Manfred Henle: Hoch lebe die gerechte Gewalt!
Von webmaster • Apr. 14th, 2022 • Kategorie: Allgemein
Manfred Henle: Hoch lebe die gerechte Gewalt!
Angesichts des Krieges in der Ukraine können sich die Deutschen wieder aus tiefster Überzeugung für die militärische Eskalation begeistern. Dahinter steht eine Meta-Erzählung (Teil 1).
Der Krieg in der Ukraine und der Geist der Zeit
„Nicht diskutieren kann man dies: Wir sind inmitten der Gefahr eines militärischen Konflikts, eines Krieges in Osteuropa. Und dafür trägt Russland die Verantwortung.“
Frank-Walter Steinmeier, 13.2.2022
„Jede und jeder einzelne von uns muss jetzt eine dezidierte und verantwortungsvolle Entscheidung treffen und Partei ergreifen.“
Annalena Baerbock, 1.3.2022
„Aber dennoch ist die Öffentlichkeit das größte Bildungsmittel für die Staatsinteressen überhaupt.“
Hegel, 1821
Dass auch Deutschland im Krieg in der Ukraine inzwischen de facto, wenngleich noch nicht de jure, eine (Nato-)Kriegspartei ist, erfährt der Einzelne alltäglich am eigenen Leib: an der Inflationsrate, an der Tanksäule, beim Einkauf, angesichts seiner Energie-Rechnungen, die ihm ins Haus flattern, solange es Energie noch gibt.
Weiter in der politischen und massenmedialen Rund-um-die-Uhr-Betreuung und Kriegsberichterstattung. Protest, Massendemonstrationen und Generalstreiks dagegen gibt es nicht. Gekennzeichnet ist der gegenwärtige „Geisteszustand der deutschen Gesellschaft“ (Renate Dillmann) und der Geisteszustand der in den Nato-Ländern eingemeindeten Völkerschaften vielmehr dadurch, dass diese Völkerschaften in überragender Mehrheit „als Parteigänger ihrer Regierungen im Krieg gegen Russland“ (Suitbert Cechura), die ukrainische Fahnen und Fähnchen schwenken; und im Geiste vereint mit den USA und der Nato auf musikalisch-künstlerischen Klein- und Großveranstaltungen singen und rufen: „Freiheit für die Ukraine“.
Das seit Jahr und Tag dem zugrundeliegende, von der transatlantischen und deutsch-europäischen politischen Klasse negativ gezeichnete Russland-Bild, zuoberst das des Präsidenten der Russischen Föderation, ist zweifelsohne recht erfolgreich bei den abendländischen Völkerschaften angekommen.
Weshalb festzuhalten ist: „Auf diese sorgfältig und mit eindeutiger Absicht über Jahre aufgebauten Hassbilder fallen bedauerlicherweise sehr viele Bürger herein.“ (Björn Hendrig)
Warum das so ist, scheint einer näheren Betrachtung wert. Dem nachzugehen, welchem Nährboden es sich verdankt, dass die staatlich produzierten Bilder des ausgemachten Feindes so fruchtbaren Anklang finden; dem nachzuspüren, warum die Öffentlichkeit, wie am Krieg in der Ukraine ersichtlich, „das größte Bildungsmittel für die Staatsinteressen ist“ (Hegel) und es zustande bringt, den jeweils benötigten Geist der Zeit zu formen, auch das scheint lohnenswert.
Eine solche nähere Betrachtung steht allerdings der bundespräsidialen Aufforderung, die Diskussion um die Ukraine-Frage habe beendet zu sein, entgegen; auch steht sie dem außenministeriellen Aufruf zur Pflicht entgegen, in der Ukraine-Frage gedanklich und praktisch Partei zu ergreifen.
Der moderne Gebrauch des Verstandes und sein Kompass
Die Ukraine-Frage – eine geopolitische Erinnerung
Wie dem auch sei: fruchtbaren Boden findet die Meta-Erzählung der Nato-Erinnerungskultur mit dem Narrativ von der Nato als einem nicht um die strategische Einkreisung Russlands bemühten Verteidigungsbündnis in der vorgefundenen, ausgeprägten Parteinahme und Parteilichkeit der in den Nato-Ländern eingemeindeten Völkerschaften für ihr jeweiliges höchste Gut, für ihr jeweils heimisches „unser Wir“ und dessen Wohlergehen: im Interesse des Fortkommens, des Erfolgs, der Durchsetzung eben des nationalen Kollektivs (J. Schillo).
Vom Himmel gefallen ist dieses parteigewordene Denken für „das große Wir“ (Ex-Bundespräsident Gauck, 12.6.2012, „Mutbürger in Uniform“-Rede) allerdings nicht. Der eigentümliche Gebrauch des Verstandes, den der moderne Staatsbürger angesichts der Welt des Politischen sich zu eigen gemacht hat, muss ja einen Grund haben.
https://www.heise.de/tp/features/Hoch-lebe-die-gerechte-Gewalt-6672868.html?seite=all