Theo Wentzke: Beruf Kremlkritiker
Von webmaster • Dez. 16th, 2020 • Kategorie: AllgemeinBeruf Kremlkritiker
In Russland politisch eher unbedeutend, in Deutschland hofiert. Zur Rolle von Alexej Nawalny
Von Theo Wentzke
Nachdem Kremlkritiker Alexej Nawalny nach Deutschland transportiert worden ist, genießt er in der Charité eine gründliche Betreuung inklusive Merkel-Besuch, beinahe wie ein kranker Staatschef. Man fragt sich, was an seiner Tätigkeit in Russland dran ist, dass er eine solche Würdigung erfährt.
Nawalny hat seine politische Karriere in den 2000er Jahren mit einem Sitz im Vorstand der »liberalen« Partei Jabloko begonnen, der Partei, die im transformationsverwüsteten Russland unverdrossen die Ideale von Marktwirtschaft und Demokratie gegen die durch die Anwendung dieser Ideale gestifteten Zustände hochhält. Mit Mitteln des US-amerikanischen »National Endowment for Democracy« baut er die Jabloko-Jugendorganisation DA! (Demokratische Alternative) auf, kombiniert aber auch ohne unnötige Skrupel den marktwirtschaftlichen Reformradikalismus dieser Partei mit dem Rechtsradikalismus der »Russischen Märsche«, hetzt gegen die »Schwarzen« (der in Russland gängige rassistische Terminus für aus den Südrepubliken zugewanderte Menschen) und andere »Kakerlaken«. Die populäre Aversion gegen Fremde, die bekanntlich verhindern, dass der Russe zu dem Seinen kommt, als Hebel für den politischen Aufstieg auszuprobieren, ist ja nur naheliegend, wie die westlichen Fans von Nawalny heutzutage diese jugendliche Episode entschuldigen. Da Jabloko bei den Parlamentswahlen 2007 mit nur 1,7 Prozent in Bedeutungslosigkeit versinkt, sucht er sich eine andere Lebensaufgabe.
Das Plädoyer für eine ethnische Reinigung Moskaus hat ihm neben guten Verbindungen zu einflussreichen extremen Rechten auch viel populäre Aufmerksamkeit eingebracht, die er nun anders weiterverwertet.
Inszenierung als Volksanwalt
»Augenöffner« Nawalny
Konkurrenz um den Wählerwillen
Deutschland mischt sich ein
Maas gegenüber der FAZ (6.9.2020): »Wenn sich die russische Seite nicht an der Aufklärung des Verbrechens an Herrn Nawalny beteiligt, wäre das ein weiteres Indiz für die Tatbeteiligung des Staates.
Sollte es über Verschleierungen und Nebelkerzen nicht hinausgehen, müssen wir davon ausgehen, dass Russland etwas zu verheimlichen hat.« Zusätzlich fordern Maas und andere ungefähr dreimal am Tag, dass Russland jetzt ganz schnell liefern muss, womit auch noch das Tempo zum Argument wird, wie dringlich da die deutsche Rechtsaufsicht verlangt ist.
Einmal in umgekehrter Richtung vorgestellt: Was wäre gewesen, welche Empörungsschreie von wegen Unabhängigkeit der Justiz, keine Vorverurteilungen etc. etc. wären zu hören gewesen, wenn Russland von Deutschland angesichts von zehn Jahren unaufgeklärter NSU-Morde verlangt hätte, jetzt aber einmal ordentlich und gründlich und schnell zu ermitteln? Weil sonst der Verdacht nicht abzuweisen wäre, dass es Hintermänner und Sympathisanten in der deutschen Justiz und den höchsten politischen Etagen geben muss, die am Vertuschen interessiert wären?
Wie das Tribunal angelegt ist, kann die russische Regierung, so oder so, durch Beantwortung oder Nichtbeantwortung der »Fragen« nur zur Bestätigung des Verdachts beitragen. Auch deshalb, weil ihr das Verbrechen, das unter ihrer Hoheit stattgefunden hat, nach der bestechenden Logik des »Cui bono?« zugerechnet wird: »Alexej Nawalny ist Opfer eines Verbrechens. Er sollte zum Schweigen gebracht werden.« (Pressestatement von Bundeskanzlerin Merkel zum Fall Nawalny am 2.9.2020) Aus dem Umstand, dass das Opfer ein Oppositioneller ist, erschließt sich Merkel einwandfrei das Motiv:
»zum Schweigen bringen«, und mit dem Motiv steht der Täter fest.
Derselbe, dem Merkel den Auftrag erteilt hat, sich gefälligst als Rechtsstaat zu betätigen – womit dann auch klargestellt wäre, warum man von dem garantiert keine Aufklärung erwarten kann, weil er ja vermutlich selbst – siehe das Motiv – der Auftraggeber des Mordanschlags ist.
Dann, nachdem alle Welt über Putin herfällt und Strafen und Sanktionen angedroht werden, kommen auch gar nicht so abwegige Zweifel an der Konsistenz der Konstruktion auf, worin denn da der Nutzen für den Kreml bestehen soll? Ob es nicht besser »Cui malo?« (wem zum Schaden) heißen müsste? Also wird die Konstruktion wasserdicht gemacht, indem der Anlass für die Zweifel mit Hilfe eines neuen Nutzens ins feststehende Feindbild eingeordnet wird: Bekanntlich herrscht der Kreml mit dem Mittel Angst. Und genau deshalb verwendet er auch ein Gift, das alle Welt sofort ihm zurechnen muss, mit ebendieser Absicht, Furcht und Schrecken zu verbreiten.
Warum Deutschland den Fall Nawalny zum Anlass von Ansagen zur Notwendigkeit einer Verschlechterung der deutsch-russischen Beziehungen macht, findet sich in dem Aufsatz »Die Krise in Weißrussland und der Fall Nawalny: ›Das Ende der Ostpolitik‹?«, erschienen in Heft 4/2020 der Zeitschrift Gegenstandpunkt, zu beziehen ab 18.12. im Buchhandel und unter: https://de.gegenstandpunkt.com
Theo Wentzke schrieb an dieser Stelle zuletzt in der Ausgabe vom 12.
Oktober über die nationale Instrumentalisierung der Geschichtswissenschaft
Aus: junge Welt- Ausgabe vom 16.12.2020 / Seite 12 / Thema: Russland
https://www.jungewelt.de/artikel/392659.russland-beruf-kremlkritiker.html
vgl.:
Die Krise in Weißrussland und der Fall Nawalny: „Das Ende der Ostpolitik“? (GS 4-20)
In der deutschen Politik zirkuliert die Auffassung, dass eine Revision der bisherigen Russlandpolitik ansteht. Die Rede ist von einem „Wendepunkt“, einem „Strategiewechsel“, einer Verabschiedung von „verklärter Romantik und der Hoffnung, Wandel durch Handel zu erzeugen“. Als Gründe dafür werden die Zusammenstöße in Weißrussland und die Vergiftung Alexei Nawalnys angeführt, berufen wird sich zudem auf eine lange Liste aus dem Vorrat älterer Vorwürfe.
Zur Klärung der Frage, warum und wie das alles in einem großen Zusammenhang miteinander und im Weiteren auch mit Amerika und einer Pipeline in der Ostsee steht, empfiehlt sich eine nähere Besichtigung der beiden aktuellen Fälle. Die sollen ja schließlich als Beweismittel für den deutschen Standpunkt taugen, dass es mit Putins Russland auf dem gemeinsamen Kontinent kaum mehr auszuhalten ist.
https://de.gegenstandpunkt.com/artikel/krise-weissrussland-fall-nawalny