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Norbert Wohlfahrt: Der innere Gegner

Von • Nov. 26th, 2024 • Kategorie: Allgemein

Der innere Gegner
Die Bundesrepublik verteidigt ihre »Freiheit«. Über Widersprüche und Fortschritte volkssouveräner Feindbekämpfung in der wehrhaften Demokratie
Von Norbert Wohlfahrt

Je mehr das Ideal der »liberalen Demokratie« Schaden nimmt, desto stärker melden sich diejenigen zu Wort, die dieses Ideal zum Maßstab einer moralisch unantastbaren Freund-Feind-Unterscheidung erheben. Die wehrhafte Demokratie stellt sich ihren Gegnern, und sie beruft sich dabei auf eine Werteordnung, die eine universelle Gültigkeit zum Maßstab hat. Der Universalismus des westlichen Wertesystems ist nicht diskussionsfähig, weil die demokratischen Werte von Gleichheit und Freiheit nur durch die Staaten repräsentiert werden können, die – »mit den Vereinigten Staaten als ihrem befleckten Symbol«¹ – den westlichen liberalen Demokratien zuzuordnen sind. Als menschenrechtlich verpflichtete Verfassungsstaaten handeln demokratische Staaten nach Maximen von allgemeiner Gültigkeit und mit einer Reichweite, die nichts und niemanden ausschließt. Dieser Universalismus sieht sich in Staat und Nation verwirklicht, und sein Anspruch realisiert sich als politische Gemeinschaft.

Die Freiheit, die Verfassung und Gesetze zum Inhalt dieses Universalismus machen, formuliert ein »Wir«, das alle Staatsbürgerinnen und Staatsbürger umfasst und damit schon vom Prinzip her jegliche Anliegen, die dieses »Wir« in Frage stellen, ins Abseits stellt. Damit ist der Feind schon ausgemacht, ohne dass man länger über dessen Argumente und Anliegen nachdenken müsste. Wer, wie Wladimir Putin, die westliche Werteordnung angreift, ist bestenfalls ein Nihilist², und Kritiker der liberalen Demokratie sind unverbesserliche Rechts- oder Linkspopulisten, die das Ewiggestrige repräsentieren.

Die Freiheit, die der westliche Universalismus garantiert, steht aber, will man der politischen Bildungsliteratur glauben, in einem nicht unproblematischen Zusammenhang mit dem Prinzip der Sicherheit, das den dauerhaften Bestand der freiheitsgewährenden Gesellschaftsordnung garantieren soll. Die liberale Demokratie belässt es deshalb nicht bei einer bloß ideologischen Ächtung ihrer Gegner, sie hat Vorkehrungen getroffen, sich gegen ihre Feinde zu wehren und gegen diese aktiv vorzugehen. Das Konzept der »wehrhaften Demokratie« umfasst einen Instrumentenkoffer aus sowohl strafrechtlichen als auch verfassungsrechtlichen Bestimmungen, die auch als Mittel eines präventiven Verfassungsschutzes gelten. Hierzu gehören beispielsweise die Notstandsgesetze, die Berufsverbote der 1970er Jahre, die staatlichen Reaktionen auf die Gewalt der RAF oder die Erkenntnisse und Vorgehensweisen des Verfassungsschutzes.

Aktuell sieht sich die wehrhafte Demokratie durch den Aufschwung der AfD herausgefordert, und ein Parteiverbot wird zum Schutz der liberalen Demokratie in Erwägung gezogen. Die Bürgerinnen und Bürger, die diesen Staat als Souverän verkörpern, sollen sich gegen diejenigen wehren (können), die als Feinde der Demokratie diese Souveränität in Frage stellen. Es ist offenkundig, dass dieses »Spannungsverhältnis von Freiheit und Sicherheit« etwas mit der politischen Macht zu tun haben muss, die über die Sicherheit gebietet und definiert, was gefährdend ist und was nicht.

Es stellt sich deshalb die Frage, wie ein auf Wehrhaftigkeit orientiertes Normensystem, das gegen autoritäre Tendenzen und antidemokratische Ideologien schützen soll, mit dem Wesen der Demokratie, der Legitimierung ihrer politischen Ordnung durch das Volk, in Übereinstimmung zu bringen ist.

Freiheit und Gewalt

Schutz des Eigentums

Kriegstüchtiger Volkssouverän

Resilienz fördern

So tritt die durch Volkssouveränität beglaubigte Demokratie schließlich auch noch ihrem eigenen Volk gegenüber, um es zur Wehrhaftigkeit zu erziehen und kriegstüchtig zu machen: »Die staatliche Förderung der Zivilgesellschaft sollte als Teil der kontinuierlichen ›Betriebskosten‹ der wehrhaften Demokratie in Deutschland verstanden werden. (…) Angesichts gesellschaftlicher Polarisierung und Destabilisierungsversuchen von innen- und außenpolitischen Akteuren, muss demokratische Resilienz kontinuierlich gefördert und verteidigt werden. Die neue Nationale Sicherheitsstrategie sollte deshalb dazu beitragen, Deutschlands wehrhafte Demokratie aktiv und für zukünftige Herausforderungen fit zu machen.«¹⁸

Stellt sich schlussendlich die Frage, welches Volk es eigentlich ist, das hier zur ethisch fundierten Wehrhaftigkeit ertüchtigt werden soll. Die Verschmelzung innerer und äußerer Feindbekämpfung erfordert einen kritischen Blick auch auf das Volk, das hier als Souverän agiert. »Wenn Demokratie Herrschaft des Volkes ist, dann kann es nicht folgenlos bleiben, wenn das Volk als prinzipiell feste Größe fragwürdig wird, seine Substanz sich ändert und eine zahlenmäßig erhebliche Diskrepanz zwischen dem deutschen Volk als der Summe aller Staatsangehörigen einerseits und der innerhalb des Bundesgebietes ansässigen Bevölkerung andererseits festzustellen ist. Was wird aus der ›Herrschaft des Volkes‹, wenn der Begriff des Volkes ›undeutlich‹ wird, der spezifische Legitimationsquell der Demokratie verdunstet, diffus wird, nicht mehr abgrenzbar ist?«¹⁹

Der Begriff der wehrhaften Demokratie, ursprünglich auf die äußere Feindabwehr bezogen, wird damit zu einem Signum der inneren Feindbekämpfung in der Dreifaltigkeit von »Sicherheit stärken, Migration ordnen, Radikalisierung vorbeugen«, so der Titel des im September beschlossenen Maßnahmenpakets der »grün-schwarzen« Landesregierung Baden-Württembergs. Die Fortschritte der wehrhaften Demokratie sind unübersehbar. Ob damit die »liberale Demokratie« gerettet wird, steht auf einem anderen Blatt.

Norbert Wohlfahrt schrieb an dieser Stelle zuletzt am 12. Juni 2024 über die Ambitionen der EU kriegstüchtig zu werden

Aus: junge Welt – Ausgabe vom 25.11.2024 / Seite 12 / Thema: Wehrhafte Demokratie

https://www.jungewelt.de/artikel/488534.wehrhafte-demokratie-der-innere-gegner.html

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