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Peter Decker: Die seuchenbedingte Neuauflage des alten Fleischskandals …

Von • Aug. 14th, 2020 • Kategorie: Allgemein

Peter Decker: Die seuchenbedingte Neuauflage des alten Fleischskandals …

 

Gute Nachrichten inmitten der Corona-Krise für Gewerkschafter, Tierfreunde, Verbraucherschützer und andere kritische Idealisten der Marktwirtschaft!

Seit Upton Sinclair vor 120 Jahren die Fleischfabriken von Chicago besucht und der Welt berichtet hat, wie verdorben eine profitlich betriebene Fleischverarbeitung in den modern times des technischen Fortschritts ausschaut, führen sie Beschwerde über die üblen Zustände in dieser Industrie.

Zwar hat kaum jemand ihnen und ihren frei gewählten, durchaus disparaten Gesichtspunkten je widersprochen, was sich an der Branche in Sachen Leiharbeit, Tierquälerei oder Gammelfleisch zu ändern hätte, damit sie Teil der besseren Welt sein kann, die sie sich vorstellen. Doch sie mussten stets die Erfahrung machen, dass die Nachfrage nach ihren Parolen gegen die „Ausbeutung von Mensch und Tier“ sich doch arg in Grenzen hält, im praktischen Gang der Dinge auf jeden Fall nichts von ihren Einwänden abhängig gemacht wird.

Jetzt aber, in der Corona-Krise, erfahren sie eine ungeahnte Aufmerksamkeit, und alles Übel, das sie schon immer anprangern, wird quer durch Deutschlands Leitmedien zusammengetragen und als „Schweinesystem“ (DER SPIEGEL 27/2020) abgeurteilt – weil es sich anlässlich der Ausbrüche bei Westfleisch, Tönnies, Wiesenhof usw.

als epidemischer Seuchenherd, als eine Gefährdung der Volksgesundheit, herausstellt. Wenn ein paar Tausend von ihnen infiziert sind, ist das Schicksal einer aus Elendsgestalten rekrutierten, mies bezahlten und untergebrachten Belegschaft gut für einen mittelschweren Fleischskandal, nach dem es mit dem „brutalen Geschäft mit dem Billigfleisch“ so nicht weitergehen kann:

„Vielleicht ist es der eine Skandal zu viel.“ (Ebd.) Endlich wird ihren Beschwerden ein breites Interesse an Aufklärung und Skandalisierung zuteil; sogar bei der Instanz, die in der Demokratie für praktische Veränderungen zuständig ist.

Die schlechte Nachricht für alle guten Menschen folgt auf dem Fuße:

Die angerufenen zuständigen Instanzen des Allgemeinwohls sind es dann auch, die die verbindlichen Vorgaben machen, was an der Branche und ihren Verfehlungen, die immerhin anlässlich einer Volksseuche in den Blick gerückt sind, zu korrigieren ist. Politik und Öffentlichkeit führen es vor, ganz gemäß der in der demokratisch regierten Klassengesellschaft herrschenden Arbeitsteilung.

  1. Eine Herausforderung für die Sachwalter der Volksgesundheit
  2. Eine Glanzstunde für die Betreuer des gesunden Volksempfindens
  3. Eine Lerneinheit über die Logik von Sozialpolitik
  4. Eine Runde Muh im Kuhstall
  5. Klassengesellschaftlicher Alltag eben

 

Und alle zusammen kommen auf die Schlüsselrolle des Verbrauchers zu sprechen, der gefälligst bereit sein müsste … was wohl! Was diese reihum bemühte, taubstumme Berufungsfigur selbst angeht – die tut derweil, was sie immer tut: Sie zahlt den Preis, der von ihr verlangt wird, und isst, was auf den Tisch kommt.

So ist am Ende aller schlechter Nachrichten eines gewiss: Die Beschwerdegründe bleiben allen guten Menschen garantiert erhalten.

(Peter Decker)

 

Peter Decker ist Redakteur der politischen Vierteljahreszeitschrift GEGENSTANDPUNKT. Dort erscheint dieser Artikel im Rahmen einer Artikelreihe zur Corona-Pandemie. Weitere Kapitel sind auf GegenStandpunkt nachzulesen.

 

https://www.heise.de/tp/features/Die-seuchenbedingte-Neuauflage-des-alten-Fleischskandals-4867494.html

 

vgl:

 

Pandemie XIII – Der Fleischskandal (GS 3-20)

 

Wegen einiger Corona-Zwischenfälle in deutschen Fleischfabriken führt sich die deutsche Öffentlichkeit einen Skandal lang so auf, als ob jetzt endgültig Schluss sein müsse mit den Zuständen in den Betrieben der Abteilung „Leckeres vom Tier“. Und sogar der Staat nimmt sich der Sache ganz offiziell an.

 

Warum das nur bedingt gute Nachrichten für alle diejenigen sind, die sich immer schon darüber beschwert haben, wie es dort zugeht, ist in dieser Folge unserer Serie zur Corona-Pandemie nachzulesen.

 

https://de.gegenstandpunkt.com/artikel/fleischskandal

One Response »

  1. Peter Decker: Z.B. George Floyd

    Vom Rassismus einer freiheitlichen, egalitären Staatsgewalt

    Man kann es offenbar nicht oft genug enthüllen. Es hilft auch nichts, dass der Mann beinahe eine ganze Amtszeit hinter sich hat. Unter gestandenen Journalisten gilt es immer noch als abschließender Befund, dass Donald Trump vor allem das ist: ein Mann ohne Anstand. Dreieinhalb Jahre „America first!“, die Durchsetzung beeindruckender Visionen und Revisionen der amerikanischen Weltpolitik, des „Homeland“ und des mächtigsten Amts der Welt – alles, was er dabei und daneben treibt, wird in ein defektes moralisches Sensorium aufgelöst.

    Zumindest den Anschein einer politischen Kritik verpasst die seriöse Presse ihrer vernichtenden Stilkritik freilich auch: Sie verlängert sie in das Urteil, Trump gehe das moralische Rüstzeug ab, die Nation zu einen, wo sie das so dringend nötig hätte. Mit martialischer Rhetorik und rassistischen Anspielungen heize er die Spaltung an, die sich auf den Straßen Amerikas abspielt, statt sie zu überbrücken. Klar, wovon sollen Antirassismus-Proteste und die Empörung ihrer Gegner auch sonst zeugen, wenn nicht vom dringenden Bedürfnis beider Seiten, das Streiten zu lassen und die Einheit zu genießen?

    Aufschlussreich ist die Anklage schon. Zwar nicht über die ausgemachte Spaltung im Volk selbst, an der ja nur interessiert, dass es sie – schon wieder – gibt. Aber genau darum gibt sie sehr viel Aufschluss über das Vermögen demokratischer Journalisten, abstrakt zu denken. Sie schaffen es Jahr für Jahr, in jedem Streit von nationaler Bedeutung unter den freiesten, selbstverantwortlichsten Bürgern der Erde immer denselben Wunsch nach einer Führung zu entdecken, hinter der sie geschlossen stehen können.

    I. Eine großartige Ordnung und ihr innerer Feind: kriminelle Charaktere

    II. Ein großartiges Volk und sein farbiges Gegenbild

    – Amerika ist das Land der „hard-working“ Konkurrenzgeier

    – Die völkische Besonderheit der weißen Amerikaner

    – Die Schwarzen sind nicht „foreigners“, sondern „niggers“, eine untaugliche Rasse

    – Der innere Feind

    III. Eine neue antirassistische Protestbewegung und ihre Resonanz

    – Die Schwarzen sind und bleiben „die anderen“ im amerikanischen Schmelztiegel, geächtet, angefeindet und ausgeschlossen

    – Der schwarze Nationalismus als Reaktion auf den weißen Nationalismus

    – Die produktive kapitalistische Benutzung der Armut, die dann keine mehr ist

    So viel steht allerdings fest: Die vielen unverhofften Anhänger, die die Bewegung dieses Jahr auf die Straße begleiten und ihr öffentlichkeitswirksam moralisch die Daumen drücken, nehmen die Bewegung beim Wort – und führen ihr so vor, welchen affirmativen Gehalt ihre inzwischen weltweit millionenfach geteilte und mitgeteilte Marschparole wirklich hat. Was überhaupt nicht heißt, dass die Bewegung mit ihrer Parole nichts bewirkt hätte. Im Gegenteil: Abertausende weiße Amerikaner gehen mit auf die Straße, bilden vielerorts sogar die Mehrheit der Demonstranten, was bei den protestierenden Schwarzen den nicht unbegründeten Verdacht schürt, dass die erfreuliche aktuelle Resonanz – im gewaltigen Kontrast zu den gleichen Protesten vor fünf Jahren – sich weniger einer Einsicht in den „strukturellen Rassismus“ gegen Schwarze als vielmehr der Empörung über die singuläre Unanständigkeit des blonden Ekels im Weißen Haus verdankt.

    Daneben stürzen sich Millionen weiße Amerikaner in eine moralpsychologische Nabelschau, suchen nach dem inneren Rassisten, den sie in sich unwissentlich beheimatet haben, und bescheren dabei den Verlegern von antirassistischen Selbsthilfebüchern unverhoffte Umsätze. Wo sie es können, überfallen sie befreundete wie wildfremde Schwarze mit Bekenntnissen ihres Mitgefühls und ihrer eigenen Mitschuld aufgrund ihres „weißen Privilegs“ – identifizieren sich höchstpersönlich mit ihrer Rasse, um es dann lauthals zu bedauern.

    Derweil überbieten sich die Herren des Kommerzes im äußerst lukrativen Massensportsegment in Respektbekundungen für die Community, aus deren ärmlichen Verhältnissen sie so viele lohnende Figuren herausfischen und aufs Feld schicken. Und eine echte politische Wirkung gibt es auch noch: Eingefleischte „law and order“-Politiker aus der demokratischen Partei, die auf „Defund the police!“ im besten Fall sehr ambivalente Antworten geben, knien sich beim eigenen Fotoshooting hin – auffällig statuenhaft, zwar ohne Bibel, dafür mit afrikanischen Tüchern um den Hals – und unterschreiben die Anklage, um sie an den faulen Apfel im Weißen Haus weiterzureichen. Als dessen passenden Ersatz bringen sie so ihre Partei und ihren Kandidaten ins Spiel – eine halbschwarze Vize-Kandidatin mit „law and order“-Vita hat sich auch schon gefunden. In den Korridoren der demokratischen Politik ist die Bewegung angekommen.

    https://www.heise.de/tp/features/Z-B-George-Floyd-4893721.html?seite=all