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Georg Schuster: Wohnen als Ware

Von • Dez. 23rd, 2024 • Kategorie: Allgemein

Georg Schuster: Wohnen als Ware

Vom systematischen Grund der nie endenden Wohnungsmisere. Mit einer Anmerkung zur nächsten Wahl.

Wie der FDP-Vorsitzende neulich bei Caren Miosga, so traut sich auch die Zeitschrift für Immobilien-Eigentümer Rhein-Main („Privates Eigentum“ 11/24), einen ungenierten Vorschlag zu machen:

„Wir sollten in Deutschland mehr Milei wagen! Der neue Präsident von Argentinien verordnet Marktwirtschaft statt staatlicher Reglementierung. Die ersten Folgen der Liberalisierung des Mietrechts werden jetzt sichtbar: Das Angebot an Mietwohnungen hat sich verdreifacht, weil Eigentümer wieder vermieten wollen. In der Folge sind die Angebotsmieten gesunken.“ BILD.de steuert bei, wovon die argentinischen Vermieter befreit wurden: „Wohnungen mussten für mindestens drei Jahre vermietet werden. Mieten durften nur in der Landeswährung bezahlt und nur einmal jährlich zu staatlich geregelten Sätzen erhöht, [also] nicht der Inflation angepasst werden.“

Die Haus- und Grundbesitzer in Buenos Aires sollen auf diese Zumutung so ähnlich reagiert haben wie ihre Kollegen in Berlin, von deren Drangsal die zitierte Immo-Zeitschrift dieses mitteilt:

„Mietpreisregulierungen verringern das Angebot an Mietwohnungen erheblich. Ein Beispiel hierfür ist der Berliner Mietendeckel, der die Zahl der inserierten Wohnungen um über 50 Prozent reduzierte. Vermieter reagierten, indem sie Wohnungen entweder leer stehen ließen oder an Selbstnutzer verkauften. Auch kam es zum Rückgang von Investitionen in den Wohnungsbestand und die Qualität der Mietwohnungen.“

Von Berlin wird zwar nicht berichtet, dass sich der bezahlbare Wohnraum erfreulich vermehrt hätte, seit das BVG im April 2021 den Mietendeckel als verfassungswidrig kassiert hat. Und aus Buenos Aires melden Mieterorganisationen einen Anstieg der Mietausgaben auf 38 Prozent des normalen Haushaltsbudgets, seit die deregulierten Wohnungspreise bei Neuverträgen in Dollar umgerechnet, bis zur Hälfte mehr kosten und fast alle drei Monate an die Inflationsrate angepasst werden dürfen – und sich die Zwangsräumungen häufen.

Aber immerhin soll sich, weil laut BILD „die Vertragsparteien nun die Bedingungen frei vereinbaren können“, das scheue Reh des Eigentums wieder auf die Lichtung wagen, wo es gegen gutes Geld Wohnungen anbieten darf, die bis zu den Reformen Mileis zurückgehalten, nicht gebaut und renoviert oder nur per Schwarzmarkt angeboten wurden. In der Folge kommen mehr Mieter gestaffelt nach Zahlungsfähigkeit zu einer Behausung, und was den nötigen Preis dafür angeht, so bleibt den weniger Zahlungskräftigen wenigstens die Hoffnung auf das marktwirtschaftliche Dogma, wonach die Mieten nur dann sinken können, wenn sie steigen dürfen.

Reformbedarf auf Dauer

Tribut an das Grundeigentum

Spekulation

„Scholz packt das an“

P.S: „Keine Ware“

Zwischen den Wahlen verlegt sich der demokratische Protest wieder auf die Anklage, Wohnen sei – entgegen dem Augenschein – „keine Ware“, was auch für die Bildung, die Gesundheit, das Wasser oder die öffentlichen Verkehrsmittel reklamiert wird. Damit wäre im Ernst und aus guten Gründen ein entscheidender Teil der Lebensnotwendigkeiten schon einmal dem Warenmarkt entzogen, und es fragte sich, warum die restlichen dann noch auf ihm verbleiben sollten.

In diesem kapitalismuskritischen Sinn ist die Anklage aber gar nicht gemeint. Vielmehr als Versuch, dem Anliegen eine moralische Lauterkeit zu verschaffen, der sich entweder mit einer sozialstaatlichen Maßnahme abfindet oder ins Leere läuft.

https://overton-magazin.de/hintergrund/wirtschaft/wohnen-als-ware/

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