Die neue Front im Syrien-Krieg: Türkischer Vormarsch gegen die Kurden
Von webmaster • Okt. 29th, 2019 • Kategorie: Allgemein
Die neue Front im Syrien-Krieg: Türkischer Vormarsch gegen die Kurden
Erdogan befiehlt eine – schon länger angedrohte – Militäraktion gegen die Kurdenmiliz YPG, die er als Terroristen beschimpft. Die deutsche Politik ist hellauf entsetzt, und alle, die es wollen, entdecken an dieser Aufregung des offiziellen Berlin die abgrundtiefe Heuchelei:
– die Parteinahme für eine plötzlich als emanzipatorisch und basisdemokratisch gefeierte Kurdenmiliz, deren Verbündeten PKK Deutschland seit Jahr und Tag und bis heute als Terrorverein verfolgt;
– das demonstrative Entsetzen angesichts zu befürchtender ziviler Todesopfer seitens derer, die nichts schlimmer finden als die Aussicht, die gesamtsyrische Metzelei könnte vorzeitig ein Ende haben, das unseren Feind Assad – und womöglich die Russen! – als Sieger hervorgehen ließe;
– die ekelhafte Anerkennung der Kurden als unsere Speerspitze und unser Kanonenfutter im Kampf gegen den IS…
Ein bisschen Klarheit stiften zuständige Politiker und verantwortliche Öffentlichkeit der Berliner Republik aber auch: Wenn sie selber nicht wissen, ob sie sich mehr darüber aufregen sollen, dass Trump mit seinem Rückzugsbefehl der Türkei die Freiheit zum Zuschlagen gegeben hat, oder mehr darüber, dass Erdogan diese Freiheit dann auch wahrgenommen hat und er sich zugleich jede Kritik aus Europa mit Verweis auf den Flüchtlingsdeal verbietet, dann wird so viel allemal klar: Was Deutschland am bitteren Schicksal von ein paar Hunderttausend oder Millionen Kurden und Arabern wirklich stört, das ist die Ignoranz gegenüber den Ansprüchen des deutschen Imperialismus seitens der USA und die autonome Kriegsaktion der Türkei, die von Europa aus traditionell als Macht niederen Ranges definiert und behandelt wird.
Grund genug, ein paar Sachen mal auseinander zu halten und sich Klarheit darüber zu verschaffen,
– welche Rolle die ‚Kurden-Frage‘ in Erdogans innerem und äußerem Staatsprogramm spielt;
– was seine „Drohung“ mit den Flüchtlingsströmen aus der Türkei über den humanitären deutschen Imperialismus verrät;
– und inwiefern Trumps Rückzugsbeschluss nicht chaotisch, sondern eine konsequente Fortsetzung seines Programms ist.
Dazu 3 Lesetipps aus GegenStandpunkt-Heften der letzten Zeit:
(4-15) Türkische Parlamentswahlen: Werdegang und Mission des frommen Anatoliers Recep Tayyip Erdogan
https://de.gegenstandpunkt.com/artikel/recep-tayyip-erdogan
(2-16) Von der „Europäisierung der Flüchtlingspolitik“ zur „Zusammenarbeit mit der Türkei“ und wieder zurück: Der humanitäre deutsche Imperialismus kommt voran
https://de.gegenstandpunkt.com/artikel/fluechtlingspolitik
(1-19) Trumps „America first!“ im Fall Syrien
https://de.gegenstandpunkt.com/artikel/trumps-america-first-fall-syrien
https://www.facebook.com/GegenStandpunkt/posts/3338030706237272
Angriff ist die beste Verteidigung
von Suitbert Cechura, 03. November 2019
Am 21. Oktober, dem Montag nach der Koalitionsrunde, überraschte die CDU-Vorsitzende und Verteidigungsministerin nicht nur ihren Koalitionspartner, sondern auch die Öffentlichkeit mit dem Vorstoß, in Syrien eine international überwachte Sicherheitszone unter Einbeziehung der Türkei und Russlands einzurichten.
Die Details ließ sie offen, aber keinen Zweifel daran, dass Deutschland darin eine bedeutende militärische Rolle spielen würde. Ein Vorschlag, der es in sich hat und der ja auch allgemein als eine Zäsur in der neueren deutschen Sicherheitspolitik bewertet wurde.
Der Vorschlag der Verteidigungsministerin stellt sich über die Konfliktparteien, wobei sich Deutschland als Aufsichtsmacht zur Befriedung des Konflikts präsentiert. Das kann aber nur, wie allen klar ist, militärisch durchgesetzt werden.
Das Thema beschäftigt seitdem die deutsche Öffentlichkeit. Schon vorher hatte die christliche Politikerin ihre Unzufriedenheit mit dem Bild Deutschlands in der Welt zum Ausdruck gebracht (Forts.) …
https://www.magazin-auswege.de/data/2019/11/Cechura_AKK_setzt_Massstaebe.pdf
Es ist einigermaßen unverfroren: die türkische Invasion als durch das Völker-
recht „nicht legitimiert“ dem Erdogan um die Ohren hauen, wo die EU-Imperia-
listen den Anspruch gegen den starken Mann vom Bosporus geltend machen,
dass der ihren Rechnungen unter dem Titel „Destabilisierung“ nicht in die Quere
zu kommen hat: Auslösung neuer Fluchtbewegungen, Wiederaufleben weit-
gehend erledigten islamistischen „Terrors“, überhaupt nicht bestellte Aufmischungen
in Nahost und dann die Idee zu lancieren, sich an den türkischen Feldzug so dranzu-
hängen, ihre eigene Sicherheitszone zu ihrem imperialistischen Nutzen aufzuziehen,
also den türkischen Militärstiefel nutzen, um selber den Fuß dort unten reinzukriegen,
einschließlich u.U. unter Beteiligung der Bundeswehr
– natürlich scheinbar uneigennützig ausgestaltet in internationalem Rahmen, sogar
unter Einbeziehung der Russen.
Von der Verlogenheit bisheriger imperialistischer Zurückhaltung D./Europas zur
Geltendmachung von mehr machtpolitischen Ansprüchen am Beispiel Syriens
Egal, wie es um die praktischen Perspektiven und erst recht um die politisch-militärischen
Potenzen von D. und EU steht, sich u.a. in Nahost mehr Geltung zu verschaffen. Ge-
wiefte und vorausschauende Mitmacher in dt. Regierungsmannschaft raten zu einem
entschiedenerem imperialistischen Vorwärts – statt angeblich bisheriger defensiver Zu-
schauerrolle oder bloß konsequenzloser Einforderung von mehr weltpolitischem Mitmachertum
(so oder ähnlich ein CSU-Vertreter Schmidt in Deutschlandfunk-Politsendung v. 22.10.19/
12-14 Uhr). Und darin besteht das Lügenhafte: dt. Weltpolitik sei geradezu geprägt vom
regelrechten Heraushalten aus den internationalen Affären.
Ob in Mali, Afghanistan oder anderswo: mit Soldaten und Tornados wird schon längst
die Freiheit vorwärtsverteidigt. An den Stellen, wo sich D./EU zieren würden, haben
sie handfeste Gründe, nämlich, dass ihr (Mit-)Engagement nicht mir ihren politischen
Nutzenerwägungen in Deckung zu bringen ist oder aber eigenständiges Agieren in
Absetzung oder sogar in Gegensatz zu anderen, mächtigeren Nationen es an den
Mitteln gebricht, die dafür unabdingbar wären – Aber die Behauptung, aus ideologischer
Verblendung prinzipiell auszuschließen, mehr imperialistisch aufzutrumpfen, ist un-
verkennbar offensichtliche Unwahrheit.