Theo Wentzke: Ein Volk, das stört
Von webmaster • Okt. 19th, 2023 • Kategorie: AllgemeinEin Volk, das stört
Zur Ökonomie des israelischen Besatzungesregimes in der Westbank
Von Theo Wentzke
In den berühmten Oslo-Verträgen von Anfang der 1990er Jahre, die den obersten Vertretern der Palästinenser und Israels immerhin jeweils einen Friedensnobelpreis bescherten, hat sich Israel die Zerstückelung des Westjordanlandes in unterschiedliche Zonen seines mit einer Palästinenserbehörde geteilten oder ausschließlichen Zugriffs zusichern lassen. Dies zwar mit der beschworenen Perspektive, irgendwann und dermaleinst das Land vollständig palästinensischer Autonomie zu unterstellen, aber praktisch mit dem seither weidlich ausgenutzten Ertrag seiner auch von palästinensischer Seite anerkannten kompletten Besatzungshoheit über den größten Teil des okkupierten Gebietes und der durch die Palästinensische Autonomiebehörde (PA) ebenfalls legitimierten Mitsprache über dessen Rest, die aber letztlich auch in der Oberhoheit besteht, die nur nach eigenem Gutdünken mit der PA geteilt wird.
Das hat nach drei Jahrzehnten »Oslo-Prozess« in jeder Hinsicht seine Spuren im ökonomischen und sozialen Leben der Araber im Westjordanland hinterlassen, auf das sich Israel bisher gar nicht einfach nur als Basis eines feindlichen Staatsprojektes bezogen hat, die es möglichst umfassend und gründlich zu zerstören gilt; als kapitalistische Nation hat es ökonomisch so einiges damit anzufangen gewusst. Obendrein waren die Momente »autochthoner« palästinensischer Ökonomie jahrzehntelang dabei behilflich, sich die jeweils für nötig und passend erachteten Freiheiten bei der Handhabung der Besatzung zu sichern, ohne das besetzte Volk als eigenes zu behandeln.
Aneignung und Austrocknung
Autonomiebehörde ohne Rückhalt
Beschützte Wehrbauern
Siedlereifer wird Staatsräson
Das alles gibt den Siedlern in ihrer seit jeher zu Israel gehörenden, aber eben exzentrischen Position totaler völkisch-religiöser Kompromisslosigkeit gegenüber dem Leben und Lebensrecht von Arabern auf jüdischem Boden noch ganz anders recht: Ihr Standpunkt rückt damit nämlich immer weiter »in die Mitte« des politischen Spektrums – ausweislich des Wahlergebnisses, das den Siedlerparteien schließlich nicht nur von ihrer eigentlichen Siedlerbasis beschert worden ist: Dass Palästinenser potentiell Terroristen, jedenfalls insgesamt ein Sicherheitsrisiko sind, leuchtet inzwischen auch der Mehrheit der Israelis ein, die nicht vorhaben, im Westjordanland einen palästinensischen Olivenhain niederzubrennen oder gar selbst einen Acker zu bestellen, sondern die genug damit zu tun haben, im kapitalistischen Kernland ihrem bürgerlichen Alltag nachzugehen. »Sicherheit« in diesem Sinne ist daher der höchste Imperativ nicht nur aller praktizierten israelischen Politik, sondern vor allem der Maßstab, an dem die konkurrierenden Parteien, die in Israel Politik machen, sich messen lassen wollen und durch die von ihnen erzogenen Wähler gemessen werden.
Das macht die wachsende demokratische Popularität des Populismus aus, den der Likud-Führer Netanyahu verkörpert: Offen für jedes völkisch-religiös inspirierte Rechtsbewusstsein in Sachen antiarabischer Gewalt zwecks Vergrößerung des israelischen Zugriffs auf Eretz Israel, aber gar nicht festgelegt auf eine unbedingt religiöse Interpretation der Mission des Staates Israel stehen er und sein Likud bezüglich der Bekämpfung jedes arabischen Anspruchs auf Land, der Eindämmung der Bewegungs- und Handlungsfreiheit der arabischen Bevölkerung und letztlich deren auch zahlenmäßiger Zurückdrängung qua Aufwuchs jüdischer Präsenz für das sehr weitreichende Moment von Deckungsgleichheit religiös-zionistischen Eiferertums, staatspolitischer Vernunft und quasi sicherheitstaktischer Notwendigkeit.
Theo Wentzke schrieb an dieser Stelle zuletzt am 15.9. über die Familienpolitik der Bundesregierung.
Mehr zum Thema Israel-Palästina findet sich im aktuellen Heft 3/23 der Zeitschrift Gegenstandpunkt.
Website: gegenstandpunkt.com
https://de.gegenstandpunkt.com/artikel/anmerkungen-zum-zusammenhang-zwischen-erfolg-israelischen-kein-staat-loesung-fuer
Aus: junge Welt – Ausgabe vom 18.10.2023 / Seite 12 / Thema: Israel-Palästina
https://www.jungewelt.de/artikel/461328.israel-palstina-ein-volk-das-strt.html
Herbert Auinger: Zur aktuellen Kriegsmeinungsbildung:
Erklären /statt / und / oder Rechtfertigen?
Im „Standard“ vom 17. Oktober 2023 ist ein für die aktuelle Meinungslandschaft doch bemerkenswerter Text erschienen, auf den ich mich nun beziehe. Die Überschrift erinnert an einen trivialen Unterschied: „Israel und die Palästinenser: Erklären ist nicht rechtfertigen“. Stimmt, denn etwas zu erklären, heißt, den Grund einer Sache, eines Phänomens zu ermitteln. Wenn das gelingt, dann weiß man, womit man es zu tun hat. …. (Forts.): https://cba.fro.at/637477
Suitbert Cechura: Mit der Zerstörung der Hamas droht ganz Gaza die Vernichtung
Was macht den Konflikt zwischen Hamas und Israel so unerbittlich? Man kann sich die jeweiligen Kriegsgründe erklären. Warum man sich aber keinen davon zu eigen machen sollte. Ein Essay.
https://www.telepolis.de/features/Israel-Krieg-Mit-der-Zerstoerung-der-Hamas-droht-ganz-Gaza-die-Vernichtung-9339853.html?seite=all