Suitbert Cechura: Wohnungsnot & Wohnungsbau – eine deutsche Dauerbaustelle
Von webmaster • Nov. 6th, 2023 • Kategorie: AllgemeinSuitbert Cechura: Wohnungsnot & Wohnungsbau – eine deutsche Dauerbaustelle
Eine Gipfelleistung der Sozialen Marktwirtschaft war Thema bei einem eigenen Gipfel. Kann man aufatmen?
Bundeskanzler Olaf Scholz und Bundesbauministerin Klara Geywitz (SPD) hatten Ende September zum Wohnungsbaugipfel der Regierung geladen, um ihre Maßnahmen zur Anregung der Baukonjunktur bekannt zu geben. „Nach Wohnungsgipfel im Kanzleramt: Keine Entspannung auf Mietmarkt in Sicht“, resümierte Telepolis.
Und auch die Gewerkschaft Verdi klagte unter der Überschrift „Wohnungen bezahlbar bauen!“ darüber, dass die Beschlüsse „letztlich nur der Immobilienwirtschaft und Immobilienbesitzern nutzen“; „neue bezahlbare Mietwohnungen (sind) offenbar nicht das vorrangige Ziel des Ampel-Papiers“ (WiPo aktuell, Okt. 2023). Selbst vom unternehmernahen Institut der deutschen Wirtschaft (IW) kam jüngst die besorgte Meldung: „Wohnkosten machen das Leben teurer.“
Seit dem Gipfel ist das Thema wieder etwas in den Hintergrund gerückt, aber natürlich nicht aus der Öffentlichkeit verschwunden. Bei einer Kommunalkonferenz im Oktober sprach sich Scholz „für einen Neubau ganzer Stadtviertel im Kampf gegen den Wohnungsmangel in Deutschland aus“ (Junge Welt, 21./22.10.2023). Es brauche vor allem, so die ewig wiederholte Litanei, „geförderten Wohnungsbau und bezahlbare Wohnungen“. Die Wohnungsnot, als deren Lösung der Gipfel angekündigt war, bleibt also nach wie vor akut.
Die Gipfelerklärung war übrigens nicht die erste Ankündigung in dieser Sache. Schließlich war die SPD mit dem Versprechen in den Wahlkampf gezogen, jährlich 400.000 Wohnungen zu bauen. Im letzten Jahr waren es weniger als 300.000 und in diesem Jahr werden es wahrscheinlich noch weniger sein. Hätten die Regierenden in der DDR oder in der Sowjetunion solche hochgegriffenen Zahlen verkündet, wäre das in der westlichen Presse mal wieder der Beweis für die Untauglichkeit der Planwirtschaft gewesen. Wenn hierzulande „die Wirtschaft“ nicht in der Lage ist, Grundbedürfnisse von Menschen wie etwa das Wohnen zu befriedigen, will niemand die hiesige Wirtschaftsweise in Frage stellen. Statt dessen beschäftigt Politiker wie Medien in erster Linie die Frage, wie denen, die am Geschäft mit Wohnungen verdienen, geholfen werden kann.
Dass es mit der Erstellung von ausreichendem Wohnraum für die Bürger des Landes nie klappt – das Thema Mieten regt ja die Öffentlichkeit seit Bestehen der Bundesrepublik auf: mal als Wohnungszwangswirtschaft, mal als Frage der zulässigen Miethöhe verhandelt –, liegt eben daran, dass nicht die Regierung die Wohnungen bauen lässt, sondern dass das Erstellen von Wohnraum zu einer Geschäftsgelegenheit gemacht worden ist, an der viele verdienen wollen und laut politischem Beschluss auch sollen. Deshalb hier ein Blick auf die Akteure, die an besagter Dauerbaustelle tätig sind.
Die Grundbesitzer
Die Immobilienentwickler
Die Bauindustrie
Die Banken
Der Mietmarkt
Staatliche Wohnungsbaupolitik
Der Gipfel
Wenn die Regierung sich um fehlende Wohnungen sorgt, für die die Geschäftssphäre geradestehen soll, dann sorgt sie sich um deren Geschäftserfolg. Und da verwundert es nicht, was den Regierenden so alles einfällt, z.B. „wolle man den Ländern eine flexiblere Gestaltung der Grunderwerbsteuer ‚ermöglichen‘.“ (SZ) Ein Vorschlag, der darauf verweist, dass der Staat – in diesem Fall die Länder – sich auch noch an jeder geschäftlichen Transaktion durch Steuern bedient. Deshalb ist er ja an Wirtschaftswachstum interessiert.
Nun sollen die Länder auf einen Teil dieser Steuern verzichten, die bei Kauf und Verkauf von Grundstücken anfallen. Wie die geschäftlichen Akteure mit diesen gesenkten Steuern umgehen, ist dann deren Sache. Geringere Steuern auf einem Verkaufspreis bieten die Möglichkeit, diesen zu erhöhen, wie auch die Möglichkeit, leichter ein Grundstück zu erwerben. Ein Angebot für Spekulanten ebenso wie für den kleinen Häuslebauer.
Doch damit nicht genug: „Schon bekannt war die Wiedereinführung der sogenannten degressiven Afa, eine Sonderabschreibung für Wohnimmobilien, zudem gibt es Anstrengungen beim Sozialen Wohnungsbau.“ (SZ)
Angeboten werden denen, die mit der Wohnungsnot ihr Geschäft betreiben, weitere Steuererleichterungen in Form von Sonderabschreibungen. Anstrengungen im Sozialen Wohnungsbau beinhalten staatliche Kreditförderung, die das Bauen billiger machen soll, verbunden mit Auflagen bezüglich der Miethöhe. Diese Einschränkung gilt allerdings nur zeitlich begrenzt, nach Wegfall der Mietbindung verfügen dann die Unternehmen über einen frei einsetzbaren Wohnungsbestand, der für sie billig erstellt wurde.
Änderungen soll es auch bei den Bauvorschriften geben: „Der Energieeffizienzstandard EH40 wird für den Rest der Legislaturperiode ausgesetzt.“ (SZ) Damit stellt die Regierung ein weiteres Mal klar, welchen Stellenwert Umweltschutz für sie hat. Umweltschutz soll zwar irgendwie sein, soll aber das Wirtschaftswachstum fördern und nicht behindern. Da wo die Wirtschaft schrumpft, hat Umweltschutz eben zurückzutreten.
Mit diesem Maßnahmenbündel soll das Geschäft mit dem Wohnen wieder wachsen – und das alles natürlich nur zum Wohle der Mieter und Wohnungssuchenden. Wer da, wie die Gewerkschaft Verdi vor allem beklagt, dass jetzt auch noch die Fördermaßnahmen für Sozialwohnungen „in der Schublade zu verschwinden“ drohen, „weil Finanzminister Lindner (FDP) sie verschleppt“, hat den Witz unserer Sozialen Marktwirtschaft verpasst: Erst kommt das Geschäft der diversen Akteure, dann kann mensch sehen, ob er auch das notwendige Dach über dem Kopf findet.
https://overton-magazin.de/top-story/wohnungsnot-wohnungsbau-eine-deutsche-dauerbaustelle/