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Kritik der Volkswirtschaftslehre

Ein Vortrag von Dr. Peter Decker (Redakteur GegenStandpunkt)


1. Einleitung

Es ist nicht so ganz einfach, in dieses Fach einzusteigen, welches ja Bibliotheken füllt. Andererseits ist mit den Anfangsgründen von so einem Fach auch immer schon festgelegt wohin die Reise geht. Da kommt später nichts anderes heraus als das, was da bereits am Anfang an theoretischen Bestimmungen hineingetan wurde. Auch die Entscheidungen darüber, was überhaupt der Gegenstand des Faches sein soll und auf welche Weise man darüber nachdenken will, werden später nicht mehr revidiert. Insofern erwischt man das Fach schon auch, wenn man sich mit dem befaßt, was die Erstsemester-Studenten in den ersten vier oder fünf oder sechs Vorlesungsstunden kapieren sollen bzw. mitmachen sollen.

Eines will ich noch vorausschicken, was auch in dem Einladungs-flugblatt zu dieser Veranstaltung angesprochen worden ist: Anders als beispielsweise bei der Soziologie oder Politologie hat die Volks-wirtschaftlehre (VWL) den Ruf einer exakten Wissenschaft, die kein Feld der Interpretation ist; die VWL gilt als objektiv. Und anders als manche geistes- und gesellschaftswissenschaftliche Disziplinen ist die VWL, bis weit in das Fach hinein, nicht-pluralistisch. Der Pluralismus im Fach VWL beginnt eigentlich erst, wenn sich die Keynesianer und die Anhänger der Angebotsorientiertheit streiten. Bis dahin – egal ob man die Lehrbücher von Woll nimmt oder, wie ich, das Einführungsskript von Prof. Rürup, oder ob man ganz wen anderen nimmt – sind sie im Grunde alle gleich.

Dieses Fach, das den Ruf hat, wissenschaftlich exakt und geradezu mathematisch zu sein,[1] ist gleichzeitig, wenn wir mal die Anhänger Bofingers[2] weglassen, totaler Parteigänger, und zwar nicht nur zugunsten unserer Wirtschaftsweise, die hier herrscht – das sowieso – sondern auch im engeren Sinn Parteigänger derjenigen, die „die Wirtschaft“ heißen, kurzum: des Kapitals, der Selbständigen, der Gewerbetreibenden. Dies lässt sich exemplarisch deutlich machen anhand ihrer Aussage zum Thema Arbeitslosigkeit, die sich wie folgt zusammenfassen läßt: „Wenn die Arbeitslosen alle auf dem Markt herumstehen und nicht abgeholt werden ist ihr Preis offenbar zu hoch“. Die VWL kennt auch ein entsprechendes Rezept gegen die Arbeitslosigkeit: Runter mit den Löhnen! Das ist das Konzept der VWL und quasi der tautologische Beweis: Jeder Arbeitslose ist ein Beweis, daß der Lohn zu hoch ist, denn wäre er niedrig, müßte doch irgendwann Markträumung eintreten. Allein dieses Element ist schon – ohne daß man einen theoretischen Gedanken darauf verschwenden müßte – so menschenfeindlich. Sie trauen sich zu sagen: Ja, immer mehr arme Leute sind der Segen für unsere Wirtschaft; das brauchen wir, wenn Deutschland seine Probleme lösen will. Und so etwas gilt in diesem Fach nicht als parteiische Stellungnahme, die meinetwegen ein Unternehmerverbandsvertreter vertritt – der will natürlicherweise, daß die Löhne sinken, denn dann steigen die Gewinne, das ist sein Vorteil (und der Nachteil der anderen Seite). Es gilt nicht als eine parteiische Stellungnahme im Interesse irgendwelcher Privatinteressen, sondern das gilt als die sachliche, unparteiische, objektive Einsicht in die Sache selbst: das ist Wirtschaft. Wie man das hinkriegt, den Eindruck von Sachlichkeit, Notwendigkeit, Objektivität, Unvoreingenommenheit zu verbinden mit solchen Rezepten und Konzepten, das soll jetzt ein bißchen Thema sein. Die wirtschaftspolitischen Fehler der aktuellen Regierung sind heute nicht das Thema. Es geht heute nur darum, wie in dem universitären Fach VWL gedacht wird.

2. Definition dessen, was Wirtschaften heißt

Fangen wir mal mit einem Satz (aus dem Skript von Prof. Rürup) an, mit dem die VWL selbst anfängt, zunächst mal nicht wortwörtlich, sondern ich lasse mal die eine Hälfte weg, dann kann ich der anderen Hälfte sogar zustimmen:

„Wirtschaften bezeichnet [...] ‚Aktionen’ zur Befriedigung menschlicher Bedürfnisse“

Ja – darum geht es. Bei der Produktion von Gebrauchsgütern geht es darum, daß Güter herauskommen, die dem menschlichen Bedarf dienen. So ist das wohl. Dem kann man nur zustimmen. Das ist die einzige rationale Definition dessen, was Wirtschaften ist. Soweit wäre ich mit der VWL einig. Beim Wirtschaften hat es doch wohl darum zu gehen, daß der Aufwand, den man beim Arbeiten im wesentlichen treibt, zur Befriedigung menschlicher Bedürfnisse taugt. Soweit so schön. Das wäre dann aber auch die große theoretische Sachfrage, ob z.B. bei der Wirtschaft, die man zum analysieren vor sich hat, dieses rationale Verhältnis überhaupt vorliegt. Jetzt stünde es an, daß man untersucht, daß es hier wohl so nicht ganz ist, daß einfach Gebrauchsgüter für den Verzehr produziert werden. Ein bißchen komplizierter ist es ja schon. Da gibt es eine Geldwirtschaft, da haben die Güter Preise, da gibt es Kapital, Lohn, Zins, Aktiengesellschaften und –kurse. Und diese Gesellschaft ist z.B. der Meinung, daß sie reicher wird, wenn die Aktienkurse steigen; und das ist noch nicht mal bloß eine Meinung... Also so einfach ist das hierzulande nicht mit der Antwort auf die Frage: ist denn diese Wirtschaft, so wie sie konstruiert ist, Mittel der Befriedigung der Bedürfnisse? Diese Frage wäre zu klären. Und da gibt es eben den großen Kritiker des Kapitalismus, der Marx, der vor 150 Jahren schon eine ganz andere Geschichte als Botschaft drüber erzählt hat; die will ich nur in Erinnerung bringen, damit man eine Vorstellung eines Vergleichs hat. Nicht, daß ich jetzt über Marx reden will; das ist eine andere Welt, das muß man mal bei anderer Gelegenheit behandeln, wenn man es denn will. Er jedenfalls sagt, in dieser Gesellschaft, in der kapitalistischen Produktionsweise, wird die Bedürftigkeit der Menschen und der notwendige Arbeits- und Lebensprozeß der Gesellschaft instrumentalisiert für die Vermehrung des Geldes. Und dieser Zweck, aus Geld mehr Geld, aus Vermögen mehr Vermögen zu machen, dieser Zweck ist endlos und löst sich niemals mehr in Bedürfnisbefriedigung auf. Das ist mal eine anderer Schluß, den man auch mal fällen kann. Vielleicht ist der eine richtig, vielleicht der andere – aber genau das wäre zu prüfen. Die VWL stellt diesen Satz an den Anfang ihrer Wissenschaft hin, und damit ist das Thema für sie erledigt. Alles Wirtschaften dient der Befriedigung von Bedürfnissen, und ab jetzt kommt keine Prüfung mehr zustande, die fragt, wieso sind z.B. Preise,[3] wieso ist die Akkumulation von Kapital und wieso ist die Bezahlung von Lohn, d.h. die Berechnung von Menschen als Kostenfaktoren, Mittel der besten Bedürfnis¬befriedigung? Das wäre zu prüfen. In der VWL ist das im ersten Satz erledigt, und ab dann ist das das Dogma und unter dem Gesichtspunkt, es ist doch wohl alles gut für die Bedürfnisse, wird jetzt die Welt der Preise, Werte, Löhne, des Zinses und die Welt des Kapitals und der Aktienkurse interpretiert. Das ist aber was anderes, ob ich erkläre, was Zins ist und dann herausfinde, wozu er gut ist, oder ob ich sage, er muß jawohl dafür gut sein, daß die Bedürfnisbefriedigung verbessert wird; und dann suche ich und finde natürlich auch Gesichtspunkte, wie man das verstehen kann.

3. Von der fundamentalen Verschiebung des eigentlichen Gegenstands in der VWL

Jetzt nochmal zum ersten Zitat in seiner Gänze. Jeder, der mit dem Fach irgendwie zu tun hat, wird diese Sätze wiedererkennen:

„Unter Wirtschaft wird der rationale Umgang mit knappen Gütern verstanden, die zur Befriedigung menschlichen Bedarfs dienen. Ist der Vorrat an Gütern hinreichend, um den gesamten darauf gerichteten Bedarf stets zu be-friedigen, dann handelt es sich um freie Güter. Übersteigt dagegen der Bedarf den Vorrat an Gütern und Diens-tleistungen, dann wird von knappen Gütern gesprochen. Nur diese bilden den Gegenstand der Wirtschafts-wissenschaften. Es geht bei ihr um die Erforschung der Zusammenhänge bei der Verteilung knapper Güter auf die einzelnen Individuen und Gemeinschaften.“ (Gabler Wirtschaftslexikon)

Das wichtige ist der erste Satz: „Unter Wirtschaft wird der rationale Umgang mit knappen Gütern verstanden.“ Zunächst mal zur Formulierung ‚rationaler Umgang’: Die VWL macht es sich explizit nicht zum Anliegen,[4] die ökonomischen Institutionen dieser Gesellschaft zu erklären, zu erklären was Geld, Preis, Lohn, Kapital, Zins, AGs usw. sind. Die VWL erklärt nicht die ökonomischen Gegenstände, mit denen die Menschen umgehen oder umgehen müssen, sondern sie macht stattdessen den Umgang, den Bezug der Leute auf die vorgegebenen ökonomischen Gegenstände zum Thema. „Wie geh ich rational um mit...“ s.o. Das ist ihr Gegenstand. Die VWL hat keine Theorie darüber, was ein Preis ist, sondern sie hat eine Haushaltstheorie; was macht der Haushalt?, der geht einkaufen – das kommt gleich noch ausführlich. Aber zunächst mal ist wichtig festzuhalten, daß in der VWL eine Verschiebung stattfindet: Da wird nicht mehr von den gesellschaft-lichen Formbestimmungen geredet, die es nunmal in dieser Marktwirt-schaft gibt, sondern da wird davon geredet, wie die Menschen damit umgehen. Allein dies ist schon der entscheidende Schritt zum Umbiegen in die Behauptung der VWL, all die Institutionen, die ich nannte, seien Mittel zur Befriedigung des Bedürfnisses. Denn wenn es erstmal Geld und Ware gibt und man auf keine andere Weise an das Mittel des Bedürfnisses kommt als durch Tausch und Kauf oder Verkauf der eigenen Arbeit, dann dient man dem eigenen Bedürfnis, wenn man das macht, was die Gesellschaft bzw. die ökonomischen Formbestimmungen von einem verlangen. Das ist eine leichte Übung…

4a. Das Dogma von der Knappheit

Der nächste fundamentale Einstieg in das Fach VWL betrifft den Punkt mit der Knappheit. Die alten Ökonomen vor 300 Jahren, die ersten der bürgerlichen Gesellschaft, haben vom „Wealth of Nation“ gesprochen (Adam Smith). Der erste große bürgerliche Ökonom hat vom Reichtum der Nationen gesprochen – und das er in seiner armseligen Zeit, wo es kaum was gegeben hat. Der hat sich also vorgenommen, den Reichtum der Nationen zu erklären; von dem will er sagen, woher er kommt und worin er besteht. Und 300 Jahre später, 300 Jahre Produktivi-tätsentwicklung später, wo man nahezu vollautomatische Fabriken hat, in dieser Zeit reden die Ökonomen von einer unüberwindbaren Knappheit, die beim Menschengeschlecht existieren soll. ‚Wir kommen über die Bedürftigkeit nie hinweg, wir sind in einer unüberwindlichen Knappheit befangen’, ist der Ausgangspunkt der VWL.

Dazu mal eine kleine Erinnerung an die Wirklichkeit: Diese Gesellschaft laboriert am Überfluß, nicht an der Knappheit! Der erste große Überfluß ist die menschliche Arbeit. Millionen wollen arbeiten, könnten arbeiten, aber sie werden nicht gebraucht. Ein Riesenüberfluß an Produktions-faktoren, wenn man VWL-mäßig daherreden will. Bei 5 Millionen Arbeitslosen – will da auch noch jemand sagen, daß da Knappheit herrscht? Dann kann man in die Industrie schauen: die kämpft um Absatz! Und um Absatz zu kämpfen impliziert immer, daß das Herstellen der Güter kein Problem ist – das Verkaufen ist das Problem. Von der Autoindustrie sagt man, sie habe weltweit 25 % Überkapazität. Von der Landwirtschaft weiß jeder: Die Bauern dürfen nicht so viel herstellen, wie sie gern würden, sie könnten viel mehr herstellen, wenn man sie ließe. Von Knappheit ist von vorn bis hinten nichts zu sehen. Die VWL zeigt sich von diesem Umstand unbeeindruckt und sagt: ‚wenn wir Wirtschaften richtig verstehen wollen, dann müssen wir davon ausgehen, daß wir Menschen in einer unüberwindlichen Situation der Knappheit stehen’. Verräterisch dabei ist, wie der Autor dieses Lexikonartikels Knappheit erläutert:

„Ist der Vorrat an Gütern hinreichend, um den gesamten darauf gerichteten Bedarf stets zu befriedigen, dann handelt es sich um freie Güter. Übersteigt dagegen der Bedarf den Vorrat an Gütern (und Dienstleistungen), dann wird von knappen Gütern gesprochen.“

Man merkt richtig, daß der Autor die Produktion gedanklich herauskürzt. ‚Der Vorrat an Gütern hinreichend’ – ja, ohne daß man sie herstellt?! Was soll denn das sein? Ja, wir wissen schon, die berühmten freien Güter der VWL, wie frische Luft, an bestimmten Gewässern kostenloses Wasser... Ein ‚Vorrat’ – ein Vorrat an Autos, Fernsehern, Brot? Ja, ohne Produktion gibt es überhaupt keinen Vorrat. Und nach der Produktion gibt es genau den Vorrat, den man hergestellt hat. Vor der Produktion von Knappheit zu reden ist widersinnig, weil das, was man gar nicht hergestellt hat, ist auch gar nicht knapp. Mit und nach der Produktion von Knappheit zu sprechen, ist auch widersinnig. Da ist genau soviel hergestellt worden, wie man sich vorgenommen hat. Die VWL erinnert an den Umstand, daß die Natur uns nicht alles ohne Arbeit zur Verfügung stellt, daß wir nicht im Schlaraffenland leben. Die Negation, Nicht-Schlaraffenland, die stimmt ja. Das Zeug, was wir nutzen wollen, die nützlichen Dinge, müssen wir erst herstellen. Produktion ist die Antwort auf das Nichtvorhandensein der nützlichen Güter durch die pure Natur. Und die Produktion beseitigt die Knappheit. Bei der VWL wird die Produktion hingegen als ‚Problemlöser’ schlicht herausgekürzt. Die sagt: Wir fangen mit einer Knappheit an und hören mit einer Knappheit auf. Über die Knappheit als solche kommen wir nie hinaus. Warum behauptet sie das eigentlich?

4b. Der Mensch - ein Nimmersatt

Nächstes Zitat:

„Dabei ist die Knappheit das entscheidende Charakteris-tikum der wirtschaftlichen Güter. Im Gegensatz zu den unbegrenzten Bedürfnissen reicht die Gesamtheit der Güter nicht aus, um alle Bedürfnisse und Wünsche zu erfüllen. Begründet liegt dies u.a. in der Begrenztheit der natür-lichen Ressourcen, der Knappheit der Produktionsfaktoren, aus denen z.B. die Konsumgüter hergestellt werden, aber auch in der Unbegrenztheit der Bedürfnisse.“

Wenn man es nochmal so liest: „...um alle Bedürfnisse zu befriedigen, [...] aber auch an der Unbegrenztheit der Bedürfnisse.“ – Argumentativ ziemlich mau, aber anscheinend ist es dem Lexikonartikelschreiber ein Herzensbedürfnis so häufig wie möglich zu sagen, daß die Bedürfnisse unbegrenzt sind. „Grenzenloser Bedarf“ – das soll der Grund sein, warum jede Befriedigung unzureichend ist. Dagegen möchte ich setzen: Das ist nicht wahr! Grenzenlose Bedürfnisse liegen schlicht nicht vor. Es ist vielmehr so, daß jedes Bedürfnis sein Maß in sich hat. Kein Mensch will 100 kg Brot am Tag essen. Der eine will mehr, der andere weniger essen, und das mag auch von Tag zu Tag wechseln, aber dennoch hat jedes Bedürfnis sein Maß in sich. Seine Nützlichkeit hat selber eine quantitative Bestimmung. Nicht ganz verrückte Menschen wollen sich nicht auch zwei Fernseher ins selbe Zimmer stellen; man kann nicht gleichzeitig auf 2 Bildschirme schauen, außer man ist ein Videoinstallations¬künstler; der soll jetzt mal weggelassen werden. Und die Vorstellung – und die mag ja richtig sein – daß wenn gewisse grundsätzliche Bedürfnisse befriedigt sind, der Mensch dann bereit ist, wenn er noch Zeit hat, sich elaboriertere, kultiviertere Bedürfnisse zuzulegen. Aber denen geht es wieder genauso: Man mag nur ein Konzert zu selben Zeit hören, nicht 100. Man mag auch edle Getränke trinken mögen – aber nicht quantitativ unbegrenzt. Manche trinken auch mal mehr als sie vertragen, aber auch dort ist der Konsum nicht unbegrenzt. Die Behauptung der VWL, daß der Mensch ein Nimmersatt ist, ist schlicht ein Irrtum! Diese ihre Behauptung ist bloß die entgegengesetzte, oppositionelle bzw. korrespondierende Behauptung zur Behauptung der Knappheit der Güter, dingfest gemacht angeblich an der menschlichen Natur. Ja klar, wenn der Mensch ein Nimmersatt ist, dann kann die Befriedigung ja prinzipiell schon nicht gelingen, bestenfalls kann eine Annäherung an eine Befriedigung erfolgen. Aber dann braucht dies eigentlich auch keine weitere Erläuterung, dann ist jeder Zusatz überflüssig!

4c.  Die Begrenztheit natürlicher Ressourcen

Die VWL braucht sie aber doch, es kommt noch eine weitere Erläuterung. Nochmal zum Zitat:

„Begründet liegt dies u.a. in der Begrenztheit der natürlichen Ressourcen.“

Das wird einfach so dahin gesagt. Und es wird noch viel einfacher dahin gesagt, seit die VWL 1972 in Gestalt von Meadows und seinem Club of Rome die „Grenzen des Wachstums“,
 (http://de.wikipedia.org/wiki/Die_Grenzen_des_Wachstums)
die Begrenztheit der natürlichen Ressourcen entdeckt hat: Bitteschön: es wäre schon ein Beweis wert gewesen, daß die Ressourcen zu klein sind für die Befriedigung der Bedürfnisse, die angestrebt ist. Ja, selbst das Sonnensystem ist begrenzt – und? Was soll denn das für ein Satz sein: Die Güter können nie genug sein, weil das Sonnensystem begrenzt ist!? Da wird ein Maßverhältnis behauptet, aber es wird sich nie die Mühe gemacht zu beweisen, daß diese Erde für die Bedürfnisse, die es gibt, nicht genug hergibt. Jeder, der sich damit befaßt weiß genau: man kann die gesamte jetzige Menschheit locker mit den zur Verfügung stehenden agrarischen Flächen ernähren und man könnte damit sogar die doppelte und dreifache Anzahl an Menschen ernähren, wenn man denn wollte. Und wenn heute 24.000 Menschen pro Tag an Hunger sterben, dann tun sie das nicht deshalb, weil es nicht genug Getreide gibt, sondern weil die Betroffenen es nicht kaufen können. Dann ist also der Preis das Hindernis für die Befriedigung der Bedürfnisse und nicht die Knappheit des Getreides.

4d. Knappheit von Produktionsfaktoren

Nun zur dritten und rationellsten Bestimmung der angeblichen Knappheit – aber auch hier ist es wichtig zu sehen, daß die Bestimmung falsch gefaßt wird. Es geht um die ‚Knappheit der Produktionsfaktoren.’ Wenn wir die Erde schonmal haben mit ihren endlichen und nicht grenzenlosen Ressourcen, dann sind die wesentlichen Produktionsfaktoren, um die es geht, Arbeit. Man kann auch noch etwas weiter gehen und sagen: Sogar die Kapitalgüter sind ja irgendwann hergestellt worden, also Produkte von Arbeit; insofern ist ihre Knappheit dann auch eine Knappheit an Arbeit.

Auch hier ist wieder folgendes richtig: Weil die Natur uns nicht die gebratenen Tauben ins Maul fliegen läßt, müssen wir einen Aufwand treiben, um die nützlichen Dinge, die wir haben wollen, herzustellen. Der Aufwand wird getrieben, damit man den Nutzen hat, und wenn man den Aufwand getrieben hat, hat man den Nutzen. Die VWL will eine Ungleichung als Ergebnis haben: Der Aufwand ist immer zu groß und der Nutzen ist immer zu klein. Naklar, ein Aufwand ist zu treiben, und eine Gesellschaft muß sich entscheiden, ob sie Maseratis produzieren will, die 1000 Arbeitsstunden kosten, oder ob es ein industriell gefertigter Porsche auch tut. Aber die Entscheidung ist: wir wollen dieses nützliche Ding haben, und wenn wir es haben wollen, dann schaffen wir es uns her, und dann ist der Lohn, daß das Ding da ist. Aber da ist dann doch kein Grund mehr für die Behauptung, jetzt wäre noch Knappheit an diesem Ding!

Dazu paßt auch der nächste Punkt, nämlich die Fassung dessen, was in der VWL ‚ökonomisch rational’ heißt.

5.  Rationalität in der VWL

„Die VWL beruht auf der Annahme, daß über knappe Mittel, bei alternativ möglichen Verwendungen, in zweckmäßiger Weise disponiert werden soll. Überfluß macht Wirtschaften unnötig. Da sich die Theorie nur mit wirtschaftlichen Erscheinungen befaßt, geht sie von einer ökonomisch motivierten Handlungsweise aus. Sie wird, in extremer Vereinfachung, als sogenanntes ökonomisches Prinzip formuliert. Es bedeutet, entweder mit gegebenen Mitteln ein maximal mögliches Resultat oder ein vorgegebenes Resultat mit einem Minimum an Mitteln zu erwirtschaften.“

Da haben wir das, was ich eben schon ansprach: Diese Wissenschaft kennt einfach den zweckmäßigen Arbeitsaufwand, der dann sein Ziel erreicht, nicht. Die VWL will nicht, daß man mit einem beschlossenen Quantum gesellschaftlicher Arbeit das herstellt, was man für nötig befindet, und dann hinterher auch das hat, was man herstellen wollte. Die VWL möchte immer, daß das wirtschaftliche Produzieren in einer Ungleichung von Aufwand und Ertrag endet. Wenn ich schon etwas herstelle, dann soll das mit den geringstmöglichen Mitteln geschehen – wieso denn eigentlich nicht mit den nötigen? Übrigens: die kapitalistischen Produzenten halten sich doch gar nicht daran.[5] Anders in der DDR: da hat man es mal versucht, Sachen mit immer weniger Mitteln herzustellen – ja, dann werden die Bleche immer dünner, und irgendwann ist der Gebrauchswert hin, um des es geht. So ist es einfach nicht, es ist nicht rational, irgendwas mit immer weniger Mitteln, mit einem Minimum an Mitteln herzustellen. Mit dem nötigen Quantum halt. Und genauso verhält es sich mit dem Arbeitsaufwand; der nötige Arbeitsaufwand muß erbracht werden, um ein nützliches Ding herzustellen. Ein Minimum an Arbeitsaufwand? Ja, wenn es auf Kosten des Produkts geht? Oder andersherum: ‚Mit einem gegebenen Aufwand, ein Maximum an Ergebnis’ – ja, halt das Ergebnis, das mit dem Aufwand zu erzielen ist.

6.  Die eigenen Knappheitserfahrungen als Plausibilitätsgrund der
     Knappheit und die widersprüchliche Natur des Homo
     Oeconomicus

Jetzt treten wir einmal einen Augenblick aus den Zitaten heraus und stellen uns folgendes vor: Diese Basisisätze des Fachs VWL kriegt jeder Student in den ersten Vorlesungstunden beigebracht. Und die Studenten haben natürlich alle Hände voll zu tun, das mitzukriegen, und wenn es dann an die Kurven geht, haben sie Probleme mit dem Verstehen, und drum sind sie dann schon sehr beschäftigt. Aber den Gedanken: „Naja, also das mit der Knappheit, das glaube ich nicht“, den bekommt der Dozent eigentlich extrem selten zu hören, wenn überhaupt. Warum ist das eigentlich so? Weil, wie so oft, das Fach auf eine Plausibilität plädiert, nämlich der, daß sie die Leute an ihre eigene Knappheit erinnert. Und die gibt es natürlich. Wer in diesem Land, mit einem studentischen Geldbeutel schon gleich, ins Einkaufsparadies geht, macht eine Knappheitserfahrung. Ihm reicht das, was er in der Tasche hat nicht, um das zu kaufen, was da alles angeboten wird und was er auch gerne hätte. Wichtig ist jetzt nur: Diese Knappheits-erfahrung kommt vom Geld. Sie kommt davon, daß die Güter Preise haben und dazu führen, daß einer nicht kriegen kann, was es gibt und was er brauchen könnte, weil er es nicht bezahlen kann. Also, die große Mehrheit der Bevölkerung, die halt knapp gehalten wird, weil sie in irgendeiner Form – einer gehobenen oder weniger gehobenen – Kostenfaktor Arbeit ist, die macht eine Knappheitserfahrung. Und die Erinnerung daran, ‚Leute, ihr wißt doch, es ist alles ziemlich knapp’, fällt auf fruchtbaren Boden, wenn die Leute permanent Knappheitser-fahrungen machen. Der Schwindel besteht aber darin, daß die VWL einen falschen Grund der Knappheit behauptet, nämlich einen überhistorischen, sozusagen, einen in der Natur des Produzierens und Konsumierens liegenden Grund. Sie nennt gerade nicht den Grund der Knappheit, den es gibt – arme Leute eben – sondern einen ganz anderen, der in der Menschennatur und in der Natur der Endlichkeit der Welt liegen soll. Das Programm der ersten Vorlesungsstunden lautet also: Diese andere Knappheit, die erläutern wir dir als guten Grund, mit dem du am Schluß deine eigene Knappheit verstehst.

Übrigens das ist der zweite Scherz: Es gibt ja noch eine andere Knappheitserfahrung. Es gibt durchaus Haushalte, die das Problem, ‚was kann ich mir leisten, und was muß ich dafür im Regal stehen lassen’, wirklich nicht haben. Manche Leute reden auch so: „Wir schauen nicht auf den Preis“. Diese Leute machen an der Einkaufsfront keine Knappheitserfahrung. Die machen an einer ganz anderen Front eine Knappheitserfahrung. Sie haben Geld, sie haben Vermögen, aber jede Summe Geld ist begrenzt. Wenn man Geld hat, hat man immer zuwenig. Geld ist der grenzenlosen Vermehrung fähig und bedürftig. Wer also Geld anlegt, der erfährt, daß er lediglich eine begrenzte Summe hat, und er will mehr daraus machen. Und es gibt ja auch einen Zuwachs, aber der Zuwachs ist wieder begrenzt, und deshalb muss man es weiterhin anlegen, damit aus dem Zuwachs noch mehr Zuwachs wird usw. Im Bedürfnis nach Geld, im Gelderwerb, haben wir nämlich das wirklich „unbegrenzte Bedürfnis“ – Geld ist die Möglichkeit aller Bedürfnisse. Geld als die Möglichkeit aller Bedürfnisse ist selber ein grenzenloses Bedürfnis. Das ist die Ecke, an die hier von der VWL appelliert wird: „Leute, ihr wißt doch, daß ihr immer mehr wollt“, tja, und es stimmt ja auch. Beim Geld wollen sie wirklich immer alle mehr. Die einen, weil sie von vornherein so wenig haben, die anderen, weil sie das Geldvermehren überhaupt zu ihrem Gewerbe machen. Aber auch diese Knappheitserfahrung kommt von der Geldwirtschaft, sie gehört zur Geldwirtschaft, und es wäre erst einmal zu erklären, warum es zu diesem Bedürfnis kommt. Stattdessen wird das Bedürfnis in die Menschennatur verlagert und man soll sich das Bedürfnis nach Bier und Brot als so grenzenlos denken, wie das Bedürfnis nach Geld tatsächlich ist. Und man soll sich die Verfügung über Güter als so begrenzt denken, wie der arme Mann in unserem Land begrenzt über Güter verfügt. Mit diesem Appell wird das versucht verständlich zu machen, aber in der Sache wird eine tatsächlich gesellschaftlich produzierte Armut zu einem natürlichen, unvermeidlichen Zurückbleiben der Befriedigung hinter den Bedürfnissen erklärt, und insofern auch geheiligt.

Jetzt haben wir also den Homo Oeconomicus – ja, da sind die ja stolz drauf, dass die immer ihr eigenes Menschenbild haben. Der Homo Oeconomicus ist ein eigentümliches Konstrukt: Auf der einen Seite hat er grenzenlose Bedürfnisse und auf der anderen Seite ist er grenzenlos faul. Er will nicht den Aufwand treiben, den es braucht, um die Bedürfnisse zu befriedigen, die er hat. Als ökonomisch vernünftig gilt nun, dass der Homo Oeconomicus lauter unbefriedigende Kompromisse macht, zwischen seiner Faulheit einerseits, bei der er es nicht belassen kann, und seinem unstillbaren Hunger nach Bedürfnisbefriedigung andererseits, den er nicht stillen kann. Der Homo Oeconimicus macht sich die Nutzen¬maximierung zum Anliegen, was bedeutet, daß er keinen Nutzen will, sondern einen grösseren: Erfolgreiches Wirtschaften ist in den Augen des Homo Oeconomicus nicht, wenn das Produkt, was man haben wollte hergestellt ist, sondern wenn das Produkt, das man haben wollte mit weniger Aufwand hergestellt worden ist als gestern. Minimierung des Aufwands ist sein Anliegen. Der Homo Oeconomicus ist insofern ein Zwitter, der so, wie er konstruiert ist, nirgendwo hinpasst: nicht in die Welt der nützlichen Dinge und Gebrauchswerte und nicht in die Welt des Kapitals und des Gelderwerbs; es ist ein Ineinander-spiegeln beider. Der nämlich, der sich ein Haus baut, der maximiert nichts, der will das Haus und treibt den Aufwand, den es dafür braucht, und wenn er fertig ist, dann ist nichts grösser geworden, sondern dann ist das Haus da, das er wollte. Das ist der Nutzen, auf den er es abgezielt hatte. Bei demjenigen, der was maximiert, bei dem wirklich das Wirtschaften in der Herstellung einer Differenz zwischen Aufwand und Ertrag liegt, ja, derjenige geht mit Geld um. Da ist quasi das kapitalistische Wirtschaftssubjekt in ein natürliches Umgehen mit nützlichen Dingen und Arbeit hineingespiegelt. Weder ist es der Kapitalist an sich, der geht nämlich mit Geld um, dem ist der Nutzen ganz egal, der wechselt glatt von der Kaugummi- in die Atomraketen-branche, wenn er meint, dass man da mehr verdient. Dem geht es nicht um die nützlichen Dinge, dem geht es um die Differenz zwischen Investitionssumme und Ertrag. Und dem anderen, dem es um die nützlichen Dinge geht, der maximiert nichts, der stellt auch keine Differenz von Vorher-Nachher her, sondern der stellt das her, was er braucht und dann konsumiert oder gebraucht er es.

Es ist eigentlich kein Wunder, daß innerhalb der VWL ein derart unsinniges, konstruiertes Menschenbild herauskommt, wenn man zunächst das schon eingangs erwähnte Dogma „Wirtschaften ist gut für Bedürfnisse“ einführt und dann die Wirtschaftweise, die wir hier vor uns haben, von diesem Dogma ausgehend, interpretiert wird. Die Prüfung, ob die Einrichtungen für die Bedürfnisse wirklich nutzen, findet nicht statt.

So, das ist jetzt estmal sozusagen die Menschenbildeinleitung bei der VWL: Umgang mit knappen Gütern und der Versuch, aus einem ewigen Zuwenig das Meistmögliche zu machen.

7a. Haushaltstheorie

Jetzt kommen wir in die Abteilung, die das ganze durchführt, nämlich in die Abteilung „Haushaltstheorie“. Dazu ein Zitat, in dem auf die denkbar rücksichtsloseste Weise Geld und Gebrauchswert ineinsgesetzt werden. Also, da heisst es:

„Das Ziel und der Mitteleinsatz können sowohl im Geld als auch in technischen oder physikalischen Größen ausge-drückt werden.“

Ja, das ist die Frage, ob die Jagd nach dem Geld, die in unserer Wirtschaft stattfindet, dasselbe ist wie die Herstellung der nützlichen Dinge, die man in physikalischen Größen mißt. Hier wird die Frage hingegen bereits beantwortet, man kann es so oder so machen, für die VWLer ist das einfach ein und dasselbe.

Bevor wir richtig einsteigen in die Haushaltstheorie, noch eine kleine Nebenbemerkung zur ‚historischen Einordnung’: Die Haushalttheorie ist der moderne Erbe der alten Grenz¬nutzenschule. Und die VWL ist der späte Erbe der klassischen politischen Ökonomie, die durch Adam Smith, Ricardo etc. begründet wurde, allerdings ein Erbe, der seine eigene Herkunft ziemlich verschmäht. Die klassische politische Ökonomie hatte ihrerzeit (frühes 19. Jhdt., Smith schon etwas früher) erläutert, daß sich der Wert der Dinge, die Preise, auf den Wert der Waren und dieser sich wiederum auf die inkorporierte Arbeit zurückführen läßt. Mit dieser Theorie entdeckt man ganz schnell: dann herrscht aber Ausbeutung. Dann ist der Gewinn irgendwie Arbeit, die der Unternehmer sich aneignet, ohne sie zu bezahlen. Das liegt unmittelbar auf der Hand, wenn der Wert der Waren auf Arbeit zurückgeht, dann ist der Arbeiter ausgebeutet, dann ist der Gewinn eine Aneignung ohne Gegenleistung. Das hat Ricardo und das haben Ricardos Schüler gemerkt. In der zweiten Hälfte des 19. Jhdts wurde dann nahezu gleichzeitig an drei Orten in der europäischen Welt die Grenznutzenlehre entdeckt bzw. entwickelt [durch William Stanley Jevons (GB), Carl Menger (A) und Léon Walras (CH)].[6] Sie entwickeln in ihren Theorien eine neue Sicht auf die Dinge, die vom sogenannten objektiven Wert der Waren wegführt. Sie führen eine subjektive Wertlehre ein, dessen Idee darin besteht, daß die Menschen mitentscheiden darüber, was die Dinge kosten. In der Summe, die sie für ein Ding zu zahlen bereit sind, drückt sich der Nutzen aus, die sie diesem zuschreiben. Diese Theorie hatte natürlich von Anfang an eine kleine Schwierigkeit zu bewältigen: die nützlichsten Dinge kosten nicht furchtbar viel und manche vollkommen überflüssige Dinge sind sauteuer. Ein Mercedes kostet sehr viel mehr als ein Brötchen, und auf einen Mercedes kann man zur Not verzichten, auf’s Brötchen schlechter, wieso ist das also nicht umgekehrt usw. Und dann haben sie die Lehre vom subjektiven Wert zur Grenznutzenlehre fortent-wickelt. Diese revidiert den Gedanken von einem absoluten Nutzen und setzt an seine Stelle den ‚Nutzen relativ zum Versorgungsgrad’. Die Knappheit bzw. Seltenheit des Gutes und seine Nützlichkeit machen zusammen den Preis aus. Also in etwa so: je mehr es von einem Ding gibt, desto billiger (Brötchen) und je weniger es von einer Ware gibt (Mercedes), desto teurer. Das ist natürlich auch Blödsinn, aber es war halt eine ganze Weile die gültige Theorie.

Die moderne VWL hat den Einwand, dass es so einfach nun doch nicht mit den Preisen sei, dass die Preise sich aus einer Wertschätzung errechnen, geltenlassen. Aber als theoretische Antwort hat sie keine richtige Theorie über den Preis aufgestellt, sondern einfach das Thema verändert: Sie erklärt nicht mehr woher die Preise kommen, sondern wie man mit ihnen umgeht. Die Haushaltstheorie ist schlicht keine Theorie über Preise. Die Haushaltstheorie ist die Erläuterung dessen, was ein Haushalt macht, wenn er einkaufen geht: Er geht mit Preisen um. Und die ganze Beweisabsicht und die ganze Beweisleistung ist am Schluss unglaublich trival und dürftig, nämlich: Man kann mit Preisen rational umgehen; mehr kommt gar nicht raus.

So, wie führt die VWL die Haushaltstheorie ein? Das geht ungefähr so: Wir machen einen Großeinkauf für die Familie oder die WG und dann machen wir erstmal eine Liste, und da stehen dann die ganzen Güter drauf, 2 Pfund Butter, 3 Kilo Kartoffeln usw. Und mit dieser Erinnerung fängt das Fach an. Zitat aus dem Skript von Rürup, S 20:

„Der Konsum von Gütern dient dem Haushalt dazu, seine Bedürfnisse zu befriedigen. Diese subjektive Bedürfnis-befriedigung des Haushalts wird als Nutzen bezeichnet. Wird also die Präferenz für das Gut A Apfel geäußert, stifet das Gut A einen größeren Nutzen für den Haushalt als das Gut B Birne. Die Nachfrage nach einem Gut ist demnach abhängig vom Nutzen, dem es dem Haushalt stiftet. Bei steigendem Konsum geht man von einem abnehmenden Grenznutzen eines jeden Gutes aus. Je mahr also von einem Gut bereits konsumiert wurde, desto geringer ist der Nutzenzuwachs, die eine weitere, zusätzlich konsumierte Einheit dieses Gutes mit sich bringt.“

Anmerkung: Der Rürup ist in dieser Hinsicht eher etwas unvorsichtig und altmodisch. Da gibt es viel ausgebuftere, modernere Ökonomen, die die Rede vom Nutzen noch viel mehr umschiffen oder gänzlich vermeiden; aber gut, der Rürup tut uns also den Gefallen, er ist ja immerhin gegenwärtig einer der bekanntesten Ökonomen in Deutschland.

Zum Analyse des Zitats.

„Diese subjektive Bedürfnisbefriedigung des Haushalts wird als Nutzen bezeichnet.“

– Also gut, das nehmen wir erstmal so hin. Beim nächsten Satz ist jetzt schon unklar, was eigentlich die Sache ist, es ist unklar was Wirkung und was Ursache ist.

„Wird also die Präferenz für das Gut A Apfel geäußert, stifet das Gut A einen größeren Nutzen für den Haushalt als das Gut B Birne. Die Nachfrage nach einem Gut ist demnach abhängig vom Nutzen […].“

Will Rürup sagen, daß es da einen Nuten gibt und dieser Nutzen darüber entscheidet, ob ich Apfel oder Birne will, also welches der beiden Güter mir den grösseren Nutzen stiftet und ich dem deshalb nachgehe? Oder will er sagen: Die Präferenz, wenn einer den Apfel kauft beweist mir durch den Akt des Kaufens, daß dem Käufer der Apfel mehr wert ist als die Birne. Die letztere Fassung ist tautologisch und ohne jeden Gehalt. Will ich aber sagen, daß mich ein Nutzenkalkül zu diesem oder jenen Kauf veranlaßt hat, dann hat das zwar einen theoretischen Gehalt, bloß einen verkehrten, nämlich: „das Gut A Apfel stiftet einen größeren Nutzen als das Gut B Birne“ – das sagen die VWLer einfach so dahin. Dabei lernt man doch schon in der Schule, daß man Äpfel und Birnen nicht gleichsetzen soll, bzw. daß man qualitativ verschiedene Dinge nicht in quantitative Beziehungen zueinander setzen soll, denn sie haben untereinander gar keine. Das ist ernstzunehmen, denn so ist es auch mit dem Nutzen. Der Nutzen des Apfels hat kein Verhältnis zum Nutzen der Birne. Ein Mensch, der einen Apfel will, der will den Apfel nicht mehr als eine Birne. Wer Äpfel mag und Birnen nicht ausstehen kann, der liebt die Birne nicht weniger als den Apfel, sondern gar nicht. Und wer einen Apfel nimmt, weil er ihn mag, der präferiert ihn auch nicht gegenüber der Birne. Auch das ist wichtig: Das ‚Präferieren’ ist nämlich schon ein ‚Vergleichen’, eine Relation, die ist bereits in das ‚Nehmen des nützlichen Dings’ beim Zitat hineingeschmuggelt worden. Wenn ich etwas wähle bzw. nehme, dann heißt das nicht, daß ich es mit allen anderen Dingen verglichen habe, die auch nehmen könnte aber nicht will. Als würde man eine Liste machen, auf die man schreibt, was man alles nicht will, um am Ende dabei zu landen, was man will – das ist Unsinn. Es handelt sich dabei um kein Ausschlussverfahren. Es ist kein negatives Verhältnis zu anderen Dingen, sondern die anderen Dinge interessieren einfach nicht.

Hinzukommt, daß man die Kategorie Nutzen rationellerweise sowieso gar nicht vergleichen kann. Man kann nicht rationellerweise fragen: was ist nützlicher, ein Bett oder ein Glas Bier? Das Bett befriedigt das Bedürfnis nach dem Bett, und das Bier das Bedürfnis nach einem Bier. Und es gibt kein Verhältnis zwischen den beiden, was man darin merkt, daß es nicht drittes anderes gibt, was beide ersetzen könnte. Erneut wird in das Verhältnis des Menschen zu den nützlichen Dingen ein Sich-entscheiden-müssen aufgrund der Preise der Güter hineingeschmuggelt, was doch an dieser Stelle im Zitat ja noch gar nicht behandelt werden soll, es soll ja das Verhältnis von mir zu den nützlichen Dingen behandelt werden, außerhalb des Kapitalismus, unbeschadet in welcher Wirtschaftweise wir leben.

Einwand aus dem Publikum: teilweise unverständlich. Sinngemäß wird gesagt, es gibt doch bei einem gegebenen Bedürfnis verschiedene Weisen, es zu befriedigen.

Ja, wer so argumentiert, muß aber schon eine Stufe abstrakter werden. Natürlich kannst Du auch sagen: Willst Du Bier oder Leitungswasser? Und wenn Du denkst, um den Flüssigkeits¬haushalt des Körpers zu befriedigen geht beides – ja, das stimmt. Aber ich wollte jetzt gar nicht den Flüssigkeitshaushalt des Körpers befriedigen, wer will das schon, wenn er Durst hat, wenn er was trinken möchte? Also, schon auf die Vergleichbarkeit, für die Du jetzt plädierst, mußt Du eine Stufe abstrakter werden. Oder auch bei der Nahrung: Auf der Abstraktionsstufe ‚alles, was den Kalorienbedarf des menschlichen Körpers deckt, ist substituierbar’, ist der Einwand korrekt. Und dann landet man da, daß man sich nur noch von Haferflocken ernährt, weil die gegen alle andere kalorienstiftenden Güter substituierbar sind? Nein, ich wollte sagen: Zunächst einmal ist jedes Bedürfnis, auch das nach einem Apfel, ein bestimmtes, in sich bestimmt; dann will man eben auch den Geschmack eines Apfels haben. Und davon muß man sich verabschieden, wenn man sagt, gut, nehme ich halt die Birne, die ist gerade billiger. Wenn ich diesen Austausch mache, dann brauche ich einen Grund für den Austausch. Und ich weiß schon wo er liegt, der Grund: im Preis! Die Birnen sind im Sonderangebot, die Äpfel sind gerade teuer. Aber das soll ja noch gar nicht das Argument sein. Oder fangen wir mal ganz andersherum an: Die Leute werden schon zu solchen Absurditäten genötigt, denn wo Armut und Geldwirtschafft herrschen, da kommt es tatsächlich vor, daß den Leuten Entscheidungs-Absurditäten der Sorte ‚kann ich eher aufs Essen oder auf eine Behausung verzichten’ abgenötigt werden. Oder wem das Beispiel zu drastisch ist, eine andere Variante: Kann ich leichter auf den Urlaub oder den Ersatz der Waschmaschine verzichten…. Auf den verschiedenen Konsumniveuas gibt es dauernd solche Überlegungen. Und jeder, der in den Laden reingeht und die Kategorie ‚preiswert’ schätzt, der hat sich daran gewöhnt, seine eigenen Bedürfnisse immerzu mit dem, was er durch einen Kauf erreichen kann mit den Möglichkeiten seines Geldbeutels zu vergleichen. Die Leute setzen tatsächlich Unterhaltungsbedürfnisse und Ernährung in eine Relation. Aber halt, weil sie arm sind. Für diese Menschen kommt nie eine Maximierung des Nutzens raus! Stets kommt am Ende ein Weniger heraus, ein Verzicht auf das eine oder andere nützliche Gut, und zwar wegen der Geldschranke, die die Bedingung und damit auch die Beschränkung des Konsums darstellt.

7b. Vom Unsinn des abnehmenden Grenznutzens

Zurück zum abnehmenden Grenznutzen. Das ist ja die nächste Bestimmung, die in dieser Passage steht, nämlich, zumindest innerhalb dieses Gedanken¬gebäudes, daß Äpfel einen größeren Nutzten stiften als Birnen. Der Gedanke geht so weiter: „Bei steigendem Konsum geht man von einem abnehmenden Grenznutzen eines jeden Gutes aus.“ – Also: Äpfel stiften zwar mehr Nutzen als Birnen, aber nach dem dritten Apfel sinkt der Nutzen des Apfels in Richtung der Birne. Und nach dem vierten Apfel ist der Nutzen des Apfels endgültig auf dem Niveau der Birne. Das ist die Vorstellung. Und da möchte ich nochmal an meinen Ausgangspunkt erinnern: es stimmt nicht, so zu tun, als ob ein Bedürfnis in sich unbegrenzt wäre und es sich bei steigendem Konsum gewissermaßen asymtotisch gegen die Grenze Null bewegen wüde, also z.B. beim 1000. Teil. Das ist einfach nicht richtig: Wer am Abend 2 Bier trinken will, der will 3 Bier und nicht 4; und der Grenznutzen fällt, wenn das Bedürfnis befriedigt ist schnurstracks auf Null. Und um nochmal auf das Beispiel mit den Fersehern zu kommen: der Grenznutzen des ersten und einzigen Fernsehers fürs Wohnzimmer ist 1, und für den zweiten 0, denn ich will nur einen! Es ist absolut unsinnig zu behaupten, daß man da so eine Reihe „1, 0.75, 0.66, 0.5“ etc. vorliegen hat und beim hundertsten TV-Gerät wäre der Grenznutzen dann ganz winzig.

Wenn ich nur über den Nutzen rede, ist die Vorstellung einer abnehmenden Quantität des Nutzens absurd. In der Geschichte der VWL hat die Idee des Grenznutzens hingegen eine große Leistung vollführt. Die Studenten von Prof. Rurüp lernen das ganze Zeigs allerdings inzwischen ohne den Grund, warum die VWL sich das ausgedacht hat, sie lernen das nur noch als hingesetzte Grundsätze des Fachs.

Die Leistung besteht im folgenden: Irgendwie haben sie sich immer mit den Nutzenatomen rumgeschlagen; mit Fragen der Art, wo die gemeinsame Qualität Nutzen ist, an der man den konkreten Nutzen von Apfel und Birne verhleichen kann, so daß da quantitative Differenzen herauskommen. So richtig haben sie das nie hinbekommen. Und dann hat die VWL einen Notbehelf gemacht: Vielleicht kann man Äpfel und Birnen nicht vergleichen, aber in quantifizierter Weise geht es! Wenn ich immer mehr Äpfel habe, dann sinkt der Nutzen des Apfels auf das Niveau der Birne Dann kommt doch eine Gleichung des Nutzens zwischen Apfel und Birne heraus. Also hat man den Grenznutzen eingeführt und sagte von nun an: Im Grad der Versorgung wird die Sache immer weniger nützlich und wenn ich genug vom Apfel habe, dann gehe ich über zur Birne. Und übrigens: Die Vorstelllung, noch ehe ich das Bedürfnis nach Apfel vollständig befreidigt habe, gehe ich über zur Birne, weil der Grenznutzen des 4. Apfels jetzt klein genug ist, bzw. weil der Grenznuten der 1. Birne schon grösser ist – das ist doch absurd! Und lebt nur aufgrund der Tatsache, daß da ein „sich entscheiden müssen“ unterstellt ist. Aber wie gesagt, daß soll es ja nicht sein, es soll ja angeblich das natürliche Verhältnis vom Menschen zu den nützlichen Dingen sein, es soll angeblich der rationale Umgang mit dem Angebot an Gebrauchsgütern sein. Die Nicht-Befriedigung der Bedürfnisse ist dabei die bleibende Unterstellung.

Das nächste Zitat sagt ohne jedes Argument (ich weiß nicht, ob das bei anderen Professoren der VWL auch der Fall ist, ich bin aber dieser Auffassung): Was man mit Apfel und Birne machen kann, kann man auch mit Güterbündeln machen.

„Ein Konsument ist indifferent bezüglich zweier Güterkombinationen, wenn die beiden Kombinationen den gleichen Nutzen stiften. Die Höhenlinien werden daher als Indifferenzkurven bezeichnet.“

Theoretisch führt uns das natürlich keinen Schritt weiter. Man soll sich jetzt vorstellen: in bestimmter Quantität sind Apfel und Birne doch vergleichbar. Und wenn das so ist, dann sind nicht nur Apfel und Birne gleich, sondern – in einer bestimmter Quantität – alle Güter bzw. Güterbündel gleich, nämlich dann, wenn ich das Güterbündel so austariere, daß der Grenznutzen jedes der Güter gleich ist, so daß ich keine Nutzensteigerung mehr erzielen kann, wenn ich von dem Gut 1 eine zusätzliche Einheit nehme und dieselbe Größe der Nutzen-steigerung genausogut dadurch erhalte, indem ich eine weitere Einheit von Gut 3, 7, 18, oder 100… nehme. Ich bring die Quantitäten so in einen Ausgleich, daß – und jetzt kommt überhaupt erst das Thema, mit dem die VWL ihr Problem hat und es dann löst – daß ich einen ganzen Kosmos von Güterbündeln zusammenstelle, die mir alle gleich recht sind. Also, zum Beispiel stiftet mir Güterbündel A, das aus 1 Fernseher, 500 Äpfeln und 1 Flasche Bier besteht denselben Nutzen wie Güterbundel B, das aus 13 Fernsehern, 2 Äpfeln und 0 Flaschen Bier besteht…. Die Fehler, die vorhin besprochen wurden, stecken natürlich in den Güterbündeln genauso wie in den einzelnen Fällen.

Rückerinnerung: ursprünglich will der Haushalt ein bisschen einkaufen gehen und hat sich Güter auf einer Liste notiert, x Kilo Kartoffeln, ein bißchen Brot und und und… Nach der Vorstellung der VWL steht der Haushalt jetzt wirklich blöd in der Landschaft, denn er findet eine nahezu grenzenlose Gütermenge vor, einen unbegrenzten Güterraum.[7] Und in diesem nahezu endlosen Güterraum, gibt es endlos viele Verteilungen von Güterbündeln in allen möglichen Quantitäten – die – ja, die mir alle wurscht sind, alle gleich gut. Jetzt steht der Haushalt endgültig vor einem Problem: welches nehmen?? Die Theoretiker haben es soweit gebracht, daß eine Geschichte, die jeder Analphabet zu bewältigen versteht, zu einem unlösbaren theoretischen Problem gemacht wird. Ich könnte endlos viele Kombinationen von Gütern kaufen, die mir alle gleich recht sind – was tun?!? Tja, vielleicht einfach das nächse Zitat lesen:

„Für einen Haushalt stellt sich die Frage, wie die Wünsche und Bedürfnisse mit dem ihm zur Verfügung stehenden Mitteln verwirklicht werden können. Bei der Befriedigung ihrer Bedürfnisse sind die Haushalte in der Regel durch das Einkommen beschränkt, welches ihnen zur Verfügung steht. Geht man davon aus, daß ein Haushalt sein gesamtes Budget für den Konsum zweier Güter verwendet, deren Preise p1 und p2 aus der Sicht des Haushalts fest vorgegeben sind, so kann er nur eine bestimmte Menge dieser Güter konsumieren. Welche Güterkombination stellt unter diesen Voraussetzungen ein Nutzenmaximum dar?“

Also – wir stehen in der Landschaft rum, haben endlose Möglichkeiten Güterkombinationen zu kaufen, die uns alle gleichviel Nutzen stiften und uns vollkommen gleichgültig sind, aber – und jetzt kommt der Hammer – die Beschränkung, die dem Haushalt unterlegen ist, ist eine Hilfe! Dass man nicht kaufen kann, was man will und braucht, dass man einen beschränkten Geldbeutel hat, wird hier in dieser Theorie zu einem Hilfsmittel wie man zu einer Entscheidung gelangt, bei all diesen indifferenten Güterbündeln.

Einwurf aus dem Publikum: z.T. unverständlich. Es geht darum, dass die Indifferenzkurven schon nützlich sind, allerdings in einem anderen Zusammenhang als der Haus-haltstheorie selber. Die Indifferenzkurven seien nützlich, um den (abstrakten) Tausch erklären zu können.

Das Problem dabei ist, daß der Gedanke der Indifferenzkurven all die Fehler mitmacht, die ich bisher zu erläutern versucht habe. Der Gedanke wird nicht besser dadurch, daß man diesen Gedanken aus dem Gedankengebäude der Haushaltstheorie, aus dem Gebirge der Indifferenzkurven, wo dann auch noch die Budgetgerade ins Spiel kommt etc., herausnimmt. Der Vergleich der Nützlichkeiten von Dingen ist und bleibt ein irrationaler Gedanke. Und wenn man den Tausch erklären will, dann muss man erstmal ganz woanders anfangen: Man müsste z.B. anfangen zu fragen, was Eigentümer sind. Dem einen gehört dies, dem anderen jenes; als Hinweis: es ist nicht in allen Gesellschaften getauscht worden, es gab auch Arbeitsteilung ohne Tausch, das ist keine Selbstverständlichkeit, daß Tausch nötig ist. Tausch unterstellt also das Vorhandensein von Eigentum; und jeder gibt seines bloß her, wenn er eigentumsmäßig nichts verliert. Er will mindestens gleichgut raus¬kommen, wenn er tauscht. Deswegen gibt es den Tausch, und nicht deswegen, weil der mehr Nutzen stiftet, als nicht getauscht zu haben. Auch das ist so eine Vorstellung, die auch in der Grenz¬nutzenschule dann riesig ausgebreitet wird als eine Vorstellung, die nach dem Muster verläuft: Der Schuster produziert Schuhe, das erste Paar trägt er selber, das zweite hat einen abnehmenden Grenznutzen für ihn und das 3., 4. und das 100ste hat einen immer geringeren Grenznutzen, und insofern tauscht er die Paare immer lieber gegen die Wurst, die er selber nicht herstellt. Das sind so Robinsonaden – so heisst das in der marxistischen Terminologie – bei denen das Geschehen, was man hier vorliegen hat, in irgendeine Urzeit zurückverlegt, um sich das, was man hier hat als irgendwie sinnvoll vorzustellen. Es ist aber nicht so, dass die Schuhe, die der Schuster herstellt, einen geringen Grenznutzen für ihn haben und er sie deswegen gern hergibt. Sondern er produziert sie überhaupt bloß für den Austausch. Insofern ist die ganze Vorstellung, daß der Austausch fällig wäre, weil der Grenznutzen immer geringer wird, je mehr ich von einem Gut produziere, schlicht quatsch. Das zählt zu den Witzen, wenn einer sagt: Wenn Du eine Wurst brauchst, geh’ zum Metzger, der hat soviel davon, die verkauft er sogar. Das sind Witze, weil der Gedanke nicht erntsgenommen werden kann. Also, man kann die Idee der Indifferenzkurven in andere theoretische Zusammenhang stellen, nur besser wird sie dadurch nicht. Ich glaube, alle Kritiken, die ich dazu zu sagen versucht habe, sind dort genauso anzuwenden.

7c. Die Budgetgerade und das Haushaltsoptimum

Zurück zur Analyse des obigen Zitats: Die Schanke des Konsums, der Umstand dass man Preise bezahlen muss und ein beschränktes Einkommen hat, wird jetzt als Hilfe bei der Entscheidungsfindung in der Schwierigkeit, wie soll man sich in n-dimensionalen Güterräumen von lauter indifferenten (nämlich nutzenmäßig gleichwertigen) Güterbündeln entscheiden. Jetzt ist die Idee: Weil Du bloß ein begrenztes Einkommen hast, hast Du eine Entscheidungshilfe an der Hand. Dazu legen wir an die Indifferenzkurve(n) (Bild a) die Budgetgerade an (Bild c). Die Budgetgerade (auch Konsummöglichkeitsgrenze, Budgetrestriktion, Bilanzgerade) stellt alle Kombinationen von Güterbündeln dar, die sich das Individuum mit seinem Einkommen gerade noch leisten kann (Bild b.

a)

(a) Indifferenzkurven; Güterkombination A ist aus Sicht des Individuums schlechter als Güterkombination B.

b)

(b) Budgetgerade; der Haushalt kann sich zwar Güterkombination D leisten, nicht jedoch E.

c)

(c) Das „Haushaltsoptimum“, liegt am Schnittpunkt der Indifferenzkurve mit der Budgetgeraden. Eine ausführlichere Darstellung findet sich z.B. unter http://de.wikipedia.org/wiki/Haushaltsoptimum oder in jedem einführenden Lehrbuch der VWL.

Vereinfacht gesagt soll das „Haushaltsoptimum“ dann gegeben sein, wenn die Preisrelationen dem Verhältnis der Grenznutzen entsprechen.[8] Ja, des ist sehr lustig, weil eine Theorie des Preises wird das niemals sein. Die Erklärung dafür, wie hoch der Preis ist, da gehen wir jetzt mal nicht drauf ein. Aber am Ende kommt natürlich die alte Grenznutzenschulgleichung raus: das Verhältnis der Grenznutzen enstpricht dem Preis… Mit anderen Worten: der Haushalt hat sein Geld dann rational ausgegeben, wenn er für das, was ihm mehr wert ist, was ihm wichtiger ist, auch mehr Geld ausgibt. Für dieses extrem dürftige Resultat braucht die VWL dieses komplizierte mathematische Gebilde, bei dem ich jetzt schon die größtmögliche vertretbare Vereinfachung vorgenommen habe, weil man es sonst sowieso nicht in einer kurzen Abendveranstaltung abwickeln kann.

Vielleicht an dieser Stelle noch einmal eine Erinnerung daran, daß Preis und Nutzen ungleich sind, daran, daß Preis ein Anti-Nutzen ist, denn der Preis ist ja das Hindernis für den Nutzen, denn ich muss ihn bezahlen. Man kann auch noch anders belegen, daß Preis und Nutzen einer Ware keine Relation zueiander aufweisen. Wenn z.B. die Preise der „weissen Waren“ (Waschmaschinen, Kühlschränke etc.) infolge einer steigenden Produktivkraft der Arbeit sinken, dann ändert das doch überhaupt gar nichts an dem unbestreitbaren Nutzen eines Kühlschranks! Und diese Erkenntnis hält die VWL (theoretisch) letztenendes dann doch nicht aus, weil die Vorstellung, daß Preise nützliche Einrichtungen für die Bedürfnisse sind, in irgendeiner Fassung immer die Vorstellung braucht, dass der Preis Ausdruck der Wertschätzung und Mittel der Wertschätzung ist. So, jetzt bin ich fertig mit der Haushaltstheorie.

8. Die Theorie des Marktes

Jetzt mache ich einen großen Sprung, da kommt in der VWL noch eine ganze Menge mehr, aber ich will heute nur noch die Theorie des Marktes erläutern.

Also, der grosse Ex-Post-Wirtschaftkoordinator aller Aktivitäten….:

„Im Zentrum der VWL stehen die Antworten auf die Frage, was, wann, wie, wofür, für wen und wo produziert werden soll. Diese Grundprobleme treten in jeder Wirtschafts-ordnung auf, in Planwirtschaften ebenso wie in Marktwirt-schaften. Bei marktwirtschaftlicher Lösung regeln sich Produktionsziel, Produktionsmethode, Verteilung und Standorte mithilfe des Angebots- und Nachfragemecha-nismus über die Preisbewegungen, d.h. letztlich über die freien Entscheidungen der Konsumenten. In Planwirt-schaften sind diese Entscheidungen grundsätzlich durch Planbehörden zu treffen.“

Also, da wird ein Systemvergleich gemacht, der gehört auch zum Fach. Und es wird so getan als ob die Marktwirtschaft denselben Zweck verfolgen würde wie die Planwirtschaf, nämlich ‚Versorgung’. Das stimmt natürlich nicht, denn die Marktwirtschaft hat zunächst mal nicht den Zweck der Versorgung. Dies wird auch noch zugegeben, nämlich in der Fassung: ‚Koordiniert wird bei uns nicht von vornherein, sondern es wird ex-post-koordiniert durch den Markt.’ Der Markt ist der große Ex-post-Koordinator von Angebot und Nachfrage. Und am Schluß kommt dann raus, daß die Entscheidung darüber, was, wann, für wen, wo produziert werden soll, durch die freie Entscheidung der Konsumenten bestimmt wird…

Immerhin: In der Haushaltstheorie haben wir gelernt, daß sich die Konsumenten am Preis und am Warenangebot orientieren, aber ganz bestimmt bestimmen sie beides nicht. Ihre ganze Aktivität ist doch darauf beschränkt, sich daran auszurichten, was man unter den gegebenen Bedingungen hinkriegt. Jetzt lernen wir, daß der Markt Angebot und Nachfrage koordiniert und die Konsumenten schlußendlich dadurch in die Rolle des Bestimmers geraten, der darüber bestimmt, was, für wen, wo und in welcher Qualität produziert werden soll. Nun, wie soll der Markt so etwas leisten? Nächstes Zitat:

„Die freie Preisbildung auf dem Markt sorgt für einen Ausgleich von Angebot und Nachfrage. In diesem Zusammenhang steht auch die allgemeine Aussage, Angebot und Nachfrage regeln den Preis.“

Auch das ist eine falsche Behauptung. Der Markt, bzw. die freie Preisbildung auf dem Markt gleicht Angebot und Nachfrage überhaupt nicht aus. Um das zu verdeutlichen, möchte ich das nächste Zitat gleich dazunehmen und erst dann darüber reden. Da wird nämlich erläutert, wie man sich das vorzustellen hat:

„Der Preis wird durch Angebot und Nachfrage bestimmt. Als Bespiel kann ein Kamelmarkt oder die Börse dienen, auf denen um die Preise gefeilscht wird. Die Anbieter nennen in ihrer ersten Offerte zunächst einen hohen Preis, die Nachfrager sind nicht bereit soviel zu zahlen und machen ihrerseits eine erste Nennung mit einem sehr niedrigen Preis. Da die Anbieter nicht bereit sind zu einem so niedrigen Preis zu verkaufen, kommt es zur nächsten Verhandlungsrunde. Dieser Prozeß geht so lange weiter, bis die angebotene Menge Preis gleich der nachgefragten Menge Preis ist. Der Gleichgewichts- oder Marktpreis ist der Güterpreis, bei der Angebots- und Nachfragemenge übereinstimmen.“

Da wird ein sehr merkwürdiges Bild von einem Markt gezeichnet. Der soll so funktionieren, daß die Anbieter am liebsten riesige Preise kassieren, die Nachfrager am liebsten nichts bezahlen und sich dann beide schön langsam aufeinander zu bewegen, bis am Ende die angebotene und nachgefragte Menge gleich ist und der Preis sich danach richtet. Ist Euch schonmal aufgefallen, daß das nicht der Markt ist, den wir kennen? Das ist vielmehr das Bild einer Versteigerung. Und wenn eine Versteigerung stattfindet, dann ist die Seite, die versteigert schon gar kein freier Marktteilnehmer mehr. Der skizzierte Mechanismus mag tatsächlich eintreten, wenn man z.B. einen Pleitier betrachtet dessen Hab und Gut versteigert wird, um aus diesen Erlösen seine Schulden zu tilgen. Bei soclhen Szenarien redet der (Ex-)Besitzer nicht mit beim Verkauf. Bei Versteigerungen steht eines fest: Das Gut wird auf jeden Fall verkauft, und wenn der Verkäufer weniger erlöst als sich eingebildet hat erlösen zu können, dann ist es sein Pech.

In einen wirklichren Szenario mit freien Wirtschaftssubjekten, mit freien Marktteilnehmern findet was ganz anderes statt: Wenn ein Anbieter den Preis nicht kriegen kann, den er haben will, oder den er braucht, oder für nötig und richtig findet, dann zieht er sein Angebot zurück, dann findet der Handel halt nicht statt. Es ist nicht so, daß die Mercedesse bis auf Brötchenpreise herunterfallen, weil Angebot und Nachfrage es so wollen. Da werden die Dinger einfach nicht verkauft, dann bleiben sie auf Halde und spätestens dann schränkt Mercedes die Produktion ein. Der Preis hat ganz andere Bestimmungsgründe als Angebot und Nachfrage. Oder andersherum ausgedrückt: Da wird so getan, als hätten die Anbieter und die Nachfrager gleichermaßen den Zweck ‚Markträumung’. Aber den Zweck gibt es nicht, den hat niemand, außer eben bei der Versteigerung. Im wirklichen Markt gibt es den Zweck ‚Markträumung’ nicht. Die Verkäufer benutzen das Bedürfnis, das sie vorfinden, um den Bedürftigen, der der Käufer ist, soviel Geld abzunehmen, damit es für sie ein Geschäft war, bei dem Gewinn abfällt. Und wenn der Gewinn nicht rauskommt, stellen sie das Anbieten ein! Wenn der Satz am Schluß des Zitats jedoch nur heißen soll, daß der Gleichgewichtspreis der Güterpreis ist, bei dem Angebot- und Nachfragemenge übereinstimmen, wenn es also nur bedeuten soll, daß die verkaufsfähige Angebotsmenge und die kaufwillige Nachfrage-menge übereinstimmt, dann ist der Satz eine reine Tautologie und wiederum ohne jeden theoretischen Gehalt. Dann heisst es: Es hat genausoviel Käufer wie Verkäufer gegeben bzw. es ist genausoviel verkauft wie gekauft worden. Und das ist immer so, wenn irgendwas über den Tisch geht, weil jeder Kaufakt auf der einen Seite ein Verkaufsakt auf der anderen Seite ist. Will ich aber sagen: Alles, was einer verkaufen wollte ist er auch losgeworden, und alles Bedürfnis, das sich am Markt bedienen wollte ist zum Zug gekommen, dann habe ich eine sehr weitgehende Behauptung; aber die behauptet auch niemand von den Markttheoretikern ernsthaft. Diese Rürup-Schrift geht gleich los mit:

„Bedürfnisse hat man viele. In der Wirtschaftstheorie zählen nur Bedürfnisse, die mit Geld ausgestattet sind; diese heissen Bedarfe.“

Ja, wenn ich überhaupt bloß kauffähige Bedürfnisse in Anschlag bringe und zwar das kauffähige Bedürfnis, das zu dem Preis, der am Markt angeboten wird, auch kauft, und ich auf der Angebotsseite bloß das in Betracht ziehe, was an Ware, zu dem Preis, zu dem auch auf dem Markt tatsächlich verkauft werden kann – also alles, was auf Halden liegt rausrechne und alle Bedürfnisse, die nicht zum Zuge kommen rausrechne – ja, dann habe ich ein prima Marktgleichgewicht! Und zwar bei jeder Krise, bei jedem Stadium von Not, bei jeder Armut – dann ist der einzige Schwindel, so zu tun als ob sich das Marktgleichgewicht erst einstellen müsste, denn das Gleichgewicht ist dann ja schon von vornherein immer vorhanden.

Mit dem Gedanken der Markttheorie wird das Verhältnis der entscheidenen Größen, so wie es im ersten Abschnitt bei der Haushaltstheorie eingeführt wurde, ganz einfach umgedreht. Bei der Haushaltstheorie galt: Die Menschen orientieren sich mit ihren Bedrfnissen an den Preisen, also ist der Preis fix und die Nachfragemenge variabel. Bei der Marktheorie dreht man den Spieß einfach um und sagt: Die Nachfrage und das Angebot sind die vorge¬gebenen Größen und der Preis ist variabel. In der Produktionstheorie, nicht faul die VWLer, macht man sogar noch die dritte Variante und sagt: Preis und Nachfragemenge sind vorgegeben, dafür ist das Angebot variabel. Am Schluß ist alles vom anderen abhängig und aufs Ganze gesehen betrachtet die VWL die Preise zugleich als die vorausgesetzten und resultierenden Größen, ebenso ist die Nachfragemenge eine vorausgesetzte Größe wie sie gleichzeitig Resultat aller Bewegungen ist.

Theoretisch gesehen ist das wiederum ein Riesenzirkel, der bloß zeigt, daß die wirklcihen Bestimmungsgründe der Preise von der VWL gar nicht erkannt sind. Die VWL beschränkt sich darauf zu sagen, daß Angebot und Nachfrage die Preise bestimmen und umgekehrt die Preise das Angebot und die Nachfrage bestimmen, je nachdem, von welcher Seite aus man das zu betrachten denkt.

Einwurf vom Publikum: z.T. unverständlich; es wird auf die mathematische Exakt¬heit in der VWL hingewiesen, auf die Tatsache, dass die Gesetze in Gleichungen ausgedrückt werden, und dann wohl doch da die Bestimmungsgründe drinstehen müssten.

Dieses Argument wird häufig in der VWL verwendet. Doch was hat man geleistet, wenn man die Größen in eine Gleichung giesst? Am Schluß habe ich dennoch eine Zirkeldefinition, in der Angebot und Nachfrage den Preis bestimmen und der Preis sich durch Angebot und Nachfrage bestimmt. Daran ändern Gleichungen gar nichts: Ich habe 3 Unbekannte, drücke diese 3 Unbekannten jeweils als Wirkung der anderen aus, und am Schluß habe ich immer noch lauter Unbekannte. Eine objektive Bestimmung der Größen kommt dabei nie heraus. Ich habe aber in meiner Erläuterung eben noch viel mehr gesagt; ich habe ja gesagt, es stimmt ja gar nicht, daß der Anbieter den Preis wirklich nach der Nachfrage ausrichtet; der Anbieter richtet ihn vielmehr danach aus, ob er für ihn einen Gewinn abwirft, also ist der Preis nicht wirklich die Variable der Nachfrage. Die Anbieter sind doch gar nicht bereit mit dem Preis soweit runterzugehen, wie die Nachfrage es verlangen würde. In jeder Krise gibt es unbefriedigte Bedürfnisse auf der einen Seite und Waren auf Halde auf der anderen Seite. Und keiner von beiden sagt, achgott, dann zahle ich mehr, damit der sein Zeug hergibt und der andere sagt, achgott, da gebe ich es billiger her damit Markträumung eintritt. Das, was übrigbleibt ist einfach, daß man sich das Ganze aber als wunderbaren Regelkreis vorstellen könnte. Mehr leistet die ganze Theorie gar nicht.

9. Prognose & Politikberatung – die VWL in praktischer Absicht

Im letzten Abschnitt möchte ich noch was zu dem Punkt „Prognose & Politikberatung – die VWL in praktischer Absicht“ ausführen. Um dahinzukommen möchte ich nochmal den Gedanken von eben aufgreifen. Bisher haben wir uns um die Kategorien Angebot, Nachfrage und Preis beschäftigt. Die VWL erklärt nicht, was ein Preis ist, stattdessen wird er ausgedrückt als Funktion von Variablen, als ein f(x). Der Preis ist die abhängige Variable von Angebot und Nachfrage. Bei der nächsten Gelegenheit sagt die VWL, das Angebot ist eine abhängige Variable von Preis und Nachfrage usw. Diese Abhängigkeitsbeschreibungen gehen weiter: Das Wachstum ist eine Funktion der Zinsen, eine Funktion der Löhne, und die Löhne sind wiederum eine Funktion des Wachstums. Volkswirtschaftstheorie besteht im wesentlichen darin, alle bekannten ökonomischen Größen in erstmal definitorische Funktionsgleichungen mit anderen ökonomischen Größen zu giessen, wobei übrigens lustigerweise die quantitative Bestimmtheit gänzlich unbestimmt bleibt, die ist immer das Ungewisse dabei – deshalb treibt die VWL auch Mißbrauch der Mathematik. In der Physik ist das anders, da steht eine bestimmte quantitative Größe in den Gleichungen, mit der man etwas definiert. Der VWL reicht es, darzustellen, daß irgendwas überhaupt eine Funktion einer Größe ist. Der Preis ist eine Funktion der Nachfrage, sagt sie, wie er eine Funktion ist, welche Funtion tatsächlich die Abhängigkeit beschreibt, in quantitativer Bestimmtheit, also z.B. in der Form ‚Nachfrage zum Quadrat’, das sagt sie (wohlweislich) nich. Deshalb sind die Gleichungen in der VWL auch nur eine Imagination einer mathe-matischen Funktion und konkrete Rechnungen, die bestimmte Größen als Ergebnis liefern, werden überhaupt nicht durchgeführt. Was wir dann kriegen ist ein Bild der Wirtschaft, in dem die VWL nichts mehr groß erklären will, sondern sie will darstellen, dass es sich beim Wirtschaften um einen komplexen Funktionszusammenhang handelt, indem alles bewirkt ist und alles zugleich Wirkendes ist. Alle Größen, die es gibt, sind Wirkungen anderer Größen und alle Größen, die es gibt, wirken zugleich auf (alle) andere Größen. Das ist die Vorstellung, die die VWL von ihrem Fach erzeugt. Und das merkt man dann auch sehr schön, wenn de VWL mal aus ihrem Theoriegebäude heraustritt und die aktuelle wirtschaftliche Lage analysiert. Di gegenwärtige Lage wird dann als Ergebnis einer komplexen Wirkung aller möglichen Einflüsse erklärt; und umgekehrt wird de zukünftige Lage als beeinflussbar dargestellt, indem geschickt auf eine oder mehrere Steuergrößen eingewirkt wird. Da merkt man, dass die Theoriekonstruktion auch schon aus dem Bild der praktischen Politikberatung geboren ist. Es ist nicht so, daß die VWL eine Theorie aufgestellt hat und dann benutzt, sondern sie hat die die Theorie gleich daraufhin konstruiert, daß sie sich in die Lage versetzt sieht, den Politikern zu sagen, wie eine Verbesserung des nationalen Wachstums resultiert: hier ein bisschen den Zins rauf, da die Löhne ein bisschen runter, die Stastsschuld ein bisschen nach links und die Exporte ein bisschen nach rechts…. Kurz gesagt: Der Wille zur Steuerung gebiert das Bild, das sich die VWL von der Wirtschaft macht.

Jetzt will ich bloß noch zeigen, wie billig aktuelle Wirtschaftsanalysen dann ausfallen. Wenn dieses Gedankengebäude ‚alles ist eine Wirkung eines anderes und wirkt auf alles andere’ auf eine aktuelle Konjunkturlage zur Anwendung kommt, und zwar im Nachhinein, denn von den Prognosen weiß man, daß sie nie stimmen, was weder die Prognostiker noch diejenigen groß in Zweifel stürzt, die die Prognose in Auftrag gegeben haben. Bei den nachträglichen theoretische Erklärungen besteht der Fortschritt der Theoriebildung darin, zu sagen, daß die alte Prognose von gestern verkehrt war und warum das in Ordnung geht, jdaß die alte verkehrt war. Ein Beispiel dazu:

„Selten mussten Konkunkturprognosen im Laufe eines Jahres so starkt korrigiert werden wie im Jahre 2001. Ende letzten Jahres erwarteten die meisten Prognostiker für Deutschland wie auch für die anderen europäischen Länder für das Jahr 2001 lediglich eine leichte Abflachung des Wachstumstempos. Stattdessen kam es zu einem augeprägten Abschwung, der durch die Terroranschläge vom 11. September noch verstärkt wurde. Ein wesentlicher Grund dafür war die deutliche Abschwächung der Weltkonjunktur, die in diesem Ausmaß nicht erwartet wurde. Sie schlug sich nicht nur im Export nieder, über eine Verschlechterung der Geschäftserwartungen nahm sie auch Einfluß auf die inländischen Produktions- und Investitionsentscheidungen. Im Laufe des Jahres lamen zudem die dämpfenden Einflüsse der letztjährigen Straffung der Geldpolitik merh und mehr zum Tragen. Im Frühjahr schmälerte überdies eine unvorhergesehene Beschleunigung des Preisanstiegs – ausgelöst durch wieder anziehende Energiepreise und Tierseuchen – die Kaufkraft der privaten Haushalte.“

Also, so liest sich das dann zum Beispiel. Die Analyse ist nicht ganz aktuell, aber gut. Der Analytiker befasst sich also damit, dass die alte Prognose nichts war und erklärt warum man sich getäuscht hat, und argumentiert immer von einer enttäuschten Erwartung her, die sie gehabt haben. Jetzt gibt er Gründe an: Man hatte lediglich eine leichte Abschwächung des Wachstums¬tempos erwartet, stattdessen kam es zu einem ausgeprägten Abschwung. Wesentlciher Grund dafür war die deutliche Abschwächung der Weltkonjunktur. Fällt den Zuhörern was auf? Hier wird mit der Dialektik von Teil und Ganzem operiert. Also der Grund des Konkunkturabschwungs war der Weltkonjunkturabschwung. Warum es zu diesem Konjunkturabschnwung kommt, ist auf diese Weise nicht zu erklären, wenn man lediglich sagt, daß die Konjunktur niedergegangen ist, weil die Konjunktur überhaupt niedergegangen ist. Das steht erstmal da. Jetzt wird gesagt, ‚auch bei uns, weil überall’. Ja, wäre auch komisch, wenn es anders gewesen wäre. Ein Grund dafür fehlt bisher. ‚Die Abschwächung schlug sich nicht nur im Export nieder’. Es gibt auch Fälle, wo man sagen muß, da wird die Fiktion einer Wirkung erzeugt, wo man aber tatsächlich von derselben Sache redet. Es ist in der Welt weniger Geschäft gegangen, war der Ausgangspunkt, naja, das heisst dann jawohl auch, daß die Deutschen weniger verkauft haben. Jetzt gleich zu sagen, das ist eine Wirkung, man nimmt die Sache – Weltkonjunktur geht zurück, es gehen weniger Geschäfte – als Ursache, und die Tatsache, daß weniger Geschäfte in Deutschland gehen wird als Wirkung dargestellt. Zweimal dasselbe, einmal als Ursache, einmal als Wirkung. Da ist überhaupt kein Fortschritt drin. Gut. Die haben weniger verdient, und weil sie weniger verdient haben, haben sie auch weniger investiert. An der Stelle wird eine notwendige Konsequenz suggeriert. Aber diese Konsequenz ist überhaupt nicht selbstverständlich. Manchmal geht es genau umgekehrt, da heißt es dann, gegen die schlechte Konkurrenz¬situation haben die mutigen Unternehmer noch während des Konjunkturabschwungs investiert und damit ihre Konkurrenzsituation für die nächste Runde heftig verbessert. Es ist überhaupt nicht ausgemacht, daß das so eintreten muß bei so einer Lage. Jetzt in diesem Fall ist konkret ein Konjunkturabschwung herausgekommen… Insofern wird auch immer deutlich, daß es sich bei solchen Analysen um Interpretationen im Nachhinein handelt. Ja, hinterher ist man immer gescheiter. Aber es wäre zu klären, ob die angeführten Ursachen überhaupt Notwendigkeit beinhalten, die sozusagen schon durch die Fakten beantwortet sind. Und weil das der Fall ist, kann man ganz einfach irgendwas sagen und den Eindruck von Notwendigkeit erzeugen, obwohl diese in der Sache überhaupt gar nicht drinstecken muß.

So ähnlich geht’s dann weiter. Ich lass mal das mit der Geldpolitik weg, ich nehme noch den anderen Satz: Im Frühjahr schmälerte überdies eine unvorhergesehene Beschleunigung des Preisansteigs – ausgelöst durch wieder anziehende Energiepresie und Tierseuchen – die Kaufkraft der privaten Haushalte.

Das ist wieder so ein Fall,wo man sich entscheiden muß, ob man eigentlich sagen will, das ist sowieso vorne und hinten dasselbe. Wenn alles teurer wird, ist die Kaufkraft gesunken. Hier wird der Eindruck erweckt, als sei das eine die Ursache, das andere die Wirkung – aber es ist doch dasselbe, insofern ist da eigentlich kein Argument drin.

Das nächste ist: Ja, die privaten Haushalte müssen mehr bezahlen. Ob das jetzt gleich eine Ursache dafür ist, daß sie auch weniger kaufen, ist überhaupt nicht ausgemacht. Hätten sie mehr gekauft, würde er gesagt haben, die privaten Haushalte haben entspart, um ihren Konsum trotz steigender Preise aufrechtzuerhalten. Das wäre genauso logisch oder genauso unlogisch. Man erzeugt den Anschein von Notwendigkeit und wie gesagt es ist im Nachhinein immer billig, weil das Faktum ist ja schon der Beweis, daß es Ursachen gegeben haben muß, also muß man bloß irgendwelche nennen, und schon fassen die Leute das auf als die Ursache für das Faktum auf. In der Ursache selber steckt aber gar keine Notwendigkeit, daß dieses Ergebnis rauskommt.

Jetzt will ich aber noch auf was ganz anderes eingehen an dieser Stelle. Jetzt hatte ich immer diese Tautologien von Ursache und Wirkung zu fassen. Die VWL mit ihrer Kunst alles als Bewirktes und Wirkendes aufzufassen, alles als Ursache und Verursachtes ist immer frei alle Wirklicheiten in zwei Richtungen auflösen zu können. Was einem hier auffällt ist, die wollen den Konkunkurabschwung für notwendig bzw. vernünftig erklären, in dem Sinne ‚hat wohl so kommen müssen’. Und weil sie das sagen wollen, sagen sie, der Preisanstieg hat die Kaufkraft geschmälert. Mit demselben Recht hätten sie den Preisanstieg als Erklärung für einen Aufschwung nehmen können, wer er denn eingeterten wäre und sie diesen im Nachhinein erklären wollten. Denn irgendwer muß die gestiegenen Preise ja kassiert haben, sagen wir, wenigstens die Ölwirtschaft, die hier erwähnt wird, oder auch die anderen Energieerzeuger. Sie hätten sie sagen können: die Energieerzeuger konnten ihre Gewinnsituation verbessern, weil sie höhere Preise durchsetzen konnten. Das Faktum ist genau dasselbe. Und das ist günstig für Wachstum und die Investitionsfähigkeit der Energiewirtschaft. Also, einen Preisanstieg einfach als negativ, als schädlich für die Wirtschaft auszudrücken, das fällt ihnen ein, weil die Konjunktur halt einen Schaden erlitten hat. Wenn sie gewollt hätten und die Konjuntur keinen Schaden erlitten hätte, hätten sie das gesagt, was ich gerade beispelhaft angeführt habe. Dann wäre es ein Grund für Wachstum. Jedes dieser ins Auge gefassten Fakten läßt sich immer auch andersherum lesen.

Die VWL ist bei der Analyse der Wirklichkeit immer so frei zu entscheiden, wo sie ihre Wirkungskette anfangen läßt und wo sie einfach Schluß damit machen will. Hier im Zitat z.B. die Entscheidung mit der Geldpolitik. Das betrachtet dieser Theoretiker an dieser Stelle als einen exogenen Faktor, genauso wie die Anschläge vom 11.09. Generell ist es ja bei diesen Theoretikern so, daß sich ihr System prinzipiell auf ein Gleichgewicht zubewegt; diese Bewegung kann aber durch exogene Faktoren gestört werden, in diesem Fall die Aktion der Bundesbank, die Zinsen zu erhöhen. Wenn er gewollt hätte, dann hätte er natürlich auch sagen können, ich betrachte die Aktion als eine bewirkte. Durch den Preisanstieg, der vorher passiert ist, durch die Inflationssorgen, hat die Bundesbank reagieren müssen. Dann ist die Zinserhöhung nicht Ursache sondern Bewirktes und Resltat von einem Zustand vorher. Also man ist da sehr frei, den Eindruck von Kausalität und von Beherrschung des Gegenstands zu erzeugen, der tatsächlich nicht beherrscht ist.

10. Schlußworte

Jetzt will ich nochmal zurück zum Ausgangspunkt. Der Gedanke, daß der Markt eine große Retorte ist, der Angebot und Nachfrage koodindiert, hat ein riesiges antikritisches Potential. Und zwar weil der Gedanke allen Interessen, die hierzulande zum Zuge kommen, recht gibt, und allen, die nicht zum Zuge kommen, unrecht; diese haben dann ‚unrealistische Vorstellungen’ gehabt. Der Markt entscheidet darüber, ob Erwartungen realistisch sind oder nicht. Bei denen, die zum Zuge kommen, die bessergestelllten Schichten, da war dann wohl offensichtlich ihre Leistung soviel wert, wie sie herausbekommen haben, Diejenigen hingegen, die schlecht dastehen, kriegen mit der Logik des Marktes alle Unzufriedenheit zurückgewiesen – ‚du hast eine unrealistische, nicht vom Markt gedeckte Erwartung an dein Einkommen gehabt’.

Von der Gleichung von Preis und Nutzen der alten Grenznutzen-theretiker weicht die VWL zumindest im Alltagsgebrauch (in den theoretischen Gefilden ist sie etwas vorsichtiger) keinen Millimeter ab, und die Botschaft lautet: einer verdient was er verdient. Was einer aus dem Markt herauszieht ist der gerechte Gegenwert dessen, was er hineinwirft, denn sonst würde es ihm der Markt doch nicht gewähren. Und umgkehrt, die Millionen Arbeitslosen sind alle ein Beweis dafür, daß sie zu hohe Erwartungen ans Einkommen haben, sonst wären sie jawohl nicht arbeitslos. Der Markt sagt ihnen doch, daß sie zu diesem Preis nicht verkäuflich sind. Der Markt gilt als große Retorte der Gerechigkeit und als der große Abgleich von Nutzen und Kosten – das ist ein sehr schlechter Scherz.

Jetzt wird in Deutschland ein Niedriglohnsektor eingeführt. Der Unternehmer zahlt natürlich immer gerne so wenig wie möglich und nehmen es gerne in Anspruch, daß die Leute inzwischen für ein Schandgeld, für ein Geld, von dem man nicht leben kann, den Tag verbringen müssen. Und was sagt die VWL dazu? Da sieht man wie wenig Leistung diese Leute erbringen. Da wird einfach der niedrige Lohn als Index des Gegenwerts, den die Leute abliefern, genommen, und dann sieht man am niedrigen Lohn, wie niedirg die Leistung ist, die da ‚belohnt’ wird.

Der Gedanke, daß der Preis ein Index für Leistung ist, hat in einer Klasengesellschaft eine bösartige und großartige Leistungskraft. Er gibt denen, die gewinnen absolut recht, bis hinzu zu Popstars, die eine Million für einen Auftritt am Abend kassieren; das entspicht dann jawohl offenbar der Nachfragesituation, somit vedient er das auch. Und wenn die Leute für 5 Euro arbeiten müssen, dann entspricht das offenbar ebenso deren Leistung. Für diesen antikritischen, apologetischen und ideologischen Grundgedanken ist die VWL all-die-weil gut.
 

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Fußnoten:
[1]
Wer VWL studiert, muß ewig mit Kurven operieren und da wird nicht gerade wenig gerechnet (um wenigstens den Schein des Objetiven zu wahren).

[2] Peter Bofinger, Wirtschaftsweiser von der Universität Würzburg, Keynsianer, wurde in den Rat der Weisen gewählt mit Beginn der Rot-Grünen Regierungskoalition; er vertritt in diesem Rat ein Minderheitenvotum. Die Anhänger Bofingers stellen in dem Fach lediglich eine kleine Minderheit dar.

[3] Immerhin ist der Preis das Negative eines Bedürfnisses, der Preis ist das, was einen daran hindert, so einfach auf das Gut eines Bedürfnisses zuzugreifen, der Preis ist das, was man hergeben muß, wenn man etwas haben will

[4] Das ist übrigens ein Fortschritt, den die VWL in ihrer eigenen Geschichte erst bewerkstelligen mußte.

[5] Ist ein Auto mit 6 Airbags, Klimaanlage, elektrisch verstellbaren Sitzen etc. aus den geringst¬möglichen Mitteln für den Zweck der Fortbewegung produziert worden? Wird ein Airbag mit einer immer geringeren Menge eines expandierbaren Stoffes befüllt, so dass er irgendwann gar kein Airbag mehr ist?

[6] 20 Jahre zuvor hatte Hermann Heinrich Gossen (7. September 1810 in Düren; † 13. Februar 1858 in Köln, preußischer Nationalökonom) schon ähnliche Ideen, die jedoch zu dieser Zeit niemanden interessierte.

[7] Die VWLer sprechen in diesem Zusammenhang auch gerne von der Dimensionalität eines Güterraumes: Dieser ist 2-dimensional, wenn ich nur 2 Güter nehme; nachdem aber die moderne Warenwelt zehntausende Güter hat, ist er dann enstprechend zehntausend-dimensional, im unbestimmten Fall kurz n-dimensional.

[8] Bzw. gilt beim „Optimum“, daß die Grenzrate der Substitution gleich dem negativen Preisverhältnis ist.


contradictio - 2006