Georg Schuster: Wie geht Patriotismus?
Von webmaster • Juni 19th, 2023 • Kategorie: AllgemeinGeorg Schuster: Wie geht Patriotismus?
„Die Arbeiter haben kein Vaterland“, schrieben Marx und Engels einst. Wie die Dinge stehen, müssen entweder die alten Autoren oder die modernen Proletarier schiefliegen.
Immerhin geben derzeit auf ukrainischer wie auf russischer Seite Werktätige aller Art ihr Leben hin, um für ihr Vaterland einen Häuserblock oder einen Hügel zu verteidigen oder gar zu erobern. Nicht dass eine solche Aufopferung der Freiwilligkeit überlassen wäre. Wo es sein muss, sorgen die Staaten mit Gesetz und Gewalt dafür, dass ihnen die Soldaten nicht ausgehen oder davonlaufen. Zugleich ist aber unübersehbar, wie sehr der Patriotismus im Mehrheitswillen demokratischer und anderer Gesellschaften verankert ist und dort das ordnungsgemäße Arbeitsleben genauso begleitet, wie er ganz außerordentliche Dienste für die Nation beflügeln kann.
Dieser Wille wird gelegentlich auch als ‚Nationalismus‘ oder ‚Hurrapatriotismus‘ kritisiert, und zwar dann, wenn den Kritikern die jeweilige Ausprägung der Heimatliebe nicht ins Konzept passt. Deshalb ist aktuell auch deren ukrainische Variante, ganz in Differenz zur russischen, nach maßgeblicher deutscher Meinung über eine solche Abwertung erhaben. Obwohl in Kiew keine Woche vergeht, ohne dass der feldgrüne Präsident zu nationaler Hingabe, Heldentod und Verachtung des Feindvolks aufruft. Im Folgenden werden die Begriffe ‚Patriotismus‘ und ‚Nationalismus‘ daher synonym gebraucht, weil ihr Unterschied nur als Vorurteil existiert.
Nationale Identität
Resultat der Staatsräson
Allgemeinwohl
Stummer Zwang
Gute Herrschaft
Logik eines falschen Bewusstseins
P.S.
Trotzdem sind sich auch gewerkschaftsnahe oder linke Publizisten heute sicher, dass Marx mit seinem eingangs zitierten Spruch völlig danebenlag. Auf den NachDenkSeiten fragt Tobias Riegel bange, „welche Vision von einer die Bürger beschützenden Institution [noch bliebe], wenn der Nationalstaat erst ‚überwunden‘“ sei. Da verklärt der Autor doch lieber den vorhandenen Sozial- und Klassenstaat mit dieser „Vision“. Seitens der DGB-Stiftung erklärt die Soziologin Anke Hassel, „der häufig kritisierte Satz ‚Sozial geht nur national‘ [sei] in erster Linie eine empirische Tatsache“. Mit dem Deuten auf das, was ist, will sie das Wesentliche schon gesagt haben, dass es nämlich an der falschen Übersetzung von geschädigten Interessen ins Patriotische nichts zu kritisieren gibt.
Auch Sahra Wagenknecht wirft den „Lifestyle-Linken“ vor, das berechtigte proletarische Nationalempfinden zu diffamieren. Ein Politologe (Armin Steil: Arbeitsbuch Rechtsextremismus, S. 112 f.) begreift die kapitalistische Nation abstrakt als „Gemeinschaftsform“, weil er das ‚Gemeinschaftliche‘ als bestimmend festhalten will. Dann kann er nämlich den Nationalismus als verständliches Bedürfnis ausgeben, das sich leider „an den Rand gedrängt sieht“: „Wem Aufstiegschancen verwehrt sind, kann im Nationalstolz ein Prestigebewusstsein gewinnen, das Schule und Beruf versagen. Eben dieses Bedürfnis wird durch den weltbürgerlichen Antinationalismus der Bildungsschichten in Frage gestellt.“ Reell gesehen, wäre den Mindest-, Billiglohn- oder „Bürgergeld“-Empfängern, die in der „Gemeinschaftsform Nation“ zeitlebens auf „Chancen“ warten, ein Stück „weltbürgerlicher Antinationalismus“ anzuraten, den heute ‚realistisch‘ gewordene Linke irgendwelchen Bildungsbürgern andichten. Solche Linke sehen im ‚schlechten‘ Nationalismus und im Stimmengewinn der Rechten glatt die Folge davon, dass sich der ‚gute‘ Patriotismus nicht ausleben darf.
https://overton-magazin.de/hintergrund/gesellschaft/wie-geht-patriotismus/