Aus aktuellem Anlass: Afghanistan
Von webmaster • Aug. 29th, 2021 • Kategorie: AllgemeinAus aktuellem Anlass: Afghanistan
Die letzte Etappe des Abzugs aus Afghanistan
Der mitfiebernde Blick auf das Elend am Kabuler Flughafen und die Evakuierungsaktionen ist die vorläufig letzte Inszenierung der Gleichung, die westliche Militärpräsenz in Afghanistan sei Hilfe für unschuldige Afghaninnen und Afghanen. Dass das die Wahrheit nicht ist und es auch nie war, wird nebenher ebenso klar, wenn Politiker und Kommentatoren die Frage wälzen, ob die Taliban uns jetzt aufgrund unserer Zögerlichkeit womöglich erpressen können, was wir ohne Amerika überhaupt vermögen, was das alles für unser Verhältnis zu den Vereinigten Staaten unter der Führung des neuen Präsidenten bedeutet und ob China und Russland sich jetzt ins Fäustchen lachen.
Dazu, was das allein durch westliches militärisches Engagement definierte und bis neulich am Leben erhaltene Afghanistan wirklich war, verweist der GSP einstweilen auf zwei ältere Artikel:
Die „gemeinsame Vision“ für ein „souveränes Afghanistan“ Ein Land, ein Auftrag: Übernahme des US-Kriegs gegen den Terror (GS 2-12)
Nach zehn Jahren Krieg gegen Al Kaida und die Taliban, nach der Eskalation dieses Kriegs durch die Regierung Obama steht jetzt der Exit auf dem Progamm. Die zwischenzeitlich mehr als 140 000 Mann starke Kampftruppe aus den USA, der Nato und sonstigen Partnerländern soll bis Ende 2014 das Land verlassen.
Vor dem Abzug hat Obama wie mit dem Irak jetzt mit Afghanistan ein „strategisches Partnerschaftsabkommen“ geschlossen und darin die Pflichten dokumentiert, welche die USA dem von ihnen ins Amt gehievten und geschützten Karsai-Regime hinterlassen. Denn auch wenn das amerikanische Militär geht, ist Amerikas Aufgabe damit nicht erledigt. „Die Afghanen“ sollen sich künftig „der Verantwortung stellen“, also die Arbeit übernehmen; schließlich ist es ihr Land, in dem immer noch Feinde Amerikas ihr Unwesen treiben. Und der US-Präsident ist auch in diesem Fall optimistisch, denn „das Ziel“ ist nicht mit unrealistischen Entwicklungsversprechen befrachtet, sondern „sehr einfach“.
https://de.gegenstandpunkt.com/artikel/gemeinsame-vision-fuer-souveraenes-afghanistan
Regierungsbildung auf dem Bonner Petersberg, Geberkonferenz in Tokio, eine europäische Schutztruppe und weiterhin amerikanische Bomben Die Nach-Taliban-Ordnung: So kehrt Afghanistan in den Kreis der zivilisierten Nationen zurück (GS 1-02)
Amerika spendiert den Afghanen eine neue Regierung. Nach den amerikanischen Bomben tun sich insbesondere die Europäer mit guten Taten hervor, allen voran die Deutschen. Sie richten eine UNO-Konferenz in Bonn aus, auf der afghanischen Repräsentanten Nachhilfe bei der Wiedergeburt des afghanischen Staates zuteil wird.
https://de.gegenstandpunkt.com/artikel/afghanistan-konferenz
und
https://de.gegenstandpunkt.com/archiv/nachschlagen/laender-abkommen/afghanistan
Warum überhaupt wurde denn die Bundeswehr eigentlich damals nach Afghanistan geschickt?
Antworten im gerade erschienenen ersten Teil einer dreiteiligen Artikelserie auf Heise/TP von Björn Hendrig
https://www.heise.de/tp/features/Warum-wurde-die-Bundeswehr-nach-Afghanistan-geschickt-6179451.html?seite=all
Björn Hendrig: Was hat die Bundeswehr in Afghanistan bewirkt?
(…) „Die unübliche Antwort: Wenn die Herrschaft es befiehlt, ist es die verdammte Pflicht jedes Soldaten, sein Leben gegen den ausgemachten Feind aufs Spiel zu setzen und für den Kriegszweck zu töten. Fragen zum Sinn der Veranstaltung sind verboten. Dabei hat sich die Bundeswehr tatsächlich „professionell“ verhalten: Einige starben, einige mehr wurden verwundet; und sie töteten auch, nicht nur gegnerische Kämpfer. Zwischendurch gaben sie ihr Know-how an die afghanischen Kollegen weiter und griffen zu Hammer und Schraubenzieher. So leisteten sie den „wichtigen Dienst“, dass auf Deutschland grundsätzlich Verlass ist – wohlgemerkt aus Sicht der NATO-Partner, nicht der Afghanen. (…) Wer [als Afghane] seinen Lebensunterhalt auf halbwegs solider Basis sichern wollte, musste entweder im Drogengeschäft sein oder sich mit den vom Westen installierten Amtsträgern gut stellen beziehungsweise noch besser selber einer sein – Einfallstor für florierende Korruption. Der größere Rest des Volkes verblieb in bitterer Armut – und hatte keinen positiven Grund, auf die vom Westen ausgehaltenen Machthaber in der Hauptstadt zu setzen, geschweige sie gegen die Talilban zu verteidigen. Die Deutschen hielten sich dessen ungeachtet von Anfang bis Ende an zugute, „zivile“ Aufgaben zu erfüllen, den Einsatz nicht nur aufs Militärische zu konzentrieren. So machte man aus der Schwäche eine Stärke, distanzierte sich en passant von den Amerikanern, die, so der Vorwurf, an den nötigen Aufbau „demokratischer Strukturen“ keine Minute dächten.“ (…)
[Teil 3: ‚Wie lautet die Bilanz der Bundeswehr-Mission‘ – folgt noch] https://www.heise.de/tp/features/Was-hat-die-Bundeswehr-in-Afghanistan-bewirkt-6179449.html
Der dritte Teil der Serie bei Heise/TP von Björn Hendrig:
„Wie lautet die Bilanz der Bundeswehr-Mission in Afghanistan?“ endet wie folgt:
„(…) Noch nicht einmal konnten die Deutschen den Flughafen in Kabul für die Evakuierung sichern. Das vermochten nur die US-Streitkräfte. Armin Laschet regt das auf: „Warum sind wir als Europäer dazu nicht in der Lage? Es muss eine Lehre sein, international – nicht in der ganzen Welt – bei bestimmten Einsätzen als Europäer handlungsfähig zu sein.“ (Bild TV, 22. August 2021) Da ist sie wieder, die Sehnsucht nach einer eigenständigen Gewalt – die zuschlagen kann ganz ohne die USA.
Deutschland hat „versagt“: Vor dem eigenen Anspruch, eine bestimmende Weltmacht zu sein, die als leuchtendes Vorbild für ein erfolgreiches Herrschaftssystem (i.e. Demokratie) und ebenso erfolgreiche Ökonomie (i.e. Kapitalismus) auf dem Globus gelten will – und als solches den nötigen Respekt der anderen Nationen einfordert, ob verbündet oder in Konkurrenz. Und es hat versagt, weil es eingestehen muss, militärisch immer noch nur die zweite Geige zu spielen. Das so vorgeführt zu bekommen wie nun in Afghanistan – das tut jedem aufrechten deutschen Politiker wirklich weh.
Was bedeutet das für die nächsten Aktionen der Bundeswehr in der Welt? Bundeskanzlerin Angela Merkel hat da bereits einen Hinweis gegeben: Man sollte künftig die Ziele „kleiner fassen“. Also nicht mehr allzu großspurig behaupten, bei den Einsätzen gleich das ganze Demokratie-Paket mit zu exportieren. Die Begleitmusik dürfte sich daher ändern. Ein Abschied von kriegerischen Interventionen lässt das aber nicht erwarten. Es sieht eher nach dem Gegenteil aus.“
https://www.heise.de/tp/features /Wie-lautet-die-Bilanz-der- Bundeswehr-Mission-in- Afghanistan-6179453.html