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Norbert Wohlfahrt: Endlich Militärmacht werden

Von • Juni 14th, 2024 • Kategorie: Allgemein

Endlich Militärmacht werden
»Friedensprojekt« EU. Ein Staatenbündnis macht sich kriegstüchtig
Von Norbert Wohlfahrt

Im Dezember 2012 erhielt die Europäische Union den Friedensnobelpreis. In der Begründung des Nobelkomitees hieß es: »Die EU und ihre Vorgänger haben über mehr als sechs Jahrzehnte zur Förderung von Frieden und Versöhnung, Demokratie und Menschenrechten in Europa beigetragen.« Der damalige EU-Parlamentspräsident Martin Schulz (SPD) bezeichnete die Europäische Union als »Magnet für Stabilität, Wohlstand und Demokratie«, der »den Kontinent mit friedlichen Mitteln vereint und Erzfeinde zusammengeführt« habe. Als besonderes Verdienst der europäischen Einigung wurde beschrieben, dass sie Deutschland harmlos gemacht und die friedliche Kooperation von Deutschland und Frankreich fest verankert habe.

Der »Friedensmacht Europa«, die schon längst dazu übergegangen war, ihre ökonomisch begründete Gemeinschaft als geostrategisches Projekt zu entwickeln, wurde ein Preis verliehen, der für die kapitalistischen Demokratien, die da belobigt wurden, zugleich eine Herausforderung darstellte. Denn ihre Fähigkeit, als imperialistische Ordnungsmacht zu agieren, war mit dem Mangel behaftet, ganz ohne eine durch eigene Souveränität verfügte und einsatzfähige Waffengewalt die ökonomische und politische Stabilisierung ihrer Nachbarländer voranzutreiben. EU-»Friedenspolitik«, eingebettet in die als NATO-Partner durch die »Pax Americana« verbürgte politische und militärische Gewalt des Westens, war eine wichtige Säule der ökonomischen und politischen Einflussnahme auf die Länder, die mit den Segnungen eines freien Kapitalverkehrs und dazugehöriger demokratischer Regierungsformen erst noch vertraut gemacht werden sollten.

Für diesen Imperialismus, dem sein militärisches Manko im Jugoslawien-Krieg praktisch vor Augen geführt worden war, ist die Frage einer strategischen Autonomie immer drängender geworden. Und mit wachsender Bedeutung der EU bei der ökonomischen und politischen Stabilisierung von Nachbarstaaten und ehemaligen Kolonien¹ ist die Frage zukünftiger autonomer militärischer Handlungsfähigkeit immer stärker in den Mittelpunkt gerückt.²

Imperialistischer Anspruch

Strategische Autonomie

Im Kampf gegen Russland

Supranation und Nationalismus

Die EU definiert sich zwar weiterhin als Friedensmacht, je mehr sie aber als Kriegsbündnis Gestalt annimmt, desto stärker formuliert sie den Anspruch, die Gewalt dieses Bündnisses für die Durchsetzung ihrer Interessen gegenüber anderen Ländern und Souveränen in Zukunft auch militärisch geltend zu machen.

Damit stellt sich die EU vom Prinzip her nicht nur dem Patronat der USA entgegen, von dem es doch gleichzeitig (immer noch) abhängt, sondern drängt auch den beteiligten Nationen die Frage auf, was denn ihre europäischen Interessen sind, die da militärisch zur Geltung gebracht werden sollen. Die militärische Aufrüstung der EU wird deshalb von keinem Mitgliedstaat als Ersatz für die Kriegstüchtigkeit der eigenen Nation angesehen, im Gegenteil. Während die EU-Politiker ihre militärischen Strategien nutzen, um die gemeinschaftliche Kriegsfähigkeit der EU zu stärken, zwingen sie die beteiligten Nationen zu der Überlegung, welche Rolle sie hierbei mit ihrer Nation spielen können und wollen.¹⁵

So heizt der supranationale Militarismus der EU den nationalen Patriotismus an und damit auch die Konkurrenz der Nationen, die da miteinander kämpfen wollen. In einem sind sich die beteiligten Politikerinnen und Politiker allerdings einig: Die Alternative Krieg oder Frieden stellt sich nicht.

[Norbert Wohlfahrt schrieb an dieser Stelle zuletzt am 3. April 2024 über die Kritik an den Friedensforderungen des Papstes.]

Aus: junge Welt – Ausgabe vom 12.06.2024 / Seite 12 / Thema: EU und Aufrüstung

https://www.jungewelt.de/artikel/477196.eu-und-aufrstung-endlich-militrmacht-werden.html

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