Peter Schadt: Nicht zu verwechseln
Von webmaster • Jan. 30th, 2021 • Kategorie: AllgemeinNicht zu verwechseln
Freerk Huiskens »Flüchtlingsgespräche« sind eine Handreichung für Debatten mit den »Ja, aber«-Deutschen
Von Peter Schadt
Anfang der 1960er Jahre erschienen Brechts »Flüchtlingsgespräche« aus dem Nachlass. Das kleine Bändchen »Flüchtlingsgespräche 2015ff.« von Freerk Huisken kokettiert mit der berühmten Vorlage nicht nur im Titel. Widmete der Autor sich 2016 in »Abgehauen« der Flüchtlingspolitik von oben, dokumentiert dieser Band Gespräche, die er mit Freunden und Gegnern der Flüchtlingspolitik geführt hat.
Wie in Brechts Exilschrift ist der ganze Band in dialogischer Form gehalten. Während der Dichter uns allerdings mit Ziffel und Kalle zwei kongeniale Widerparts präsentierte, die sich die Bälle zuwarfen, haben wir es in dem Band des emeritierten Professors mit ihm als Hauptredner zu tun, der sich mit einem jeweils namenlosen Gegenüber auseinandersetzt. Die Form entspricht dem Anliegen: Das Bändchen soll Argumente gegen durchgesetzte Positionen liefern. Es geht bei den Gesprächspartnern von Huisken also nicht um Originalität, sondern um ihre Austauschbarkeit.
Noch etwas unterscheidet den Band von seinem Namensvetter:
»Gespräche nicht unter Flüchtlingen, nicht mit ihnen, sondern über sie; mit Menschen, die sich nicht mit ihnen vertragen und solchen, die das nicht vertragen«. Der Autor hat diese Form gewählt, weil sie es erlaubt, rechte Auffassungen zu kritisieren und sich auch gleich gegen die gängige linke Art, mit Rechten umzugehen, zu wenden. Rechtes Denken soll nicht einfach dementiert und identifiziert werden, sondern seine Fehler sollen vorgeführt werden. Damit ist das Programm gesetzt.
Der erste Teil des Bandes widmet sich den »Ich habe ja nichts gegen Flüchtlinge, aber«-Deutschen und ihren falschen Argumenten. Huisken kritisiert etwa die Verdrehungen in der Floskel »Sie nehmen uns doch die Arbeitsplätze weg«. Ausgerechnet Flüchtlinge werden zu den Subjekten erklärt, die die Macht hätten, irgend jemand »die Arbeit wegzunehmen«. So geht der Autor durch die verschiedenen Vorstellungen der Flüchtlingsfeinde: den Islam, der »nicht zu Deutschland« passe, die »Gefahr für die deutsche Frau« und den reaktionären Schlachtruf »Wir sind das Volk!«
Im zweiten Kapitel wird nachgewiesen, dass die Identifikation und Benennung von rechten Positionen nicht mit deren Kritik zu verwechseln ist. Wem gegen den Vorwurf, »Ausländer nehmen uns die Arbeit weg«, nur einfalle, dass dieser Gedanke einer nationalistischen Einstellung entspringe, der möge ja recht haben. Wenn das allerdings sowieso die Selbstbezeichnung desjenigen ist, der so spricht, dann müsse die Kritik schon den Fehler dieses Denkens aufzeigen – und hier geht Huisken mit vielen Argumenten »gegen rechts« hart ins Gericht. Den Abschluss bilden jeweils kurze Kapitel zur Kritik am »besseren Deutschland« und der ewigen Frage danach, was daraus denn nun praktisch zu folgen habe.
Auch in diesen Punkten gleicht der Band seinem Vorfahr. Beiden sind gute Argumente gegen die herrschenden Verhältnisse und ihre falschen Kritiken zu entnehmen; sie sollten deswegen in einer gutsortierten linken Bibliothek immer griffbereit sein. Außerdem sehen sich die beiden Protagonisten Brechts gerade deswegen aufs Denken und Reden reduziert, weil ihnen als Flüchtlingen der Weg zur Praxis verstellt ist. Auch das ist leider von einer traurigen Aktualität, wie Huisken festhält. Er fällt über seine »Schlaumeiereien über den Kapitalismus«, wie er es selbst nennt, das Urteil, dass ihnen zwar zu entnehmen ist, was geändert werden müsste – aber dafür braucht es eben etwas andere als die Mittel, die ein paar Schlaumeier zur Verfügung haben.
Bei Brecht heißt es: »Eine halbwegs komplette Kenntnis des Marxismus kostet heut, wie mir ein Kollege versichert hat, 20.000 bis 25.000 Goldmark, und das ist dann ohne die Schikanen.« Insofern sind die zwölf Euro für Huiskens »Flüchtlingsgespräche« ein echtes Schnäppchen – und mit allen Schikanen.
Aus: junge Welt – Ausgabe vom 25.01.2021 / Seite 15 / Politisches
Buch: Ideologiekritik
https://www.jungewelt.de/artikel/395049.ideologiekritik-nicht-zu-verwechseln.html
vgl:
Freerk Huisken: Flüchtlingsgespräche 2015ff.
Über demokratische Ausländerfeindlichkeit und völkischen Nationalismus, linke Heimatliebe und weltoffenen Patriotismus Eine Flugschrift
144 Seiten | 2020 | EUR 12.00
ISBN 978-396488-078-9
Kurztext: In dieser Flugschrift sind Gespräche, Wortwechsel, Korrespondenzen, Kommentare und Notizen aus den letzten Jahren versammelt, die sich mit Ausländerfeindlichkeit auseinandersetzen.
Eine Argumentationshilfe, die sich vor allem für Debatten mit den Ja-aber-Deutschen eignet.
»Ich habe nichts gegen Fremde; und die AfD-Nazis wähle ich schon gleich nicht. Aber dass Flüchtlinge uns die Arbeitsplätze wegnehmen, ist doch nicht zu bestreiten!« So hört man es allenthalben. Diese guten Deutschen stellen inzwischen die Mehrheit der Bevölkerung. Ihre Fremdenfeindlichkeit ist »in der Mitte der Gesellschaft angekommen«, heißt es.
Man begegnet ihr in Verwandt- und Nachbarschaft, in Schule und Uni, in Kneipe und Verein, auf Zugfahrten oder in der U-Bahn. Mit ihren Vertretern ist die Auseinandersetzung zu führen – wo auch immer.
Demos gegen die AfD – schön und gut. Aber sie versammeln nur ohnehin entschlossene AfD-Gegner. Die Bürger mit rechten Parolen im Kopf, die in der CDU/CSU, SPD, FDP oder bei den Grünen ihre Wahlheimat haben, werden so nicht kritisiert. Schlimmer noch: Dass Nazis nicht zu Deutschland passen, ist ein Ausschlussbefund der »Bunt statt braun«-Demonstranten, den viele der rechten Patrioten mit umgekehrtem Vorzeichen teilen: Denn in deren Bild vom sauberen Deutschland gehören all jene Ausländer gerade nicht, für die sich Anti-AfD-Demonstranten einsetzen.
Freerk Huisken setzt sich in doppelter Weise mit Ausländerfeinden auseinander: Zum einen wird das argumentative Rüstzeug deutscher Bürger, die sich in ihrer Heimat von Flüchtlingen und anderen Ausländern gestört sehen, angegriffen. Es reicht eben nicht, ihnen das Etikett »Rassist« oder »Nationalist« anzuhängen, ohne die in diesen Verurteilungen enthaltenen Fehler und ideellen Beschädigungen nachzuweisen. Zum anderen wird auch gegen Ausländerfreunde, die sich gegen Diskriminierung und Intoleranz wenden, explizit Stellung bezogen. Ihre Gegenparolen und ihre Einwände gegen rechtes Denken halten selten einer kritischen Überprüfung stand.
https://www.vsa-verlag.de/index.php?id=6576&tx_ttnews[tt_news]=19450