Johannes Schillo: Zensur auf dem Vormarsch. Auch bei Telepolis?
Von webmaster • Dez. 15th, 2024 • Kategorie: AllgemeinJohannes Schillo: Zensur auf dem Vormarsch. Auch bei Telepolis?
Natürlich gilt Meinungsfreiheit! Unsere tolle Demokratie wird doch nicht auf das Instrument zur Herstellung von Massenloyalität und zur Kanalisierung systembedingter Enttäuschung verzichten!
Das Overton-Magazin hat sich mehrfach mit der Entwicklung eines neuen Zensurregimes im „freien Westen“ auseinandergesetzt und z.B. kritische Medienwissenschaftler zu Wort kommen lassen, die in der BRD gegenwärtig einen „Diskurs für Zensur“, ja eine „Inversion demokratischer Normen“ feststellen. Es gab hier zuletzt auch Erinnerungen an die Tradition westlicher Dissidenz oder die Zensurgeschichte der Adenauer-Ära, als sich der Frontstaat des Kalten Kriegs um die Formierung der patriotische Moral kümmern musste und etwa im kulturellen Leben keine Querschläger wie den Schriftsteller Arno Schmidt oder die aufmüpfige Gruppe 47 gebrauchen konnte.
Unter Adenauer wurden an dieser Front noch harte juristische Mittel eingesetzt, unter seinem Nachfolger ging es etwas liberaler zu. Bekanntlich beschränkte sich Erhard (der ja schon den Gammlern den Krieg angesagt hatte) im Wesentlichen auf Beschimpfungen, die natürlich kulturpolitisch Verantwortlichen den Weg wiesen. Schriftsteller wie Graß oder Hochhuth seien „Pinscher“, „Banausen“, „Nichtskönner“ oder „Scharlatane“, verkündete er; die BRD habe Bedarf an „verantwortungsbewußter Geistigkeit“, müsse dagegen „einem blutleeren Intellektualismus ohne Substanz und ohne Gesinnung“ eine entschiedene Absage erteilen.
All das betrifft oder betraf die Mainstream-Medien, in deren Windschatten sich schon immer ein Underground oder ein Sammelsurium von Subkulturen zu behaupten versuchte. Doch seit der Durchsetzung der „neuen Medien“ wird man – dem Internet sei Dank – mit einem neuartigen Typus von Gegenöffentlichkeit versorgt, der das kümmerliche Dasein eines Samisdat, wo von Hand vervielfältigte Kassiber zirkulieren, überwunden und eine erstaunliche Reichweite erlangt hat. Man denke etwa an bekannte „alternativen“ Medien wie Nachdenkseiten oder Telepolis, die mit ganz anderer Wucht gegen die herrschende „Bewusstseinsindustrie“ (Enzensberger) antreten.
Und jetzt das: Zensur in der Gegenöffentlichkeit!
Die Freiheit, die gemeint ist
Wozu Einschränkungen?
In diesem Betrieb ist also, wenn er von seinen Akteuren verantwortungsbewusst ausgeübt wird, schon immer eingeschlossen, dass er einen Beitrag zur Bildung der patriotischen Moral liefert. Wenn er nämlich bei seinem Publikum mit der Leitfrage ankommt: Wie steht „unser“ Staat da angesichts der vielen gesellschaftlichen Herausforderungen und angesichts einer Konkurrenz mit anderen Mächten, in der er sich zu behaupten hat.
„Insofern geht es den Mitgliedern dieser Gesellschaft um moralische Einordnungen der außenpolitischen Entscheidungen und um geistige Orientierung im Rahmen der Leitplanken des nationalen Kollektivs. Sie wollen über die Politik ihres Staatswesens, dem sie im Prinzip positiv gegenüberstehen, informiert werden und sie sinnvoll finden können. Die Regierung soll praktisch erfolgreich und moralisch in Ordnung sein – das sind dann auch die Maßstäbe, von denen aus in normalen Zeiten genörgelt und kritisiert wird.“ (Dillmann, Medien.Macht.Meinung, S. 157)
Wenn Umbrüche anstehen, wie zur Zeit mit der besagten „Zeitenwende“, die den Standort und das Volk auf den kommenden Krieg gegen die östliche Großmacht vorbereitet, muss nichts neu erfunden werden. Die bestehenden Instrumente müssen dann nur zielstrebig eingesetzt werden. Sprich: Die Leitplanken brauchen gegebenenfalls ein Update, die Missbrauchsdefinitionen eine Aktualisierung; das nationale Verantwortungsbewusstsein der Profis, die den Öffentlichkeitsbetrieb am Laufen halten, bekommt ein neues Input, womit der Berufsstand schon selber auf die Ausgrenzung abweichender Meinungen angesetzt wird; behördliche Maßnahmen (siehe den Fall Patrick Baab) müssen dann nur noch für den letzten Nachdruck sorgen.
Und in der Gesellschaft von Privateigentümern ist es wunderbarer Weise so eingerichtet, dass kommerzielle Zensur keine ist, sondern eine geschäftliche Selbstverständlichkeit: Wenn ein Medienhaus, eine Chefredaktion oder ein Verlagsleiter die Berücksichtigung eines Autors oder einer Autorin ablehnen, weil die Betreffenden ihnen mit ihrem Standpunkt zu abseitig vorkommen oder keine Marktchancen bieten, ist das ihr gutes Recht. Wenn eine Frau Krone-Schmalz Schwierigkeiten mit dem einen Verlag hat, dann soll sie sich halt einen anderen suchen. Das ist die Freiheit, von der natürlich auch die Telepolis-Leitung Gebrauch macht.
So regelt sich das quasi von selbst, wenn es zum Zeitgeist passt. Der oben erwähnte Fall Arno Schmidt, der lange keine Verleger fand und später resignierte, ist dafür ein anschauliches Beispiel. In den 1950er Jahren fand ja die erste Zeitenwende, die Remilitarisierung der BRD, statt. Mit der Einschwörung des nationalen Kollektivs aufs antisowjetische Feindbild und der Beendigung der Kriegsmüdigkeit unter den westdeutschen „Ohnemichels“ war denjenigen, die die Öffentlichkeit machten, eine deutliche Ansage erteilt, was die Stunde geschlagen hatte. Da brauchte es nur etwas Druck von Justiz und Geheimdiensten, um etwa Verlegern klar zu machen, welchen Figuren man besser keine Öffentlichkeit verschafft.
Jetzt findet die neue, offensive, auf die eigene Kraft vertrauende Militarisierung der BRD statt. Und in dem Zeitgeist verschwinden Grautöne, die früher einmal selbstverständlich waren.
Wenn da also das Telepolis-Magazin, das sich zu einem veritablen Unternehmen gemausert hat, sein Sammelsurium kritischer Beiträger besichtigt, muss es sich entscheiden, wo es steht. Einfach unterm Label der „Unabhängigkeit“ weiterzuwerkeln, geht da nicht. So ist es eben konsequent, wenn man als Dienstleister kluger Außenseiter-Beiträge reüssieren und sich mit den Mainstream-Medien arrangieren will, dass man sich von einem bislang praktizierten Standpunkts des „Dagegen“ verabschiedet. Das ist ganz einfach zu machen, es ist die private Entscheidung eines Medienunternehmens, das damit natürlich im Recht ist, weil es ja nur von seiner Freiheit, Meinungen zu veröffentlichen oder nicht, Gebrauch macht.
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