Johannes Schillo: Querschläger, Querdenker, Querfront?
Von webmaster • Feb. 1st, 2022 • Kategorie: AllgemeinJohannes Schillo: Querschläger, Querdenker, Querfront?
Norbert Wohlfahrt über Kapitalismuskritik des rechten Lagers, Unternehmenserfolg und Staatshandeln sowie neurechten Moralismus.
Seitdem sich Anfang des 20. Jahrhunderts der Faschismus – mal mehr, mal weniger erfolgreich – als Alternative zur demokratischen Herrschaftsform aufstellte, weiß man, dass auch von der äußersten Rechten kapitalismuskritische Töne kommen. In Deutschland war ja zwölf Jahre lang ein Regime an der Macht, das der marxistisch angeleiteten Arbeiterbewegung den Todesstoß versetzen wollte und gleichzeitig von einer „Arbeiterpartei“ angeführt wurde, die sich als „national“ und „sozialistisch“ bezeichnete.
Der deutsche Kapitalismus hatte unter dieser Herrschaft nicht groß zu leiden, im Gegenteil. Umso mehr traf ihn die Kriegsniederlage, die auch der wirtschaftlichen Expansion ein Ende setzte. Fürs Erste jedenfalls, bis sich das Kapital dann unter Adenauers und Erhards demokratischer Regie – natürlich im Auftrag der neuen Pax Americana – zu alter Größe aufschwang und im Laufe der Zeit auch wieder mit dem Angebot einer alternativen nationalen Gestaltung konfrontiert wurde.
Seit den 1960er-Jahren, seit den ersten Wahlerfolgen der NPD oder dem Aufstieg einer neuen Rechten, ist diese Alternative weiterhin im Angebot. Mittlerweile gibt es sogar ein breites Lager von Rechtsradikalen, -extremisten und -populisten, das sich mit der AfD einen festen Platz in der Volksvertretung erobert hat, und es gibt dort wieder – oder immer noch – kapitalismuskritische Töne. Die sorgen stellenweise für Verwirrung, ja lassen Befürchtungen einer „Revolution von rechts“ aufkommen.
„Revolution von rechts?“
Geht hier eine „Querfront“ von rechts und links zusammen? Sind die Querdenker der Vorschein eines solchen Zusammenschlusses auf Basis des neuen Volkswiderstands gegen Impf- und Maskenpflicht? Oder hat man es nur mit einzelnen, effekthaschenden Querschlägern zu tun?
Norbert Wohlfahrt, Professor für Sozialmanagement an der Evangelischen Fachhochschule im Rheinland, hat Anfang 2022 eine Streitschrift über den „Antikapitalismus der Neuen Rechten und seine radikalpatriotische Moral“ vorgelegt („Revolution von rechts?“), die sich genau mit diesen Fragen beschäftigt. Hier ein Gespräch mit dem Autor.
Klassengesellschaft oder Volksgemeinschaft?
Die Kritik an diesem, von vielen Demokraten geteilten Moralismus, ist – das soll die Botschaft meiner Streitschrift sein – nicht damit erledigt, dass man die Neurechten in die Ecke undemokratischer und ausländerfeindlicher Extremisten stellt. Wer den gängigen Nationalismus und Patriotismus nicht kritisieren will, der teilt die moralischen Maßstäbe der Neurechten, auch wenn er sie verachtet.
https://www.heise.de/tp/features/Querschlaeger-Querdenker-Querfront-6342176.html?seite=all
vgl:
Norbert Wohlfahrt
Revolution von rechts?
Der Antikapitalismus der Neuen Rechten und seine radikalpatriotische Moral – eine Streitschrift
160 Seiten | 2022 | EUR 14.80
ISBN 978-3-96488-127-4
Die Neue Rechte nur für ihre undemokratische Weltanschauung zu kritisieren, reicht nicht. In diesem Buch legt Norbert Wohlfahrt ihren nationalistischen Antikapitalismus offen. Er fordert damit auch bürgerliche Versuche, sich gegen rechts abzugrenzen, heraus.
Inhalt & Leseprobe:
https://www.vsa-verlag.de/uploads/media/www.vsa-verlag.de-Wohlfahrt-Revolution-von-rechts.pdf
https://www.vsa-verlag.de/nc/buecher/detail/artikel/revolution-von-rechts/
Der Unmut der Querdenker und ähnlicher ‚Bürgerbewegungen‘ wird bei Heise/TP analysiert: „Was die Querdenker eint“
https://www.heise.de/tp/features/Was-die-Querdenker-eint-6351309.html?seite=all
https://www.heise.de/tp/features/Nachtraege-zu-Freiheit-die-gemeint-ist-6318515.html
https://www.heise.de/tp/features/Die-Buerger-und-ihre-ultimative-Wahrheitsfrage-4772493.html
Ein neuer Artikel von Johannes Schillo über Feindschaft zu Russland und Vergangenheitsbewältigung – inkl. Werbung für sein neues Buch:
https://krass-und-konkret.de/politik-wirtschaft/deutschland-bleibt-sich-treu-und-der-neue-feind-der-alte-russland/
Johannes Schillo: Linker Protest von rechts?
„Unser Land zuerst!“ Mit solchen Parolen gelang es der AfD angeblich, die soziale Frage zu „kapern“ und sich als antimilitaristische Kraft zu profilieren. Dabei ist nicht der Krieg ihr Problem, sondern sein geringer Ertrag. Ein Kommentar.
Seit Anfang des Jahres kursiert wieder eine „Erkenntnis“, mit der Extremismus- und Totalitarismustheoretiker seit ewigen Zeiten aufwarten – dass sich nämlich die Extreme links und rechts berührten. Ja, dass sie nicht nur übereinstimmten, sondern auch übereinkämen, ihr radikales Untergraben von „liberaler Demokratie“ und „offener Gesellschaft“ als Gemeinschaftswerk zu betreiben.
So konstruieren aufmerksame Zeitgenossen unter Anleitung von Innenministerium und Verfassungsschutz eine Linie vom letzten coronaren Querdenkertum hin zu einer neuen Querfront gegen Krieg und Kriegskosten. Und die Vision einer antikapitalistischen „Revolution von rechts“ wird wieder ausgegraben – ein politische Schimäre, wie bereits der Sozialwissenschaftler Norbert Wohlfahrt im Telepolis-Interview darlegte.
Erstaunlich auch: Die soziale Frage, die jahrzehntelang im „rheinischen Kapitalismus“ und in der bundesdeutschen Errungenschaft einer „sozialen Marktwirtschaft“ verschwunden war, ist wieder da, wieder hier. Doch sie klingelt nicht an Deiner Tür, liebe Linkspartei, sondern bei den rechten Gegenspielern, wobei die ja sowieso mit Putin im Bunde sein sollen, auf dessen Konto auch nach weit verbreiteter Auffassung die soziale Spaltung und Verarmung im Lande gehen.
Ein Novum: Parteien nutzen Unzufriedenheit!
„Deutsche Arbeit und preußischer Staat“
Nationale Sittlichkeit
Veiglhuber fasst zusammen: „Moral, Sittlichkeit und Bescheidenheit statt eines guten Lebens für alle. Höcke legt ein völkisch-nationalistisches Wertetableau vor, in dem die Lohnabhängigen unter Hintanstellung der eigenen materiellen Interessen als Dienstkräfte von Volk und Vaterland fungieren sollen, eine nahezu klassische faschistische Perspektive.“
In diesem Resümee darf man allerdings das Wörtchen „nahezu“ nicht überlesen. Natürlich ist in Höckes Äußerungen allenthalben eine gewisse Nähe zur Nazivergangenheit zu erkennen – zur Deutschen Arbeitsfront, zur Idee einer organischen Marktwirtschaft, zum Winterhilfswerk, zur Verteufelung der „globalen Geldeliten“ (Höcke) und zur Anklage vielfältiger Dekadenzerscheinungen.
Aber damit ist die Sache nicht erledigt. Eine Nähe besteht genauso zur Verteidigung unserer – über alle Kritik erhabenen – Idee einer sozialen Marktwirtschaft, wie sie in den demokratischen Parteien anzutreffen ist; und wo nur noch der Einwand zugelassen ist, dass sich die wirtschaftliche Praxis nicht ganz auf der Höhe dieser hehren Idee bewegt, was auch bei Demokraten durchaus mit der Schuldzuweisung an auswärtige Kräfte verbunden werden kann, die den Anstrengungen deutscher Politiker zuwiderlaufen.
Veiglhuber kommt immer wieder auf solche Übereinstimmungen zu sprechen und thematisiert auch den strukturellen Zusammenhang. So hält er bei Gelegenheit fest, dass die Äußerungen des Scharfmachers Höcke gar nicht apart rechts sind, sondern schlichtweg deutsche „Staatsideologie“.
Bedient haben sich die rechten Alternativdeutschen also wohl eher bei den regierenden „Altparteien“, die sie sonst verteufeln! Populismus eben, wie er im Buche steht.
https://www.heise.de/tp/features/Linker-Protest-von-rechts-7318135.html?seite=all