Suitbert Cechura: Auf Verschleiß
Von webmaster • Nov. 8th, 2023 • Kategorie: AllgemeinAuf Verschleiß
Der Staat braucht eine halbwegs einsatzfähige Arbeitskräftemannschaft und lässt sich sein Gesundheitssystem daher einiges kosten. Es zugleich möglichst profitabel zuzurichten, bringt ihn dabei in einen Widerspruch.
Von Suitbert Cechura
Der Bundesgesundheitsminister ist zuständig für die Volksgesundheit, die nicht überwiegend durch Viren oder Bakterien bedroht ist: Die vorherrschenden Krankheiten sind sogenannte nicht übertragbare Erkrankungen oder Zivilisationskrankheiten.
So vermeldet der AOK-»Fehlzeitenreport« vom 18.10.2023: »Anhaltend hohe arbeitsbezogene Beschwerden und stetig steigende Fehlzeiten aufgrund psychischer Erkrankungen«. Das Wissenschaftliche Institut der AOK berichtet: »Die Beschäftigten, die die Zukunftsfähigkeit ihrer Organisation oder ihres Betriebes positiv bewerten, (fehlten) nach eigenen Angaben in den letzten zwölf Monaten vor der Befragung im Schnitt 11,6 Tage erkrankungsbedingt an ihrem Arbeitsplatz. Bei den Beschäftigten, die die Zukunftsfähigkeit schlechter beurteilen, waren es dagegen 16,2 Tage.«
Bedrängnisse der Lohnarbeit
Gesundheit als Kostenfaktor
Big Pharma und Apotheken
Patient Krankenhaus
Die neuen finanziellen Anreize für die Kliniken zielen auf eine größere Spezialisierung der Häuser für bestimmte Krankheitsgruppen. Welche Klinik für welche Gruppen zuständig sein soll, wird in den Landeskrankenhausplänen geregelt. Um die entsprechenden Leistungen abrechnen zu können, müssen die Häuser entsprechende Vorleistungen an Personal und Ausstattung erbringen. Dafür erhalten sie eine Vorhaltepauschale, die einen Teil der Kosten abdecken soll. Die anderen Kosten sollen dann durch eine reduzierte Fallpauschale erwirtschaftet werden, womit diese trotz gegenteiliger Meldungen nicht vom Tisch ist. Die Kosten für die Fallpauschale werden um die Aufwendungen für die Vorhaltepauschale gekürzt. Denn mehr Geld wollen die Politiker für die Gesundheit nicht ausgeben, sondern die Spezialisierung soll schließlich auch zu einer Rationalisierung der Behandlungsabläufe beitragen. Ob die Spezialisierung auch zu einer verbesserten Behandlung der Patienten beiträgt, bleibt angesichts der vielfach multimorbiden Patienten fraglich.
Dass die Neuregelung auch zur Schließung einer Reihe von Kliniken führen wird, ist eine ausgemachte Sache. Für diese steht das Angebot im Raum, »Krankenhaus Level II« zu werden: ein Krankenhaus, das nicht mehr unbedingt einen Arzt beschäftigen muss, sondern eine Art Pflegeeinrichtung darstellt. Diese hat Verträge mit Belegärzten, die ambulant operieren, oder mit niedergelassenen Ärzten. Als sektorübergreifende, also die von der Gesundheitspolitik geschaffene Trennung zwischen ambulanter und stationärer Behandlung überwindende Einrichtung wird diese Art Krankenhaus vom Gesundheitsminister angepriesen. Die anderen Krankenhäuser bekommen wegen des Widerstandes der Länder keine Bezeichnung, auch wenn die Stufung deutlich ist. Neben den »Level-II-Krankenhäusern« gibt es dann die stärker spezialisierten Häuser und dann noch die Universitätskliniken.
Bei aller Reform auf allen Ebenen bleibt den Bürgern eines erhalten: ein ständig stattfindender Gesundheitsverschleiß – und ein geschäftlich organisiertes, staatlich reguliertes Gesundheitswesen, das diesen Verschleiß nicht rückgängig machen kann.
Suitbert Cechura schrieb an dieser Stelle zuletzt am 12. Juni 2023 über die »Letzte Generation«.
Aus: junge Welt – Ausgabe vom 07.11.2023 / Seite 12 / Thema:
GESUNDHEITSPOLITIK
https://www.jungewelt.de/artikel/462656.gesundheitspolitik-auf-verschlei.html