Norbert Wohlfahrt: Der Wille zum Krieg
Von webmaster • Feb. 7th, 2024 • Kategorie: AllgemeinDer Wille zum Krieg
Wehrtüchtig werden und mit den Friedensillusionen der Vergangenheit aufräumen. Die aktuelle Debatte zur Sicherheitspolitik
Von Norbert Wohlfahrt
Das moralische Denken kümmert sich nicht um die Sache. Ihm gilt es, Partei zu ergreifen. Deshalb ist für das moralische Denken die Unterscheidung zwischen Gut und Böse fundamental. Um diese Unterscheidung vornehmen zu können, ohne dafür Argumente ins Feld führen zu müssen, bedarf es eines Maßstabs. Dieser Maßstab, der normalerweise im Recht seinen Bezugspunkt hat und die Forderung nach Gerechtigkeit zu einem moralischen Dauerbrenner werden lässt, wird in Kriegszeiten von der Nation nicht nur definiert, sondern soll auch der gesamten Gesellschaft Identität verleihen. Wer auch immer den Feind repräsentiert (und historisch wie aktuell verfügt die Staatenwelt über ein unerschöpfliches Arsenal dem nationalen Anliegen schadender Interessen), er vergeht sich an den Werten, die heute das verkörpern, was früher als von Gott gestiftete Ordnung verstanden wurde.
Wenn der Kanzler der Republik eine »Zeitenwende« verkündet, weil er Deutschland zu einer militärischen Führungsmacht mit der unbedingten Fähigkeit zur Kriegführung entwickeln will, dann entnimmt das moralische Denken diesem staatlichen Wollen den Auftrag zu einem Patriotismus, der das Böse darin erkennt, dass es sich den Werten, die die Nation verteidigt, entgegenstellt. Im Falle des Ukraine-Kriegs ist die für hiesige Nationalisten feststehende Freund-Feind-Unterscheidung mit dem Begriff des »völkerrechtswidrigen Angriffskriegs« zu einem Sprachdenkmal erhoben worden, und weil damit das Böse endgültig markiert ist, kann die Moral sich darin austoben, die dem Feind gebührende Vernichtung in allen erdenklichen Spielarten zu bebildern. Vom Standpunkt der unbedingten Gültigkeit der von der eigenen Nation verkörperten Werte kennt das moralische Denken kein Halten mehr. Es fordert Tugenden, die mit Opferbereitschaft, Selbstaufgabe und Unbeugsamkeit vor dem Feind noch harmlos beschrieben sind, und es kann gar nicht genug seine Verachtung derjenigen bebildern, die angesichts der »geschichtlichen Aufgabe« zaudern und zögern.
In der Debatte um eine zukünftige Sicherheitsstrategie geht es der Sache nach um die Notwendigkeit eines Krieges und wie man dabei die Oberhand behält. Geführt wird sie aber als Abrechnung mit der Vergangenheit, die angeblich eine Zeit voller Illusionen war, als Angriff auf ein Denken, das mit dem Begriff Frieden seine eigene Unterwerfungsbereitschaft signalisiert habe, und als Ringen um eine militärische Zuschlagsfähigkeit, die bis hin zum Atomkrieg dem Feind verdeutlicht, dass dessen Sicherheitsinteressen einen einzigen Angriff auf die durch Werte repräsentierte regelbasierte Ordnung darstellen.
Im Folgenden sollen einige Facetten dieser Sicherheitsdebatte aufgegriffen werden, um zu zeigen, dass der Wille zum Krieg der dominante Gesichtspunkt ist, den es sich sicherheitsstrategisch anzueignen gilt und Staat und Gesellschaft in dieser Hinsicht noch einiges vor sich haben.
Ein sicherheitspolitisches Desaster
Der neue Kalte Krieg
Die »nukleare Teilhabe«
Binnen zwei Jahren Ukraine-Krieg gilt der Wunsch nach Frieden und nach einer entsprechenden Friedensordnung als durchweg verachtenswert. Atomare Bewaffnung, Kompromisslosigkeit gegenüber Russland, militärische Aufrüstung auf allen Ebenen, Kriegstüchtigkeit als Auszeichnung gesellschaftlicher Resilienz, Eindämmung des Feindes und Denunziation von dessen vorgetragenen Sicherheitsinteressen sind einige der Bausteine eines Bellizismus, der den Pazifismus verachtet, weil er vor dem Feind kapituliert. Die moralische Überlegenheit der Kriegswilligkeit feiert ihre Unbedingtheit, mit der sie zur Tat schreiten will, als Maßstab gelebter Werte. Oder in den Worten eines Sicherheitsstrategen: »Die Friedenssehnsucht macht die politische Programmatik in Konfliktzeiten bedingungslos. Würdevolles Leben und Freiheit haben gegenüber dem nackten Überleben, unter welchen Bedingungen auch immer, zurückzustehen, egal welches Leid solche Herrschaft bringt – schließlich herrscht ja Frieden. Dies ist das Gegenteil von wertegeleiteter Politik«. Wollen Moralisten den totalen Sieg? Zumindest wollen sie »die Bedingungen danach im Sinne der Werte gestalten«, schreibt Mölling.
Norbert Wohlfahrt schrieb an dieser Stelle zuletzt am 12. Januar 2024 zur Debatte über Flucht und Migration nach der »Zeitenwende«. Von ihm erschien 2023 zusammen mit Johannes Schillo die Flugschrift »Deutsche Kriegsmoral auf dem Vormarsch«.
Aus: junge Welt – Ausgabe vom 06.02.2024 / Seite 12 / Thema: WELTUNORDNUNG
https://www.jungewelt.de/artikel/468762.weltunordnung-der-wille-zum-krieg.html