Wg. Wulff
Von webmaster • Jan. 11th, 2012 • Kategorie: AllgemeinWg. Wulff
Was BILD & SPIEGEL dem Volk gönnen: Ein würdiges Staatsoberhaupt
Das Amt Bundespräsident
Moderne Staaten halten zusätzlich zu dem Personal, das die Staatsgewalt exekutiert, ein Sonder-Angebot bereit: Eine Figur, die die Ehrbarkeit und Menschlichkeit der Staatsmacht, die Einheit der Bürger mit ihrem politischen Gemeinwesen, den Glanz der Herrschaft und zugleich ihre Volksverbundenheit repräsentiert. Für diese Figur, die als Queen, spanischer König oder eben deutscher Präsident kein Politiker der Legislative und Exekutive ist, soll ein äußerst unschuldig gemeinter, weil „nur“ repräsentativer Auftrag gelten, der sie aus dem „schmutzigen Geschäft“ der unmittelbaren Anordnung von Diensten heraushebt: In einem vom Alltag der Staatsmacht betont getrennten Personal sollen Größe und Ehre der Nation Anerkennung erfahren. Solches halten viele Verfassungen für zweckmäßig und das hat seinen guten Grund: Die Ausübung der Herrschaft geht einfach nicht ohne Gegensätze zwischen Regierenden und Regierten ab. Die Spitze des Staates als gesonderte Repräsentation seiner Einheit mit dem Volk einzurichten, ist darauf berechnet, die unübersehbaren Gegensätze als dem Ganzen dienliche, nur der Einheit wegen fällige Verlaufsformen im Miteinander von Volk und Staat hinzustellen. Dazu braucht es eine Figur, die für keine Rentenreform und Tabaksteuer verantwortlich ist, auch nicht für Arbeitsplätze und Armut, erst recht für keine Aufrüstung und keinen Krieg – die lediglich Schönredner der im Prinzip achtbaren Anliegen der Politik ist, personifiziertes Aushängeschild der natürlichen Identität des nationalen Kollektivs, darin Verkörperung der menschlichen Güte der Herrschaft, die sich via Kutschfahrten, Kondolenzbesuchen in Hochwassergebieten, Kriegslazaretten oder Waisenhäusern, Sportlerehrungen und Bürgerfesten „zum Anfassen“, also wie von du zu du gibt. Kurz: Eine Figur, bei der sich jedem Bürger der Gedanke aufdrängt, dass, „wenn nur alle Politiker so wären, im Lande alles zum Besten stände“. Diese Figur ist in Deutschland, ganz ohne blaues Blut, der Bundespräsident.
Seine Aufgabe: Den täglich herzustellenden Schulterschluss von Machern und Mitmachern als notwendige Anstrengung aller für das Gemeinwesen zu deuten, dem man wegen gemeinsamer Erbmasse & Geschichte, vorzüglicher Dichter & Denker, spezieller Mahlzeiten & Volkstänze, vor allem aber wegen geteilter Werte angehöre, also auch verpflichtet sei. Die Stellung des Präsidenten als „Erster Bürger im Staate“ pflegt den Schein, für die verlangte Unterordnung gäbe es einen gleichermaßen natürlichen wie guten Grund. Zum Propagieren einer „nationalen Identität“, die Oben und Unten, Arm und Reich, jenseits aller Differenzen und Gegensätze zu einem kollektiven „Wir“ schmiedet als auch persönlich auszeichnet, braucht es in der Tat keine Befugnisse ausführender Gewalt; dafür hat der Präsident die Lizenz zum Predigen. In unweigerlich „großen Reden“ erzählt er den „lieben Landsleuten“, dass die Werke seiner regierenden Kollegen nicht nur recht, sondern auch billig
waren: Die Politik ist ihrem sittlichen Auftrag nachgekommen („Verantwortung“), Opfer sind die erste Bürgerpflicht („Ruck“), Deutschland ist ein schönes Land („Heimat“); und wenn er beim Montieren der 3 Textbausteine – Ethik der Macht, Dienst ist geil und die Nation das Höchste – nicht stottert, wird er auch nicht ausgelacht. Denn für den Schwindel hat ein guter Präsident gerade zu stehen: Die ideelle Versöhnung von Volk und Nation, die er nicht nur zur Weihnachtszeit zu beschwören hat, soll ihm nicht etwa qua Amt, sondern auf Grund seines unwiderstehlichen Geistes und einnehmenden Wesens gelingen. Das demokratische Quidproquo der „Führungspersönlichkeit“ ist hier zur eigenen Profession
geronnen: Frei vom Verdacht, sich mit dieser Angeberei nur beim Wahlvolk anzuwanzen, verfügt ein Präsident nahezu unvermeidlich über Charisma, wenn er „Hoch auf dem Gelben Wagen“ singt (Scheel) oder „Machtvergessenheit und -besessenheit“ der Politiker anprangert (Weizsäcker). Das Konstrukt einer extra Staatsspitze, die das innige, quasi familiäre Verhältnis von Volk und Macht verkörpert, zielt also voll aufs nationale Gemüt, das sich von seinen grundgütigen „Landesvätern“ genau so ergreifen lassen soll wie von der in dieser Hinsicht unerreichten, allerdings verblichenen „Prinzessin der Herzen“, Lady Di. Und die jeweilige Livebesetzung hat für das Ideal einer überzeugenden Autorität, zu der mündige Bürger als Vorbild aufblicken können, mit ihrem privaten Lebenswandel in aller Öffentlichkeit gerade zu stehen.
Die Anforderungen an so ein Staatsoberhaupt sind also enorm:
Volkstümlich muss es sein, ohne sich allzu gemein mit dem Volk zu machen; die ganz tiefe Bedeutung des Amtes ausstrahlen, ohne dabei arrogant zu wirken; staatsmännische Weisheit verströmen, ohne belehrend und besserwisserisch aufzutreten; immer gut angezogen sein, aber bitte alles aus eigener Tasche bezahlt haben; große Reden müssen aus seinem Munde sprudeln, ohne dass all die schönen Formulierungen und eingängigen Sprüche nach Ghostwriter oder Schema F klingen; einen gefestigten christlichen Standpunkt sollte es haben, aber um Gottes Willen nicht fundamentalistisch und engstirnig sein; ein intaktes, glückliches Familienleben vorweisen können, ohne hoffnungslos altmodisch zu erscheinen usw. usf. Der Anforderungskatalog an das herausragende Individuum, das tatsächlich würdig ist, unser oberster Deutscher zu sein, ist, wie gesagt, immens. Trotzdem stehen die Chancen alle fünf Jahre immer wieder gut, dass die verantwortlichen Politiker der Nation genau die passende Figur finden und per Bundesversammlung ins höchste Staatsamt wählen lassen. Sie veranstalten nämlich keinen Eignungstest zum besten Bundespräsidenten anhand einer Eignungsliste voller unabweisbarer Kriterien. Die Sache läuft umgekehrt: Sie einigen sich, gemäß ihren (partei)politischen Berechnungen, auf eine Gestalt – und schon lassen sich an genau dieser Figur und ihrer Vita all die herausragenden Kriterien deutlich machen, die sie gerade jetzt und heute für das höchste Amt im Staate ganz zweifellos prädestinieren.
Das Bedürfnis nach dem passenden Vorbild nationaler Identität ist also total angebotsorientiert – was die Anforderungen der Nation sind, wissen eben die am besten, die sie definieren.
[Auszug aus GegenStandpunkt 2-2004]
http://bremen.argudiss.de/?q=node/108