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Peter Decker: Horror-Arbeit in der Fleischindustrie: Eine alternative Bilanz

Von • Dez. 5th, 2022 • Kategorie: Allgemein

Peter Decker: Horror-Arbeit in der Fleischindustrie: Eine alternative Bilanz

 

Arbeitsschutzkontrollgesetz seit einem Jahr in Kraft. Es sollte die katastrophalen Arbeitsbedingungen in Schlachthöfen verbessern. Hat das geklappt?

Jahrzehntelang hat sich die Republik über die miesen Arbeitsbedingungen in der Fleischindustrie empört, so mancher hat da sogar Ausbeutung mitten in der sozialen deutschen Marktwirtschaft entdeckt.

Während die Öffentlichkeit das interessierte Publikum im Rahmen größerer und kleinerer Skandale immer mal wieder mit Informationen über das Geflecht von europaweit agierenden Großkonzernen, zwielichtigen Subunternehmern, Werkverträgen, Leiharbeit und in überteuerte Massenunterkünfte eingepferchten osteuropäischen Billiglöhnern versorgt hat, haben nimmermüde professionelle Arbeitnehmervertreter beharrlich gegen das Geschäftsmodell dieser Problembranche angekämpft.

Die Diagnose lautete allemal „unternehmerische Willkür“ und „maßloses Profitstreben“, und die tiefere Ursachenforschung wurde zielstrebig beim Staat fündig, der dem Treiben keine ausreichenden oder nur mangelhaft kontrollierte gesetzliche Schranken gesetzt hat.

An ebendieser Front gibt es seit Januar 2021 einschneidende Veränderungen: Mit demonstrativer Entschlossenheit hat Arbeitsminister Hubertus Heil (SPD) sein Arbeitsschutzkontrollgesetz gegen alle Widerstände durchgesetzt, um mit den Missständen in der Branche gründlich aufzuräumen.

Werkverträge und Leiharbeit werden für das Kerngeschäft der Fleischfabrikanten verboten. Die bisher bei Subunternehmern angestellten Arbeitskräfte sind ohne Ausnahme in Stammbelegschaften zu integrieren, die Arbeitszeiten elektronisch zu erfassen und bei der Einrichtung von Massenunterkünften sind Mindeststandards einzuhalten.

Das Gesetz zeigt Wirkung: Die Subunternehmer sind Geschichte, ebenso der systematische Lohnbetrug. Die Arbeitnehmer nehmen ihre Rechte immer selbstbewusster wahr, sie lassen sich sogar gewerkschaftlich organisieren: Die Gewerkschaft Nahrung-Genuss-Gaststätten (NGG) erkämpft mit ihren Warnstreiks einen Branchenmindestlohntarifvertrag.

Gleichzeitig ist nicht zu übersehen, dass die Arbeits- und Lebensbedingungen in der Branche nach wie vor höchst prekär sind.

Dieses doppelte Resultat kann man natürlich so deuten wie der DGB in seiner ersten Bilanz mit dem Titel „Ein wirksamer Schritt“ (daraus alle nicht anders ausgewiesenen Zitate): Ein echter Game-Changer, der aber noch Schlupflöcher lässt, sodass „noch viel zu tun (bleibt), damit sich die allgemeine Situation in der Fleischindustrie verbessert“.

Das passt zur Lebensaufgabe der Gewerkschaft. Es verpasst allerdings, dass sich die Frage der Ausbeutung nicht an gesetzlichen Regelungen und Mitbestimmung entscheidet, sondern mit der Sache feststeht, die reguliert und gewerkschaftlich mitbestimmt wird, der rentablen Anwendung der Arbeit, Unterabteilung Fleischindustrie.

 

Fleischindustrie: Arbeitgeber sind nun in der Pflicht

 

Anspruch auf respektable Behandlung

 

Schon wieder ein Fall von „Verbesserung, aber ausbaufähig“, wenn man auch hier wieder davon absieht, was sich da verbessert hat.

Unverändert bleibt es schließlich dabei, dass hier das Arbeitsinventar der Betriebe nicht wohnt, sondern unterkommt, dass das Leben der Leute jenseits der Arbeit vollständig durch die Arbeit in den Schlachtfabriken definiert und deswegen unmittelbar darauf zugerichtet ist, die Zeit bis zum Beginn der nächsten Schicht zu überbrücken. Auch bei der geschäftlichen Ausnutzung dieses furchtbaren Bedarfs geht es nun nach Recht und Gesetz zu.

 

[Peter Decker ist Redakteur der politischen Vierteljahreszeitschrift GegenStandpunkt, in deren aktueller Ausgabe dieser Artikel ebenfalls erschienen ist.]

 

https://www.heise.de/tp/features/Horror-Arbeit-in-der-Fleischindustrie-Eine-alternative-Bilanz-7363314.html?seite=all

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