Georg Schuster: Corona und die sozialen Fragen
Von webmaster • Juni 8th, 2020 • Kategorie: AllgemeinEine Mehrheit von Bürgern wirft dem Staat mangelnde Verantwortung für ihre persönliche und die Volksgesundheit vor – und verpasst darüber die berechnende Abwägung, die er zu Beginn der Pandemie zwischen einem ungestörten Geschäftsverlauf und den notwendigen, ihn unterbrechenden Schutzmaßnahmen getroffen hat. Mit dem geschäftsschädigenden Übergang auf Letztere und seinem relativen Erfolg entdeckt die Kritik aus Betroffenheit dann umgekehrt, dass der Staat es wohl übertrieben und unnötige Schäden verursacht habe.
Das veranlasst eine bürgerliche Minderheit zu dem Fehlschluss, im Regierungshandeln nicht länger die Vertretung ihrer bzw. der deutschen, sondern die von fremden Interessen zu sehen: die des internationalen Kapitals, der globalisierten Eliten oder die von Mr. und Mrs. Gates. Sie und weitere Kritiker halten den epidemiologisch gebotenen Mundschutz für einen Maulkorb, der sie an der „Aufdeckung“ ihrer imaginierten Verschwörungen hindern soll oder die Generalprobe für ein grundloses Kontrollregime darstellt, das im Virus bloß einen Vorwand habe. Lauter ideologische Übersetzungen prekärer Verhältnisse, in denen eine Masse von Einkünften aus abhängiger wie kleingewerblicher Tätigkeit am Monatsende verbraucht und auf lückenlose Fortsetzung gnadenlos angewiesen ist.
– Dies und Weiteres analysiert Georg Schuster
Corona und die sozialen Fragen
Woran man sich erinnern sollte – Teil 6
https://www.heise.de/tp/features/Corona-und-die-sozialen-Fragen-4776417.html
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Vgl.auch Teil 2:
https://www.heise.de/tp/features/Marktwirtschaft-und-Corona-4691796.html
Georg Schuster: Die Corona-Krise und was sie bewirkt
7. und letzter Teil, jedenfalls vorläufig, 9.7.2020
(…) Alice Weidel, AFD-Volksvertreterin in der Opposition, hielt Mitte März der Regierung vor, das Virus, dessentwegen die anderen EU-Länder ihr „öffentliches Leben praktisch einstellten“, könne sich im Deutschland dank der Merkelschen Untätigkeit „ungehindert ausbreiten“. Keine zehn Wochen später forderte dieselbe Frau im erneut verspürten Volksauftrag, die Maskenpflicht müsse fallen, die Wirtschaft sei sofort wieder hochzufahren, um die „desaströse Chaos-Politik der Bundesregierung“ zu beenden. (…)
Um gedankliche Übergänge dieses Kalibers zu tätigen oder nachzuvollziehen, statt stutzig oder selbstkritisch zu werden, braucht es die feste Überzeugung von einer Zuständigkeit des Staats, die an dessen Allmacht zu glauben scheint. Denn die umfassende Abhängigkeit von den seuchenpolitischen Entscheidungen und Maßnahmen, welche die Obrigkeit den „Mitbürgerinnen und Mitbürgern“ serviert, weckt in Letzteren offenbar den Anspruch oder wenigstens die Hoffnung, dass ihnen „Vater Staat“ – als könne er eine nicht beherrschte Virusinfektion einfach ungeschehen machen – Ansteckung und vorzeitigen Tod erspart. Und dort, wo er sich auf seine Weise dieses Anliegens annimmt, also der Volksgesundheit einen Vorrang vor dem Geldverdienen einräumt, trifft ihn die Erwartung, dies habe gefälligst ohne größere Beeinträchtigung von bürgerlichen Interessen und Rechten abzugehen. Der untertänige Wunsch nach einer guten Herrschaft kriegt solche Disparitäten durchaus unter einen Hut.
Sie verraten etwas Grundlegendes. Gesundheit mag das sprichwörtlich „höchste Gut“ für einen Schwerkranken sein, der endlich wieder ein paar Lebensinteressen realisieren will. Das ist sie aber weder für den Staat noch für den arbeitsfähigen Bürger; für beide besitzt sie den Charakter eines Mittels. Der Staat weiß sie als unerlässliche Bedingung für eine funktionierende Marktwirtschaft, der im Normalbetrieb mit medizinisch betreuten „Zivilisationskrankheiten“, mit Orthopädie, Psychotherapie, durch Arbeitsschutz, Grenzwerte u.ä. hinreichend gedient ist.
Im Fall einer Pandemie … (Forts.):
https://www.heise.de/tp/features/Die-Corona-Krise-und-was-sie-bewirkt-4838860.html