarität auf der Grundlage von Artikel 5 des NATO-Vertrages erklärt. Die Zustimmung der deutschen Bundesregierung im NATO-Rat erfolgte auf der Grundlage eines Beschlusses des Bundessicherheitsrates.” (www.bundesregierung.de)

Aber gerade unter Berufung auf die von Washington eingeforderte Zuständigkeit der NATO, beharrt Schröder darauf, daß dann die Antwort auch eine des Bündnisses sein muß und nicht ein Alleingang der USA, was er in einer Regierungserklärung vom 19.09. wie folgt ausdrückt: “Natürlich: Jedes Recht korrespondiert mit Pflicht. Aber umgekehrt gilt: Auch mit einer Bündnispflicht korrespondiert ein Recht. Und das heißt: Information und Konsultation.” (www.bundesregierung.de)

Schröder besteht also darauf, daß Deutschland und Europa ein Mitspracherecht zukommt. Und weiter heißt es: “Zu Risiken, auch im Militärischen ist Deutschland bereit, zu Abenteuern nicht. Diese werden von uns dank der besonnenen Haltung der amerikanischen Regierung auch nicht verlangt und sicher auch nicht verlangt werden.” Der Kanzler unterstellt den Amerikanern im ersten Satz einen ziemlichen Hang zum Abenteurertum, der durch eine deutsche Mitwirkung gebremst werden muß. Zugleich weiß Schröder aber auch, daß er von den Beschlüssen der Amis abhängig ist, daß er aus eigener Kraft eine “besonnene Haltung” gar nicht herzustellen in der Lage ist. Mit der Feststellung im zweiten Satz, daß von Deutschland auch gar keine Abenteuer verlangt seien, tut er so, als sei die gerade so eingeforderte Mitbestimmung Deutschlands bereits gegessen. Grundlage dieser Einschätzung ist hierbei, daß das Kräfteverhältnis zwischen den USA und Europa eindeutig verteilt ist: Die USA können aus eigener Machtvollkommenheit den “Feldzug gegen den Terrorismus” führen. Für Gewaltaktionen jeder Größenordnung besitzen die USA die entsprechenden Gewaltmittel selbst und sie sind für die von ihnen ausgerufenen Kriege nicht auf die militärische Unterstützung ihrer Juniorpartner angewiesen. Allerdings tut sich auch die überlegene amerikanische Macht um einiges leichter, wenn sie auf die politische Rückendeckung und die Benutzung z.B. Deutschlands als “logistischer Drehscheibe” zählen kann. Das weiß natürlich auch ein Schröder ganz genau und fordert für seine Unterstützung Mitbestimmungsmöglichkeiten bei den Amerikanern ein.

Seither läßt die Bundesregierung nichts unversucht, sich bei der Operation ‚Enduring Freedom‘ einzuklinken, indem sie den Amis mindestens dreimal täglich militärische Beiträge der Bundeswehr anbietet (wem dazu “Anbiedern” einfällt, liegt nicht besonders falsch), obwohl die doch angeblich noch gar nicht fit ist für Kriege des modernen Zuschnitts. Der europäische Anspruch schrumpft darauf zusammen, sich ein Mitspracherecht beim US-Feldzug zu erkämpfen und sie betteln deshalb um ein Recht des Mitschießens. Dabei geht es weniger darum, die konkreten militärischen Aktionen aus- oder mitzugestalten. Perspektivisch mit dem Anspruch der USA konfrontiert, zukünftig in und mit der NATO für eine Weltkontrolle einzustehen, in der alle Staaten bei sich antiamerikanische Umtriebe zu unterbinden haben, sehen sich die Europäer ernstlich in ihrer Autonomie bedroht, sehen sich in ihren ökonomischen und politischen Einflußmöglichkeiten, die sie nach ihren eigenen nationalen Kalkulationen gestalten wollen, zurückgedrängt und insgesamt gefährdet. Fürs Erste sind gewissermaßen die ‚gemütlichen‘ Zeiten vorbei, in denen man im Fahrwasser des US-Imperialismus die stets eigenen europäischen Süppchen kochen konnte. Für die europäischen Verbündeten geht es nun darum, sich nicht zum puren Befehlsempfänger des Pentagons degradieren zu lassen. Und so wird der Kanzler nicht müde zu betonen, daß es keinen amerikanischen Alleingang geben soll, daß auch die Europäische Union einen Beitrag leisten muß.

Und inzwischen ist es ja auch soweit: die deutschen Streitkräfte dürfen sich an der “Bekämpfung des internationalen Terrorismus” beteiligen. Woran Schröder denkt, was er im Auge hat, spricht er in der Regierungserklärung vom 08.11. selbst aus: “Auf die Staatengemeinschaft kommen in diesem Zusammenhang [bei der Überwindung des Talibanregimes] langfristig enorme Aufgaben zu. Das gilt vor allem für die Europäische Union. Ich bin der Auffassung, daß in dem Prozeß, den man Post-Taliban-Prozeß nennt, nicht nur die Nationalstaaten, die ganz natürlicherweise Adressat der Beistandserwartungen der angegriffenen Amerikaner waren und sind, Gesicht zeigen müssen, sondern daß […] vor allem auch das integrierte Europa, das dabei ist, eine gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik zu schaffen, Gesicht zeigen und seine Rolle wahrnehmen muß. Wir in Deutschland treten dafür ein, daß dies für Europa möglich wird und dann auch so geschieht.”( www.bundesregierung.de)

Schröder, Blair und Chirac geht es also bereits um die Zeit nach dem Afghanistan-Krieg, um ihre Einflußsphäre des Vorderen Orients insgesamt. Plötzlich hört man ja auch, daß Deutschland schon seit dem ersten Weltkrieg besonders gute Beziehungen zu Afghanistan unterhält. Fischer reist ein ums andere Mal in die Region und vermittelt den dortigen Regierungschefs im wesentlichen das, was die USA auch von ihnen verlangen, betont aber gleichzeitig immer die wichtige Rolle Europas usw. usf. Einerseits wird stets auf die Feststellung Wert gelegt, daß es zwischen den USA und Europa keinerlei Differenzen gäbe und andererseits kann man an jeder Reaktion der Europäer ein Dementi davon ablesen.

Was sich die Europäer also vom Mitschießen versprechen, verrät uns der Kanzler dankenswerterweise selbst: “Frage: Und wenn die Europäer mitmachen, können Sie auch mitreden? Antwort: Wir reden natürlich mit, sowohl, was die Stäbe angeht als auch, was die politischen Entscheidungen angeht. Aber natürlich ist es so, daß derjenige, der militärisch hilft, mehr Einflußmöglichkeiten hat, als der, der Abseits steht. Das kann doch gar keine Frage sein.” (Schröder im Gespräch mit den ZDF-Redakteuren Bellut und Bresser im ZDF am 16.11.)

Ob die USA das auch so sehen, ob sie solche Kalkulationen überhaupt zulassen, oder ihnen was husten, wird man sehen…
 

Fußnoten

[1] “In den Metropolen des Landes herrscht Ausnahmezustand. In Grenzstädten wie Quetta und Peshawar geraten fast täglich Polizei und Islamisten aneinander. Bisherige Bilanz der Zusammenstöße: Zwölf Todesopfer und dutzende Verletzte. Die Stante-pede-Maßnahmen, welche die Militärregierung von Präsident Pervez Musharraf als Reaktion auf die Unruhen anordnete, zeugen von der zunehmenden Nervosität der Machthaber in Islamabad. Trotz aller Beteuerungen Musharrafs, dass die Zahl der Aufständischen lediglich ”eine kleine Minderheit sei, die nur wahrgenommen werde, weil sie laut schreit” verstärkten Armee und Polizei massiv die Sicherheitsvorkehrungen.

Verhaftungen von Fundamentalistenführern
In Blitzaktionen wurden hunderte Fundamentalistenführer verhaftet oder unter Hausarrest gestellt. Zudem nahm Musharraf persönlich Umstruktierungen in den eigenen Reihen vor. So wurden der mächtige Chef des Geheimdienstes ISI (Interservice Intelligence), Mahmood Ahmed, sowie zwei des Sympathisierens mit den Islamisten verdächtige Generäle kurzerhand ausgetauscht. Umbesetzungen in den niederen Rängen folgten. Das Ziel ist klar: Den radikalen Islamisten, die es auch in den Streitkräften gibt, soll für künftige Auseinandersetzungen jegliche Basis entzogen werden.

Putsch-Spekulationen
Ob dieser ”Coup von oben” den gewünschten Effekt zeugt, muss sich allerdings erst herausstellen. Als im Hauptquartier der Armeeführung in der Stadt Rawalpindi, die nur zehn Kilometer von Islamabad entfernt liegt, keine 24 Stunden nach den Umbesetzungen ein Feuer ausbrach, wurde in den heimischen Medien sofort über einen bevorstehenden Putsch spekuliert. Die Militärs beharren auf der Version, dass lediglich ein Kabelbrand das Feuer verursacht hätte.”
(Der Standard, Österreich, vom 22.10.2001)

[2] Die “Bekämpfung der Arbeitslosigkeit” stünde z.B. an, Schily bastelt an einem neuen “Zuwanderungsgesetz”, die Bundeswehrreform kommt nicht recht voran, obwohl die Bundeswehr in Mazedonien zum ersten Mal ein Oberkommando über internationale “Friedenstruppen” innehat, die Gesundheitskosten “explodieren” mal wieder, die “Riester-Rente” muß eingeführt werden, die Umstellung auf den EURO steht an, Eichel will weiterhin an dem Kurs der “Haushaltskonsolidierung” festhalten, usw. usf.


contradictio - 2006