Zu den Aktionen am 13. April: Mit „UMfairTEILEN“ die „Armut bekämpfen“?
Von webmaster • Apr. 8th, 2013 • Kategorie: AllgemeinGegenStandpunkt & Diskussion Bremen
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Zu den Aktionen am 13. April: Mit „UMfairTEILEN“ die „Armut bekämpfen“?
Ist denn Armut ein Missstand der Marktwirtschaft, den keiner will, oder unentbehrlich für sie?
Armut gehört für jeden ersichtlich zum festen Inventar unserer schönen deutschen Marktwirtschaft. Die brummt derweil und legt seit der Krise von neulich eine jährliche Steigerung der Exportüberschüsse, des DAX und der Staatseinnahmen nach der anderen hin.
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Man könnte also das Offensichtliche zur Kenntnis nehmen: Der Reichtum der Nation verträgt sich bestens mit massenhafter Armut unter ihren Einwohnern. Und jeder weiß ja auch, dass der nationale Reichtum nicht als große Liste nützlicher Güter bilanziert wird, mit denen die materiellen Bedürfnisse der Leute zu befriedigen wären, sondern als Geldsumme: als „Wachstum“. Das ist die nationale Summe der Gewinne, die kapitalistische Unternehmen erwirtschaften, die ausschließlich ihnen gehören und für die sie eine einzige Verwendung wissen: den Einsatz für die Erwirtschaftung noch größerer Gewinne. Dass das am besten dann funktioniert, wenn die Arbeitskräfte, derer sie sich dafür bedienen, möglichst wenig Lohn bekommen – auch das gehört zum Allgemeinwissen: Jeden Tag verkünden Politik und Wirtschaft, dass der konkurrenzlos effektive Niedriglohnsektor samt aller begleitenden Regelungen eines der entscheidenden Erfolgsmittel der deutschen Wirtschaft ist.
Man könnte von daher zu dem Schluss kommen, dass die Armut derer, die den Reichtum dieser Gesellschaft produzieren, notwendige Folge und nützliches Mittel für diesen Reichtum ist. Und man könnte der Frage nachgehen, warum und wie die Arbeit den Reichtum derjenigen mehrt, die arbeiten lassen, aber denen, die auf Arbeit und Einkommen angewiesen sind, weder ein ordentliches Auskommen noch überhaupt die Gelegenheit sichert, sich eines zu verdienen…
Wie gesagt: So könnte man dem offensichtlichen Sachverhalt auf den Grund gehen. Muss man aber nicht.
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Man kann nämlich auch
– als ganz unverständlich in den Raum stellen, wie bloß immer wieder passieren kann, was man nicht passieren sehen möchte, dass nämlich die „Armen immer ärmer und die Reichen immer reicher“ werden. Das ist gut für Empörung, stellt sich aber dumm gegenüber der Beobachtung: „Die soziale Kluft ist tiefer geworden. Das Wirtschaftswachstum und die beachtlichen Produktivitätssteigerungen der letzten Jahre kamen fast ausschließlich Unternehmen und Reichen zugute.“ (ein Flyer des Bündnisses UmfairTeilen).Was ist daran ein Rätsel in der Gesellschaft des Eigentums, in der die Produktivität der Firmen und deren Ausstoß an Wirtschaftswachstum von A bis O denen gehören, denen die Firmen gehören?
– Armut als schweres „Schicksal“ bedauern und mahnen, dass sich hinter den „anonymen Zahlen konkrete Menschen verbergen“. Mit dieser Verschiebung von Armut auf die individuelle Betroffenheit der Armen und die Beteuerung, dass das niemand wollen kann, hat man deren Schicksal schon einmal grundsätzlich von dem System der Marktwirtschaft abgetrennt, das Armut produziert und endlos reproduziert.
– darum rechten, „wo Armut anfängt“, welcher Grad von materieller Beschränktheit und Opferung von Lebenszeit für den Kampf um die immer prekäre Existenzsicherung überhaupt das Etikett ‚Armut‘ und damit das allgemeine Mitleid verdient. So erfindet man eine Definition von Armut, die sie als Abweichung von einem rechnerischen Durchschnitt beschreibt. Und wenn Armut die Abweichung vom Durchschnitt ist, dann ist quasi mathematisch bewiesen, dass die Millionen Fälle von Armut millionenfache individuelle Ausnahmen von der Regel sind, die man gleich mit erfunden hat: dass beim ‚normalen‘ Arbeitsvolk von Armut jedenfalls im Prinzip keine Rede sein kann.
– diese Millionen zu Ausnahmen erklärten Armutsfälle als Fälle eines eingetretenen „Armutsrisikos“ definieren und problematisieren, dass Umstände wie Kinder, Ausbildungsnachteile, Krankheit, Jugend, Alter … dieses Risiko erhöhen. Damit hat man ohne Aufhebens die marktwirtschaftliche Verrücktheit einfach so durchgewunken, dass mitten in einer hochgradig arbeitsteilig produzierenden Gesellschaft ausgerechnet das materielle Leben und Auskommen der Leute eine Frage ihres privaten Kampfes als auf sich allein gestellte Individuen ist. Man kann diese üble Wahrheit in die Lüge verwandeln, dass dann wohl die Gründe für ein ‚Abrutschen in die Armut‘ in den individuellen Lebensumständen der Einzelnen liegen müssen, die sich allerdings – ist es ein Wunder? – immer bei denen einfinden, die auf Erwerbsarbeit angewiesen sind und die regelmäßig zu spüren bekommen, dass sich diese Abhängigkeit nicht mit einem ordentlichen Leben, nicht mit Kinderkriegen, Alleinerziehen und Alleinverdienen, nicht mit Krank- und Altwerden… verträgt.
– vom Staat „Beschäftigungspolitik“ fordern. Dann hat man endgültig Lohnarbeit in das Gegenteil von Armut verwandelt. Peinlich ist das nicht nur deswegen, weil bekanntermaßen Armut in der Marktwirtschaft die Lage oder das notorische Risiko just derjenigen ist, die auf Lohnarbeit angewiesen sind. Sondern obendrein teilt der Staat doch mit, dass er dem Begehr nach Arbeitsplätzen dadurch Rechnung trägt, dass er gesetzliche Bedingungen des „Arbeitgebens“ schafft, die allesamt eine Stoßrichtung haben: Sie sollen das Verhältnis von Lohn und Leistung für die kapitalistischen Unternehmen optimieren, machen es also für die Arbeitenden ununterscheidbar von den Sorten Armut, gegen die Beschäftigung das Allheilmittel sein soll.
Damit wird ganz nebenbei ausgeplaudert, wie die Macher der Marktwirtschaft wirklich zwischen voll in Ordnung gehenden Formen des prekären Auskommens und anerkannter Armut unterscheiden: Armut liegt marktwirtschaftlich betrachtet und als Problem seiner staatlichen Betreuer nur dort vor, wo Arbeitskräfte nicht kapitalistisch produktiv genutzt werden, wo sie also nicht in der Doppeleigenschaft als möglichst weidlich auszunutzender Produktionsfaktor und zugleich sparsamst zu kalkulierender Kostenfaktor gewinnbringend zur Anwendung kommen.
– den zum Retter verklärten Staat zum eigentlichen Opfer von Armut erheben, die man definitiv nicht hinnehmen will: „Öffentliche Finanznot – privater Reichtum. Die Finanznot der öffentlichen Haushalte untergräbt den politischen Gestaltungsspielraum unserer Demokratie und unseres Sozialstaates.“ prangert ein Flyer des Bündnisses UmfairTeilen an.
Na dann wissen die Armen endlich, um wen sie sich wirklich Sorgen machen sollen. Und dieser Wunsch nach Umverteilung, dass der Staat genug in seinen Haushalt leitet, hat sogar realistische Aussicht darauf, erfüllt zu werden. Wo der Staat sich sein Geld holt, sieht man dann schon.