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Norbert Wohlfahrt: Opfer für das Vaterland

Von • März 2nd, 2024 • Kategorie: Allgemein

Opfer für das Vaterland
Resilienz und Kriegstüchtigkeit in der wehrhaften Demokratie
Von Norbert Wohlfahrt

Mit dem Begriff der Kriegstüchtigkeit (bewusst unterschieden vom Terminus Verteidigungsbereitschaft), der Staat und Gesellschaft gleichermaßen einbezieht, macht der deutsche Verteidigungsminister darauf aufmerksam, worum es im Verhältnis des Staates zu seinem Volk letztlich geht. Deutschland ist aus seiner Sicht nur »bedingt abwehrbereit« und damit in seiner Souveränität verwundbar. Diese Souveränität bewährt sich – da folgt der Verteidigungsminister ganz einem Vordenker nationaler Selbstbehauptung – in der Unterscheidung von Freund und Feind und damit in der Fähigkeit zur Kriegführung.¹

Im Krieg behauptet der Staat seine Souveränität mit den ihm zur Verfügung stehenden Gewaltmitteln, und das Volk – die Grundlage seiner souveränen Gewaltausübung – hat seine Bestimmung darin, für die Behauptung dieser Souveränität in letzter Konsequenz Leib und Leben zu opfern. Im Krieg sind nicht nur die Soldatinnen und Soldaten das Instrument der Durchsetzung staatlicher Gewalt gegen den Feind, sondern die gesamte Gesellschaft ist Mittel zu dem Zweck, der Nation und ihrem staatlichen Wollen zur Durchsetzung zu verhelfen. Indem der Einzelne als Mitglied des Volkes bereit ist, die Souveränität des Staates über sein eigenes Leben zu stellen, handelt er – so eine Erkenntnis älterer Staatstheoretiker – aus einer substantiellen Pflicht heraus, und diese Pflicht einzuklagen ist der Begriff der Kriegstüchtigkeit.²

Nun belässt es eine Regierung, die den Krieg ins Auge fasst, nicht bei salopp dahingeworfenen Aufforderungen, sondern unterfüttert das, worum es ihr geht, mit einem handfesten Maßnahmenpaket. In der Nationalen Sicherheitsstrategie der Bundesregierung von 2023 wird deshalb mit Blick auf die Kriegstüchtigkeit von Staat und Gesellschaft eine kritische Bilanz gezogen und eine Steigerung der Handlungsfähigkeit im Sinne einer »integrierten Sicherheit« gefordert.

Mit dem Begriff der Resilienz wird in dem Papier zum Ausdruck gebracht, dass »die Sicherung unserer Werte durch innere Stärke« eines Ansatzes bedarf, in der die Gesellschaft dazu aufgefordert ist, ihren Beitrag zur Kriegsfähigkeit der Nation (hier ausgedrückt als »Handlungsfähigkeit«) zu leisten und in diesem Sinne »resilient« zu werden: »Aufgrund der starken Wechselwirkungen zwischen äußerer und innerer Sicherheit hängt die Handlungsfähigkeit Deutschlands nach außen zunehmend auch von seiner Resilienz im Inneren ab. Diese liegt in der gemeinsamen Verantwortung von Staat, Wirtschaft und Gesellschaft. Um die Sicherheit der Menschen unseres Landes vor Katastrophen und Krisen umfassend zu stärken, bedarf es eines gesamtgesellschaftlichen Ansatzes. Die Bundesregierung, die Länder, die Kommunen, die Wirtschaft, zivilgesellschaftliche Organisationen – aber auch jede und jeder Einzelne – können und sollen hierzu beitragen.«

Resilienz ist in den vergangenen Jahren zu einem immer zentraleren strategischen Anliegen der Politik geworden und hat Eingang in die Planungen aller wichtigen internationalen Organisationen – zum Beispiel der Europäischen Union, der WTO oder der NATO –  gefunden. Grundsätzlich geht es immer darum, künftige Notsituationen zu bewältigen, Krisenreaktionsmechanismen aufzubauen und widerstandsfähig(er) gegenüber »Risiken« zu werden.

Wie resilient sind die Deutschen?

Bundeswehr als Vorbild

Ideal »Risikoprävention«

Es muss nicht explizit ausgesprochen werden, weil es ohnehin in allen Szenarien und sicherheitspolitischen Überlegungen als Ausgangs- und Endpunkt erkennbar ist: Die resiliente Gesellschaft bereitet sich auf das vor, was als »Kriegsfall« die äußerste aller anzunehmenden Störungen darstellt.

Und selbst diese enthält dann wieder »Risiken«, die resilienzpolitisch in Rechnung zu stellen sind: »Besondere Bedeutung verdient im deutschen Kontext die Breite des Konzeptes, die hineinreicht in die Frage, wie in einem tatsächlichen Kriegsfall mit einem teilweisen Verlust der Regierungskontrolle umzugehen wäre, denn dann greifen Konzepte von Widerstand und irregulärer Kriegführung. Schon allein diese Vorstellung, und weniger deren praktische Implikationen, dürfte Deutschland endgültig aus seiner Komfortzone herausführen« (Mölling, 2023, S. 203).

Die kriegstüchtig zu machende Gesellschaft hat (nicht nur) im Kriegsfall noch einiges vor sich.

Norbert Wohlfahrt schrieb an dieser Stelle zuletzt am 6. Februar über die aktuelle Debatte zur Sicherheitspolitik.

Aus: junge Welt – Ausgabe vom 27.02.2024 / Seite 12 / Thema: ERTÜCHTIGUNGSLITERATUR

https://www.jungewelt.de/artikel/470233.ertchtigungsliteratur-opfer-fr-das-vaterland.html

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