Fundsachen: Die Wacht am Nein und ihre Kanzelschwalben – Die Verkehrung von Kritik zur Pose
Von webmaster • Nov. 21st, 2015 • Kategorie: AllgemeinMeinhard Creydt
Der bürgerliche Materialismus und seine Gegenspieler Interessenpolitik, Autonomie und linke Denkfallen
VSA-Verlag; Hamburg 2015; 244 Seiten
Inhalt
Kapitel 15: Die Wacht am Nein und ihre Kanzelschwalben – Die Verkehrung von Kritik zur Pose (am Beispiel der »Marxistischen Gruppe« und des Netzwerks um die Zeitschrift »Gegenstandpunkt«)
Vorwort
(…)
Besondere Aufmerksamkeit gilt in diesem Band der Frage, wie sich in den zum bürgerlichen Materialismus entgegengesetzten Denkweisen eine besondere Art der Bewältigung von Erfahrungen mit den Schranken des bürgerlichen Materialismus artikuliert. 7 Die zum bürgerlichen Materialismus kontroversen Positionen gehen nicht über seine Grenzen hinaus, weisen also bei allem Unterschied oder sogar Gegensatz zu ihm mit ihm zugleich große Gemeinsamkeiten auf. Die Gegenfixierung wird in diesem Band zum Thema.
Ihre Stärke erweist sich zugleich als ihre Schwäche. Sie bemerkt vor lauter berechtigter Kritik bzw. Abstoßung vom Kritisierten nicht, wie der Gegenstandpunkt als bloßes Gegenteil an dem teilhat, das er kritisiert. Solche Alternativen verhalten sich wie zwei Seiten eines Berges, die erst von seinem Gipfel aus zugleich sichtbar werden. Als Anschauungsmaterial für derartige Alternativen, für das Umschlagen einer Seite in die ihr entgegengesetzte und für ihre Metamorphosen bietet sich eine ideologiekritische Strömung an, die besonders deutlich zugleich dem bürgerlichen Materialismus und einem ihm scheinbar entgegengesetzten Radikalismus des politischen Willens folgt.
Unter den vielen Linken, die dem bürgerlichen Materialismus eine linke Variante hinzufügen, sticht eine vergleichsweise große, seit über 40 Jahren selten beständige und geschlossene Fraktion hervor. In der Frankfurter Rundschau vom 29.10. 2008 wird die 1991 aufgelöste Marxistische Gruppe (MG) als »einst zahlenstärkste Truppe der Neuen Linken« bezeichnet. Rainald Goetz schildert in seinem Roman »Irre« (1983) die Faszination, die von der MG auf die an ihr Interessierten ausging. Sie bestand nicht zuletzt im Eindruck, hier werde ein Unterschied gemacht, auf den es im Unterschied zu vielen anderen Unterschieden ankomme. Anhänger von MG/GSP pflegen das Selbstbild, sie würden Operationen zur Beseitigung aller Illusionen ohne Betäubung nicht nur vornehmen, sondern auch cool aushalten.
Gründliche Kritik tragen MG und und ihre Nachfolgestrukturen um die Zeitschrift »Gegenstandpunkt« (GSP) als Anspruch und Versprechen vor sich her wie eine Monstranz und werben mit ihr als Alleinstellungsmerkmal. In Bezug auf die Kritik an Illusionen über den Verteilungskampf (s. Kapitel 2) sowie die Fallstricke des parlamentarischen Weges für Linke 8 betreffend ließ und lässt sich von MG/GSP tatsächlich manches lernen. 9 Auch manche ihrer Kritiken an bürgerlicher Wissenschaft waren ein gutes Gegengift 10 und haben zur Antikörperbildung beigetragen. Die früh entwickelte Begründung für eine kapitalismuskritische Wissenschaftskritik (s. Kapitel 12) hat ein unausgeschöpftes Potenzial. MG/GSP unterscheiden sich positiv von anderen Linken durch das Wissen, dass es sich bei der Ambition, die Werte der bürgerlichen Gesellschaft gegen den Kapitalismus auszuspielen und sich als Kandidat für deren wahrhafte Umsetzung zu empfehlen, oft um eine self-defeating strategy handelt. Zentrale Werte der Demokratie in der bürgerlichen Gesellschaft wie Freiheit (vgl.
Krölls 2009: 20f.; Resultate 3: 31), Gleichheit (vgl. Krölls 2009: 24; Resultate 3: 10, 36), Gerechtigkeit (Landplage 1999: 6), Menschenrechte (vgl. Krölls 2013: 184-186) und Meinungsfreiheit (vgl. ebd. 178f.) werden auf die Praxis der bürgerlichen Vergesellschaftung durchsichtig gemacht. Daraus erwächst ein Einspruch gegen in diese Werte investierte übertriebene Erwartungen (»Hofferei« – Günther Anders). Der habilitierte Jurist Albert Krölls weiß die MG-Staatstheorie von 1979 (in Band 3 ihrer Theoriezeitschrift »Resultate«) in seiner Analyse des Grundgesetzes starkzumachen – gegen dessen in der Linken weit verbreitetes Verständnis in der Tradition der Abendroth-Schule.
In der linken Publizistik gibt es gewiss Schlechteres.11 Soweit die gute Nachricht. Wer sich mit den problematischen Implikationen der linken Variante des bürgerlichen Materialismus sowie der zum bürgerlichen Materialismus komplementären Gegenpositionen von Politizismus, Rationalismus und symbolischem Handeln (zu letzterem vgl. Kapitel 15) auseinandersetzen möchte, findet dafür bei MG/GSP reiches und zudem selten reines Material vor. Allein deshalb vergegenwärtige ich in diesem Band Positionen von MG/GSP aus den letzten 40 Jahren. 12 Nur wenige Passagen (v.a. in Kapitel 15) widmen sich nicht dem Thema »der bürgerliche Materialismus und die zu ihm komplementären Gegenpositionen«, sondern einer davon unterschiedenen Kritik an MG/GSP. Die von ihnen reklameartig beanspruchte Tabula rasa der Ideologiekritik entpuppt sich als Tischleindeckdich des in ihrem Horizont Unbewältigbaren. MG/GSP bilden in diesem Band ein Beispiel, um über sie hinausgehende, in der Linken weit verbreitete Argumentationsfiguren und self-defeating strategies herauszuarbeiten.
Es handelt sich um Denkfallen mit massiver politischer Wirkung.
http://www.vsa-verlag.de/index.php?id=6576&tx_ttnews[tt_news]=15779
http://www.vsa-verlag.de/uploads/media/www.vsa-verlag.de-Creydt-Der-buergerliche-Materialismus.pdf
KRITIK DES „GEGENSTANDPUNKT“
Buchbesprechung von Thomas Schwendener
Vor Kurzem ist das Buch „Der bürgerliche Materialismus und seine Gegenspieler“ des Autoren Meinhard Creydt erschienen. Darin kritisiert der Psychologe und Soziologe die Vorstellungen des bürgerlichen Materialismus und seiner linken AnhängerInnen. Der folgende Text ist eine Besprechung der stärksten Momente des Buches: der Kritik an der „Marxistischen Gruppe“ und ihrer Nachfolge-Zeitschrift „Gegenstandpunkt“.
Das politische Internetverhalten junger Männer zeichnet sich in aller Regel dadurch aus, dass knapp Verstandenes mit grosser Geste und Vehemenz vertreten wird. Jeder, der sich ab und an in den entsprechenden Winkeln des Internets aufhält, kennt es: Irgendwann betritt einer den Raum, der sich durch besondere Prinzipienfestigkeit, hohe moralische Autorität oder das Bescheidwissen auszeichnet.
Während die ersten beiden Eigenschaften im Spektrum des Schulbuchmarxismus beziehungsweise der Antideutschen anzutreffen sind und ihnen mittels Argumenten meist relativ einfach beizukommen ist – wobei die Betreffenden das selbstverständlich selber kaum mitkriegen – wird es bei den Anhängern der Zeitschrift „Gegenstandpunkt“ (GSP) etwas schwieriger. Schliesslich ist das Mittel der Profilierung dieser Bescheidwissenden das „bessere Argument“ und ihr proklamierter Zweck die Erklärung und Kritik eines Gegenstandes.
Schema und Denkbeschränkung
Selbstverständlich kann man längst nicht alle FreundInnen des GSP der Kategorie des profilierungsbegierigen Bescheidwissers zuschlagen, aber dennoch soll die Frage gestattet sein, warum unter seinen Anhängern dieser Typus recht weit verbreitet ist. Laut Creydt bedienen die AutorInnen des GSP die „Mentalitäten (…) Belehren und Rechthaben“ (128), weil sie die „nichtintendierten, indirekten und latenten Effekte ihres Tuns“ (129) keiner Aufmerksamkeit würdigen. In den theoretischen Urteilsverkündungen des GSP geht es „nicht darum, sich einer Position gewachsen zu zeigen, sondern abzufertigen und zu verreissen“ (217). Statt sich auf einen Gegenstand einzulassen und ihn in seiner oftmals widersprüchlichen Realität theoretisch zu entwickeln, wird an ihm die eigene argumentative Überlegenheit demonstriert. Der intellektuelle Zentralismus des „Gegenstandpunktes“ – bei einigen AdeptInnen existiert das Wissen gewissermassen in von den eigenen geistigen Potenzen getrennten (Lehr-)Personen – bringt dabei allerhand unerquickliche Phänomene hervor: Nur wenige AnhängerInnen der grauen Hefte kennen überhaupt eine andere politische Sprache als jene des GSP-Diskurses.
Komplexe Problematiken werden „daraufhin durchfiltert, ob (…) axiomatische Grund-Sätze verletzt oder bestätigt werden“ (187), was zu einer ganz eigenen Art der Aufmerksamkeit führt. Da das eigene „nicht bewusste Denknetzwerk“ – das sich auch in seiner sprachlichen Reproduktion zeigt – nicht thematisiert wird, wird „die Aufnahme neuer Erkenntnisse (…) dann massiv beeinträchtigt, wenn sie zu den bestehenden Bewusstseinsinhalten nicht passen“ (125) und damit im Denken isoliert bleiben. Damit wird eine produktive Auseinandersetzung mit anderem Denken unterlaufen und „es bleibt dann meist dabei, den Bekehrten zu predigen“ (212). Einige der Vorhaltungen treffen bestimmt auf verschiedene theoretische Strömungen zu; aber es ist doch frappant, wie sprachlich und gedanklich uniform es in den betreffenden Milieus zu und her geht.
Subjekt, Interesse, Psychologie
Natürlich könnte man einwenden, dass das alles eigentlich keine Rolle spielte, wenn nur die Inhalte und Argumente richtig seien. Tatsächlich muss man dem GSP zumindest zugutehalten, dass er allerhand (linke) Illusionen und Dogmen richtig destruiert hat und damit die theoretische Erhabenheit seiner AnhängerInnen über die linke Szene zumindest im Ansatz in der Realität fundiert ist. Bloss sind die entwickelten Inhalte laut Creydt meist keineswegs korrekt. Vielmehr seien „viele der MG/GSP-Texte (…) ihrem Gegenstand wenig gewachsen“ (130); was man zum Teil auch auf die theoretische Verfahrensweise, den endgültigen agitatorischen Urteilsspruch, beziehen kann. Im grössten und stärksten Teil des Buches widmet sich der Autor redlich und unaufgeregt der Theorieproduktion der MG/GSP und weist nach, wo sie sich irren.
Das Meiste davon weiss zu überzeugen: Der GSP macht die KapitalistInnen mit ihren Zwecken zum Subjekt des Kapitalismus, statt die ökonomische Eigengesetzlichkeit des Kapitals zu thematisieren und zu entwickeln, wie die Individuen in ihrem „Aufeinanderstossen“ eine „über ihnen stehende, fremde gesellschaftliche Macht“ (Karl Marx, MEW 42, 127) produzieren. Zudem fassen MG und GSP „die Arbeitnehmerinteressen nicht als das auf, was sie systemimmanent sind, sondern laden sie stillschweigend auf mit einem anderen Inhalt“ (60). Da gibt es dann nicht mehr ein gültiges Interesse der LohnbezieherInnen sich gegen, aber auch mit dem Kapital zu reproduzieren, die ArbeiterInnen machen laut GSP schlicht einen Fehler, weil ihre Abhängigkeit vom Unternehmer nicht „ihr Mittel“ (GSP 4/96, 82) sei. Hier müsste man die Kalkulation der Proletarisierten mal ernst nehmen, die sie in Hinblick auf Heimcomputer, Kleinwagen und Sommerferien vornehmen. Das rationalistische Weltwild der Propagandatruppe bleibt auch blind für psychologische Prozesse, die eben nicht einfach ein Resultat der gedanklichen Verarbeitung der Welt sind.
„Gegen die kritikwürdige Position, Gefühle eines Individuums hätten nichts mit seinen Gedanken zu tun, wird die komplementär problematische Position gesetzt, Gefühle seien nichts anderes als das Resultat von Gedanken“ (112). Demgegenüber entwickelt Creydt in einem eigenen Kapitel Beschaffenheit und Zusammenhang von Denkprozessen und psychischen Prozessen.
Doch nicht nur inhaltliche Fehler werden offengelegt, auch die Vorstellung der Aufklärung der Menschen durch gute Argumente wird einer Kritik unterzogen. Dabei thematisiert Creydt die Präformation des bürgerlichen Bewusstseins durch „objektive Gedankenformen“, gegen die Aufklärung kaum ankommt.
Zudem weist er auf den ganz und gar äusserlichen Standpunkt des „Gegenstandpunktes“ hin: „Für MG/GSP existiert keine in der gesellschaftlichen Realität vorhandene Tendenz, auf die sie sich einlassen können als etwas, das es zu verstärken und entwickeln gilt. MG/GSP treten mit ihren Fensterreden der gesellschaftlichen Realität von aussen entgegen.“ (212)
Der Staat als Schöpfergott
Einen besonderen Stellenwert im Theoriegebäude des GSP nimmt der Staat ein. Auch diesbezüglich ist der MG-Agitator sich seiner Verantwortung gegenüber den AnhängerInnen bewusst und erklärt in Bezug auf die sogenannte Staatsableitungsdebatte der 70er Jahre
vollmundig: Die vorliegende Analyse „ist (…) die Staatsableitung, beendet also jene unselige Debatte für all diejenigen, die ein Interesse an der Erklärung des Staates haben (…)“ (Karl Held, der bürgerliche Staat, 1). In der Staatsableitungsdebatte wurde versucht, die Form Staat aus den ökonomischen Verhältnissen abzuleiten und zu zeigen, warum eine ausserökonomische Zwangsgewalt für die Reproduktion des Kapitalismus notwendig ist und wie diese mit den Produktionsverhältnissen verbunden ist. Bei MG/GSP nun gerät der Staat zum Demiurgen der bürgerlichen Gesellschaft, diese „gilt als Resultat des staatlichen Wirkens“ (66). Was als komplexe wechselseitige Voraussetzung und Hervorbringung verstanstanden werden muss, wird beim GSP zur blossen Einbahnstrasse. Denn „aus den marktwirtschaftlichen Demokratien des Westens ist (…) zu lernen, dass sie mit ihrer Gewalt tatsächlich alles das schaffen, worauf sie sich wie auf eine vorfindliche ‚Lage‘ (…) beziehen“ (GSP 1/1994, S. 19). Es ist nun nicht von der Hand zu weisen, dass eine Gesellschaft, die auf Tauschbeziehungen beruht, etwa auch staatlich garantierte Rechtsbeziehungen kennen muss, damit die über den Tausch vermittelte Aneignung nicht gewaltsam gestört wird. Das Recht wird in der Theorie des GSP aber nicht als Notwendigkeit der bürgerlichen Gesellschaft verstanden, sondern die bürgerliche Gesellschaft gilt als Resultat staatlichen Wirkens.
Damit stellt der GSP den Zusammenhang schlicht auf den Kopf. Es gälte gerade den notwendigen Zusammenhang von Staat und Ökonomie in ihrer wechselseitigen Verwiesenheit zu entwickeln, statt die bürgerliche Gesellschaft schlicht aus dem Staat folgen zu lassen.
Hiess es beim frühen Marx noch, dass es ein Aberglaube sei, „dass das bürgerliche Leben vom Staat zusammengehalten werden müsse, während umgekehrt in der Wirklichkeit der Staat von dem bürgerlichen Leben zusammengehalten wird“ (MEW 2, 127), wird beim Gegenstandpunkt nicht nur die Gesellschaft vom Staat geschaffen, sondern der Staat muss auch die Allgemeinheit gegen die reine Partikularität stiften. Die Staatstheorie des GSP kennt „keine dem ökonomischen Geschehen immanenten Motive für den Willkürverzicht der Bürger oder für den Verzicht auf ihren unmittelbaren Egoismus und für die Verfolgung der Interessen unter Anerkennung der Bedingungen des Systems der Privatinteressen“ (65). Nein, laut MG handelt es sich beim Kapitalismus um „gewaltsam geschaffene und erhaltene soziale Verhältnisse“
(Karl Held, Die Psychologie des bürgerlichen Individuums, 17). Man sollte aber weder am Selbstverständnis der BürgerInnen anknüpfen, die ihre Unabhängigkeit und ihr Sonderinteresse verabsolutieren, noch sollte man die Relativierung ihrer Partikularinteressen rein der staatlichen Sphäre zuschreiben. Denn im Gegensatz etwa zum Feudalismus sind die gesellschaftlichen Beziehungen und die Aneignung des Mehrprodukts im Kapitalismus gerade nicht notwendig mit ausserökonomischem Zwang verbunden, sondern mit der Gleichheit und Freiheit der Tauschenden in der Zirkulationssphäre. Die oben erwähnten Tauschbeziehungen sind Willensbeziehungen, die die Tauschenden freiwillig eingehen; wenn auch die staatliche Gewalt den Regelbruch im Ausnahmefall sanktionieren muss.
Das Buch ist lesenswert und die Kritik an MG/ GSP ist gut informiert und sauber durchargumentiert.
Meinhard Creydt:
Der bürgerliche Materialismus und seine Gegenspieler.
Interessenpolitik, Autonomie und linke Denkfallen; VSA-Verlag; Hamburg 2015; 244 Seiten
Dieser, hier geringfügig gekürzte Artikel erschien unter der Überschrift „Über das Bescheidwissen und seinen Inhalt“ in:
vorwärts – die sozialistische zeitung, Zürich, Nr. 29/30 vom 28.
August 2015
http://www.scharf-links.de/45.0.html?&tx_ttnews%5Btt_news%5D=53723&cHash=3974f21185
Ich finde es gelinde gesagt eigenartig, daß irgendsoein Gscheiterl und Auskenner aus dem linken Lager nix Wichtigeres zu tun hat, als die MG und den GSP zu kritisieren und dem sogar ein ganzes Buch zu widmen.
Was anderes fallt ihm nicht ein, was der publizistischen Aufmerksamkeit würdig wäre?
Etwas verwundert,
ein Bewohner von Staat und Marktwirtschaft
1) Die Kritik am „Gegenstandpunkt“ bildet nicht das Hauptthema des Bandes, das wäre dann doch der Ehre zuviel, wohl aber eine ihn durchlaufende sekundäre Reflexionsebene, in der die zuvor analysierten Probleme noch einmal vergegenwärtigt&verdeutlicht werden. Das zeigt auch ein Blick ins Inhaltsverzeichnis:
http://www.vsa-verlag.de/uploads/media/www.vsa-verlag.de-Creydt-Der-buergerliche-Materialismus.pdf
2) Das Thema des Buches (lt. Klappentext):
Bürgerliche Materialisten beziehen sich auf »ihren« Arbeitsplatz, auf den Erfolg »ihres« Betriebs, auf die Rendite ihrer Geldanlage sowie auf das Florieren »unserer« Wirtschaft als Bedingung dafür, ihre Interessen realisieren zu können. Zugleich halten sich die Bürger moderner kapitalistischer Gesellschaften eine Autonomie gegenüber der Interessenpolitik zugute, wenn sie politisieren, an die Vernunft glauben oder den Selbstzweck (z. B. der Menschenwürde) achten. Die spannungsreiche Einheit beider »Seelen« in der Brust des modernen Bürgers ist das Thema dieses Bandes. Viele kapitalismuskritische Argumentationen (z.B. der Zeitschrift »Gegenstandpunkt«) bewegen sich zu ihrem Schaden unbewusst innerhalb dieses Dualismus. Der Band vertieft die Erkenntnis seiner Problematik zusätzlich durch die Aufmerksamkeit für linke Denkfallen.
3) Kein Anlass besteht dafür, die Kritik an „Staat und Marktwirtschaft“ gegen Creydts Kritik an MG/GSP auszuspielen. Der Band formuliert eine Kritik am bürgerlichen Materialismus und s e i n e n Gegenspielern (Politik, Rationalismus, Menschenwürde-Diskurs). Vor diesem Hintergrund analysiert der Band die systematischen Fehler der Positionen von MG/GSP. Die Kritik zeigt: Die Inhalte, die MG/GSP unter die Leute bringen, bilden keinen guten Beitrag für eine Politik, die den Kapitalismus überwinden will.
4) Informationen über die Bücher von M. Creydt und seine Artikel finden sich auf der Netzseite http://www.meinhard-creydt.de und an vielen anderen Stellen im Netz.
„Das Buch (von Creydt) ist … sauber durchargumentiert“, lobt Thomas Schwendener. Und meint:
„Tatsächlich muss man dem GSP zumindest zugutehalten, dass er allerhand (linke) Illusionen und Dogmen richtig destruiert hat… . Bloss sind die entwickelten Inhalte laut Creydt meist keineswegs korrekt.“
Der GSP beherrscht also die Kunst, so allerhand richtig zu destruieren, dies aber meist nicht korrekt.
Na hoppla, das ist doch mal eine echt saubere Durchargumentation für Creydt und gegen den GSP.
Der Band „Der bürgerliche Materialismus und seine Gegenspieler. Interessenpolitik, Autonomie und linke Denkfallen“ von Creydt (VSA-Verlag 2015) ist für alle an kapitalismuskritischer Gesellschaftstheorie Interessierten lesenswert.
Wer sich am „Gegenstandpunkt“ orientiert oder sich für ihn interessiert, findet die bislang gründlichste und fundierteste Auseinandersetzung mit dessen Positionen und „Logik“.
Eine (im Vergleich zur Besprechung von Thomas Schwendener bessere) Rezension findet sich in Nr. 39 von „kritisch lesen“:
http://kritisch-lesen.de/rezension/interessen-und-ideale
Eine kritikwürdige Hauptstoßrichtung des Buchs erhellt aus folgender
Stelle:
Zi t a t
„Im ersten Kapitel würdige ich linke Standardargumente gegen die utilitaristische
Ideologie. Wo diese Kritik Recht hat, hat sie Recht. Zugleich
neigt sie oft dazu, im Klassengegensatz irrigerweise den argumentativen Joker
zu sehen. Damit verbindet sich notorisch die Auffassung, die kapitalistische
Ökonomie habe ein souveränes Subjekt: die »herrschende Klasse«.3
Die Vorstellung vom Kapital als Mittel der Reichen verstellt die Aufmerksamkeit
für die subjektlosen, sich allen Akteuren entziehenden und sie beherrschenden
kapitalistischen Strukturen.“
Creydt und Konsorten gefallen sich wie andere vor ihnen in einer elitären Sorte
Durchblickerei, die sie meinen als Entlarvung sowohl gegen wirkliche Kapitalismuskritiker
als auch gegen herrschende Ideologien hinsichtlich ihrer bloß bürgerlich-materia-
listischen Befangenheit wenden zu können, wo nichts für sich substantieller Wider-
legung unterzogen wird, sondern nichts als Gegenüberstellungen zu Creydt’schen
Eingebungen eines über das Partikulare der Interessen hinausweisenden Horizonts,
soziologischer Leerformel „gesellschaftliche Synthesis“ und überhaupt
eines nichtssagenden, pleonastisch daherkommenden Abstraktionskübels „gesellschaftliche
Vergesellschaftung“ als Kritik ausgibt:
„…werden demgegenüber diejenigen Probleme materialiter zum Thema, vor denen die
Mitglieder moderner Gesellschaften stehen, wenn sie ihre gesellschaftlichen Produktions- und Reproduktionsprozesse und ihre Vergesellschaftung gesellschaftlich gestaltenwollen.
Der vorliegende Band wendet sich gegen eine Gesellschaftskritik,
die den Kapitalismus nicht vor dem Hintergrund dieser Probleme begreift.“
– und offenbaren doch nichts als Unsinniges, eine
interessierte Fehlermacherei.
Diese Entlarver verfertigen eine verkehrte Konfrontation zwischen dem Konkurrenz-
system und dem, wie sich sog. „Akteure“ – eine falsche Abstraktion, weil die
„Akteure“ sehr gegensätzliche Interessen verfolgen – dazu stellen bzw. darin vor-
kommen. Konkurrenz um Gelderwerb bzw. Geld-/Kapitalakkumulation auf Seiten
der Kapitaleigner bringt als „anarchisches“ Gegeneinander um die Mehrung abstrakten
Reichtums notwendig mit sich, dass den einzelnen Kapitalen die Regie darüber ent-
zogen ist, wie ihre Konkurrenzgeierei letztlich ausgeht: erst im nachhinein stellt sich
auf Märkten heraus, ob der produzierte kapitalistische Reichtum sich als solcher be-
währt.
Creydt und andere zynische Besserwisser deklarieren „Akteure“ zu Marionetten
ihres eigenen Konkurrenzladens. Es verhält sich genau umgekehrt so, dass Kapital-
eigner in ihrem von C. verächtlicht gemeinten „instrumentellen Verhältnis“ zu ihrer Reichtums-
quelle (verächtlich nicht etwa ob der darin obwaltenden ökonomischen Gewalt gegen
die Produzenten, sondern als Desavouierung der Unternehmerklasse als kleine Wichte
gegenüber den angeblich, allerdings dem Irrsinn des Creydt entspringenden „subjekt-
losen Strukturen“) sich in der Weise sehr souverän ökonomisch rüsten, v.a. auf Kosten
von Lohn und Lebenskraft von Lohnabhängigen, dass sie möglichst als Sieger aus
dem marktwirtschaftlichen Geschachere hervorgehen. – Zugleich ist denen so sicher
wie das Amen in der Kirche geläufig, dass sie der Konkurrenzgeierei auch nicht
standzuhalten in der Lage sein können : und wer entscheidet dann sehr selbstherrlich
darüber,dass drohende Unternehmenspleiten die Arbeiter mit Entlassungen aus Lohn und Brot
zu bezahlen haben?!‘
An den Kapitalisten festzumachen, die wären im Grunde Abhängige von ihnen nicht
„steuerbarer Strukturen“ erfüllt den Tatbestand einer einzigen Verharmlosung dessen,
mit welchen Gemeinheiten der Verarmung und Leistungsaussaugung von Arbeitern sich
Unternehmer als selbstbewußte Subjekte der Konkurrenz gerieren.
Creydt gefällt sich auch als gekonnter Marx-Verfälscher: die Sache mit dem „stummen
Zwang der Verhältnisse“ soll dafür stehen, dass die „Akteure“ denen ohnmächtig aus-
geliefert seien.
Der Satz steht der Wahrheit nach für die Verrücktheit einer Wirtschaftsweise, wo den
Agenten der kapitalistischen Produktionsweise die gleichwohl selbsttätig eingegangenen
Verhältnisse wie Zwangsverhältnisse entgegentreten, also deren ökonomische Ein-
richtungen, die allerdings zum Inhalt ihrer Interessenverfolgung gemacht, gemäß
deren Bestimmungen das Handeln diktieren: Kapital verlangt nach dessen Vermehrung,
Lohn nach viel Arbeit für den Anwender mit dem Resultat lebenslanger Armut. Es werden
sich lauter politökonomische Zwecke zu eigen gemacht, die keinem gewußten Plan
entspringen. Nur: in dem, mit welchen ökonomischen Mitteln die verschiedenen
Agenten ihren Einkommenserwerb betreiben, da ist eben entscheidend, wer kraft Mono-
polisierung der gesellschaftlichen Produktionsmittel als Kapital jedenfalls grundsätz-
lich seinen kommerziellen Vorteil mit dem Einsatz von enteigneten Produzenten
systematisch und vom Staat ins Recht gesetzt organisiert, welche letztere deswegen
nichts als das Los marktwirtschaftlicher Knechtschaft verordnet kriegen.
Weitere erstaunliche Entlarvungen erhellen folgende Beispiele:
Zi t a t
„…Wer meint, das Zu-kurz-Kommen von Interessen (z.B.
als Lohnabhängiger) oder die Erfahrung der Zumutungen und Schädigungen
sei der sichere Ausgangs- und Stützpunkt, von dem aus sich die bestehen-
de kapitalistische Wirtschaftsordnung kritisieren lasse, erhebt den bürgerlichen
Materialismus zum Maßstab seiner Bewertung.“
Hier wird falscher Gegensatz von „Erfahrungen der Zumutungen und Schädigungen“
und „Kritik der kapitalistischen ‚Wirtschaftsordnungen“ in die Welt gesetzt:‘
Zumutungen und Schädigungen der Arbeiter durch Leistungserzwingung und
materieller Armut durch Lohnarbeit sind der Ausgangspunkt für eine Kritik
daran, warum und inwiefern das elende Los von Werktätigen begründet ist darin,
wie sie als Mittel der Kapitalverwertung eingeplant sind. – Allerdings: a l s
Lohnarbeiter sein Dasein fristen zu wollen, verrät eine anti-kritische Stellung
zum Lohnarbeitssystem: nicht d a s s der Arbeiter
materielle Interessen verfolgt, ist das Kritikwürdige, sondern wie bei der
Verfolgung derselben die Schranken beschaffen sind, die das notwendige
Scheitern gescheiten Materialismus begründen.
Im Grunde zielt der gemeine Vorwurf „bürgerlicher Materialismus zum Maß-
stab machen“ auf eine Linke, die mit dem Aufruf an die Arbeiter
zur Durchsetzung eines Materialismus, der diesen Namen ver-
dient, diese darin erinnert, dass dies damit zusammenfallen würde, die
Schranken des Lohnarbeitssystems selber zu überwinden.
Ein Creydt macht daraus eine Parteinahme für im Lohnarbeitssystem befangene
Betätigung des materiellen Interesses als bloßen „Verteilungskampf“. – Und:
als Aufruf zur Revolution hat man dies noch nicht vernommen. Also: was soll der
Vorwurf, der gezielt lügnerisch unterstellend lanciert wird wie heuchlerisch ist?!
Selbst, wenn dieser Vorhalt auf eine längst verflossene revisionistische Linke
zielt, wird dies gar nicht als ein Fehler festgehalten, wie diese den
widersprüchlichen „Dualismus“ von Arbeitermaterialismus und Festhalten an
der Lohnarbeit als Erwerbsquelle nicht anfechtend meint, den materiellen
Fortschritt der Lohnarbeiterexistenz sich auf die Fahnen zu schreiben – son-
dern Creydt geißelt ein „erziehungsdiktatorisches“ Bestreben der Linken
zur Besinnung der Arbeiter auf ihre „wahren Interessen“ , was sich deshalb
rächen würde, weil die Linke, so der schlaumeierische Soziologe Creydt,
„…die Selbstreproduktion der kapitalistischen Gesellschaft
nicht zu denken vermag,…“
-also gegen sich reproduzierenden Lohnwerker keine Agitation gewachsen
ist.
Und kriegt zugleich eine unvermittelte Parteinahme des Arbeiterfreundes
für den Staat hin:
„..dem avanciert leicht der Staat zur politischen Basis
der Ökonomie (s. Kapitel 4). Die Staatspolitik hat dieser Auffassung zufolge
in der gegebenen modernen kapitalistischen Gesellschaft das letzte
Sagen. Dann kann (und soll) die gesellschaftliche Veränderung vom Staat
bzw. von dessen Umbesetzung ausgehen..“
Der Staat avanciert damit zur helfenden Hand der Linken, die Arbeiter zu
ihren „richtigen Interessen“ zu bekehren. Dies ist nichts als Nonsens. Auf den
Staat kommen Arbeiterfreunde gar nicht wegen eines Vermittlungsproblems
in Sachen wahrer Interessen: der bürgerliche Staat will erstmal seiner Zwecke
der nationalen Kapitalakkumulation entledigt sein, die es also erstmal sind;
die den Arbeiterverehrer stören, um im Weltbild des Linken als dazu gegensätzlich
gestrickte Instanz, nämlich als Arbeiterstaat seine guten Werke zu verrichten.
An entscheidender Stelle, nämlich sein soziologistisches Anliegen entsprechend,
wird die verkehrte wie gemeine Antwort auf „bürgerlichen Materialismus“,dem
der Creydt gekonnt auch wirklichen Kapitalismuskritikern in perfider Weise
als eine Untervariante desselben unterjubelt, nämlich eine Sorte Anti-Materialismus, wie ihn
linksgestrickte Soziologen schon immer beherrschen und predigen, zum Besten
gegeben:
„Anhänger der linken Variante des bürgerlichen Materialismus benennen
am Kapitalismus allerhand Probleme erster Ordnung (aus dem Kapitalismus resultierende negative Effekte), nicht aber Probleme zweiter Ordnung. Sie betreffen die wirkliche oder vermeintliche »Daseinsberechtigung« des Kapitalismus. Konstitutiv für die nachkapitalistische Gesellschaft sind die Überwindung des Motivationshorizonts der partikularen Interessen der Privateigentümer und die Gestaltung der gesellschaftlichen Synthesis bzw. Vergesellschaftung durch die Gesellschaftsmitglieder.“
Am abstrakt gesellschaftlichen Beieinandersein erfüllt sich für diesen Kritiker des
bürgerlichen Materialismus das wirkliche Interesse der Leut, also wenn es jeder Be-
stimmtheit, jeder materiellen Beschaffenheit beraubt ist.
Und wer sich diese Anfeindung gegen materielle Interessen nicht zu eigen macht, dem
bescheinigt der Creydt, in einer Parteinahme für Kapitalismus befangen zu sein, weil „utopisch“ erscheinend,was sich der Soziologe als „ nachkapitalistische Sozialität“ ausmalt:
„Insofern solche Aufgaben als unlösbar erscheinen bzw. die nachkapitalistische Sozialität und Vergesellschaftung als utopisch anmuten (s. Kapitel 3), gilt der Kapitalismus als unersetzbar. Die Kritik an negativen Effekten des Kapitalismus relativiert sich daran, dass er als nicht durch eine andere gesellschaftliche Ordnung überwindbar erscheint..“
Zur regelrechten Frechheit wird es, Bürgerliche wie Kapitalismusgegner unisono zu Parteigängern
der ökonomischen Gewalteinrichtung namens Kapitalismus zu stempeln, wenn diese wie jene
nicht den verkehrten Gegensatz von „partikularen Interessen“ und deshalb darauf ankommende
gesellschaftliche Gesellschaftlichkeit mitmachen., welches Konstrukt eben nichts davon wissen
will, warum Linke wegen des antagonistisch beschaffenen I n h a l t s der diversern Interessen
in der bürgerlichen Gesellschaft auf Kritik wie Notwendigkeit der Überwindung derselben
kommen:
„Der bürgerliche Materialismus und seine linken Varianten sowie die zu ihm komplementären Gegenpositionen (Politizismus,Rationalismus und »Selbstzweck«) tragen auf jeweils eigenständige Weise dazu bei. „