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Peter Schadt: Digitalisierung heißt Kontrolle

Von • Nov. 5th, 2024 • Kategorie: Allgemein

Digitalisierung heißt Kontrolle
Vier Thesen zur doppelten Digitalisierung der Bildungsarbeit
Von Peter Schadt

Wir dokumentieren an dieser Stelle den Vortrag »künstliche Intelligenz – Was sie ist und was sie ändert«, den Peter Schadt bei der Cobra-VHS-Fachtagung »künstliche Intelligenz – Gamechanger in der Arbeitswelt?« am 30. September 2024 in Essen gehalten hat. (jW)

Im Folgenden werde ich vier Thesen vorstellen. Die vier Thesen sollen sich dabei dem Thema Ihrer Tagung – der Veränderung der Bildungsarbeit durch künstliche Intelligenz (KI) – immer weiter annähern.

Meine vierte und letzte These begründet diesen Aufbau und soll deshalb schon hier skizziert werden: Die Bildungsarbeit unterliegt nicht erst seit der künstlichen Intelligenz, aber jetzt noch mehr, einer doppelten Digitalisierung.¹ Damit ist eine Feedbackschleife gemeint.

Einerseits geht es nämlich darum, sich Rechenschaft abzulegen darüber, wie die KI im Speziellen und die Digitalisierung im Allgemeinen die Bildungsarbeit selbst verändert: Welche Rolle also die digitale Technik und KI als Mittel der Bildung spielen. Diese Digitalisierung erster Ordnung ist aber nur eine Seite.

Andererseits geht es nämlich darum, die gesellschaftlichen Disruptionen im Blick zu haben, und wie sich diese auf die Bildungsarbeit auswirken. Diese mittelbare Digitalisierung, die Digitalisierung zweiter Ordnung, ist für die Bildungsarbeit, so meine Behauptung, an manchen Stellen sogar wichtiger als ihre unmittelbare Anwendung.

Diese doppelte Digitalisierung der Bildungsarbeit legt als vierte und zentrale These ihre Spuren rückwärts und verpflichtet den Input auf einen Blick jenseits der Bildungsarbeit, um gemeinsam zu überlegen, welche Auswirkungen künstliche Intelligenz ganz weit weg von den deutschen Volkshochschulen hat und wie sie dennoch auf diese zurückwirkt. Welche Bildung heute in Deutschland stattfindet, von wem und mit welchen Mitteln, welche Fähigkeiten und welches Wissen vermittelt wird, ist eben ganz zentral von der mittelbaren, also der oft von den Bildungsträgern weniger im Fokus stehenden zweiten Seite der doppelten Digitalisierung der Bildungsarbeit abhängig.

Die Thesen folgen dabei nicht zufällig auch der Wertschöpfungskette der KI und werden Sie sehr weit wegführen von den konkreten Mitteln ihrer Bildungsarbeit, die nach mir von den Kolleginnen und Kollegen von Microsoft, Adobe und Co. für sie präsentiert werden.

Zur ersten These: Die verdankt sich dem sicher allen hier bekannten und ständig wiederholtem Diktum der Digitalisierung im Allgemeinen und der KI im Besonderen, dass es darauf ankäme – unterstützt durch die Bildungsarbeit – die »Chancen« der KI zu nutzen und ihre »Risiken« zu minimieren.

Vernutzung von Mensch und Natur
1. These: Die Bedingung der Möglichkeit »guter Arbeitsbedingungen« (Chancen) durch KI sind schlechte Arbeitsbedingungen (Risiko)

Die Arbeit hinter der KI
2. These: künstliche Intelligenz ist nicht intelligent – und manchmal nicht mal künstlich.

Alles fürs Kapital
3. These: KI als Ende der Arbeit oder Arbeit ohne Ende? Eine falsche Frage!

Neue Aufgabenbereiche
4. These: Die Digitalisierung der Bildungsarbeit ist eine doppelte Digitalisierung

Dass ich heute den Fokus auf die politisch-ökonomischen Veränderungen gelegt habe, bedeutet nicht, dass die Digitalisierung der Bildung erster Ordnung nicht ebenfalls ein wichtiger Untersuchungsgegenstand ist; er steht in der Forschung zur Digitalisierung der (Weiter-)Bildungsarbeit im Speziellen und der Sozialen Arbeit im Allgemeinen aber deutlich mehr im Fokus der Aufmerksamkeit.
Exemplarisch dafür weise ich Sie auf den GEW-Bildungstag hin, bei dem eine KI-Expertin die Fragen präsentieren wird, die sich die DGB-Gewerkschaft in Bezug auf KI und Bildung an diesem Tag gestellt hat: »Das Thema künstliche Intelligenz wirft im Bildungskontext viele Fragen auf: Wollen wir KI-Systeme zum Lehren und Lernen nutzen? Welche Tools wollen wir auswählen? Was genau wollen wir damit machen? Wo entscheiden wir uns warum gegen eine Nutzung? Welche Chancen und welche Risiken müssen wir reflektieren?«

Alle diese Fragen betreffen das, was Beckmann und ich als »Digitalisierung erster Ordnung« bezeichnen. Sollte es bei Ihren Tagungen gelegentlich zu einem solchen Fokus kommen, hoffe ich, dass unser Ansatz Ihnen hilft, auch die zweite Seite der Digitalisierung im Blick zu behalten.

Peter Schadt schrieb an dieser Stelle zuletzt am 22. und 23. August 2024 über Pornographie und Plattformökonomie: »Sex sells« und »Von Pornhub zu Onlyfans«
https://www.jungewelt.de/artikel/482220.prostitution-von-pornhub-zu-onlyfans.html?sstr=


Aus: junge Welt – Ausgabe vom 04.11.2024 / Seite 12 / Thema: Arbeitswelt und KI
https://www.jungewelt.de/artikel/487125.arbeitswelt-und-ki-digitalisierung-heit-kontrolle.html

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