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Kritik an Ideologien, Aufklärung über populäre Irrtümer, Kommentare zum Zeitgeschehen

[online] 14.04.2010 | Wien | Iran – Entzerrung eines Feindbilds

Von • Apr. 14th, 2010 • Kategorie: Veranstaltungen

Zeit: Mittwoch, 14. April 2010, 19 00 Uhr
Ort: Universität Wien, NIG, HS 3
Veranstalter: Gegenstandpunkt / Gegenargumente Wien

Iran – Entzerrung eine Feindbilds
Kritik der Staatsraison, Ideologie und Realpolitik einer Islamischen Republik

Das Feindbild kommt vom Freundbild

Weder die jüngst täglich eskalierende Nachrichtenlage aus dem regen Sexualeben katholischer Kirchenmänner im pädagogischen Dienst noch das Abschlachten benachbarter Volksstämme durch christliche Fundamentalisten im Kongo führen die hiesige Öffentlichkeit in Versuchung, dafür das Christentum überhaupt verantwortlich zu machen oder gar die Bibel als Anleitung zu Missbrauch und/oder Totschlag zu besprechen. Was hingegen Staaten und politische Bewegungen angeht, die sich dem islamischen Glauben verpflichtet sehen wollen, ist es dem aufgeklärten demokratischen Verstand eine Selbstverständlichkeit, Auffassungen und Taten, die von den Gepflogenheiten westlicher Demokratien abweichen, auf angebliche Aufklärungsdefizite bei den Mohammedanern zurückzuführen, und in Kreisen der allerneuesten antideutschen Linken wird gar die Literaturinterpretation verbreitet, beim Koran handle es sich um einen mittelalterlichen Vorläufer des deutschen Bestsellers „Mein Kampf“ aus der Feder des österrei  chischen Autors Adolf Hitler.

Ähnliche Trittsicherheit bei der Pflege von Feind- und Freundbild findet auch bei der Beurteilung aktueller Frontabschnitte des demokratischen Imperialismus statt. Als sachgerechte weltpolitische Problemanalyse lässt die hiesige Öffentlichkeit in freiwilliger Gleichschaltung den Widerspruch durchgehen, dass bis an die Zähne mit Atombomben bewaffnete Mächte dem Iran mit der Unterstellung eine Technologie entwinden wollen, er strebe damit Nuklearwaffen an. Vollends zur Groteske gerät solche bedingungslose Parteilichkeit für die autorisierten Weltaufsichtsmächte, wenn ein notwendiger Waffengang gegen die Islamische Republik ausgerechnet mit dem Schutz des einzigen Staates auf der Welt legitimiert wird, der sich wirklich im Sinne des Nichtweiterverbreitungsvertrags illegal Kernwaffen zugelegt hat.

Die Instinktsicherheit des demokratischen Untertanen funktioniert wie ein Reflex bei jeder Nachrichtenlage: Verdacht auf Wahlmanipulation in Teheran ist ein neuer Beweis für ein Unrechtsregime, das weg muss. Erwiesene Wahlfälschung in Kabul kann die NATO-Soldateska keinen Moment aufhalten, das von ihr eingesetzte Regime bis zum letzten Paschtunen zu implementieren.

„Das Prinzip aller Stellungnahmen zum Ausland und seinen Menschen, der Zynismus der Souveränität liegt in ihrer Beurteilung ‚in Bezug auf uns‘. Wer dieses Prinzip verfolgt, nimmt unter dem Vorwand, nicht seinem willkürlichen Geschmack, sondern dem aller zu entsprechen, den Standpunkt der höchsten Gewalt ein, die er anerkennt. So als hinge der angemessene Umgang mit jenen Leuten von seiner Einschätzung ab, be- und verurteilt er alles und jeden, der nicht unter der Botmäßigkeit seines Souveräns steht, als Beschränkung und Gefahr.“ (MARXISTISCHE GRUPPE, Resultate: Imperialismus1)

Eine Islamische Republik stört in der Weltfriedensordnung

Und die wird bekanntlich von den USA immer wieder und gegen wechselnde Gegner gestiftet. Der erste schwere Anschlag gegen die Pax Americana war schon der Gründungsakt mittels Aufstand gegen den Statthalter des Freien Westens im Iran, den noblen Schah, der hierzulande mehr wegen seiner Ehe- und Nachwuchsprobleme Schlagzeilen machte als wegen solcher Petitessen wie Mord & Totschlag für die Interessen des herrschenden Clans im Lande und das Geschäft des internationalen Kapitals mit dem Öl. Dieses Regime ohne Genehmigung zu vertreiben ist die Erbsünde der Islamischen Republik. Die wurde von Anfang an von den USA mit Ansprüchen konfrontiert, die ihr staatliches Überleben gefährden, wenn sie ihnen willfährt. Die Geschichte der islamisch-iranischen Beziehungen zur Weltoberaufsichtsmacht sind so gekennzeichnet durch die Weigerung der USA, ihr Verhältnis zu Teheran nach dem Schah zu normalisieren, das heißt, das Land auf der Basis wechselseitiger Anerkennung ökonomisch auszubeuten, st  att es wie zu Kaisers Zeiten als konzessionierte Herrschaft mit Ölquellen her- und zuzurichten. Dazu gehörte die offene Unterstützung Saddam Husseins bei seinem Krieg gegen den Iran zur Eroberung Khusistans, die Ausrüstung terroristischer Regimefeinde und die aktuelle Kriegsdrohung wegen der Anreicherung von Uran.

Die Islamische Republik hat die Wahrnehmung ihrer ökonomischen und politischen Interessen zwar unter den Primat der Religion gestellt, dabei aber ebenso pragmatische Umgangsformen mit dem Zinsverbot und Beziehungen zu den Ungläubigen gefunden wie die per Amt bigotten US-Präsidenten mit dem 5. Gebot des christlichen Allah. Die wirklichen Friktionen zwischen den Heilsversprechungen für den materiellen Wohlstand der Volksmassen und der Realität eines Erdöl exportierenden Landes, das eine regionale Vormacht werden will, stören zwar die – nebenbei: mit einem für die „Dritte Welt“ einzigartigen demokratischen Repertoire zur personellen Ausgestaltung der Staatsmacht bevollmächtigten – Perser, ihre Machthaber aber ebenso wenig wie das anwachsende Prekariat die dafür verantwortlichen Politiker in USA und EU.

Der latente Kriegsgrund gegen den Iran sucht sich seine Anlässe

Mit der Verurteilung der Islamischen Republik als unvereinbar mit den Weltordnungsprinzipien der USA und ihrer Verbündeten liegt auch die Kriegserklärung auf dem Tisch. Retardierendes Moment sind noch die abweichenden Meinungen aus Russland und China, sowie eigenartigerweise unterschiedliche strategische Ziele der USA und ihres nahöstlichen Vollstreckers Israel, obwohl zwischen deren Sicherheitsinteressen laut US-Vize Biden „kein Blatt passt“. Der Streit um das iranische Programm zur Energiegewinnung aus der Kernspaltung wird von der westlichen Seite ganz offensichtlich so geführt, dass Teheran keine Bedingung aus dem Nichtweiterverbreitungsvertrag erfüllen kann, der den Verdacht entkräften würde, eigentlich bloß an der Bombe zu basteln. Der Disput ist lehrreich sowohl über die Funktion dieses Vertragswerks als auch über die amerikanische Vision vom Weltfrieden, in dem als letzte Instanz sie es sind, die bestimmen, welche Machtmittel einem anderen Staat zustehen und welche ih  n zum Gegner im „Krieg gegen den Terrorismus“ machen. Andererseits gibt die verlogene Diplomatie der europäischen Verbündeten & Konkurrenten Amerikas, von der Kriegsdrohung und -fähigkeit Washingtons zu schmarotzen und sich gleichzeitig als die friedliche Variante imperialistischer Weltherrschaft zu gerieren, deutlich darüber Aufschluss, in wie weit die immer noch unterstellte Einheit der freiheitlich-westlichen Welt gegen die „Feinde der Freiheit“ und der Marktwirtschaft real existiert und welche Gegensätze sie beinhaltet.

Islamische contra jüdische Republik

Als Zugabe auf der Veranstaltung des GegenStandpunkt ein Exkurs zur Irrationalität von Feindbildhetze und Freundbildpflege am Vergleich der zwei relevanten Staaten in der Weltgemeinschaft, die ihre staatliche Identität aus einer religiös gestifteten Zwangsgemeinschaft beziehen. Also ein paar Argumente gegen die freiheitlich-demokratischen Selbstverständlichkeiten, denen zufolge wir unbedingt den Iran ändern wollen, aber uns eine „Verhinderung eines zweiten Holocaust“ ohne den Atomstaat Israel nicht einmal vorstellen dürfen sollen.

 

Die Aufzeichnung der Veranstaltung ist jetzt bei argudiss online verfügbar.

 

http://www.gegenargumente.at/veranstaltung/veranstaltung_14_04_10.htmhttp://www.alanier.at/

 

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