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Theo Wentzke: »Wir halten den Lügen Fakten entgegen«

Von • Dez. 22nd, 2022 • Kategorie: Allgemein

»Wir halten den Lügen Fakten entgegen«

Ein »verdeckter« Kriegsakt. Der Anschlag auf Nord Stream und die hiesigen Reaktionen

Von Theo Wentzke

 

Ende September werden drei der vier Röhren der Gaspipeline Nord Stream gesprengt. Eine beachtliche Leistung angesichts der Lage und Beschaffenheit der Objekte: »Die betroffenen Stellen liegen 80 bis 110 Meter unter der Meeresoberfläche. Beide Pipelines haben einen Innendurchmesser von 1,15 Metern, Stahlwände mit einer Dicke zwischen 26,8 und 41 Millimetern und einen mehrlagigen Korrosionsschutz. Zuletzt umhüllt die Pipeline ein tonnenschwerer Mantel aus Stahlbeton.« (www.nord-stream.com) Zur Erzielung einer solchen Zerstörungswirkung ist einiges verlangt: eine gewaltige Menge, »vermutlich eine Sprengladung von mehreren hundert Kilogramm« (»Tagesschau«, 6.10.2022), die entsprechende Technologie für Operationen unter Wasser und einige Manövrierfreiheit, da die Ostsee als eines der militärisch am besten observierten Gewässer gilt. Eine logistische Leistung, zu der freiberufliche Terroristen kaum imstande sein dürften, sondern nur Staaten, und unter denen eigentlich auch eher wenige.

Der ehemalige polnische Außenminister und heutige EU-Abgeordnete Radoslaw Sikorski bedankte sich prompt per Twitter bei den USA. Er und andere Beobachter fühlten sich an Bidens prophetische Ankündigung der begrenzten Haltbarkeit von Nord Stream vom Februar erinnert:

»›Wenn Russland einmarschiert (…), dann wird es kein Nord Stream 2 mehr geben. Wir werden dem ein Ende setzen.‹ Reporter: ›Aber wie wollen Sie das genau machen, da (…) das Projekt unter deutscher Kontrolle ist?‹ Biden: ›Ich verspreche Ihnen, dass wir in der Lage sein werden, das zu tun.‹« (Biden während des Besuchs von Bundeskanzler Olaf Scholz, Deutsche Wirtschaftsnachrichten, 27.9.2022) Nach der Explosion äußert sich der US-Außenminister mit tiefer Zufriedenheit, dass Bidens Voraussage so perfekt eingetroffen sei:

»Es ist eine enorme Chance, die Abhängigkeit von russischer Energie ein für allemal zu beenden und damit Wladimir Putin die Möglichkeit zu nehmen, Energie als Waffe zur Durchsetzung seiner imperialen Pläne einzusetzen. Das ist sehr bedeutsam und bietet eine enorme strategische Chance für die kommenden Jahre.« (US-Außenminister Antony J. Blinken, 30.9.2022)

Wozu Biden sich in seinem Interesse und mit der Fähigkeit seines Militärapparats bekannt hat und was Blinken als großartigen strategischen Fortschritt feiert, das ist jedenfalls das Ergebnis dieser Aktion: die Unterbindung des russischen Gasgeschäfts über die Ostseeleitungen und vice versa der Möglichkeit, dass Deutschland angesichts seiner nationalen Notlage in der Gasversorgung auf diese Quelle zurückkommen kann.

 

Der Elefant im Raum

 

Der Russe war’s

 

Keine Zufälle

 

Fortsetzung des Wirtschaftskriegs

 

Mare nostrum

 

NATO-Generalsekretär Jens Stoltenberg generalisiert den Anlass überhaupt zu einer Gefährdung, und damit ist das Vorrücken der NATO in der Ostsee in der Rubrik der überaus notwendigen und gerechtfertigten Verteidigung »unserer kritischen Infrastruktur« untergebracht, kombiniert mit Drohungen an die Adresse Russlands:

»Wir werden weitere Schritte unternehmen, um unsere Widerstandsfähigkeit zu stärken und unsere kritischen Infrastrukturen zu schützen. Jeder vorsätzliche Angriff auf die kritischen Infrastrukturen der Verbündeten würde gemeinsam und entschlossen beantwortet werden.«

Auf kommende Zusammenstöße in der Ostsee darf laut NATO also gewartet werden; dort lassen sich ja immer noch russische Kräfte blicken, obwohl das Bündnis die Gegend inzwischen, vor allem nach dem Beitritt der bislang noch fehlenden Skandinavier, als seinen Besitzstand definiert und behandelt: »Es wird erwartet, dass sich das Kräfteverhältnis in der Ostseeregion entscheidend zugunsten der NATO verschiebt, wenn Finnland und Schweden dem Bündnis offiziell beitreten (…). Die Verteidigungsplaner der NATO haben seitdem begonnen, die Ostsee als ›NATO-Binnenmeer‹ zu bezeichnen, obwohl Verteidigungsanalysten sagen, dass die Allianz weitere Bedrohungen durch Russlands Marine in der Region nicht ausschließen kann.« Auch der Ostseeraum ist ein Mare nostrum, ist unser Aufmarschgebiet.

So passen Anfang und Ende dieser Affäre in geradezu erstaunlicher Weise zusammen: Auf eine russische Pipeline wird ein Anschlag ausgeübt, der russischen Geschäfts-, politischen und Sicherheitsinteressen beträchtlichen Schaden zufügt – und das ergibt, zusammengenommen, einen guten Grund für die Steigerung des NATO-Aufmarsches gegen Russland in der Ostsee – immerhin noch zu Teilen ein internationales Gewässer und vor allem eines, das für Russland von allergrößter strategischer Bedeutung ist für seine maritime Bewegungsfreiheit, den Zugang zu den Weltmeeren etc. So kommt die Auseinandersetzung mit Russland voran, ein Fortschritt außerhalb des eigentlichen Schlachtfelds in der Ukraine, aber mit derselben Sinngebung wie die dort stattfindende Mission des Westens.

 

Theo Wentzke schrieb an dieser Stelle zuletzt am 8. Juni über die Legende vom geeint und geschlossen kämpfenden ukrainischen Volk:

»Mystifizierte Nation«. Mehr zum Thema unter gegenstandpunkt.com.

 

Aus: junge Welt – Ausgabe vom 20.12.2022 / Seite 12 / Thema:

Terroristische Geopolitik

 

https://www.jungewelt.de/artikel/441211.terroristische-geopolitik-wir-halten-den-l%C3%BCgen-fakten-entgegen.html

 

 

Siehe dazu:

„Anschlag auf Nord Stream: Ein „verdeckter“ Kriegsakt und ein vorentschiedener Indizienprozess“ (GS 4-22)

Ende September werden drei der vier Röhren der Gaspipeline Nord Stream gesprengt. Eine beachtliche Leistung angesichts der Lage und Beschaffenheit der Objekte: „Die betroffenen Stellen liegen 80 bis 110 Meter unter der Meeresoberfläche. Beide Pipelines haben einen Innendurchmesser von 1,15 Metern, Stahlwände mit einer Dicke zwischen 26,8 und 41 Millimetern und einen mehrlagigen Korrosionsschutz. Zuletzt umhüllt die Pipeline ein Tonnen-schwerer Mantel aus Stahlbeton.“ Zur Erzielung einer solchen Zerstörungswirkung ist einiges verlangt: eine gewaltige Menge, „vermutlich eine Sprengladung von mehreren hundert Kilogramm“, die entsprechende Technologie für Operationen unter Wasser und einige Manövrierfreiheit, nachdem die Ostsee als eines der militärisch am besten observierten Gewässer gilt. Eine logistische Leistung, zu der freiberufliche Terroristen kaum imstande sein dürften, sondern nur Staaten, und unter denen eigentlich auch eher wenige.

 

https://de.gegenstandpunkt.com/artikel/anschlag-auf-nord-stream

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