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 Rentenreform 2004

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Über das Märchen eines biologischen
Problems

Oder: Wenn man durch Arbeit nicht reich wird, wie der Volksmund sagt, dann ist klar, dass die Altersrente die lebenslange Armut der Arbeit-nehmer besiegelt.

I. Einleitung

In Deutschland gibt es seit geraumer Zeit ein soziales Problem mehr, das gern in Form von Bildern vorstellig gemacht wird: Babies stemmen Hanteln auf denen ältere Menschen sitzen, Arbeitnehmer kriegen 3 Rentner auf die Schultern gepackt, an denen sie schwer zu tragen haben, ja kurz vor dem Zusammen-brechen sind, oder es werden – für das etwas gebildetere Publikum – die beliebten Alters-pyramiden gezeigt, die vor x Jahrzehnten mal eine breite Basis hatten und nun, da sich in y Jahrzehnten ihre Form umgekehrt haben wird, eine fürchterlich wackelige Angelegenheit sein sollen.

In Kurzform lautet das Problem: Viel zu viele Deutsche werden viel zu alt, die Rentenempfänger werden immer mehr und älter, die Arbeitnehmer daran gemessen immer weniger, es droht eine „Vergreisung der Republik“, die Deutschen „sterben (mal wieder) aus“, so heisst es.

II. Vereinsamung?

Warum aus dem Umstand, dass demnächst vielleicht nur noch 60 oder 70 statt der heute 80 Millionen Menschen sich auf dem Gebiet der BRD rumtollen, ein Problem resultieren soll, ist zunächst mal gar nicht einzusehen. Eine geographisch bedingte Vereinsamung wäre ganz bestimmt nicht die Folge, evtl. gäbe es sogar besser bezahlbaren Wohnraum, die öffentlichen Verkehrsmittel wären zur Rush-hour etwas leerer, die Staus auf den Autobahnen kürzer, vielleicht würde sogar die Zahl der Arbeitslosen ein bisschen sinken... Daran wird offenbar nicht gedacht, wenn es um das Demographie-Problem geht. Das Problem scheint also nicht so sehr die absolute Bevölkerungszahl zu sein (dazu noch eine Anmerkung weiter unten), sondern das Verhältnis von jung zu alt, aktiv zu passiv, Arbeit-nehmerzahl vs. Rentnerzahl. Dies wird mit dem Bild des Arbeiters, der demnächst ein bis zwei Alte mitzuernähren hat veranschaulicht. Dieses Bild hat eine wahre und eine ideologische Seite.

III. Die ideologische Seite

Das Bild sieht so aus: Immer mehr Esser zehren aus einem Topf, der von immer wenigen aktiven Beschäftigten mit Gütern gefüllt wird, so daß diese Art Alte zu ernähren, nicht mehr haltbar ist. Die Versorgung, der Jungen wie der Alten, wird mit diesem Bild als ein Zweck vorgestellt, um den es in diesem System ginge, der dann aber angesichts der Relation jung zu alt scheitert, nicht mehr durchzuhalten ist. Knappheit und Mangel sind notwendigerweise die Folge. Ein so gemaltes Bild ist in mindestens zweifacher Hinsicht falsch:

  • angesichts von Autohalden, Milchseen und Fleischbergen kann man nicht ernsthaft behaupten, daß in dieser Überfluss-, Konsum-, Wegwerfgesellschaft ein Mangel an sachlichen Gütern herrscht;
     

  • und selbst wenn das so sein sollte: könnte man mit dem Einsatz der momentan gar nicht angewendeten 5 Millionen arbeitslosen Arbeits-kräften nicht genügend Nachschub an nützlichen dinglichen Mitteln produzieren, um das Ärgste abzuwenden? Die technischen Mittel hierfür stünden jedenfalls bereit, wenn man bedenkt, dass pro Monat 3000 Betriebe wegen Insolvenz geschlossen werden und das Inventar vor sich hingammelt.

Und ist nicht die Zunahme an Rentnern, gerade von Frührentnern in großer Zahl, die für die Herstellung des Reichtums und des Wachstums nicht gebraucht werden, und die allesamt auch noch immer älter werden – ganz umgekehrt – nicht ein Indiz für den Reichtum dieser Gesellschaft, für die Produktivität der werktätigen Massen und für den wissenschaft-lich-technologischen Fortschritt? Es ist kein Problem, alte Menschen mit künstlichen Hüftge¬lenken, Prothesen, Bypass-Operationen und allerlei Gerätemedizin bisweilen 90 Jahre und älter werden zu lassen. Und haben die Erwerbstätigen, die ihre Hände benutzen, um den tatsächlich sachlich verfügbaren Reichtum zu produzieren neben den Rentnern nicht auch noch ganz andere Personengruppen auf dem Buckel? Man denke beispielsweise an die Horden von Parlamentariern, Soldaten, Richtern und Anwälten, Professoren und Lehrern, Unternehmensberatern, Werbefuzzis, Immobilienmaklern und Finanzjongleuren, Künstlern und Pastoren, die allesamt nicht einen Handschlag tun aber dennoch gut essen. Nicht das hier ein falscher Eindruck entsteht: es sei ihnen gegönnt. Aber es soll ein Hinweis darauf sein, wieviel die stattfindende Arbeit hergibt, deren Produktivität im übrigen allein in den letzten 10 Jahren um ca. 25 % gestiegen ist.

Von Mangel und Knappheit, weder an sachlichen Gütern noch hinsichtlich der Fähigkeit solche herzustellen, kann in dieser Gesellschaft nicht die Rede sein, obwohl in diesem Bild von einem gemeinsamen Gütertopf so getan wird als ob. Andererseits: Der Reichtum der Gesellschaft, auf den hier verwiesen wird, ist nicht derselbe wie der Reichtum – oder besser gesagt die Armut - der arbeitenden Bevölkerung, die die Konsumgüter herzustellen hat. Da kommt es schon mal vor, daß das ZDF eine Reportage über Rentner sendet, in der dargestellt wird, wie sie versuchen mit einer kärglichsten Rente zu existieren. Altersarmut nennt man das. Welches Ausmaß diese, insbesondere unter den Rentnerinnen, erreicht hat, ist der folgenden Grafik zu entnehmen (zum Vergrössern auf die Grafik klicken).

Am 1. Juli 2002 betrug für Männer in der gesetzlichen Rentenversicherung die Höhe des durchschnittlichen Rentenzahlbetrags für Versichertenrenten 990 Euro/mtl für Frauen 518 Euro.

Die erreichte Armut unter den Rentnern ist ein Indiz dafür, dass der in der Gesellschaft reichlich vorhandene Reichtum für die Verköstigung dieser Leute und zu ihrer Wohlfahrt nicht eingesetzt wird. Es mag also in dieser Gesellschaft ein schwerwiegendes Problem mit der Altersrente geben, aber dieses Problem liegt garantiert nicht darin, dass es zu wenig Güter gibt, mit denen die Jungen, die sie herstellen die Alten miternähren könnten, oder dass es an der Fähigkeit gebricht, die sachlichen Güter für die Verköstigung von Jung und Alt zu vermehren.

Aus der Propaganda-Abteilung des BMGS

Übrigens, wenn es tatsächlich ganz schlimm käme, wenn das verlogene biologische Bild – wenn ein Volk ausstirbt, dann sind zu wenig Kranken-schwestern da, die die Greise versorgen können – auch annäherungs-weise wahr wäre, dann könnten – dank des medizinischen Fortschritts – die Alten selbst sogar ein bisschen mithelfen, ein durchschnittliches Rentner¬dasein dauert momentan 12 (Männer) bzw. 20 (Frauen) Jahre; so 2-3 Stunden könnten gewiss einige Rentner mit anpacken; viele von ihnen wären sogar dankbar darüber (das ist allerdings ein anderes Thema). Wenn aber bereits heute ein Drittel aller Betriebe keine Mitarbeiter mehr beschäftigt, die älter als 55 Jahre alt sind, dann merkt man: Der Kapitalismus funktioniert eben anders, er ist nicht für die Sozialrentner eingerichtet!

IV. Die wahre Seite

Die wahre Seite des Bildes fehlt noch und besteht in folgendem: Dass die jungen Aktiven, die arbeiten bzw. arbeiten können, die Alten miternähren – das ist keine Besonderheit des Kapitalismus. Das ist in allen Gesellschaften so. Das ist bei den alten Pharaonen so gewesen, das war im Feudalismus so, und das ist auch im Kapitalismus so. Dieser Sachverhalt ist so banal, dass man ihn kaum aussprechen mag. Brot backen, Häuser bauen, Kleidung herstellen, Alte pflegen – das kann nur jemand tun, der seine Hände noch bewegen kann und sie dafür auch bewegt. Das ist das Produkt der aktiv Arbeitenden. Und wenn ein Alter das eben nicht mehr kann und sich trotzdem ernähren will ja dann ernährt er sich eben von dem Arbeitsprodukt derer, die noch arbeiten können. Insofern ist das immer so, dass die Jungen mit ihrem Arbeitsprodukt, die Alten, die nicht mehr Schaffen, miternähren. Die Brisanz und Niedertracht des Kapitalismus liegt darin, wie er das organisiert. Das soll nun in den folgenden Punkten dargestellt werden.

V. Biometrisches Risiko

Der ökonomische Ausgangspunkt eines gewöhnlich Sterblichen, sofern nicht im Besitz von Produktionsmitteln, ist ein massives Erpressungs-verhältnis und besteht in dem Grundsatz: wer nicht arbeitet soll auch nicht essen. Klar, dass einem gebratene Tauben in den Mund fliegen, ohne auch nur einen Handschlag dafür getan zu haben, das gibt es nur im Schlaraffenland. Das ist nicht der Witz. Der Witz ist, dass man überhaupt nicht Subjekt der Entscheidung darüber ist, ob man überhaupt eine Anstellung findet. Das hängt davon ab, ob es einen Unternehmer gibt, der meint, dass die Anstellung in sein Renditekalkül passt, ergo ihn bzw. den Betrieb reicher macht; ein Skandal, über den sich schon lange niemand mehr aufregt. Ob man hierzulande überhaupt einen Lohn beziehen kann, ist eine höchst unsichere Sache. (Dass die ca. 5 Millionen Arbeitslosen alle selbst gekündigt haben sollen, ist allenfalls ein absurdes Gerücht.) Die Härte des Erpressungsverhältnisses, schlägt bei den Rentnern auf besondere Weise zu. Die Alten, die körperlich nicht mehr in der Lage sind den Anforderungen eines aufreibenden Arbeitslebens nachzukommen, werden ausgemustert. Die meisten längst bevor sie das staatlich definierte Rentenalter von 65 (Männer) bzw. 60 (Frauen) erreicht haben. Für diese Leute gibt es in dieser Gesellschaft ein „biometrisches Risiko“ (Rürup-Kommission), gegen das die Rentenversicherung versichern will. Ein biometrisches Risiko – worin besteht das? Das besteht darin, dass diese alten Ausgemusterten eine Lebenszeit haben, die grösser ist als ihre Lebens-arbeitszeit. Da fallen Biologie und Ökonomie auseinander. Es ist in dieser Gesellschaft ein Risiko, länger zu leben, als man in der Lage ist zu arbeiten, weil mit dem Ausgemustertsein die Einkommensquelle entfällt. Eine schöne traurige Wahrheit, die die Rürup-Kommission da ausspricht. Selbst wenn ein Arbeitsleben 30 oder 40 Jahre gedauert hat, also eine Anstellung gefunden wurde, ist es in der Mehrzahl aller Fälle so, dass während dieser Zeit kein Vermögen angehäuft werden konnte, von dem man im Alter dann zehren und sich ein nettes Leben machen könnte.

Oben wurde darauf gedeutet, welchen Reichtum Lohnarbeit schafft – aber eben nicht für diejenigen, die ihn produzieren. Und im Alter wird das offenbar. Der Sozialstaat anerkennt diesen Umstand. Er anerkennt, dass Leute nach 30, 40 Jahren ihres Arbeitslebens ausgespuckt werden aus einer Wirtschaft, die für ihre Verköstigung nicht weiter zuständig ist, und die nicht in der Lage sind, sich ihr eigenes Leben im Alter zu gestalten. Er anerkennt dies – und hilft.

VI. Umlagefinanzierung

Der Sozialstaat bewerkstelligt dies auf eine eigentümliche Weise: Oben wurde festgehalten, dass der Lohn für den Einzelnen nicht fürs Alter reicht. Nun soll er aber auf das gesamte Kollektiv der Lohnempfänger und ehemals Beschäftigten betrachtet doch reichen, also konfisziert er von den momentan Aktiven einen 19,5%-igen Anteil vom Lohn als Zwangsbeitrag für die Rentenkasse und bestreitet damit die Geld-summen, die er als Rente an die Senioren auszahlt. Mit dieser sog. umlagefinanzierten Rentenversicherung wird das geltende Prinzip „wer sich nicht für den Profit einer Firma verdingen kann, soll auch nicht essen“ nicht etwa widerrufen, es wird vollstreckt, indem der Lohn so gestreckt wird, dass er auch noch dazu ausreicht, die Alten mitzuernähren. Um noch einmal zu verdeutlichen, was das charak-teristische der sozialstaatlich-kapitalistischen (im Gegensatz zu anderen Gesellschaftsformen) Art und Weise der Alten-Alimentierung Marke BRD ist: Wenn man sich mal den ungeheuren Reichtum, der hierzulande produziert wird, am Jahresende als Torte vorstellt, dann wird eben nicht von dieser Torte ein Stück zur Verköstigung der Alten herausge-schnitten, sondern von dem viel kleineren Tortenstück namens Lohn wird ein noch viel kleinerer Teil, die 19,5 % Rentenversicherungsbeitrag, genommen, von dem dann die Rentner leben müssen. So naiv wie rhetorisch gefragt: Warum werden eigentlich nicht mal 19,5 % vom Konto der Deutschen Bank oder von DaimlerChrysler? Na klar, dieser Reichtum steht für die Rentner nicht zur Verfügung und ist dafür auch nicht vorgesehen. Rente ist nichts anderes als die Umverteilung des Mangels innerhalb der Klasse der abhängig Beschäftigten. Das kleine Stück, das die Unternehmer je nach Konjunkturlage gerade für rentabel befinden als Lohn zu zahlen, definiert, wovon die Junioren und Senioren zu einem gegebenen Zeitpunkt leben müssen.

VII. Konsequenzen der Umlagefinanzierung

Das eben benannte Prinzip hat für die Betroffenen zwei unangenehme Konsequenzen.

a) Die erste lässt sich so zusammenfassen, dass Älterwerden in diesem System automatisch Ärmerwerden bedeutet. Wenn mehr Rentner anfallen, oder die Rentner zählebiger sind als zuvor, oder beides zusammentrifft, dann verabschiedet sich der Staat keineswegs von dem Standpunkt, dass nur der 19,5%ige Lohnanteil für die Versorgung der Rentner verwendet werden darf. Ohne dass der gesamt-gesellschaftliche Reichtum gesunken sein muss (in Wahrheit steigt er ja sogar im Regelfall von Jahr zu Jahr, die Produktivität steigt in jedem Fall), geschweige denn, dass irgendwelche Naturkatastrophen oder Missernten zu kon-kreten Mangelerscheinungen geführt hätten, sondern schlicht die Tatsache, dass Menschen älter werden, führt dazu, dass i) die Rente sinkt und ii) um das Absinken in Grenzen zu halten, die Beitragssätze steigen, so dass also Alte wie Junge ärmer werden. Dies war jedenfalls bis vor kurzem die gängige Praxis des Sozialstaats.

b) Nun könnte man denken, dass das vielbeschworene Wirtschafts-wachstum da Abhilfe schaffen könnte. Das Gegenteil ist jedoch der Fall. Das erfolgreiche Konkurrieren am (Welt-)Markt, um Marktanteile zu sichern oder anderen Anbietern abzujagen, geschieht in der fabelhaften Marktwirtschaft über die Senkung der Lohnstückkosten, damit vergleich-bare Waren billiger angeboten werden können, oder qualitativ höher-wertige Produkte zu kaum gestiegenen Preisen. Das Mittel dazu ist die „Rationalisierung“ – weniger Arbeiter bedienen produktivere Maschinen, Arbeitsabläufe werden verdichtet und effektiviert, bisweilen unentgelt-lich zeitlich ausgedehnt (s. z.B. neuester Tarifabschluss der IG Metall) etc. pp. - und die hat den bekannten Nebeneffekt, dass die einge-sparten Lohnsummen sich in persona bei der Agentur für Arbeit (die früher mal Arbeitsamt hiess) wiederfinden. Diese werden zusätzlich noch als Druckmittel verwendet, um den Lohn der noch Beschäftigten zu senken. D.h. sowohl die Anzahl der insgesamt gezahlten Löhne als auch die durchschnittliche Lohnhöhe sinkt. Dies führt zwangsweise zu einem Einnahmeeinbruch bei der Rentenkasse.

Also – so paradox es klingen mag: Weil die Arbeit produktiver gemacht worden ist, weil alles flotter und leichter herzustellen geht in dieser Welt, deswegen werden die Arbeiter und Rentner ärmer. Ein Wahnsinns-System...

Die Problemlage ist unzweifelhaft, die vom Staat eingesammelten mickrigen Lohnbestandteile die in die Rentenkasse fliessen, reichen tatsächlich nicht mehr aus, um die Rentner auf bisherigen Niveau zu „versorgen“. Das ist aber etwas ganz anderes als das oben erwähnte biologistische Bild behaupten will. Umso stärker wird mit solchen Ideo-logien, nach denen schon übermorgen die Hälfte der Nation mit durch-gefüttert werden muß, Propaganda betrieben.

Ulla Schmidt informiert uns online wie folgt:

War die Rentenreform wirklich notwendig?

Ja. Dringend und schnell. Selbst wenn die demografische Entwicklung die Überwindung der Arbeitslosigkeit erleichtern wird, können die zunehmenden Kosten der Rentenversicherung nicht aufgefangen werden. Kein Rentensystem kann es auf Dauer verkraften, dass immer weniger Beitragszahlende für immer mehr Rentner-innen und Rentner einen immer längeren Rentenbezug bei gleicher Leistung finanzieren.

VIII. Rentenbiographie, Generationenvertrag und Zwangssolidarität

Die Rentenversicherung unterscheidet sich in einem wichtigen Kriterium von den anderen Sozialversicherungen, insbesondere von der Kranken-kasse. Im Prinzip gilt bei der Krankenkasse, dass unabhängig vom Einkommen des Versicherten die Kosten einer Behandlung übernommen werden, und wenn 10 Jahre Dialyse zu bezahlen sind, dann spielt es keine Rolle, ob der Patient 1.000 oder 10.000 Euro im Monat verdient und entsprechend weniger oder mehr Krankenkassenbeitrag gezahlt hat (Solidaritätsprinzip). Insofern ist bei der Krankenversicherung a) ein echtes Versicherungsprinzip erfüllt (sogar Sozialhilfeempfänger werden behandelt) und b) gilt der Gleichbehandlungsgrundsatz. Das ist bei der Rentenversicherung komplett anders. Erstens ist sie gar keine Ver-sicherung – weder in dem Sinn einer Risikoversicherung noch im Sinne eines Finanzinstituts, das treuhänderisch durch geschicktes Anlegen der Beträge eine Vermögensbildung betreiben würde – und zweitens er-rechnet sich die individuelle Rentenhöhe nach der persönlich erbrachten „Leistung“ (dazu gleich mehr). Es wird zwar immer gerne vom „Generationenvertrag“ gesprochen, das ist jedoch nicht gerechtfertigt, ein besserer Terminus wäre Klassensolidarität durch Zwang. Einzig der Modus des Umlageverfahrens lässt es so aussehen, als hätten die Generationen etwas miteinander zu schaffen, also die Tatsache, dass die aktuell zu zahlenden Renten aus den gerade hineinfliessenden Beiträgen der Aktiven bestritten werden; aber einen Vertrag diesbezüglich habe ich nicht mit meiner Oma laufen, und meine Rente wird sich später danach berechnen, wieviel ich persönlich in die Renten-kasse eingezahlt habe.

Nun könnte man denken: na, das ist doch eine sehr gerechte Sache, wenn hier mal das Leistungsprinzip gilt, wenn die individuelle Renten-biographie die Basis der Höhe der späteren Auszahlungsbeträge ist, wenn quasi objektiv und unbestechlich mit Hilfe der Rentenformel mathematisch exakt eine Rente ausgerechnet wird, die dann sowas wie eine akkumulierte Lebensleistung eines jeden Einzelnen darstellt. Das ist jedoch ein Trugschluß. Und um zu verdeutlichen, worin er besteht, soll die Rentenformel kurz vorgestellt werden.

IX. Die Rentenformel

Mithilfe der Rentenformel wird die monatliche Standard- oder auch Eck-Bruttorente eines Rentenberechtigten errechnet. Sie ist mathematisch betrachtet eine simple Konstruktion und besteht aus 4 Faktoren; werfen wir einen Blick drauf:

Rente = EP × RW × ZF × RF ;

EP ist die Summe der Entgeltpunkte:

Jeder Beschäftigte (Arbeiter/Angestellter) erhält pro Jahr eine bestimmte Punktzahl. Sie hängt davon ab, ob er mehr oder weniger als das Durchschnittseinkommen verdient (und entsprechend in die Rentenkasse eingezahlt) hat. Der Durchschnittsverdiener erhält 1,0 Entgeltpunkte. Dieser Wert erhöht oder reduziert sich: Wer zum Beispiel zehn Prozent mehr als der Durchschnitt verdient, erhält 1,1 Entgeltpunkte, wer fünf Prozent weniger verdient, nur 0,95 Entgeltpunkte. Die Entgeltpunktezahl läßt sich allerdings nicht beliebig erhöhen: Das Gehalt wird nur bis zur sog. Beitragsbemessungsgrenze (etwa 1,8 Entgeltpunkte) berück-sichtigt. Die Entgeltpunkte werden für jedes Jahr der Berufstätigkeit ermittelt, addiert und ergeben so in der Formel den Wert EP.

RW ist der aktuelle Rentenwert in Euro

Er wird vom Gesetzgeber festgelegt, jährlich neu angepasst (bisher gekoppelt an die Lohnentwicklung, ab 2004 nicht mehr; hinzukommt im Jahre 2004 bereits die dritte Null-Runde während der Amtszeit Schröders) und beträgt momentan 26,13 Euro (BRD-West) bzw. 22,97 (BRD-Ost). Über die Anpassung gleich mehr.

ZF bezeichnet den Zugangsfaktor und beträgt normalerweise 1.

Dieser Wert ändert sich nur dann, wenn die Rente früher oder später als üblich ausgezahlt werden soll: So verringert sich ZF um jeden Monat, um den der Renteneintritt vorgezogen wird, um 0,003 Punkte.

RF ist der Rentenart-Faktor und beträgt bei der Altersrente 1.

Dieser Wert ändert sich nur für andere Rentenarten: Bei der Witwen-rente beträgt er zum Beispiel 0,6 und bei der Berufsunfähigkeitsrente 0,6667.

Die Standard- bzw.- Eckrente ergibt sich nun für einen hypothetischen Menschen, der 45 Jahre lang jeweils durchschnittlich verdient hat. Er würde damit folgende Rente beziehen:

Rente = 45 × 26,13 € × 1 × 1 = 1176 €.

Der Durchschnittsverdienst im Jahre 2002 betrug übrigens 28.626 €. Für individuelle aktuelle und zu erwartende Rentenansprüche wende man sich bitte an die BfA bzw. LVA.

Zwischenruf: Die Durchschnittsrente beträgt heute in etwa 49 % des letzten Bruttolohns. Wieso eigentlich? Das ist doch eine Frechheit, ein Skandal!! Wieso brauchen Rentner denn weniger zum Leben??

X. Erlittene Verarmung begründet künftige Verarmung

In der Rentenformel kommt ein Prinzip zum Ausdruck, nachdem jede aktuell erlittene Verarmung eine zukünftige Verarmung begründet (womit wir bei der alternativen Überschrift des Papiers angelangt wären). Warum? Gucken wir uns die Faktoren nochmal an.

Da sind zum einen die Entgeltpunkte (EP), die auf dem Durchschnittsverdienst aller Versicherten beruht. Wenn also z.B. VW die 4-Tage-Woche einführt und die Angestellten 20% weniger verdienen (aktuelle Verarmung), dann bekommen sie entsprechend weniger EP und damit später weniger Rente (künftige Verarmung). Dasselbe passiert einem als Bezieher von Arbeitslosengeld (hier wird zur Ermittlung der EP-Zahl ein Einkommen von 80% des letzten real erzielten Einkommens zugrundegelegt und dies wiederum mit dem Durchschnittsverdienst verglichen) oder Arbeitslosenhilfe (hier ist die Bezugsgrösse die gezahlte Summe selbst, also etwa 53 % des letzten Nettoeinkommens, was die EP ggü. dem Fall beim ALG noch einmal in etwa halbiert). Ganz schlimm wird es, wenn man sich als arbeitsloser Kranker durchschlagen muss und die Krankheit einem nicht den Gefallen tut, nach 6 Wochen vorbei zu sein. Dann ist man nämlich auch kein Arbeitsloser mehr (kein Witz!) und auch nicht mehr pflichtversichert. Dann muss man sich schnellstmöglich mit den Rentenversicherungsträgern in Verbindung setzen, um eine Invalidenrente auszuhandeln. Entschliesst man sich aus lauter Frust vom Nichtstun, oder zwingt einen das Arbeitsamt dazu, einen Mini-Job (bis 400 €) anzunehmen, dann ist nicht nur Verdienst deutlich unterdurchschnittlich, sondern es werden nur 12 statt der regulären 19,5 % Rentenbeitrag entrichtet, was die EP nochmal zusätzlich mindert.

In dem Faktor der Entgeltpunkte steckt auch die Zahl der Beitragsjahre. Zwei Beispiele dazu: Länger als drei Jahre studiert? Tja, Pech gehabt, wieder vermindert sich die zukünftige Rente. Da bleibt nur zu hoffen, dass einem die genossene Ausbildung den Weg zu einem höherbezahlten Job eröffnet, mit dem man dann ein bisschen die Summe der EP aufpolieren kann. Wenn einem das nicht allzu seltene Schicksal des arbeitslosen Akademikers widerfährt, hat man wiederum Pech gehabt. Länger als 1 Jahr (Regelung bis 2000) bzw. 3 Jahre (Regelung ab 2000) ein Kind erzogen? Wieder Pech gehabt. Hat frau sich vor dem Jahr 2000 dazu entschlossen, 3 Kinder zu zeugen und ihnen je über 3 Jahre lang hinweg eine ganztägige Betreuung zu gönnen – mithin jeden erdenklichen Beitrag zu leisten, um das Aussterben des deutschen Volks zu verhindern – schlägt sich das mit 6 fehlenden Beitragsjahren auf die künftige Rente nieder, na prima...

Zum dritten Faktor, dem aktuellen Rentenwert: Wie oben erwähnt, wird er jährlich neu angepasst. Der wesentliche Bestimmungsfaktor in der Anpassungsformel ist die Lohnentwicklung im Land. Wenn die Löhne heute die Tendenz haben zu sinken, und sie haben es, dann wird der aktuelle Rentenwert nach unten geschleust und damit die ausgezahlte Rente kleiner – und zwar ohne dass sich die „persönliche Lebensleistung“ (akkumulierte Beiträge zur Rentenversicherung eines Individuums) geändert haben muss! Soviel zu der Neben¬ideologie „jeder ist seines Glückes Schmied“...

Auch wenn diese Aufzählung etwas langweilig wirken mag, so macht sie deutlich:

Jede Situation in der man bereits wenig Geld zum Leben zur Verfügung hatte, in denen man Einschränkungen hinzunehmen hatte – erlittene Verarmung, allesamt Situationen, in denen man nur sehr bedingt Subjekt der Leistungserbringung war (wer wird freiwillig arbeitslos, krank...?) – wird durch die Rentenformel in die Zukunft projiziert! Die Rentenformel ist nichts anderes als ein Rechenmechanismus, der festlegt, wie aus dem aktuell verfügbaren Geldquantum, das der Staat über die Beitrags-prozente vom heute gezahlten Lohn in die Kassen bekommt, die Rentenauszahlung geleistet werden kann.

Ungerecht ist das Verfahren deswegen nicht, weil es dem darin innewohnenden staatlichen Zweck sehr gerecht wird. Zu dem passt es, die arbeitende Bevölkerung dauerhaft darauf festzulegen, dass für Junge wie für Alte außer dem aktuell verfügbaren Lohn, den das Kapital rentabel findet, nichts als Lebensmittel alternativ in Frage kommt.

XI. Das Ziel der Rentenreform

Die Rentenreform (offiziell heisst sie: „Gesetz zur Sicherung der nach-haltigen Finan¬zierungsgrundlagen der gesetzlichen Rentenversicherung (RV-Nachhaltigkeitsgesetz); es wurde jüngst - am 15.3.04 – vom Bundestag verabschiedet) ist en detail betrachtet eine recht kompli-zierte Angelegenheit und umfasst in gedruckter Form mehr als 10 Seiten Gesetzestextänderungen (s. Drucksache 15/2149 des Deutschen Bundestages). Sieht man jedoch einmal vom propagandistischen Begleitgeschwätz ab („heute die Rente verlässlich für morgen machen“, „Herstellung von Generationen¬gerechtigkeit“ etc.) dann bleibt faktisch und konkret nur ein Ziel übrig, das mit ihr verfolgt wird: Der Beitragssatz zur Rentenversicherung soll mittelfristig bei 19.5 % stabilisiert und der Anstieg langfristig – bis zum Jahr 2030 – auf höchstens 22 % begrenzt werden. Wenn es so weitergegangen wäre wie bisher – so die Szenarien – dann würde der Beitragssatz irgendwo bei ca. 24 % landen.

So soll es aber nicht weitergehen und damit bricht diese Rentenreform mit der bisherigen Tradition, nach der beim Sinken von Einnahmen (z.B. durch den Anstieg der Arbeitslosigkeit) und Steigen der Ausgaben die Beitragsprozente angehoben und ggf. die Renten nur moderat abgesenkt oder weniger stark angehoben werden als die Lohnentwicklung eigentlich vorgab. So wurden die Lasten auf beide Seiten – Einzahler und Rentner – verteilt.

XII. Die Konsequenzen der Rentenreform

Damit ist jetzt Schluss. Die Beitragssätze sollen stabil bleiben, und damit sie stabil bleiben, muss die Rente drastisch gesenkt werden, und das wird sie denn auch: In dem Rentenreformgesetz wurde festgehalten, dass das Brutto-Rentenniveau des Eck-Rentners bis zum Jahr 2030 nicht unter 40 % sinken soll. (nochmal zum Vergleich: heute sind es beim Eck-Rentner 49 %, der Durchschnittswert aller Rentner liegt bei 42% bzw, 990 € (Männer) bzw. 22 % bzw. 518 € (Frauen)). Der Eck-Rentner, also dieser Mensch, der es schafft 45 Beitragsjahre ununterbrochen beschäf-tigt zu sein, und zwar immer mit einem ungekürzten Durchschnittslohn, der würde im Jahr 2030 1429 Euro Rente beziehen können. Dieser Eckrentner dürfte eine proletarische Ausnahmeerscheinung bleiben. 45 Jahre ohne Unterbrechung, immer mindestens Durchschnittslohn – wie soll das in die Welt passen, in der gepredigt wird, dass man sich auf Patchwork-Biographien einzustellen hat, ein Beruf für’s ganze Leben eine Illusion sei, in der sogar gefordert wird, man solle sich mit Mini-Jobs oder einer Ich-AG-Zwischenrunde über Wasser halten? Dass das schon jetzt pure Illusion ist, zeigen ja bereits die aktuellen Durchschnittswerte der tatsächlich erfolgenden Rentenzahlungen.

Um das Ausmaß der Rentensenkung nochmal zu verdeutlichen, um zu veranschaulichen welche Dimen¬sionen sie erreicht: Ein Eck-Rentner mit 34 oder weniger Beitragsjahren wird 2030 eine Rente beziehen, die unter dem Niveau der Sozialhilfe liegt!

XIII. Das verlogene und zynische Argument "Beitragszahler"

Mit dem genannten Ziel der Begrenzung der Beitragsprozente und der Tatsache, dass die Zahl der Rentner definitiv steigen wird, muss man den Rückschluss ziehen: Der Staat befindet die eingesammelte Summe, die für die Verköstigung Alter vorgesehen ist, als zu hoch! Zu hoch wofür, woran gemessen?? Gute Frage! Für die Rentner bestimmt nicht, die könnten im Gegenteil ganz sicher mehr vertragen.

Ulla Schmidt meint: „Richtschnur für diese Reformmaßnahmen ist dabei der Grundsatz der Generationengerechtigkeit. Die Jüngeren dürfen nicht durch zu hohe Beiträge überfordert werden.“ (BMGS, Pressemitteilung 11.3.04).

Hier wird also damit argumentiert, dass eine Begrenzung der Beitrags-prozente dem Arbeitnehmer netto mehr im Portemonnaie lässt. Das ist verlogen und zynisch. Zynisch, weil es damit verknüpft ist, dass die Arbeitnehmer ihre eigene zukünftige Altersarmut unterschreiben, ver-logen, weil gleichzeitig darauf hingewiesen wird, dass man von der Rente künftig nicht mehr leben kann und eine Zusatzrente à la Riester unerlässlich ist, so dass die lächerlichen 2 Beitragsprozente, die einge-spart werden, sofort wieder verschwinden in die „eigenverantwortliche“ Zusatzaltersvorsorge. Frau Schmidt überlegt tatsächlich bereits, ob sie die Riester-Rente nicht zur Pflicht machen soll (Phoenix-Online, 15.3.04)

XIV. Der wahre Kern der Reform

Wenn die eingesammelten Rentenbeiträge nicht zu hoch sind gemessen am Rentner, nicht zu hoch sind gemessen am Lohnempfänger, dann bleibt nur eins: Die Rente ist zu hoch gemessen am Lohnbezahler. Die Zielrichtung bleibt ja auch gar kein Geheimnis, wird offen ausgeplaudert: die Lohnnebenkosten sind in einem für die „Wirtschaft“ unerträglichem Maß gestiegen, sie dürfen nicht weiter steigen, um die Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Industrie und Technik nicht zu gefährden. Was für den einen eine – wenn auch zwangsweise abgeknöpfte – Altersvorsorge ist, ist für den anderen quasi sowas wie ein zweckentfremdeter Abzug von Geldern, deren Ausgabe für nichts anderes vorgesehen als für lohnende Arbeit und eben nicht für die Versorgung von ausgemusterten Senioren. Durch die Technik des Verfahrens, dass die Arbeitgeber nur einen Teil des Lohns direkt an die Arbeitnehmer und den anderen Teil, ohne dass die Arbeiter diese Summe je zu Gesicht bekämen, an die staatlichen Sozialkassen überweisen, kommt es ihnen tatsächlich so vor, als seien die Lohnnebenkosten keine Lohnkosten, sondern etwas was sie zusätzlich zahlen. Zumindest verstärkt diese technische Regelung diese Sichtweise. Für die Unternehmen resultiert insbesondere bei der Renten-versicherung, die ihre Gelder ja bloss für die Alten ausgibt, die mit den Betrieben überhaupt keinen gültigen Vertrag mehr haben, der folge-richtige Standpunkt, dass sie für die Verköstigung der Invaliden und Ausgemusterten nicht zuständig sind. Das passt einfach nicht in ihr ökonomisches Kalkül. Das ist ihnen nicht mal übel zu nehmen.

Das interessante ist nun, dass sich der Sozialstaat zum Agenten dieses unternehmerischen Standpunkts macht und ihn Zug um Zug ins Recht setzt, und zwar ausdrücklich mit dem Hinweis darauf, dass ein weiterer Anstieg der Lohnnebenkosten auf keine Unternehmerhaut geht, die Lohn-nebenkosten ein einziges Beschäftigungshindernis darstellen. Damit wird übrigens eine alte Ideologie über den Sozialstaat endgültig aus dem Verkehr gezogen: Im Sozialkundeunterricht hat man mal gelernt, dass es den Sozialstaat wegen der Armen gibt, die die Marktwirtschaft immer wieder mal hervorbringt, damit er die allerhärtesten Härten abfedert, damit er den Kapitalismus zähmt und auch alte, kranke und arbeitslose Menschen zumindest existieren können. Mit der Bezeichnung von Lohn-nebenkosten als Beschäftigungshindernis wird nun gerade das Gegenteil behauptet! Heutzutage soll der Sozialstaat der Grund für die Armut sein! Denn wenn die Beitragsprozente steigen und sich so die Lohnkosten der Betriebe erhöhen, dann finden immer mehr Leute keine Beschäftigung, also ist die sozialstaatliche Verwaltung der Grund für die Armut, so die Logik dieser neuen Sichtweise.

XV. Die konkreten Maßnahmen

Ganz egal, ob die Rentnerberge wachsen und auch noch immer älter werden, scheiß egal, ob die Beitragszahler weniger werden – der Beitragssatz muss auf 22 % begrenzt werden. Deshalb wird die Rente drastisch gekürzt. Und zwar im wesentlichen durch zwei Maßnahmen.

a) Erhöhung des Renteneintrittsalters

Die Rürup-Kommission schlug vor, das Renteneintrittsalter schrittweise von 65 auf 67 Jahre anzuheben; dies ist zunächst für die normale Altersrente nicht beschlossen worden; jedoch behält sich die Regierung vor, diese Maßnahme zu treffen, sollte sich abzeichnen, dass der Beitragssatz nicht auf 22 % begrenzt werden kann. Beschlossen wurde die Erhöhung des Eintrittsalters jedoch sehr wohl für die vorzeitige Altersrente wegen Arbeitslosigkeit oder nach Altersteilzeit, und zwar vom 60. auf das 63. Lebensjahr.

Die Wirkung davon ist natürlich sehr einfach und schlicht: Man schneidet ganz einfach von der Bezugsdauer der Rente vorne zwei bzw. drei Jahre ab, dann sind die Gelder schonmal eingespart. Hinten was abschneiden wäre vielleicht auch noch eine Möglichkeit gewesen, aber zu der konnte man sich noch nicht durchringen.

Gegen diese Maßnahme wurde – auch vom DGB und der Regierungs-opposition – Kritik geäussert, die dahin geht, dass doch heute kaum noch bis 65 gearbeitet wird, da solle man doch erstmal dafür sorgen, dass das wieder Realität wird. Tja, vielleicht ist das gar nicht der Zweck der Reform, sondern ihr Witz?

b) Einführung eines Nachhaltigkeitsfaktors in der Rentenformel

Zu den 4 bestehenden Faktoren in der Rentenformel gesellt sich von nun an ein 5 Faktor, der Nachhaltigkeitsfaktor. Der ist wiederum aus 2 Fak-toren zusammengesetzt. Der erste davon ist ein Bruch, der sog. Rentnerquotient, im Zähler steht dabei die Menge der Beitragszahler, im Nenner die Menge der Rentner. Dies ist eine ausgefuchste Konstruktion, denn wenn nun die Zahl der Beitragszahler steigt, kommt mehr in die Kassen und dann kann auch mehr Rente gezahlt werden, umgekehrt, wenn die Rentner sich wie die Karnickel vermehren, dann steigt der Nenner, damit wird der Bruch kleiner, und damit sinkt die Rente. Dies nennt die Rürup-Kommissin den „selbststabilisierenden Effekt“.

Dieser Rentnerquotient hat nur einen kleinen Schönheitsfehler: er ist grösser als 1 (4 Arbeitnehmer kommen momentan auf einen Rentner!), und damit würden ja die Renten künftig kräftig steigen, sie sollen aber doch gesenkt werden... Aber dieser Prof. Bert Rürup ist ja nicht dumm: „Um den Anstieg der Lohnzusatzkosten zu begrenzen, wird der Rentner-quotient schließlich noch mit dem Faktor ein Viertel gewichtet. Damit soll garantiert werden, dass der Beitragssatz zur Rentenversicherung bis 2030 nicht über 22 % steigt.“ (Bericht der Rürup-Kommission, Kurz-fassung, S. 9)

Soweit die wichtigsten Maßnahmen. Eine kleinere Umstellung ist vielleicht auch noch erwähnenswert. Die Rente der künftigen Rentner wird fortan erst zum Monatsende ausgezahlt und nicht wie bisher zum Monatsersten. Das ist doch wirklich mal konsequent zu Ende gedacht: Die Rentner – eigenwillig wie sie sind – sterben einfach nicht pünktlich zum Monatsende, so daß es massenhaft passiert, dass Renten dadurch verschleudert werden, dass die Rentner ihre Rente für einen ganzen Monat im voraus kassiert haben, aber z.B. schon Mitte des Monats sterben; eine himmelschreiende Ungerechtigkeit, endet doch bekannter-massen das Rentenbezugsrecht mit dem Ableben.

XVI. Zurück auf Los

Oben wurde das Ausgangsproblem beschrieben, dass in der Öffentlich-keit als „demographisches“ Problem kursiert. Da wurde ja von den Ex-perten der Bevölkerungsentwicklung gesagtr dass ein Junger demnächst oder in 20 Jahren zwei Alte auf dem Buckel hat und das so nicht weiter-gehen kann; da muss dringend eingegriffen und die Weichen neu gestellt werden. Und? Wie sind denn jetzt die Weichen in bezug auf dieses demographische Problem neu gestellt? Durch einen Nachhaltigkeits-faktor, der es schafft, die Rente unter die Sozialhilfe zu drücken? An dem Problem, dass ein Junger zwei Alte auf dem Buckel hat, hat sich doch gar nichts geändert, das ist doch nach wie vor so. Das einzige, was sich geändert hat, ist, dass Junge wie Alte mit einer drastisch gekürzten Geldsumme zurechtkommen müssen.

Soweit zunächst. Zwei weitere Punkte sind noch geplant:

XVII. Weniger Rente für Kinderlose?

XVIII. Der Volkskörpergesichtspunkt


contradictio - 2006