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Johannes Schillo: Was man über die Vorgeschichte des Ukrainekriegs nicht wissen darf

Von • Feb. 19th, 2023 • Kategorie: Allgemein

Johannes Schillo: Was man über die Vorgeschichte des Ukrainekriegs nicht wissen darf

Wer gegen die verordnete Amnesie in Sachen neue Weltkriegslage antritt, hat in der Öffentlichkeit kaum noch eine Chance

Mit dem 24. Februar 2022, dem Einmarsch Russlands in die Ukraine, soll sich die Welt komplett verändert haben. Ein völkerrechtswidriger Angriffskrieg soll eine ganz neue außenpolitische Lage geschaffen, ein brutaler Akt – eine Ausgeburt Putinscher Bösartigkeit – aus heiterem Himmel die europäische Friedensordnung zerstört haben. Die deutsche Außenministerin teilte mit, dass sie an diesem Tag „in einer anderen Welt aufgewacht“ sei (tagesschau.de, 24.2.23). Auch aus der Opposition, von CSU-Weber, hieß es: „Es ist eine neue Welt, in der wir leben“ (bild.de, 24.2.23).

Der außenpolitische CDU-Experte Röttgen legte ein paar Wochen nach Kriegsbeginn unter dem Titel „Nie wieder hilflos!“ gleich sein „außen- und sicherheitspolitisches Manifest“ vor, das eingangs feststellte: „Das vor Kurzem Unvorstellbare ist geschehen: Der Krieg ist zurückgekehrt nach Europa.“ Natürlich ist dem Mann bewusst, dass es vorher schon „kriegerische Akte“ gegeben hat, auch in Europa. Aber das ändert für ihn nichts daran, dass jetzt der Grund für die „Zeitenwende“ gelegt wurde, die Kanzler Scholz wenige Tage nach Kriegsbeginn ausrief – einem Sachzwang folgend, der dem angeblich „völlig überraschten“ und „hilflosen“ Deutschland keine andere Wahl ließ.

Das Trio der Kriegslügen

1. Die Rückkehr des Krieges

2. Der unverzeihliche Verstoß gegen das Völkerrecht

3. Der unprovozierte „Zivilisationsbruch“

Fazit

Dass bei den hiesigen Produzenten und Konsumenten der öffentlichen Meinung das Ignorieren solcher Sachverhalte – deren Aufdeckung wahrlich keiner großen analytischen Anstrengung bedarf – flächendeckend gegriffen hat, ist ein bemerkenswerter Akt der Volksverdummung. Analoge Vorgänge, das sei hier nur am Rande vermerkt, kann man natürlich auch in der Öffentlichkeit der Russischen Föderation beobachten, wo zudem staatliche Zensurmaßnahmen notwendig waren, um einen (anscheinend nicht ganz linientreuen) Medienbetrieb gleichzuschalten. In Deutschland haben die Redaktionen das freiwillig erledigt…

Diese erstaunliche Geistesleistung, banale Fakten auszuklammern und damit Rätsel über die bösartigen oder irrsinnigen Absichten des gegnerischen Kriegsherren zu verfertigen, sollte man aber nicht auf fehlende intellektuelle Kapazitäten zurückführen. Hier wird vielmehr eine Gesinnungswende praktiziert, die auf einem festen geistigen Fundament gründet und die eigentlich gar nicht viel an Wende und Umstellung mit sich bringt.

Dazu abschließend nur ein Hinweis: Wenn die deutsche Außenministerin Russland jetzt einen „Bruch der Zivilisation“ vorwirft und damit „unmittelbar an den Begriff ‚Zivilisationsbruch‘ (erinnert), der oft im Zusammenhang mit dem Holocaust verwendet wird“ (taz.de, 29.11.22), dann kassiert die grüne Politikerin den Ertrag einer moralischen Veranstaltung ein, die in der BRD gerade von grüner Seite besondere Unterstützung fand: die Vergangenheitsbewältigung in Sachen NS. Man bewältigte die Nazi-Herrschaft nämlich so, dass man gegen das absolute Böse der damaligen Staatsmacher die eigene Güte herausstellte. Indem man sich zur Singularität eines Menschheitsverbrechens bekannte, hatte man den singulären Charakter seiner nationalen Läuterung unter Beweis gestellt.

Dank diesem Moralismus, der die landläufige patriotische Moral bediente und veredelte (teils auch provozierte), kann Deutschland mittlerweile mit imperialer Selbstgerechtigkeit auftrumpfen. Die Nation, die einst mit der Zivilisation brach, hat – weil sie den Fehler ihres damaligen imperialistischen Alleingangs eingesehen hat – alles Recht der Welt, andere Nationen an den Pranger zu stellen. Kurz gesagt, wie es im Overton-Magazin knapp zwei Wochen vor Kriegsbeginn hieß, Deutschland bleibt sich treu und der neue Feind der alte: Russland!

https://overton-magazin.de/top-story/was-man-ueber-die-vorgeschichte-des-ukrainekriegs-nicht-wissen-darf/

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6 Responses »

  1. Schon ziemlicher Blödsinn, was Schillo da schreibt. Ginge es darum, dass man die Vorgeschichte des Ukrainekrieges nicht kennen dürfte, würde auch Schillo die hier nicht erzählen dürfen. Bei der Feindbildpflege geht es halt nicht um Wahrheit oder Ausgewogenheit. Vielleicht hat Schillo das bloß vergessen. Oder ist er der Meinng, mit Aufklärung über die wirkliche Vorgeschichte des Krieges würde er die nationalistischen Mitmacher zu Kriegsgegnern machen. Die kennen bloß die wahre Vorgeschichte nicht…

  2. Verstehe den Kommentar von Peter nicht. Es wird doch kein gesetzliches Verbot beklagt, sondern Einseitigkeit und Parteilichkeit (Kriegspropaganda) der Medien, Moralismus und ein diffamiererender Umgang mit Meinungsabweichlern festgestellt. Schillo stellt auch fest, dass die Verdummung nicht nur auf Seiten der Medien-Produzenten, sondern auch der Konsumenten (Selbstverdummung) liegt. Und am Schluss wird ein Grund dafür genannt.

  3. Ich habe den Artikel auch eher so wie Sus verstanden.
    An der Überlegung von Peter denke ich ist etwas dran, denn wenn so Typen wie völkerrechtlich versierte Aufdeckungs-Journalisten mit bloßen Fakten aus der Vorgeschichte ankommen, ist damit nicht viel gewonnen. (Wobei eine andere Frage ist, inwieweit solche Leute bloße Tatsachen und nicht auch Ideologie dabei vebreiten) Es kommt offensichtlich auf die richtige Kritik am Nationalismus, Imperialismus usw. an. An sich wird in der demokratischen Öffentlichkeit nicht viel von der harschen Realität verschwiegen und zensiert; und selbst wenn, würde es deutsche Staatsbürger wohl kaum von ihrer nationalistischen Interpretation und Rechtfertigung abbringen, sobald sich ein Skandal enthüllt.

    Die Behauptung allgemein aber, die Vorgeschichte der Ukraine zu analysieren sei überflüssig, halte ich für falsch. Man kann ja sehr wohl solche Sachen wie Nationalismus usw. an der Vorgeschichte zum Gegenstand und Kritikpunkt nehmen. So wie ich den Artikel gelesen habe, listet Schillo nicht einfach irgendwelche historischen Tatsachen auf, sondern hat durchaus inhaltliche Kritik dabei hineingebracht.

    Gruß

  4. „Ein Jahr Krieg in der Ukraine. Vortrag und Diskussion mit Reinhard Lauterbach.“ von Gruppe K

    https://www.youtube.com/watch?v=_Zxog61DQSI

  5. Erweiterte Fassung des Artikels bei Telepolis:

    Johannes Schillo: Mit verordneter Amnesie in die neue Weltkriegslage

    Die Kriegsmoral beherrscht auch im Westen das Feld. Doch beim hiesigen Patriotismus gibt es kleinere Irritationen. Einige Beispiele zu Geschichtsvergessenheit und deutschen Kontinuitäten.

    Mit dem 24. Februar 2022, dem Einmarsch Russlands in die Ukraine, soll sich die Welt komplett verändert haben. Der völkerrechtswidrige Angriffskrieg soll eine ganz neue außenpolitische Lage geschaffen, ein brutaler Akt – eine Ausgeburt Putin’scher Bösartigkeit – aus heiterem Himmel die europäische Friedensordnung zerstört haben.

    Die deutsche Außenministerin Annalena Baerbock (Grüne) teilte mit, dass sie an diesem Tag „in einer anderen Welt aufgewacht“ sei. Auch aus der Opposition, von dem EU-Abgeordneten Manfred Weber (CSU), hieß es: „Es ist eine neue Welt, in der wir leben“.

    Der außenpolitische CDU-Experte Norbert Röttgen legte ein paar Wochen nach Kriegsbeginn unter dem Titel „Nie wieder hilflos“ gleich sein „außen- und sicherheitspolitisches Manifest“ vor, das eingangs feststellte:

    „Das vor Kurzem Unvorstellbare ist geschehen: Der Krieg ist zurückgekehrt nach Europa.“

    Natürlich ist dem Mann bewusst, dass es vorher schon sogenannte kriegerische Akte gegeben hat, auch in Europa. Aber das ändert für ihn nichts daran, dass jetzt der Grund für die „Zeitenwende“ gelegt wurde, die Kanzler Olaf Scholz (SPD) wenige Tage nach Kriegsbeginn ausrief – einem Sachzwang folgend, der dem angeblich „völlig überraschten“ und „hilflosen“ Deutschland keine andere Wahl gelassen habe.

    Das Trio der Kriegslügen

    1. Die Rückkehr des Krieges

    2. Der unverzeihliche Verstoß gegen das Völkerrecht

    3. Der unprovozierte „Zivilisationsbruch“

    Die Leistung der patriotischen Moral

    Alternative Optionen des Patriotismus

    Die AfD ist schlicht und ergreifend eine national bornierte Mannschaft – und dabei im grundsätzlichen Standpunkt mit dem demokratischen Spektrum in Übereinstimmung. Die alternative Rechtspartei teilt auch den Moralismus, wie er derzeit von der Ampelregierung in Anspruch genommen wird.

    Sie wendet sich nur gegen die spezielle militärische Variante, die den nationalen Erfolg in der Einreihung ins imperialistische Kollektiv unter US-Führung sucht und dabei der Überzeugung folgt, man habe im ukrainischen Staat einen willfährigen Stellvertreter gefunden, der Land und Leute opfert, damit „wir“ zu neuer Größe aufsteigen.

    Die Ampel-Männer und Ampel-Frauen stehen dagegen auf dem Standpunkt eines klug gewordenen Deutschlands, das zweimal, 1914 und 1939, mit seinem „Griff nach der Weltmacht“ scheiterte, weil es gegen den Rest der Welt antrat.

    Die AfD sieht das nicht so eng. Sie ist aber auch nicht einfach für einen Alleingang. Sie könnte sich den neuen Aufstieg zur Weltmachtrolle eher als Zähmung des russischen Bären vorstellen, mit neuen bündnispolitischen Optionen auf dem Kontinent etc. – und hat in dem Fall sogar eine gewisse militärstrategische Expertise auf ihrer Seite.

    Es gibt pensionierte Generäle, die davor warnen, „den Iwan“ zu unterschätzen und die weltweite Geschlossenheit der eigenen Front zu überschätzen. Der Sache nach geht es hier also um einen Streit zwischen demokratischer Mitte und rechtem Rand darüber, wie man Weltkriege besser führt. Wer da der Dümmere oder der Klügere ist, das möchte man gar nicht wissen …

    https://www.telepolis.de/features/Mit-verordneter-Amnesie-in-die-neue-Weltkriegslage-7526086.html?seite=all

  6. Johannes Schillo: Was heutzutage wissenschaftlich untragbar ist

    Der Fall Guérot zeigt: Die Zeitenwende bringt eine Gesinnungswende mit sich, die den Raum des Sagbaren (auch als „Overton-Window“ bekannt) weiter einschränkt. Bloße Meinungsäußerungen sollen aber noch erlaubt sein!

    Die Wissenschaftler Ulrike Guérot und Hauke Ritz, Autoren des im November erschienenen Buchs „Endspiel Europa“, „fordern die Europäische Union dazu auf, nicht als Stellvertreter der USA zu fungieren“, hieß es letztens bei Krass & Konkret. Das Autorenduo berief sich dazu in seinem Essay – unter Rückgriff auf die kulturelle Tradition des Abendlands – auf eine „EUtopie, die humanistisch, antifaschistisch, antimilitärisch, inter-nationalistisch und antikapitalistisch ist“, und schloss mit der Forderung: „Deswegen muss Europa alles tun, um diesen Krieg sofort zu beenden.“

    Friedensidealismus: eine No-Go-Area

    Wissenschaftlichkeit = NATO-Narrativ

    Konsens unter behördlicher Aufsicht

    Diese ganze westliche Frontbildung unterschlagen die Beiträge von Portnov und Behrend – im Einklang mit Austs Votum, dass ein Verstoß gegen diese Unterschlagung, wie von Guérot/Ritz praktiziert, tendenziell ein Fall von (Rechts-)Extremismus sei. Insofern wieder ein Musterbeispiel für die deutsche Öffentlichkeit nach der Gesinnungswende: Der Russe führt Kriege, das muss immer wieder gesagt und parteilich bebildert werden. Dass es um Weltmachtkonkurrenz geht, dass dazu der Westen schon massenhaft völkerrechtswidrige Kriege geführt hat und dass jetzt dafür mit der Ukraine ein (autoritär regierter, grundkorrupter) Frontstaat systematisch aufgerüstet und scharf gemacht wurde, darf man dagegen nicht mehr sagen. Höchstens privat oder (noch) in der Gegenöffentlichkeit…

    https://overton-magazin.de/top-story/was-heutzutage-wissenschaftlich-untragbar-ist/

    UND

    Johannes Schillo: Ulrike im Wunderland

    Das Ethos der Wissenschaft und die Kampagne gegen die Politikprofessorin Ulrike Guérot. Eine Marginalie.

    Seit ihrem Auftritt bei Markus Lanz am 4. Juni 2022 ist die Bonner Politikprofessorin Guérot – milde ausgedrückt – persona non grata im öffentlichen Leben.

    Hatte sie mit ihrem Essay „Wer schweigt, stimmt zu“, der Kritik an den staatlichen Maßnahmen zur Pandemie-Bekämpfung vorbrachte, schon Anstoß erregt, so war mit ihrem im November 2022 erschienenen Buch Endspiel Europa für den Mainstream der deutschen Medienlandschaft endgültig klar: Diese Frau hat im Wissenschaftsbetrieb und im öffentlichen Diskurs, wie er hierzulande geführt wird, nichts verloren.

    Mittlerweile hat auch der Arbeitgeber Guérots reagiert, was noch einmal für Wirbel sorgte.

    Eine Exkommunikation – oder doch nicht?

    Im Reich exakter Wissenschaft, oh Gott!

    https://www.telepolis.de/features/Ulrike-im-Wunderland-7539442.html?seite=all