Renate Dillmann: »Abschieben! Abschieben!«
Von webmaster • Feb. 18th, 2025 • Kategorie: Allgemein»Abschieben! Abschieben!«
Die Migrationspolitik wird zum Lieblingsthema der Parteien im Wahlkampf
Von Renate Dillmann
»Kurz vor der Bundestagswahl eskaliert die seit Jahren schwelende Auseinandersetzung um den richtigen Kurs in der Migrationspolitik erneut.« (Tagesschau 29.1.2025) Natürlich, so kann man es auch ausdrücken, dass die meisten politischen Parteien es offenbar ziemlich schätzen, ihren Wahlkampf mit dem Thema Migration zu führen: Eine »Auseinandersetzung schwelt seit Jahren« und »eskaliert« dann »kurz vor der Bundestagswahl«. Irgendwelche mit Willen und Interessen ausgestatteten Subjekte, etwa Politiker, Parteien oder Medien, die dieses Thema permanent aufwerfen bzw. am Kochen halten, gibt es nach dieser Darstellung freilich nicht.
Das ist mindestens genauso verlogen wie die Behauptung von Merz und Co., die »Toten von Solingen« bzw. »Aschaffenburg« forderten Konsequenzen, denen man sich nun endlich stellen müsse. Tote fordern gar nichts – ganz egal, ob sie in Aschaffenburg, der Ukraine, Israel, Gaza oder sonstwo anfallen. Es sind statt dessen quicklebendige Politiker oder Journalisten, die unter Berufung auf sie ihre Interessen durchsetzen wollen, wobei es ihnen völlig gleichgültig ist, wie die zitierten Opfer zu den in ihrem Namen verlangten Konsequenzen stehen würden.
Wahlkampf mit Volkes Stimme
Abstraktion Volk
Wer stört?
Antwort der »Anständigen«
Insofern geht es nicht um einen Unterschied in der Sache – bei der Behandlung der »irregulären Migranten« –, sondern um einen Unterschied im Ton.
Die deutsche Flüchtlingspolitik soll der »krisengeplagten« Nation das teure »Migrationsproblem« vom Hals schaffen – das wollen durchaus auch große Teile der Demonstrierenden. Das aber bitte schön ohne völkische Hetze, Schaum vorm Mund und allzu offensichtliche Gewalttaten. Man will sich die eigene Einbildung über dieses Deutschland, das »aus Auschwitz« gelernt hat und heute eine vorbildlich zivile und wertebasierte Demokratie vorweist, nicht durch eine rechte Partei versauen lassen – weshalb die Massenproteste, egal, was sich einzelne Teilnehmer dabei denken mögen, eine einzige große Vertrauensbekundung in die verantwortungsbewusste Regierungsfähigkeit der »demokratischen Parteien« darstellen.
Die Ironie dabei: Die »Rechtspopulisten« von der AfD und ihre Anhänger verlangen nichts anderes als die konsequente Umsetzung der demokratischen Zentralideologien.
Sie sehen Volksherrschaft, Volkswirtschaft und Volksgemeinschaft durch die supranationalen Bündnisse der Bundesrepublik und den angeblich ungebremsten Zustrom »irregulärer Migranten« in Frage gestellt. Dass die Rechten insofern »Fleisch vom Fleische« der Demokraten sind, wollen die Teilnehmer an den Protesten allerdings nicht wahrhaben. Statt dessen behaupten sie ein weiteres Mal, »die Demokratie« vor dem Faschismus retten zu müssen – und damit die angeblich komplette Unverträglichkeit dieser beiden »Formen bürgerlicher Herrschaft« (Reinhard Kühnl).
Aus: junge Welt – Ausgabe vom 17.02.2025 / Seite 12 / Thema: Bundestagswahlkampf
https://www.jungewelt.de/artikel/494157.bundestagswahlkampf-abschieben-abschieben.html
Renate Dillmann schrieb an dieser Stelle zuletzt am 14. November 2024 über die Berichterstattung für Kriegstüchtigkeit und die Macht der Sprachregelung:
https://www.jungewelt.de/artikel/487851.propaganda-und-sprache-einsatz-operation-oder-krieg.html?sstr=