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Björn Hendrig: Keine Zeit für Pazifisten

Von • Feb. 9th, 2023 • Kategorie: Allgemein

Björn Hendrig: Keine Zeit für Pazifisten

Gestern Flugabwehr, heute Panzer, morgen vielleicht Kampfflugzeuge: Deutschland befeuert mit aller Macht den Krieg in der Ukraine. Pazifismus hat da einen schlechten Stand. Eine gute Idee ist er aber auch nicht.

Selbst mit der größten Lupe findet man sie hierzulande derzeit kaum. Die Pazifisten und Friedensbewegten, die wie einst vor rund 40 Jahren zu Hunderttausenden gegen eine massive Aufrüstung Deutschlands auf die Straße gingen. Damals warnten sie vor einem Atomkrieg und forderten deshalb von der Bundesregierung, die Stationierung von US-amerikanischen Mittelstreckenraketen abzulehnen.

Heute demonstrieren keine Massen gegen eine 100 Milliarden Euro- Aufrüstung – eine Aufrüstung, die die Nachrüstung gegen die damalige Sowjetunion locker in den Schatten stellt. Und die schon jetzt vom frischgebackenen Verteidigungsminister als nicht ausreichend bezeichnet wird.

Es finden sich auch keine Massen, die gegen eine drohende nukleare Auseinandersetzung demonstrieren. Dabei ist sie angesichts der harten Konfrontation in der Ukraine zwischen USA und EU einerseits und Russland andererseits nicht weniger wahrscheinlich, eher sogar wahrscheinlicher.

Nun könnte man den alten Friedensfreunden eine ganze Menge vorhalten. Sie hielten tatsächlich die Raketen für die Wurzel des Übels. Damit sprachen sie die deutschen Politiker von jeder Überlegung frei, eben mit diesen Waffen im Nato-Bündnis eine gewichtigere Rolle zu spielen und gegenüber der Sowjetunion eine größere Militärmacht darzustellen, mit entsprechend größerem politischem Drohpotenzial. Die Pazifisten von damals erklärten Krieg als „Scheitern der Politik“.

Dabei genügt ein kurzer Blick in die Geschichte um festzustellen: Krieg hat eine lange Tradition als Mittel von Staaten, ihren Willen und ihre Ansprüche gegen ihresgleichen durchzusetzen. Gescheitert ist in solchen Fällen nur der Versuch, denselben Zweck ohne Gewalt zu erreichen.

Ebenfalls oft angeführt wurde „unnötiges Leid und Zerstörung“, weil Krieg doch „keine Lösung“ sei. Für den Sieger stellt der Krieg sehr wohl die „Lösung“ dar, nämlich seinen Kriegszweck zu realisieren. Das damit verbundene Leid und die Zerstörung nimmt er dabei in Kauf, auch bei seinem eigenen Volk.

Immerhin wollte die Friedensbewegung „Frieden schaffen ohne Waffen“. Davon ist heute wenig zu vernehmen. Es hat eher den Anschein, als wäre diese Forderung fast schon so etwas wie Landesverrat.

Bombenstimmung in Deutschland

Zweifelhaftes Lob des Pazifismus

Wenn zwei Weltmächte sich bekämpfen

„Fundamental-Pazifismus“: Unterlassene Hilfeleistung!

Beide Kriegslager nehmen ihr Volk rücksichtslos in die Pflicht

„Realer Pazifismus“: Mit Gewalt Verhandlungen erzwingen

Verhandlungen und Krieg gehören zusammen

Kein Platz für „echten“ Pazifismus: Gewalt gehört zum guten Ton

Was aber würde ein echter Pazifist sagen, der die Zeichen der Zeit einfach nicht erkennen will? Ein solcher Mensch lehnt bekanntlich Krieg als Mittel der staatlichen Auseinandersetzung ab, fordert den Verzicht auf Rüstung und militärische Ausbildung.

Er verweist auf das unendliche Leid und die Zerstörung, die mit Krieg einher gehen. Das muss nicht sein, lautet das Credo. Die Staaten können doch friedlich Konflikte lösen. Und wenn sie kein Militär hätten, was bliebe ihnen anderes übrig?

Ein solcher Standpunkt muss sich eine ganze Menge wegdenken. Er muss nicht wissen, was Staaten auf der Welt treiben, welcher Art die Konflikte sind, die sie immerzu gegeneinander aufbringen.

Er muss nicht so schnöde Begriffe kennen wie „Konkurrenz“ um Märkte und Einflusssphären und wie das zu wechselseitigen Erpressungen bis zu Androhungen und Anwendungen von Gewalt führt.

Er muss keinen Zweifel gegenüber einem Zustand namens „Frieden“ hegen, in dem die Staaten ihre Völker für ihre Zwecke herrichten, benutzen und aufeinander hetzen, wenn es opportun erscheint.

Er muss nicht bemerken, dass Staaten sich im Frieden auf Krieg vorbereiten, weil zur Erhaltung des Friedens, wie sie sich ihn vorstellen, öfters Krieg nötig ist. Das sind dann die bekannten friedenserhaltenden, -sichernden oder -schaffenden Maßnahmen. Und für alle diese Fälle und Phänomene benötigt nun einmal jeder Staat, der etwas auf sich hält in der Welt, ein ordentliches Militär.

Insofern liegt dieser „Fundamental-Pazifismus“ tatsächlich fern der Realität. Er kümmert sich nicht um die gegensätzlichen Interessen und ihre Verfechter, die Staaten. Eine Kritik an der Herrschaft, der er untersteht, fällt ihm nur hinsichtlich der Gewalt ein: Bitte lassen, muss doch nicht sein! Ansonsten weiß er schon, wo sein „Vaterland“ ist.

Entsprechend national gerät seine Perspektive. „Sein“ Deutschland gilt es zu unterstützen, damit „wir“ in der Welt für das Gute sorgen. Dabei gibt er den Mahner – ohne den Einsatz von Militär wäre das Bild des guten Deutschlands erst so richtig rund!

Kein Wunder, dass diese Pazifisten derzeit hier keine Konjunktur haben: Denn zum guten Deutschland gehört es gerade, in einem Krieg eine Seite mit allen Gewaltmitteln zu unterstützen. Aber theoretisch darf man ihren Standpunkt gern aufwerfen. Um ihn dann umso heftiger auf den Schutthaufen der Geschichte zu schmeissen.

https://www.telepolis.de/features/Keine-Zeit-fuer-Pazifisten-7488866.html?seite=all

One Response »

  1. Björn Hendrig: Gute Zeiten für Wehrwillige

    Massive Aufrüstung gut und schön – aber wer soll denn die vielen Waffen abfeuern? Da kommen die Soldatenwerbung und die Wehrpflicht wieder ins Spiel. Offenbar gibt es zu wenige Freiwillige, die im staatlichen Auftrag töten wollen.

    Seltsam, warum eine solche Stellenbeschreibung keine Bewerbungswelle auslöst:

    „Wir sind ein Konzern mit rund 250.000 Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern. Weltweit aktiv, in ganz Europa wie auch in Afrika und Asien. Wir erforschen und entwickeln in enger Zusammenarbeit mit führenden nationalen Herstellern modernste Technik. Ihre Anwendung erfordert ausgewiesene Spezialisten, die außerdem extrem stressresistent sind. Wir betreiben eine eigene Hochschule, bilden dort mit exklusiven Lehrkräften unseren akademischen Nachwuchs aus.

    Unsere Sozialleistungen sind vorbildlich, und unser Zusammenhalt auch. Wollen nicht auch Sie Verantwortung übernehmen und weiterkommen? Dann bewerben Sie sich und stoßen zu einem der größten Arbeitgeber Deutschlands.“

    Vielleicht liegt das daran, dass in der Beschreibung manches etwas ungenau ausgedrückt wird:

    „Wir sind ein Konzern, der im Staatsauftrag Gewalt androht und anwendet. Und zwar überall dort, wo unser Auftraggeber seine Interessen bedroht sieht. Das kann auf anderen Kontinenten und Meeren sein, oder, wie in den 1990er-Jahren und gerade jetzt, auch in Europa.

    Mit unseren Partnern aus der Rüstungsindustrie feilen wir an den todbringendsten Waffen der Welt. Wer sie gebraucht, muss natürlich über viele Fähigkeiten verfügen. Die Fachkraft muss wissen, wo die richtigen Knöpfe sind, kaltblütig handeln und auf Menschen schießen. Wenn sie ihren Job gut erledigt, bekommt sie einen Orden und rutscht einen Rang höher. Diskutiert wird nicht, sondern es werden Befehle befolgt.

    Den nötigen ideologischen Rückhalt für eine Tat, die im normalen Leben Mord heißt, liefern unsere Führungskräfte, unterstützt von vielen Politikern, Geistesgrößen und Qualitätsmedien. Sollten Mitarbeiter bei der Arbeit selbst zu Tode kommen, was nicht ganz auszuschließen ist, sorgt der Arbeitgeber für die Hinterbliebenen und eine ehrenvolle Bestattung.“

    Irgendwo zwischen diesen Beschreibungen pendelt wohl die Zielgruppe hin und her. Also junge Männer und vermehrt auch Frauen, die eine sichere und solide berufliche Perspektive suchen. Und die den Arbeitgeber Bundeswehr in dieser Hinsicht attraktiv finden könnten, jedoch nicht so die Sache mit Befehl und Gehorsam und den lebensgefährlichen Begleitumständen.

    Zweifel am Auftrag dürften indes die wenigsten haben. Dass unser Deutschland eine konkurrenzfähige Streitmacht braucht, weil wir sonst wehrlos und damit erpressbar wären, ausgeliefert allen Despoten und sonstigen bösen Staaten, gilt als ausgemacht. Das hat der Nachwuchs schließlich ausgiebig in der Schule gelernt und wird ihm in den Medien tagtäglich mitgeteilt.

    Die Bundeswehr: ein Hort von Selbstfindung und Selbstlosigkeit

    Aussetzung der Wehrpflicht: Keine Amateure für Auslandseinsätze

    Der Sinn der Wehrpflicht: ein stets kampfbereites Volk

    Dienstpflicht statt Wehrpflicht: Deutschland braucht nicht nur mehr Soldaten

    Neue „Bedrohungslage“: Woher sollen 20.000 zusätzliche Soldaten kommen?

    Klarstellung der Wehrbeauftragten: Wehrdienst ist Kriegsdienst

    Ukrainische Soldaten, russische Soldaten: Beide töten für eine „gute Sache“

    Das deutsche Volk: noch zu „weich“ für den Krieg?

    Aktuell steht für die maßgebliche deutsche Politik die weitere Bewaffnung und Finanzierung der Ukraine außer Frage. Die Stimmen von Friedensbewegten und Pazifisten werden von Politik und Medien diskreditiert.

    Einen Bewerbungsschub für die Bundeswehr löst dies jedoch nicht aus. Die Mentalität der Deutschen ist noch nicht so weit. Einstweilen sorgt man sich sogar, in den Krieg zu sehr hineingezogen zu werden.

    Doch das will ja Bundeskanzler Olaf Scholz unbedingt verhindern: Man werde nicht zur Kriegspartei, auch nicht durch die Lieferung der Leopard-Panzer. Gewiss, wenn man jemand die Waffe in die Hand drückt, damit er schießt, ist man an der Tat in keiner Weise beteiligt…

    Es könnte also vielleicht noch eine Weile dauern, bis sich genügend Freiwillige melden und die Wehr- oder Dienstpflicht auf große Zustimmung stößt. Es könnte aber auch ganz schnell gehen: Wenn Deutschland ernst macht und selbst zu den Waffen greift, um Russland ein für allemal zu ruinieren.

    https://www.telepolis.de/features/Gute-Zeiten-fuer-Wehrwillige-7534589.html?seite=all