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Theo Wentzke: Kleine Klassenstreber

Von • Feb. 10th, 2016 • Kategorie: Allgemein

 

Kleine Klassenstreber

Pflegen ihre Ressentiments gegen Moskau und unterwerfen sich bereitwillig dem EU-Regime: Estland, Lettland und Litauen

Von Theo Wentzke

 

Theo Wentzke ist Redakteur der Zeitschrift Gegenstandpunkt. Zur Ökonomie und Politik der baltischen Staaten ist auch ein umfangreicher Beitrag im aktuellen Heft des Periodikums erschienen. Es kann unter gegenstandpunkt@t-online.de bezogen werden.

„Wenn es in Europa Staaten gibt, die offensichtlich »über ihre Verhältnisse leben« – und zwar ganz anders als Griechenland und Co., auf die dieser Spruch immer gemünzt ist –, dann sind es Litauen, Lettland und Estland. Sie haben zusammen genommen etwas mehr als sechs Millionen Einwohner, ihre gesamte Wirtschaftsleistung erreicht nicht einmal die Hälfte derjenigen Griechenlands. Hinter ihnen rangieren in der EU-Statistik nur noch Zypern und Malta. Und auch in das westliche Kriegsbündnis NATO haben sie kaum etwas an militärischen Potenzen einzubringen.

Ganz anders ihr gelebtes Selbstbewusstsein: Sie definieren sich offensiv als Feindstaaten mit vielen offenen Rechnungen gegenüber Russland, dem Kernland der alten Sowjetunion, der sie mal angehörten.

Diese Haltung bezeugen sie schon mal mit einer wenig völkerfreundlichen Behandlung der russischen Minderheiten auf eigenem Territorium. Auch gegenüber dem Westen treten sie äußerst fordernd in Erscheinung, verlangen Solidarität und stets noch mehr Unterstützung von ihren Bündnispartnern – eben weil sie als unschuldige Kleinststaaten der übermächtigen Exweltmacht gegenüberstehen, der sie einen unausrottbaren Hang zur Unterjochung nachsagen, weshalb sie gewissermaßen von Natur aus »bedroht« seien.

Von einer Linie, wie sie früher einmal der Russlandanrainer Finnland verfolgt hat – nämlich eine Art Pufferstatus einzunehmen mit einer gewissen Distanz und Konzilianz gegenüber den benachbarten großen Mächten – oder einer Funktion als »Brücke«, mit der sich andere Kleinstaaten in einer solchen Lage arrangieren, wollten sie nie etwas wissen. Ganz im Gegenteil.

In der Euro- und Griechenland-Krise stehen sie rhetorisch an der Spitze der ausgewiesenen Scharfmacher gegen alle Zugeständnisse an notleidende Südländer. Hatten sie nicht die Austeritätspolitik geradezu erfunden und erfolgreich vorgemacht, wie man die Wirtschaft gesundschrumpft und das Volk verarmt, im Dienst am und zur Stärkung des Euro?

Radikal antirussisch, Vorposten der NATO, dicht am Feind, Musterschüler und Großmäuler in der EU – ein höchst anspruchsvolles Programm für drei Zwergstaaten. Wie können die sich das eigentlich leisten?“ (…)

 

Aus: junge Welt – Ausgabe vom 10.02.2016 / Seite 12 / Thema

 

http://www.jungewelt.de/2016/02-10/116.php

 

http://www.gegenstandpunkt.com/gs/2015/4/inhalt20154.html

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