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Theo Wentzke: Im Dienst des Kapitals

Von • Juni 21st, 2024 • Kategorie: Allgemein

Im Dienst des Kapitals
Perus Wirtschaft ist gänzlich auf Extraktivismus und ausländische Investitionen ausgerichtet. Wer das ändern will, landet im Gefängnis, wie Expräsident Pedro Castillo
Von Theo Wentzke

Vor gut einem Jahr wird in Peru der erst kurz zuvor gewählte Präsident, ein gewisser Pedro Castillo, ein indigener ehemaliger Dorfschullehrer, ein Linker irgendwie und Hoffnung verarmter Wählermassen, nicht nur abgesetzt, sondern wegen Vorwürfen der Korruption und des illegalen Vorgehens gegen das Parlament gleich ins Gefängnis gesteckt, so wie etliche seiner Vorgänger aller möglichen politischen Couleur.

Hierzulande wird man darüber aufgeklärt, dass so etwas seit über 20 Jahren für Staatspräsidenten zu einem Berufsrisiko geworden ist, was seither zum insgesamt beklagenswerten Erscheinungsbild der peruanischen Demokratie beiträgt. Hinzu kommen zuletzt noch Berichte über die blutige Niederschlagung von Protesten der Anhänger des Abgesetzten, überwiegend bitterarme Leute aus dem peruanischen Hochland, unter dem Oberbefehl einer neuen Präsidentin, die das Vertrauen der USA genießt und wieder aus den Kreisen des mächtigen politischen Establishments kommt.

Während dieses volatile politische Geschehen professionelle Beobachter anhaltend irritiert, zeigen sich die maßgeblichen Kommentatoren und Analysten der ökonomischen Verfassung des Landes durchaus zufrieden, imponiert Peru auf diesem Gebiet doch mit im lateinamerikanischen Vergleich überdurchschnittlich guten wirtschaftlichen Kennziffern bei Wachstum oder Inflation.

Auf diejenigen, deren ökonomische Tätigkeiten damit erfasst werden und für die solche Analysen erstellt werden, kommt es auch an, schließlich haben sie die wichtigsten Geschäfte des Landes in der Hand. Und sie bleiben tatsächlich vom »politischen Tagesgeschehen« weitgehend unbehelligt, so dass einschlägige Berichte immer wieder von einer erfreulichen »Entkopplung der Politik« vom ökonomischen Erfolg des Landes verkünden.

Rohstoffe exportieren

Macht der Konzerne

Institutionalisierte Korruption

Justiz als Waffe

Castillos Programm

Wenn das Wahlvolk dann doch wieder einmal einen glaubwürdigeren Volksführer findet – wie Pedro Castillo mit seiner Herkunft aus armen und indigenen Verhältnissen –, dann soll es als geführtes Volk einmal mehr auf ein besseres Peru hoffen.

Der neue Mann wirft den Widerspruch der peruanischen Staatsmacht, sich auf alle Peruaner besitzergreifend als ihr Staatsvolk zu beziehen, ohne es konsequent zum Nutzen der Nation bewirtschaften zu wollen, auf seine Weise neu auf: Während die vorherrschende politische Klasse einen übermäßigen Aufwand für Gesundheit, Bildung und Soziales als Grund für den Niedergang früherer Jahre kennen will, hält Castillo die Pflege des Volkes für eine Bedingung des nationalen Erfolges; die nötigen Finanzmittel wären auch jederzeit verfügbar, würden die neoliberalen Herren des Landes nicht die peruanischen Ressourcen zu Tiefstpreisen an das Ausland verschleudern.

Castillo vertritt damit das alternative Ideal einer Staatsführung, unter der die auswärtige kapitalistische Benutzung des Landes keine Armut im Lande zur Folge haben müsste, wenn der Staat nur einmal ernsthaft seine Arbeit ordentlich machen würde. Deshalb beginnt gutes Regieren auch bei Castillo mit dem »frontalen Kampf gegen die Korruption« (dies und die folgenden Zitate aus Castillos Regierungsplan »Plan de Gobierno Perú al Bicentenario – Sin corrupción«).

(…)

Dies erscheint einer knappen Mehrheit des Volkes als ein glaubwürdiges und in Anbetracht seiner verzweifelten Lebensumstände umwälzendes Versprechen eines Präsidenten aus ihren Reihen. Vom Standpunkt der herrschenden Elite im Parlament, die mit ihrer Kandidatin aus dem Fujimori-Clan knapp verloren hat, steht dieses Programm für die Rückkehr zu den schon mehrfach gescheiterten linken Entwicklungsidealen, die den kapitalistischen Fortschritt Perus kaputtmachen und den Staat samt seinem Geld in einen neuen Ruin treiben würden. Deshalb nutzen sie von Anfang an ihre Parlamentsmehrheit gegen den gewählten, aber nur von Minderheitsfraktionen unterstützten Präsidenten, schießen seine Minister gleich im Dutzend ab und überziehen ihn, »den zufälligen Präsidenten ohne politische Erfahrung und, wie es scheint, ohne jede Eignung für dieses Amt« (The Economist, 29.9.23), und seine Familie und Unterstützer so lange mit Korruptionsvorwürfen und staatsanwaltlichen Ermittlungsverfahren, bis er versucht, das feindliche Parlament aufzulösen.

Daraufhin setzt ihn die Parlamentsmehrheit ab, wählt eine neue Präsidentin und lässt ihn ins Gefängnis sperren, wo er auf seinen Prozess wartet. Das Volk, das auf den falschen Führer gesetzt hat, das aber nicht gleich einsieht und in lange nicht dagewesenem Ausmaß protestiert, muss mit zahlreichen Toten bei der Niederschlagung der Aufstände und mit seiner Zurückverweisung auf den ihm gebührenden elenden Platz als Fußnote der peruanischen Erfolgsgeschichte für seinen Fehler büßen.

Mehr zu diesem und zu weiteren Themen in Heft 2-24 der Zeitschrift Gegenstandpunkt: https://de.gegenstandpunkt.com

Theo Wentzke schrieb an dieser Stelle zuletzt am 8. April 2024 über den deutschen Imperialismus und die Aufrüstung im Zuge der »Zeitenwende«

Aus: junge Welt – Ausgabe vom 17.06.2024 / Seite 12 / Thema: Lateinamerikas Ökonomie

https://www.jungewelt.de/artikel/477484.lateinamerikas-konomie-im-dienst-des-kapitals.html

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