Norbert Wohlfahrt: Den Krieg mitgestalten
Von webmaster • Feb. 3rd, 2025 • Kategorie: AllgemeinDen Krieg mitgestalten
Auf dem Weg in die patriotische Gemeinschaft: Militärexperten und öffentliche Intellektuelle über die Einbindung der zivilen Gesellschaft
Von Norbert Wohlfahrt
Ob Kriegstüchtigkeit glücklich macht, ist eine Frage, die mittlerweile nicht nur in wissenschaftlichen Kreisen erörtert wird.¹ Die »deutlichen Zeichen, dass wir nicht mehr im Frieden leben« (Michael Giss, Ethik und Militär 2/2024), weisen darauf hin, dass die Zeitenwende nicht länger als Aufgabe militärischer Aufrüstung und sicherheitspolitischer Gefahrenabwehr verstanden werden soll, sondern die Gesellschaft und ihr Wille zur Kriegführung ernsthaft in den Blick genommen werden müsse.
Und hier werden dann zunächst einmal erhebliche Defizite registriert: »Im Bewusstsein der Wirtschaft und der breiten deutschen Bevölkerung ist diese Zeitenwende bis heute nicht angekommen. Laut einer Umfrage des Meinungsforschungsinstituts Forsa vom Frühjahr 2024 wären beispielsweise nur 38 Prozent der Befragten bereit, Deutschland im Ernstfall mit der Waffe zu verteidigen« (Franz-Stefan Gady: Die Rückkehr des Krieges, Köln 2024).
Die Gesellschaft, so heißt es, müsse »an einen Zustand staatlicher Resilienz« herangeführt werden, und dazu gehört auch die Frage, mit welcher Ernsthaftigkeit der Krieg als individuelle Herausforderung angenommen wird. Wie auch die, ob man bereit ist, andere Menschen im Auftrag des Vaterlandes zu töten. Erfordert sei eine »geistige Zeitenwende« in der Gesellschaft², die (nicht nur) in einer größeren Akzeptanz für die Notwendigkeit militärischer Stärke zum Ausdruck kommt.
Die Gesellschaft als Ganzes soll den Krieg »als Angriff auf ihr Wertesystem verstehen und erkennen, dass man in der Lage sein muss, Meinungsfreiheit und Liberalismus zur Not auch mit harten Mitteln zu verteidigen« (Giss). Diagnostiziert wird eine Reihe von Mängeln, die vom fehlenden Wehrwillen bis zum noch immer schwelenden und nicht restlos überwundenen Pazifismus als Grundhaltung in Teilen der Bevölkerung reichen. Zusammengefasst ergibt sich das Bild einer zwar im Krieg befindlichen, doch nach wie vor dem Frieden nachhängenden Gesellschaft, deren Einstellung dringender Korrektur bedarf. (…)
Diesem Zustand will man abhelfen. Notwendig ist dazu ein Verständnis von Kriegstüchtigkeit, das deren Mehrdimensionalität in den Blick nimmt und auch die ethisch gebotene Notwendigkeit der Kriegführung in Erinnerung ruft. (…)
Operationsplan Deutschland
Zum Wohl der Welt
Ostflanke der NATO
Bei der Wahl zum »Wort des Jahres 2024« belegte »kriegstüchtig« den dritten Platz. Die Gesellschaft für deutsche Sprache schreibt dazu: »In der anschließenden öffentlichen Debatte wurden Panikmache und die Gefahr einer Militarisierung befürchtet. Argumentiert wurde jedoch auch, dass eine realistische Einschätzung von Bedrohungen und entsprechende Vorbereitungen notwendig seien, um Frieden zu sichern.«
Verfolgt man die aktuelle Debatte um die Rolle von Wehrhaftigkeit und Gesellschaft, dann ist nicht von »Gefahr«, sondern von der »Notwendigkeit« der Militarisierung die Rede. Die Komplementarität von militärischer und ziviler Wehrhaftigkeit rückt immer stärker in den Fokus der aktuellen Maßnahmen. (…)
Dies alles erfordere eine Gesellschaft, die bereit ist, für »Deutschland zu kämpfen«, und die Aufgabe von Politik und Öffentlichkeit liege darin, mit »schonungsloser Offenheit« darüber zu sprechen, was das Volk in der Zukunft erwarte. Zwar lassen die aktuellen Ergebnisse der empirischen Umfrageforschung noch nicht erkennen, dass die Deutschen bereit sind, euphorisch in den Krieg zu ziehen¹¹, doch es besteht Hoffnung: »Die Bevölkerung ist bereit zu kämpfen und persönliche Einschränkungen hinzunehmen, wenn man ihr erklärt, wozu das nötig ist«, so der Militärhistoriker Sönke Neitzel (zit. in: Marco Seliger, Die politische Meinung 24-I).
Butter oder Kanonen, ist offenbar keine Wahl, die getroffen werden kann.
Aus: junge Welt – Ausgabe vom 30.01.2025 / Seite 12 / Thema: Militarismus
https://www.jungewelt.de/artikel/492939.militarismus-den-krieg-mitgestalten.html