Suitbert Cechura: Mehr Pillen drehen
Von webmaster • Mai 15th, 2023 • Kategorie: AllgemeinMehr Pillen drehen
Zwischen volksgesundheitlichem Nutzen, Gewinninteresse der Pharmafirmen und Kostenbelastung der Krankenkassen: Gesundheitsminister Lauterbach reagiert auf die Lieferengpässe bei Arzneimitteln
Von Suitbert Cechura
Zwischen der Ankündigung der Reform der Krankenhausfinanzierung, der Reform der Notfallrettung, der Pflegereform¹ und den Grundsätzen der Liberalisierung des Cannabiskonsums hat der eifrige Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach jetzt auch noch einen Entwurf für ein Gesetz »zur Bekämpfung von Lieferengpässen bei patentfreien Arzneimitteln und zur Verbesserung der Versorgung mit Kinderarzneimitteln (Arzneimittellieferengpassbekämpfungs- und versorgungsverbesserungsgesetz – ALBVVG)«² vorgelegt. Mit dem Gesetz dementiert der Minister ganz praktisch die herrschende Ideologie, dass der Markt immer die beste Versorgung der Bürger gewährleistet und deshalb von dirigistischen Eingriffen freizuhalten ist. Dabei handelt es sich bei diesem Markt sowieso um ein kapitalistisches Geschäftsfeld, das unter besonderer staatlicher Aufsicht steht. Die Besonderheit wird auch im vorgelegten Gesetzentwurf deutlich.
In dem nun vorliegenden Entwurf beklagt der Minister den Stand der Antibiotikaentwicklung: »Im Bereich der patentgeschützten Arzneimittel bedarf es zusätzlicher finanzieller Anreize, um die Entwicklung von Reserveantibiotika zu fördern, welche für die Behandlung von Infektionen durch multiresistente bakterielle Krankheitserreger jedoch dringend benötigt werden. Aufgrund der notwendigen strengen Indikationsstellung können diese nur geringe Absatzzahlen und damit keine ausreichenden Umsätze erzielen.«
Ständig neue Medikamente
Patent und Profit
Kapitalistisches Gesamtinteresse
Lieferkettenprobleme
Strategische Vorsorge
Wer meint, ein Arzneimittelgesetz sei einfach im Blick auf die vernünftige Versorgung der Bürger mit Medikamenten konzipiert, wird mit der Reform des Gesetzes eines besseren belehrt. Ist doch die Produktion dieser Heilmittel davon abhängig, dass sie als Geschäftsmittel funktionieren, also der Bereicherung einer ganzen Branche dienen. Die Nachfrage wird hier durch die Krankenkassen finanziert, deren Einnahmen über die Beiträge der (Zwangs-)Versicherten zusammenkommen und so als Lohnnebenkosten negativ in die Gewinnrechnung der übrigen Wirtschaft eingehen.
Damit diese nicht zu sehr belastet wird, braucht es staatliche Eingriffe – vom ständigen Nachjustieren im Versicherungswesen bis zum Zugriff auf billige Arbeitskräfte im Ausland, was aber, wie jetzt die Klagen über die Lieferketten deutlich machen, auf keinen Fall zu einer Beeinträchtigung der deutschen Souveränität führen darf. Und dabei soll dann auch noch irgendwie die Gesundheit der Bürger herauskommen. Das kann man für einen Irrwitz halten, aber genau so ist gesundheitspolitische Rationalität hierzulande beschaffen.
Suitbert Cechura schrieb an dieser Stelle zuletzt am 25. April zum Entwurf für die Reform der Pflegeversicherung.
Aus: junge Welt – Ausgabe vom 11.05.2023 / Seite 12 / Thema: Gesundheit und Kosten
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