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Johannes Schillo: Bedingungslose Einheit

Von • März 18th, 2024 • Kategorie: Allgemein

Bedingungslose Einheit
In Zeiten des Krieges geraten abweichende Meinungen schnell unter Verdacht und werden an den Rand gedrängt. Die Gesinnungswende kommt voran
Von Johannes Schillo

Die Meinungsbildung in Zeiten des Krieges und seiner Vorbereitung geht ihre eigenen Wege. Bis der Notstandsfall eintritt und das Kriegsrecht ausgerufen wird – mit seiner offiziellen Mediengleichschaltung, wie etwa in der Ukraine demonstriert –, bleiben Meinungs- und Pressefreiheit in Kraft.

Aber die nationalmoralische Leitlinie, die fürs öffentliche Meinen gilt, ändert ihren Charakter. Eine neue Art der Staatstreue ist verlangt und bringt gleich ihre eigene »Hermeneutik des Verdachts« (siehe jW, 20.12.2023) mit sich.

In Deutschland, das sich explizit auf »Kriegstüchtigkeit« (Boris Pistorius) einstellt, ist das jetzt zu besichtigen. Schrieb der Militärexperte Sönke Neitzel (Taz, 7.3.2022) noch kurz nach Beginn des Ukraine-Kriegs rückblickend auf die Ära Merkel: »Begriffe wie ›Kriegsbereitschaft‹ waren im politischen Berlin nicht zu vermitteln, auch wenn alle wussten, dass es in letzter Konsequenz genau darum ging«, so kann man nach der von Kanzler Olaf Scholz ausgerufenen »Zeitenwende« mittlerweile von einer regelrechten Gesinnungswende sprechen.

Die Fachleute sind sich einig, wie Norbert Wohlfahrt in jW (»Der Wille zum Krieg«, 6.2.2024) dokumentierte: Die Sicherheitspolitik der vergangenen Jahrzehnte habe die Notwendigkeit des Krieges nur ungenügend ins Auge gefasst und eine naive Vorstellung von »Wohlstandsvermehrung« gepflegt. Mit einer solchen Friedenspolitik, die »den Feind nicht denken« (Joachim Gauck) will, also nur als Kapitulation vor ihm zu werten sei, müsse jetzt endlich Schluss sein.

Einheit von oben und unten

Kampagne gegen Abweichung

Eine Hexenjagd

Dissidenz und Feindbildpflege

Alte Feindbilder

Wissenschaftlich untragbar

Nah dran haben deutsche Wissenschaftler an der hiesigen patriotischen Leitlinie zu sein. Die BRD hat ja mittlerweile eine eigene Indo-Pazifik-Strategie, in der man sich dazu bekennt, bei der wachsenden Rivalität zwischen den USA und China nicht mehr einfach in der Zuschauerrolle zu verharren. Renate ­Dillmann hat die Auswirkungen der strategischen Neuorientierung seinerzeit in der jW (3.2.2020) unter die Lupe genommen. Ihr Fazit: »Medienkampagnen gegen China haben einen simplen Grund: die Volksrepublik ist zu einem ernsthaften Konkurrenten um Weltmarktanteile herangewachsen.«

Klar, in einer solchen Lage kann man als deutscher Wissenschaftler nicht einfach sachlich über die Sache berichten. Wo bleibt da die Feindbildpflege?

Johannes Schillo schrieb an dieser Stelle zuletzt am 20. Dezember 2023 über die ­Hermeneutik des Verdachts.

Aus: junge Welt – Ausgabe vom 14.03.2024 / Seite 12 / Thema: Nationale Moral

https://www.jungewelt.de/artikel/471387.nationale-moral-bedingungslose-einheit.html

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