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Norbert Wohlfahrt und Johannes Schillo: So stolz

Von • Juni 19th, 2023 • Kategorie: Allgemein

So stolz

Philipp Amthor fordert mehr Nationalgefühl. Über den Patriotismus und seine Brauchbarkeit in Friedens- wie Kriegszeiten

Von Norbert Wohlfahrt und Johannes Schillo

Kriegszeiten sind Zeiten innerer und äußerer Mobilmachung. Zwar befindet sich Deutschland nicht unmittelbar im Krieg – mittelbar aber zieht es aus dem Ukraine-Krieg Konsequenzen, die eine grundlegende Reform der Nation, ihrer militärischen Durchsetzungskraft und ihrer geistigen und moralischen Verfassung auf die Agenda setzen (Stichwort: »Zeitenwende«). Der deutsche Vollblut- und Vorzeigepolitiker Philipp Amthor (CDU) hat dementsprechend die Zeichen der Zeit erkannt und im Namen der CDU/CSU-Fraktion Ende Mai einen Antrag in den Bundestag eingebracht, um einen erneuerten Patriotismus zu fordern und zu fördern.

»Wir treten für einen Patriotismus ein, der nicht durch Beiwörter in Watte gepackt werden muss. Aufgeklärter oder weltoffener Patriotismus – das sind alles wohlige Wortschöpfungen, aber nicht Patriotismus ist problematisch, sondern Nationalismus. Davon grenzen wir uns klar ab«, so Amthor – und die Aufgabe präzisierend: »Unsere Nationalsymbole, zu der auch unsere Hymne gehört, haben ein großes verbindendes und identitätsstiftendes Potential. Das sollten wir gerade auch in unserer Einwanderungsgesellschaft noch deutlicher in den Vordergrund stellen.« Das geforderte Bundesprogramm soll sicherstellen, dass die »ganzjährige Sichtbarkeit nationaler Symbole – insbesondere der Bundesflagge – im öffentlichen Raum erhöht«, die Nationalhymne häufiger bei öffentlichen Anlässen gesungen und »weiter als fester Bestandteil des deutschen Liedguts gepflegt« wird (Bundestagsdrucksache Nr. 20/6903, 2023).

»Außergewöhnliche Anstrengung«

Staatliche Pflege

Das eine bedingt das andere

Der Krieg mobilisiert

Der Ukraine-Krieg verändert nicht nur die geostrategischen Kalkulationen Deutschlands, er wirkt auch auf die geistige Verfassung derer, die diesen Staat nach innen und außen repräsentieren. Einer FDP-Vorzeigefrau, ehrenamtlich für Rheinmetall tätig, können gar nicht genug deutsche Waffen in Kriegsgebiete geliefert werden, ein außenpolitischer Sprecher möchte Deutschland »nie wieder hilflos« sehen und fordert deshalb eine militärische Rundumerneuerung, ein deutscher Kanzler gibt die Kriegsziele vor, nach denen »Russland diesen Krieg nicht gewinnen« darf und eine deutsche Außenministerin beglückt die Welt mit Werten, die sie nicht zufällig durch ihr Land in vortrefflicher Weise gelebt sieht.

Das wiederum lässt auch die Politiker der zweiten Reihe nicht ruhen, und ein MdB Amthor, der zwar manchmal zu schnell fährt und seine Geschäftsinteressen nachhaltig betreibt, aber ansonsten weiß, was Deutschland braucht, liefert seiner CDU die Steilvorlage für eine »Rückkehr zur Normalität« – nämlich zum Standpunkt der anderen Mächte, die »uns« in Sachen Patriotismus ohne den Makel eines Weltkriegsverlierers gegenübertreten und demonstrieren, wie das »unverkrampfte« Verhältnis zur eigenen Nation (die bekannte Zielmarke von Bundespräsident Roman Herzog nach der »Wende«) geht. Der politische Patriotismus in Deutschland gibt sich kämpferisch und das passt durchaus zu einer Lage, in der der Frieden, den jeder nur zu seinen Bedingungen will, in immer weitere Ferne rückt.

Norbert Wohlfahrt und Johannes Schillo schrieben an dieser Stelle zuletzt am 24. Mai über die Formierung der Kriegsmoral.

Aus: junge Welt – Ausgabe vom 15.06.2023 / Seite 12 / Thema: Überbauphänomene

https://www.jungewelt.de/artikel/452845.berbauphnomene-so-stolz.html

One Response »

  1. Dass nach Wohlfahrt/Schillo unter Verweis auf nationalistische Scharfmacher
    ein „unverkrampfteres“ Verhältnis zum Patriotismus anstünde, ist gar nicht
    in erster Linie der Witz in einer Kriegslage, die Deutschland an vorderster Front
    befeuert: nämlich mittels eines Wirtschaftskrieges, ständig eskalierender Waffen-
    lieferungen und und eines Rüstungsvorhabens,
    das hinsichtlich seiner Wuchtigkeit gleich Maß nimmt an militärischen Fähigkeiten
    der zum Feind erklärten Großmacht Russland

    Der Kern des nach Schillo/W. neu aufgeladenen Patriotismus ist eine handfeste
    Verpflichtung des Volkes auf die kriegsträchtigen Vorhaben der Nation – für die
    es erstens ökonomische Opfer allererster Sahne zu erbringen hat, sodass die sonst
    konzessionierten privaten Berechnungen der Untertanen sich unterzuordnen
    haben unter die Auseinandersetzung höchster Gewalten und zweitens
    das Zusammenschließen mit dem obersten Gewalthaber sehr reell einschließt
    die Aufopferung auf dem Schlachtfeld, wenn der Westen den Spagat zwischen
    militärischer Abschreckung der Russen und den Übergang der letzteren
    zur direkten Kriegskonfrontation mit der Nato in der Weise ausgehen lässt,
    den penetrant vorgetragenen Spruch des Nato-Häuptlings Stoltenberg praktisch
    werden zu lassen, jeden Zentimeter Nato-Gebiets unerbittlich zu verteidigen.

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