contradictio.de

Kritik an Ideologien, Aufklärung über populäre Irrtümer, Kommentare zum Zeitgeschehen

Johannes Schillo: Ein Stelldichein am „Tor zur Hölle“

Von • Feb. 4th, 2025 • Kategorie: Allgemein

Ein Stelldichein am „Tor zur Hölle“

Noch was zur Brandmauer. Ein Nachtrag zum letzten Beitrag über den Bundestagswahlkampf von Johannes Schillo.

Aufstand der Anständigen – Demo für die Brandmauer“: Bundesweite Demonstrationen gegen Rechtsextremismus meldet die Tagesschau (tagesschau.de, 3.2.24). Ausgelöst durch „die von der Union initiierte Migrationsdebatte im Bundestag“ sollen sich laut Angaben der Veranstalter bis zu 250.000 Demo-Teilnehmer in Berlin, Köln, Bonn und anderen Städten eingefunden haben. Wie Anfang 2024, als das angebliche Potsdamer Geheimtreffen aufgeflogen war und gar nicht so geheime Pläne zur Begrenzung irregulärer Migration bekannt wurden (die im Grunde alle Parteien bis auf Linke teilen), ist also wieder ein antifaschistischer Aufschwung im Lande zu verzeichnen.

Wieder heißt es: „Den Anfängen wehren!“ Dazu kommentierte der Gegenstandpunkt bereits Anfang 2024 (Decker 2024, 85): „Welchen Anfängen? Wer gegen die schlechte Behandlung von Migranten ist, kann doch nicht erst bei der AfD anfangen. Und schon gar nicht für die Demokratie eintreten, die es in Deutschland gibt. Die ist mit ihrer Asyl- und Flüchtlingspolitik doch selbst der Anfang und eigentlich längst nicht nur der Anfang dessen, was schon jetzt, und zwar programmatisch, mit Deportationen endet: ‚Wir müssen endlich im großen Stil abschieben‘, sagt der demokratische Kanzler.“

Nach den Amoktaten von Solingen bis Aschaffenburg haben alle staatstragenden Kräfte diese Ansage bekräftigt – in der Sache knallhart, in der Tonlage mit einer gewissen Bandbreite von Bild bis zum hinterletzten Lokalblatt –, und mit dem Vorstoß des CDU-Kanzlerkandidaten Merz ist nun offiziell klargestellt: Die Brandmauer, die Demokraten fundamental von Rechtspopulisten und Rechtsradikalen trennen soll, gibt es in der Sache nicht. Sie muss künstlich hergestellt bzw. aufrecht erhalten werden. Sie verdankt sich einem parteitaktischen Kalkül, das einmal Abgrenzung verlangt, das andere Mal gemeinsames Vorgehen zulässt – natürlich alles nur, um dem Mehrheitswillen der Bevölkerung gerecht zu werden.

Eine aufschlussreiche Lektion über faschistische Standpunkte, die mitten in der Demokratie hausen! Doch was sagen die maßgeblichen Volkserzieher dazu?

Gemeinsame Grundlagen

Der Antifaschismus der Anständigen

Und der Protest?

Die antifaschistische Aufregung, die jetzt zu verzeichnen ist und zu erstaunlich breiten Protesten geführt hat, kann man jedoch nicht einfach mit einem Vertrauensbeweis für die etablierten Parteien gleichsetzen. Die Analyse des Gegenstandpunkt hat auf diesen Sachverhalt bereits bei der früheren Anti-AfD-Kampgane aufmerksam gemacht: „Es gibt diejenigen, die die deutsche und europäische Migrationspolitik auch ohne die AfD schon ziemlich schlimm finden. Und es gibt die anderen, die diese Politik unterstützen, sie aber nicht von der AfD gemacht sehen wollen. Der Dissens wird auf den Demonstrationen immer wieder laut – und dann schnell wieder leise. Teilnehmer rufen: ‚Merz, das gilt auch für dich‘ und vermissen bei CDU und SPD die berühmte Brandmauer gegen Xenophobie und Abschiebungspolitik. Es laufen auch Leute mit, die meinen, eine Demonstration für die Demokratie wäre eine Gelegenheit, an das Leiden der Palästinenser in Gaza und das ihnen verweigerte Recht auf eine eigene Demokratie zu erinnern.“ (Decker 2024, 86)

Das ist jetzt wieder genau die Lage, wie sich z.B bei der Bonner Demonstration – nach Berlin und Köln eine der größeren Veranstaltungen – zeigte. Da hier Amnesty International Mitveranstalter war, durfte das Thema Gazakrieg in einer Rede vorkommen, in Übereinstimmung mit der AI-Position, die den israelischen Vernichtungskrieg gegen die Palästinenser kritisiert. Als Rednerin trat eine – jüdische – Vertreterin der antizionistischen Organisation Jüdische Stimme für einen gerechten Frieden in Nahost auf. Für Lokalpresse und -politik war das ein Skandal, der auf die Notwendigkeit einer schärferen Kontrolle solcher Veranstaltungen verweist.

Eine systematische Kontrolle findet hier übrigens seit der Vorjahreskampagne statt, der ja damals vom CDU-Vorsitzenden Merz und von Bundespräsident Steinmeier der Weg in die konstruktive und damit allein zulässige Richtung gewiesen wurde: Tatkräftiges Vertrauen in die politische Klasse, die bisher den Laden ohne AfD-Beteiligung geführt hat, sollte am Schluss herauskommen. Notfalls muss hier der Staatsschutz einschreiten. Der operiert seit letztem Jahr etwa mit dem Paragraphen 86a des Strafgesetzbuches, der die „Verwendung von Kennzeichen verfassungswidriger oder terroristischer Organisationen“ unter Strafe stellt (Höchststrafe: drei Jahre).

Wenn Plakate bzw. Parolen mit zu viel antifaschistischem Elan gegen rechts einschreiten wollen oder sonstwie den zur Zeit geforderten Oppositionsgeist vermissen lassen, stattdessen etwa störende Aufklärung in Sachen rechte Gefahr vortragen, zieht die Polizei solche Dinge aus dem Verkehr. So jetzt in Bonn geschehen, wo zwei Demo-Plakate beschlagnahmt wurden, weil sie anscheinend den NS-Vorwurf an die Adresse der AfD zu plakativ vortrugen (wie gesagt nicht zum ersten Mal, bereits im Frühjahr 2024 fuhr die Polizei in einem Bonner Wohnviertel Streife und prüfte, welche Anti-AfD-Plakate zulässig und welche verboten sind). Die Urheber warten jetzt auf das Verfahren nach § 86a.

Vielleicht sollten sich die Demonstranten einmal anhand solcher Fälle, aber auch im Blick auf die politische Großwetterlage klarmachen, für welche konstruktiven politischen Zwecke ihre antifaschistischen Ängste hergenommen werden.

https://www.i-v-a.net/doku.php?id=texts25#ein_stelldichein_am_tor_zur_hoelle

Leave a Reply